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ADB:Hornbostel, August

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Artikel „Hornbostel, August Gottlieb“ von Egon von Komorzynski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 471–475, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hornbostel,_August&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 17:46 Uhr UTC)
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Hornbostel: August Gottlieb H., geboren in Wien am 17. September 1786, † ebendaselbst am 26. Juli 1838, Doctor der Medicin und Arzt an der k. k. Ingenieurakademie, wirkte als Schriftsteller unter dem Pseudonym O. Ernst Bohl; auch war er langjähriger Mitarbeiter an der „Wiener Zeitschrift“ in Witthauer’s Redactionsperiode. H. war ein Schulkamerad Grillparzer’s, der mit ihm in Verkehr blieb und sich gelegentlich sehr lobend über sein poetisches Können und Schaffen aussprach. Grillparzer beneidete H. um seine Zurückgezogenheit und verglich sich wehmüthig mit H., indem er sagte, ihn habe die Publicität die Innigkeit, die Empfindung und die Unschuld gekostet. H. war nämlich eine ans Krankhafte streifende, fast unüberwindliche Scheu vor der Oeffentlichkeit eigen; für die Welt war er einzig und allein der Arzt und die Früchte seines ganz poetischer Betrachtung und poetischer Gestaltung geweihten Innenlebens reiften im Grunde nur für ihn selbst; höchstens las er bisweilen vertrauten Freunden etwas vor; der Gedanke an eine Publication hätte seine Schaffenskraft gelähmt. Er schied auch den Schriftsteller streng vom Dichter und hat, wiewol Jahrelang als Mitarbeiter der „Wiener Zeitschrift“ schriftstellerisch thätig, und trotzdem er bisweilen eine dramatische Kleinigkeit für eine Dilettantenaufführung schrieb, die reifsten Früchte seines poetischen Talents sein Leben lang sorgfältig vor der Oeffentlichkeit gehütet.

Erst wenige Jahre vor seinem Tode ist er – wohl nur auf das Zureden seiner Freunde – mit zwei Dramen vor das Publicum getreten: am 27. September [472] 1833 wurde seine Tragödie „Maria oder die Pest in Leon“ (die auch 1834 in Prag gegeben wurde), am 14. Februar 1835 sein Trauerspiel „Die Heimberufenen“ im Burgtheater aufgeführt. Beide Stücke wurden, wie Costenoble in seinen Tagebüchern berichtet (2. Bd., S. 166 u. S. 217), wegen „Langweiligkeit“ ausgelacht und fielen durch. Nur aus dem Geist des vormärzlichen Oesterreich können wir eine Persönlichkeit wie H. verstehen. All’ die Kraftlosigkeit, die Lust, sich zurückzuziehen und sich auf sich selbst zu beschränken, die Vorliebe für ein stilles, friedliches Glück des Herzens, der Verzicht auf Glanz und Ruhm, die den Menschen nur ins Verderben stürzen – alle diese typischen Merkmale des Altösterreicherthums sind in H. verkörpert. Auch er hätte können in eine Nußschale eingesperrt sein, ihn zog es nicht in die Welt hinaus, in der eigenen Brust wohnte, auf stiller Selbstgenügsamkeit beruhte sein Glück. Dichten hieß ihm sich in seine Gedankenwelt einspinnen, und was er so in einsamen Stunden schuf, hätte er nie freiwillig und leichten Herzens der Oeffentlichkeit Preis gegeben. Darum bietet uns das Wenige, was von ihm gedruckt vorliegt, keine Handhabe, die eigentliche Bedeutung seiner Dichternatur zu ermessen; eine Durchsicht seines handschriftlichen Nachlasses, den die Wiener Stadtbibliothek besitzt, aber läßt uns staunen über die Feinheit und Tiefe dieser Poetenseele. Mancher verblüffend an Grillparzer erinnernde Zug fällt da auf. Auch H. führt den Menschen gern im Kampf mit sich selbst vor, wie er, von der Sucht nach Herrschaft oder Ruhm zum Frevel getrieben, zu Grunde geht, oder wie er noch bei Zeiten die gefährliche Bahn verläßt und ein bescheidenes, stilles Glück vorzieht. Eine Neigung, die Menschen zu beobachten und ihren Charakter zu studiren, verbunden mit dem scharfen Blick des Arztes, gibt selbst den phantasievollsten Dichtungen eine eindrucksvolle Lebenswahrheit: auch hier theilt sich, wie bei Grillparzer, die dichterische Phantasie in die Herrschaft mit dem kühlen Verstande. Endlich zeigt sich eine Sucht zu grübeln, eine hypochondrische Neigung zum Mißtrauen gegen sich selbst und gegen die andern, in vielen dieser Werke, „das Einsame seines Wesens“ mag auch H. um viele Freuden gebracht haben. Und doch hat gerade wieder auch er das Entstehen der Liebe in jungen Herzen, die zarte Empfindung der Mutter- und Geschwisterliebe, die hingebungsfreudige Aufopferung eigener Wünsche für das Glück anderer meisterlich geschildert. Diese Dichtungen tragen das Bild ihres Schöpfers alle in sich: eine Natur wie „Der arme Spielmann“ in ihrem Unglück und doch auch mit all’ ihrem Glück.

