ADB:Marschner, Heinrich

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Artikel „Marschner, Heinrich August“ von Moritz Fürstenau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 435–441, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marschner,_Heinrich&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 20:42 Uhr UTC)
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Marschner: Heinrich August M., war einer der talentvollsten und bedeutendsten deutschen Componisten. „Kurzer Abriß aus meinem Leben“, heißt eine schlichte Autobiographie des Meisters aus dem Jahre 1825, welche mir vorliegt und zunächst hier folgen möge:

„Am 16. August 1795 wurde ich in Zittau geboren. Mein Vater betrieb mancherley Geschäfte, am liebsten beschäftigte er sich mit mechanischen Arbeiten, [436] trieb auch Musik, und übernahm endlich 1810 eine Pachtung in Rothenburg an der Neisse. Es war schon früh sein Plan, aus mir einen Rechtsgelehrten bilden zu lassen, wozu ich ihm Anlagen genug zu haben schien, jedoch vernachlässigte er auch nicht, das in mir entdeckte Talent für Musik sowohl selbst, als auch durch andere sorgfältig (soweit es nämlich damals in Zittau, wo wirklich für Musik mehr geschah, als man in einer so kleinen Stadt hätte erwarten sollen, möglich war) ausbilden zu lassen. Ich ward Mitglied des Sängerchors im Gymnasium, das ich frequentirte, und errang mir sowohl durch Fleiß als auch durch meine damals schöne Sopranstimme bald die Würde eines Concertisten, wo ich in Kirche und Concertsaal bald Gelegenheit fand, mich auszuzeichnen. Diese meine Stimme war Ursache, daß ich durch des bekannten Componisten Bergt Vermittelung, in dessen Oratorium und unter dessen Leitung ich mehrmals zu seiner Zufriedenheit gesungen hatte, nach Bautzen als Concertist im dasigen Chor berufen ward, welches für meine Stimme, die man nicht genug benutzen zu können glaubte, weniger von Nutzen als für meine Schulbildung war, da auf dem Bautzner Gymnasium der Schüler nicht allein durch gute Lehrer sondern auch durch strengere Anhaltung zum Lernen in seinem Wissen gefördert wurde. Mit dem Verlust meiner Stimme verlor ich Stelle und – Einkommen, wodurch ich genöthigt ward, in meine Vaterstadt in die Arme meiner Mutter wieder zurückzukehren. Jetzt gewann ich zwar mehr an Zeit für meine Studien, aber auch weniger – für den Magen. Doch die Vorsehung sorgte auch in dieser bedrängten Zeit wie immer für mich und so kam nach und nach die Zeit heran, wo ich die Universität Leipzig besuchen wollte. Jedoch der Krieg und die Schlacht bei Bautzen, nach welcher ein Chor Preußen in Zittau recrutirte, veranlaßten mich, da ich keinen Beruf in mir fühlte und auch durch Brustleiden eben auch nicht kräftig genug war, die Freiheit mit zu erkämpfen, diese Recrutirung sage ich veranlaßte mich, einstweilen einen Abstecher nach Prag zu machen, wo ich die lehrreichen Unterredungen des Componisten Tomaschek zu weiterer Ausbildung meiner musikalischen Kenntnisse benutzte. Doch mußte ich nach Ablauf des Waffenstillstandes auch dieses Asyl verlassen und nochmals nach Zittau zurückwandern, wo ich aber nicht lange blieb, sondern noch im Jahre 1813 nach Leipzig wanderte, wo aber leider auch statt der Musen die geharnischte Minerva und Signor Mars (ein halber Namensvetter von mir, dessen Blut aber gar nicht in meinen Adern rollt) thronten. Abermaliger Rückzug von hier war aber nicht mehr möglich, und so mußte ich geduldig den Schlachten