Außer zahlreichen lyrischen und epigrammatisch zugespitzten Gedichten sind von H. fünf große Dramen und zwei Lustspiele, fünf Erzählungen und zwei romantische Epen erhalten. Das aus dem Jahre 1816 stammende Märchenspiel „Die schönste Stätte“ steht, was poetischen Werth anbelangt, unter Hornbostel’s Dramen obenan. Freilich den strengen Maßstab des Dramas dürfen wir an dieses Stück nicht legen; es ist ein nach dem Vorbild der Romantiker, insbesondere Tieck’s, geschaffenes, in einzelne prächtige Gemälde zerflatterndes scenisches Märchen. Die Handlung ist geheimnißvoll umschleiert und lockt zu symbolischer Ausdeutung. Zur Aufführung hätte sich das Stück nie geeignet; abgesehen von seiner allzugroßen Länge, mangelt ihm jegliche Steigerung; der Dichter hat auch auf die Eintheilung in Acte verzichtet; ohne tiefer einschneidende Ereignisse schreitet die Handlung langsam dahin; die lose aneinandergereihten Scenen gleichen liebevoll ausgeführten Stimmungsbildern. Die einfache Handlung führt dahin, daß Ritter Dietmar, den die Sehnsucht treibt, die „schönste Stätte“ auf Erden zu suchen, diese endlich in den Armen der Geliebten findet; Aufbau und Charakteristik sind vorzüglich, ein Zug wienerischer Lebensfülle macht sich angenehm bemerkbar; dazu kommen Anklänge an das [473] volksthümliche Zauber- und Ritterstück und so manche Reminiscenz an die Spanier und an Tieck’s Märchendramen – auch das buntscheckige metrische Gewand des Stückes ist ganz romantisch. – Noch mehr ist das dramatische Märchen „Das stille Volk“ von dem typischen Inhalt der volksthümlichen Ritterstücke, wie sie namentlich im Leopoldstädter Theater gern gegeben wurden, beeinflußt. Auch hier entpuppt sich endlich die symbolische Einkleidung eines Grundgedankens: die Urgewalten der Natur sollen frei sein, den Menschen aber taugt besser als die Freiheit das beseligende Band der Liebe. – In dem romantischen Schauspiel in fünf Aufzügen „Manneswort“ behandelt H. das von Tieck, Halm und Anderen dramatisch verwerthete Motiv der ungerecht leidenden Frau. Hier ist alles Geschehen rein innerlich, und der Dichter hat die im Grunde seelische Handlung mit Glück durchgeführt, in den schönen Schilderungen von seelischen Zuständen fühlt man den Einfluß Grillparzer’schen Geistes. – Auch das Schauspiel „Die Heimberufenen“ besitzt eine großentheils seelische Handlung, die mit dem Stoff von Grillparzer’s „Traum ein Leben“ nah verwandt ist. Die Tragödie „Maria oder die Pest in Leon“ verherrlicht den Heldentod einer Mutter. Alle Dramen Hornbostel’s sind ausgezeichnet durch gute Motivirung und Charakteristik, inhaltliche und formelle Schönheit, besonders durch Zartheit der Empfindung.