zusehen, konnte auch, da unter solchen Umständen ans Studium gar nicht zu denken war, die Musik nicht cultiviren, da ich außer den verschiedenen Kanonen sonst kein musikalisches Instrument zu hören bekam. – Als nun „des Krieges Stürme“ schwiegen, besuchte ich fleißig Haubold und Wieland, aber doch nebenbey auch Platner, Krug und Wendt. Aufgemuntert von mehreren tüchtigen Kunstkennern gab ich einige Compositionen heraus, und durch den darüber erhaltenen Beyfall gelockt, berauscht, wurde ich ganz und gar der göttlichen Jurisprudenz untreu und warf mich mit Liebe glühendem Herzen an Polyhymniens Busen, der ich denn auch immer und ewig getreu zu bleiben gedenke. 1815 machte ich eine sogenannte (erste) Kunstreise nach Carlsbad, wo ich Concert gab und mir das Wohlwollen mehrerer österreichischen und ungarischen Magnaten erwarb, die mich denn auch veranlaßten nach Wien zu reisen, was noch in demselben Jahre geschah, und was ich auch nimmermehr bereue, denn ich fand nicht nur mehrere vortheilhafte Engagements, mehr als hinreichenden Erwerb und Aufmunterung zu weiterem Streben, sondern auch eine gute und liebevolle Gattin in Eugenie Jäggi, die 1819 in Preßburg sich für immer mit mir verband. 1821 reiste ich in Familienangelegenheiten nach Sachsen, wurde in [437] Dresden von C. M. v. Weber (der kurz vorher zu meiner Aufmunterung meine erste Oper Heinrich IV. aufgeführt hatte) und dem damaligen Generaldirector und Geh. Rath von Könneritz so wohlwollend aufgenommen, daß aus einem bloßen Besuche ein gänzliches Hierbleiben ward. Im Jänner 1824 erhielt ich einen Ruf als Musikdirector der deutschen Oper in Amsterdam, konnte mich aber, da von hohen Gönnern mir unterdessen Hoffnung gemacht worden war, meine Kräfte dem Vaterlande weihen zu können, nicht entschließen, jenen ehrenvollen Ruf sogleich und unbedingt anzunehmen; lavirte daher so glücklich, bis mir dann endlich die Freude ward, als königl. Musikdirector der deutschen und italienischen Oper (im September 1824) angestellt zu werden.“

Diesem „kurzen Lebenslaufe“ wären noch einige Einzelheiten hinzuzufügen. In Leipzig unterrichtete M., nachdem er den Entschluß gefaßt hatte, sich ganz der Tonkunst zu widmen, der ehrwürdige Schicht, Cantor an der Thomasschule. Unter seiner Leitung arbeitete er die verschiedenen theoretischen Systeme durch, studirte diejenigen Partituren, die er von Haydn’s und Mozart’s Werken auftreiben konnte, gründlich und schrieb sich die Beethoven’schen Symphonien selbst in Partitur. Dabei hatte er die Genugthuung, mehrere von seinen Compositionen gedruckt und von den Leipziger Verlegern bezahlt zu sehen, so daß er seinen liebsten Wunsch, seiner Mutter dann und wann mit Geschenken eine Freude zu machen, erfüllen konnte. Aus dieser Zeit rühren die ersten 20 bis 23 Nummern seiner gedruckten Werke her, Lieder mit Begleitung von Clavier oder von Guitarre, kleinere Clavierstücke, auch schon ein Paar Sonaten (Op. 6 und 24) für das Pianoforte etc. Schon damals drängte es ihn, eine Oper zu schreiben und in Ermangelung eines Textes griff er zu dem Libretto des Titus, das der Partitur von Mozart’s Oper vorgedruckt war. Er versuchte doch wenigstens seine Kräfte daran, übte sich in Handhabung der dramatischen Formen und gewann Vertrauen zu ähnlichen Arbeiten in der Zukunft. Aus der geheim gehaltenen Partitur brachte er später nur ein Terzett mit verändertem Texte zum Vorschein, das Beifall erhielt und eine unverkennbare Begabung für dramatische Musik bekundete. Auf der von M. erwähnten Kunstreise nach Karlsbad, die er als Pianofortevirtuos unternahm, lernte er 1815 den ungarischen Grafen Thaddäus Amadée de Varkony (als k. k. Hofmusikgraf gestorben zu Wien am 17. Mai 1845), einen großen Musikfreund, kennen, der sich bald für ihn interessirte und ihn aufforderte, nach Wien zu kommen. M. ging 1816 dorthin und hatte das Glück, hin und wieder mit Beethoven verkehren zu können. Nachdem er schon das Frühjahr 1816 in Preßburg beim Grafen Johann Zichy zugebracht hatte, erhielt er im Jahre 1817 durch Empfehlung des Grafen Amadée eine Musiklehrerstelle[WS 1] ebendaselbst, wo ihm der künstlerische Rath des Professor Klein nützlich ward, wie er denn um diese Zeit seine erste Oper „Der Kyffhäuser Berg“ von Kotzebue schrieb, die auf einigen Bühnen Oesterreichs mit Glück aufgeführt worden sein soll. Auch seine Oper „Saidar“ von Dr. Hornbostel wurde 1819 dort zweimal von der deutschen Operngesellschaft gegeben, ohne jedoch Theilnahme zu erwecken. In derselben Zeit schrieb er einige kleine und große Messen und mehrere Orchesterstücke, Symphonien und Ouvertüren, die aber nicht veröffentlicht worden sind. Eine neue Oper „Lucrezia“, Text von Eckschlager, damals Theatersecretär in Preßburg, begann er im Jahre 1820, vollendete sie aber erst im Jahre 1826 und brachte sie in Danzig unter seiner eigenen Leitung auf die Bühne. Bereits im Jahre 1818 hatte M. seine Oper „Heinrich IV. und d’Aubigné“, Text ebenfalls von Dr. Hornbostel, an den von ihm hochgeachteten C. M. v. Weber nach Dresden gesendet, der sie auch zur Aufmunterung des jungen Componisten dort am 19. Juli 1820 zum ersten Male zur Aufführung brachte. Mit welcher Liebe der berühmte Meister sich mit diesem [438] Werke beschäftigte, dafür giebt die Einführung Zeugniß, welche er unterm 7. Juli 1820 in der Abendzeitung der Bühnendarstellung vorausgehen ließ. Der vertraute Umgang mit Weber nach der Uebersiedelung Marschner’s nach Dresden ward für den strebsamen jungen Mann außerordentlich fördernd. Auf Weber’s und Tieck’s Veranlassung schrieb er die Musik zu Kleist’s „Prinz von Homburg“. Das Stück kam in dieser Gestalt am 6. December 1821 zum ersten Male zur Aufführung. In Dresden auch componirte er die Musik zu den Schauspielen „Schön Ella“ von Kind und „Ali Baba“ (1823) von Theodor Hell. Das Verhältniß mit Weber scheint sich indeß mit der Zeit gelockert zu haben, da ersterer, als er wegen Dienstüberhäufung und wankender Gesundheit Anfang 1823 auf Anstellung eines Musikdirectors drang, hierzu seinen Freund Gänzbacher in Wien empfahl. Dies wurde jedoch so lange verzögert, daß dieser inzwischen eine andere Stelle angenommen hatte, worauf M., mit dem man, wie es scheint, auch schon verhandelt hatte, die Stelle erhielt. Das Anstellungsdecret datirt vom 4. Septbr. 1824. In Dresden schrieb M. die Oper „Der Holzdieb“ von Kind, welche zum ersten Male am 22. Januar 1825 im dortigen Hoftheater gegeben wurde. Im Jahre 1826 verließ M. seine Stellung in Dresden, da er keine Aussicht hatte, die Kapellmeisterstelle, welche durch den am 5. Juni 1826 in London erfolgten Tod Weber’s erledigt war, zu erhalten. Nachdem seine Gattin Eugenie im December 1825 gestorben war, verheirathete er sich am 3. Juli 1826 mit der geschätzten Sängerin Marianne Wohlbrück, geb. am 6. Januar 1806 zu Hamburg und ließ sich nach mannichfachen Kunstreisen und Gastspieltouren auf Veranlassung des damaligen kunstsinnigen Leiters des Leipziger Stadttheaters, K. Th. Küstner zu einem längeren Aufenthalt in Leipzig nieder und brachte dort am 29. März 1828 die Oper „Der Vampyr“, Text von seinem Schwager Wilhelm August Wohlbrück zur Aufführung, welche ihm zuerst einen ausgebreiteten Ruf verschaffte. Am 22. Decbr. 