Die erhaltenen Lustspiele Hornbostel’s sind ohne Bedeutung – harmlose Kleinigkeiten in Kotzebue’s Manier, aber mit technischem Geschick gemacht. Sie dürften für ein Liebhabertheater geschrieben worden sein. In den zwei in Stanzen geschriebenen Epen, die an zu großer Länge und stellenweise an Verschwommenheit der Darstellung leiden, ist das Vorbild Wieland’s nicht erreicht worden. Die erhaltenen Prosa-Erzählungen Hornbostel’s geben ein beredtes Zeugniß für die Vielseitigkeit seines Schaffens: bald folgt er dem Vorbild der Romantiker, bald versucht er sich auf dem Gebiete leichter Belletristik, bald geht er ganz seine eigenen Bahnen und schafft Bilder von verblüffender Lebenswahrheit, wobei ihm seine Lust, die Menschen zu beobachten, Charaktere zu studiren und Seelenstimmungen auszumalen, sehr zu Statten kommt. Die 1814 geschriebene Erzählung „Das Angedenken oder des Sängers Fahrt durchs Land“ ist eine Quintessenz aller romantischer Tendenzen. „Symbol ist alles“ könnte man als Motto über sie schreiben. Mystisch verworren, phantastisch zerfließend ist die Handlung, ein Gemisch von bunt wechselnden Stimmungen erfüllt sie, traumhaft verliert sich die Phantasie des Dichters nach allen Seiten ins Unbestimmte, Unsichere; Musik begleitet alle Phasen der Handlung. Tieck’s absonderliche Märchen und Novalis’ in das gleiche romantische Dämmerlicht getauchter „Heinrich von Ofterdingen“ klingen hindurch. Romantisch ist auch die Form: eine schwärmerisch gefärbte und oft rhythmisch werdende Prosa, untermischt mit Versmaaßen der verschiedensten Art: mit Sonetten, Terzinen und Stanzen, Trioletten und neugebildeten, oft recht spielerischen Strophenformen. Auch in die Handlung der Novelle „Angioletta“ – das Wiederfinden eines geraubten Grafenkindes – spielt das Wunderbare ein wenig hinein; für ihren Aufbau sind wohl Tieck und E. T. A. Hoffmann maaßgebend gewesen. Die kurze Erzählung „Agathe oder die Opfer“ bleibt ganz im Rahmen der zeitgenössischen Belletristik: sie läßt sich etwa Friedrich Kind’s oder Zschokke’s Novellen an die Seite stellen. Dagegen paart sich in zwei anderen, in Erfindung und Ausführung durchaus originellen Novellen die schrankenlose Phantasie des Dichters mit den medicinischen Erfahrungen des Arztes. Am Beginn der Erzählung „Ein Sommer im Hochgebirge“ erwacht der Held aus einem schweren Schlaf; ein gegen seinen Kopf geführter Schlag hatte ihn betäubt und hat ihm das Gedächtniß geraubt; er weiß nicht mehr, wer er ist. [474] Im Verlauf der Erzählung erlangt er Gesundheit und Gedächtniß wieder. – Die in Form eines Tagebuchs vorliegende Novelle „Die schiffbrüchigen Geschwister“, ein Meisterstück psychologisirender Darstellung, ist wohl Hornbostel’s bedeutendstes Werk. Zwei alte Motive hat H. in dieser Novelle mit einander verbunden. Er bietet uns eine Robinsonade; die auf einer einsamen Insel Lebenden sind aber Bruder und Schwester; die eigentliche Handlung ist auf dem durch die Schicksalstragödien und auch durch die Romandichtung der Zeit nahegelegten Motiv der Blutschande aufgebaut. Bruder und Schwester, die Kinder eines reichen Rostocker Handelsherrn, sind die einzigen Ueberlebenden eines Schiffbruchs. Sie finden sich am Strand einer rings vom Ocean umgebenen Insel. Die erste Zeit der Ungewißheit, der krampfhaften Hoffnung auf Rettung und der dumpfen Verzweiflung weicht endlich einer stillen Resignation: sie richten sich in einer vorgefundenen verfallenen Hütte häuslich ein, die in der Hütte befindlichen Vorräthe und Werkzeuge gewähren ihnen ein entbehrungsfreies Leben und so gehen sie ganz in geschwisterlicher Zärtlichkeit für einander auf. Da kommt etwas über Gotthold, das ihn fühlen läßt, er könne nicht mehr aufrichtig gegen sie sein, und seit er sie ein Mal durch Zufall im Bade belauscht hat, ist das Papier sein Freund, dem er Alles anvertraut, was er auf dem Herzen hat. Er fühlt nicht mehr brüderlich für seine Schwester und nach langen Qualen seelischer Ungewißheit wird ihm klar, daß er sie leidenschaftlich liebe und mit Allgewalt danach strebe, sie zu seinem Weibe zu machen. Tag für Tag verzeichnet er auf den geduldigen Blättern die entsetzlichen Kämpfe seines Gemüthes. Nach einer in Reue und bitteren Vorwürfen verbrachten Nacht gesteht er Elisabeth den Frevel. Da lodert auch in ihr die lang verhaltene Leidenschaft empor und sie gesteht dem Bruder, daß auch sie ihn heiß liebe und von einer Rückkehr nichts wissen wolle. Und nun hebt eine Zeit seligen Gekoses an für die beiden, der ganze Zauber dieser verbrecherischen Liebe hält sie gefangen. Endlich wird sie sein Weib. In fieberischer Wonne verrauschen nunmehr Tage und Wochen, die Betten haben sie längst in eine Kammer zusammengetragen. Monate vergehen, ein stilles Eheglück ist den Zweien erblüht und die Gewißheit, daß Elisabeth guter Hoffnung sei, hat ihre Seligkeit ganz voll gemacht. Da bohrt die Reue ihren Stachel zum ersten Mal in die Gemüther. Der Taumel der Leidenschaft weicht von Bruder und Schwester und mit zerschmetternder Wucht lastet aufs ihnen der Gedanke des ungeheuerlichen Verbrechens. So verzehrt sich Gotthold in wahnsinnigem Denken, Elisabeth aber welkt dahin und wird bleicher und bleicher. Die Zwietracht kehrt ein bei ihnen und läßt sie sich die Frage stellen: Wen von Beiden trifft die Schuld an dem Frevel?! Erschöpft und Daseinsmüde schleppen sie ihr Leben hin. Da kommt für Elisabeth die schwere Stunde. Ein Knäblein ist die Frucht des sündigen Bundes – aber es ist todt. Kein lebendiger Zeuge des sündigen Glücks soll wandeln. Auch Elisabeth stirbt. Da übermannt der Schmerz den überlebenden Sünder. Er begräbt sie in einer Grotte. Das Söhnlein legt er ihr in die Arme und deckt beide zu mit Elisabeths Lieblingsblumen. All’ das beschreibt er noch auf seinen Papierblättern, dann brechen die Aufzeichnungen ab und das Nachwort eines Officiers des Schiffes, das die Insel nach Jahren angelaufen hat, berichtet, man habe drei Leichen in der Grotte gefunden: Gotthold hatte sich neben die Schwester gelegt und sich ein Messer in die Brust gestoßen.