1829 schon kam in Leipzig seine Oper „Der Templer und die Jüdin“, Text ebenfalls von Wilh. Aug. Wohlbrück zur Darstellung, welche rasch über sämmtliche Bühnen Deutschlands ging und seinen Namen am populärsten gemacht hat. Im folgenden Jahre (1830) erhielt M. zwar verschiedene Anträge zu ehrenvollen amtlichen Stellungen, allein er zog es vor, sich noch nicht zu binden, nahm aber mit Vergnügen die Einladung des Königstädter Theaters an, für diese Bühne, welche damals in ihrer besten Blüthe stand, eine Oper heiteren Inhalts zu schreiben. Wohlbrück schlug als Stoff „Des Falkners Braut“ nach einer Erzählung von Spindler, vor, was der Theaterdirection und dem Componisten genehm war. M. arbeitete im Stillen rasch an dem neuen Werke, dessen Hauptpartie für den vortrefflichen Sänger und Schauspieler Spitzeder bestimmt war. Schon Ende 1830 sandte er die Partitur nach Berlin, und die Aufführung in der Königstadt wurde bereits vorbereitet, als der Vorstand der königlichen Bühne[WS 2] davon Nachricht erhielt und Einspruch erhob. Die neue Oper sei im königlichen Schauspielhause auf das Repertoir gesetzt und dürfe vertragsmäßig nicht auf der Königstädter Bühne gegeben werden. In der That wurde M. von der Intendanz um Einsendung der Partitur unter gleichen Bedingungen ersucht und die Zusage sofortiger Aufführung gegeben. Allein diese wurde Jahre lang verzögert und fand erst im Sommer 1838 statt. Unter der Zeit hatten Leipzig (1832), Dresden, Hannover, Breslau etc. die Oper gegeben. Sie blieb nicht ohne Beifall, hatte aber weder so großen, noch so nachhaltigen Erfolg, als die beiden früheren. Im Sommer 1830 erhielt M. den Ruf als königl. Kapellmeister nach Hannover. Unterm 2. Juli 1830 wurde mit ihm ein Contract für die Zeit vom 1. Jan. 1831 bis zum 1. April 1832 abgeschlossen, welcher dann bis 1837 und weiter bis zum 18. Octbr. 1852 verlängert wurde. [439] Erst von diesem Zeitpunkte an wurde ihm die feste Anstellung verliehen; am 30. Septbr. 1852 bereits war er zum Hofkapellmeister ernannt worden. Patriotisch und freisinnig, fand M. bei seinem Erscheinen in Hannover als bedeutender Künstler und universell gebildeter Mensch in allen Kreisen eine zuvorkommende Aufnahme und allseitige Anerkennung, die freilich später mit der zunehmenden Reaction von höchster Stelle aus abnahm, eine Thatsache, die der Verstorbene nicht wohl zu würdigen verstand, weshalb er mit freien, oft scharfen Bemerkungen sich unversöhnliche Feinde machte. Dagegen blieb das Hannover’sche Publicum seinen musikalischen Werken der treueste Freund. In der neuen Heimath entstand zunächst das Werk, welches wohl den Höhepunkt seines musikalischen Schaffens bezeichnen dürfte. Es war dies die von E. Devrient gedichtete Oper „Hans Heiling“, welche am 24. Mai 1833 im Hoftheater zu Berlin zum ersten Male aufgeführt wurde. Der Erfolg war weder beim Publicum noch bei der Kritik ein so durchschlagender, wie M. ihn erwartet hatte. Desto enthusiastischer war die Aufnahme in Leipzig, wo die Oper am 19. Juli 1833 in Scene ging. Dem Hans Heiling folgten noch mehrere Opern, welche jedoch sämmtlich nur vorübergehende Erscheinungen bildeten. Es waren dies „Das Schloß am Aetna“ von Klingemann (1835), „Der Bäbu“ von Wohlbrück (1837), „Adolph von Nassau“ von Heribert Rau (1844) und „Austin“ (1851). Verstimmt, daß ihm in C. L. Fischer ein zweiter Kapellmeister an die Seite gesetzt wurde, zog sich M. nach und nach von der Leitung des Theaters und der Kapelle zurück und ward am 1. September 1859 auf sein Ansuchen (mit dem Titel eines Generalmusikdirectors) pensionirt, ein Ereigniß, welches zu jener Zeit allseitige Mißstimmung hervorrief. Auch in seinem glücklichen Familienleben ward M. hart geprüft; seine Gattin und erwachsenen Kinder gingen ihm bis auf einen Sohn und eine Tochter voraus; Marianne starb am 7. Februar 1854. Indessen hat seine letzte Lebensgefährtin, die als Altistin geschätzte Therese Janda aus Wien, mit welcher er sich im Jahre 1855 vermählte, ihm in den späteren Jahren seines Lebens reichen Ersatz geboten. Aeußerlich ward M. 1835 durch die Ehrenpromotion als Doctor der Musik von Leipzig geehrt; er trug den bairischen Orden für die Verdienste um die Wissenschaften und Künste, war Ritter des Danebrogordens, des sächsisch-ernestinischen Hausordens, Inhaber der sächsischen und österreichischen Medaille für Kunst und des Hannoverschen Guelphenordens, sowie Ehrenbürger der Stadt Hannover. Beschäftigt mit mancherlei musikalischen Arbeiten ereilte ihn der Tod in Hannover am 14. Decbr. 1861 Abends 9 Uhr im 66. Lebensjahre. Ein Schlagfluß machte seinem Leben ein Ende. Unter ehrenvollen Beweisen der Theilnahme auch des königlichen Hauses an dem weithin tief empfundenen Verluste und unter zahlreicher Begleitung aus den Kreisen der Kunstgenossen und der gesammten Bevölkerung wurde die irdische Hülle des Heimgegangenen am Morgen des 18. Decembers (Geburtstag C. M. v. Weber’s) auf dem Neustädter Friedhofe in Hannover bestattet. Außer den bereits genannten Compositionen schrieb M. viele herrliche Männerchöre und Lieder. Von letzteren sind besonders die „Bilder des Orients“ von Stieglitz, die „Hebräischen Gesänge“ von Byron und die „Altdeutschen Dichtungen“ hervorzuheben, welche sich sämmtlich durch ihr treffendes Colorit, poetische Auffassung und Originalität auszeichneten. Weiter zurück stehen seine Compositionen für Instrumental- und Kammermusik, obwohl auch diese viel Schönes enthalten. Erwähnenswerth davon sind zwei Quartetten für Pianoforte und Streichinstrumente (Op. 36 und 158), 7 Trios für Pianoforte, Violine und Violoncell (Op. 29. 111. 121. 135. 138 und 148), 9 Sonaten für Pianoforte (Op. 6. 24. 33. 38. 39. 40) etc. Das letzte veröffentlichte Werk Marschner’s trägt die Opuszahl 195. Im Jahre 1859 hatte M. [440] noch eine Oper „Sangeskönig Hiarne oder das Tyrfingschwerdt“, romantische Oper in 5 Acten, Text von W. Grothe, componirt; dieselbe ward zum ersten Male am 13. September 1863 unter Leitung von Ignaz Lachner im Stadttheater zu Frankfurt aufgeführt. Wiederholungen fanden am 16. Septbr., 2. und 24. Octbr. desselben Jahres statt, doch hatte das Werk wenig Erfolg und verfiel völlig der Vergessenheit, bis es am 7., 11. und 14. März und am 15. April 1883 im Hoftheater zu München aufgeführt ward. Die neue Zeitschrift für Musik (1883, Nr. 16 ff.) enthält einen lesenswerthen Aufsatz über dieses Werk von Heinrich Porges. Von größeren Compositionen sind hier noch des Meisters Musik zu dem Drama „Waldmüller’s Margret“ von Rodenberg und zu Mosenthal’s dramatischem Märchen „Der Goldschmied von Ulm“ zu nennen. In Marschner’s Jugendzeit