Für die Form der Dichtung ist vielleicht schon Chamisso’s „Salas y Gomez“ vorbildlich gewesen. Der Schwerpunkt liegt in der meisterlichen Ausmalung der seelischen Vorgänge. Wie sich die durch Frömmigkeit und Sittlichkeit gestützte Reinheit und Unbefangenheit des Geistes allmählich in sinnlose Leidenschaft [475] wandelt und endlich zur Reue und Verzweiflung wird, dieser ganze Leidensweg des Gemüths ist geschildert mit einer hinreißenden Kunst. Prächtig ist auch die Sprache gehandhabt: der Mann, der nie ein Schriftsteller war, schreibt einfach und ungefüge, Wendungen aus dem Geschäftsstil und Reminiscenzen an die Bibel finden sich in seiner alterthümelnden Ausdrucksweise; bis ihm endlich die Gluth der Sinnlichkeit, dann die Reue und der bittere Schmerz unbewußt die Gabe verleihen, feurig und eindringlich darzustellen.

In H. offenbart sich uns eine reife Dichternatur, die sich Zeit ihres Lebens scheu vor der Oeffentlichkeit zu verbergen trachtete, die aber trotzdem jetzt in ihren Erzeugnissen weiteren Kreisen bekannt zu sein verdient, da sie für die Geschichte der österreichischen Litteratur des Vormärzes typisch und von größter Bedeutung ist.

Glossy, Aus Grillparzer’s Tagebüchern I, 162 f. – Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, Bd. XIII, S. 60 ff.