hatten sich im Leben der Nation gewaltige äußere und innere Wandlungen vollzogen. Allmählich, aber stetig war der Uebergang zu der Richtung unserer Tage erfolgt. Wie immer in solchen Zeiten lagen mächtige Gegensätze miteinander im Streite. Das Neue und Gesunde hatte mit veralteten und krankhaften Elementen zu kämpfen. Auch Marschner’s musikalische Muse blieb von den trüben Gährungsstoffen der Zeit nicht unberührt. Das zeigte gleich die erste seiner genialen Opernschöpfungen, das nach der Uebersiedelung des Componisten nach Leipzig componirte Werk „Der Vampyr“. Hier gab sich unmittelbar neben den glänzenden Vorzügen einer kerngesunden Natur der finstere Dämon der inneren Zwiespaltigkeit der Romantik kund, und zwar in einer ursprünglichen Eigenthümlichkeit, wie sie eben nur möglich ist, wenn der Tondichter die eigenste Erfahrung seines Lebens spiegelt. Viel reifer und abgeklärter erscheint des Meisters „Templer“, in welchem er in frischen ritterlichen Weisen der schwungvoll begeisterte Sprecher einer zur Thatkraft jugendlich auflebenden Zeit ward. In „Hans Heiling“ endlich erblicken wir die höchste und reinste musikalische That Marschner’s, das Produkt des reifen Mannesgeistes. Was in der Oper ebenso wie im recitirenden Drama so äußerst selten vereinigt erscheint, idealer pathetischer Schwung und kerniger Humor, dies bietet M. mit einer Kraft der Ursprünglichkeit, wie in der Neuzeit nur noch C. M. v. Weber. Da waltet eine Fülle strahlender Gesundheit, ein ächter Volkston, daß wir deutlich sehen, es spricht ein Herz, das nur fühlt im großen Ganzen, ein Geist, der sorgsam geachtet hat auf jeden Pulsschlag des öffentlichen Lebens, der Theil genommen hat an aller Freude wie an allem Leide der Nation. Dieser Charakter bahnte dann auch den Werken Marschner’s den raschesten Eingang in alle Kreise des Volkes. Viel hierzu trugen auch seine Männergesänge bei, da sich gerade in ihnen auf das Entschiedenste der nach allen Richtungen die Volksempfindung belebende Geist des Componisten ausspricht; man braucht in dieser Beziehung nur an das herrliche Lied „Frei wie des Adlers mächtiges Gefieder“ zu denken. Hannover hat das Gedächtniß des Meisters durch Errichtung eines Denkmales nach dem Entwurfe von Hartzer in Berlin geehrt. Nicht uninteressant ist die Geschichte desselben, über welche Ernst Pfeilschmidt im Dresdener Anzeiger (9.–12. Juni 1877) berichtet. In dem ersten Aufruf des Comité's vom 30. Decbr. 1861 heißt es treffend: „Wo in unserem großen Deutschland der Pflege der Kunst eine Stätte bereitet ist, da hat auch das gesangsfrohe Volk an den Tönen des Meisters sich erquickt, hat mitgetrunken aus dem Born der Harmonien, in denen er, mitfühlend mit dem Volke in Leid und Freude, das Empfindungsleben der Nation gespiegelt hat, in Weisen ihres reizendsten Charakters demselben künstlerisch Gestalt verleihend“. An seinem Geburtshause in Zittau ist eine Gedenktafel angebracht. Außerdem hat man dort ebenfalls ein Marschner-Denkmal projektirt, dessen Fonds jedoch noch nicht hinreichend zur [441] Ausführung sind. Dasselbe (Broncebüste auf Granitsockel) soll in den Parkanlagen der Stadtgräben zur Aufstellung gelangen. – Therese M. (geb. Janda) starb am 2. October 1884 zu Wien (nach Marschner’s Tode in zweiter Ehe vermählt mit Kapellmeister Dr. O. Bach).

Beilage zu Nr. 358 der Allgemeinen Zeitung vom J. 1861.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Musiklehrersteller
  2. Vorlage: Böhne