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ADB:Steen, Tidemann

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Artikel „Steen, Tidemann“ von Carl Friedrich Wehrmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 545–547, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steen,_Tidemann&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 02:45 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 545–547 (Quelle).
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Steen: Tidemann St. war ein bedeutender und wohlhabender Kaufmann in Lübeck, Schonenfahrer, auch Aeltermann dieser Gesellschaft. Als im J. 1408 infolge eines Aufstandes der Bürger der größere Theil des Raths die Stadt freiwillig verließ, der übrige Theil die Regierung niederlegte, wurde er durch die Wahl der Bürgerschaft Mitglied eines neu gewählten Raths und 1409 beauftragt, die Sache desselben, zugleich mit drei anderen Mitgliedern, vor dem kaiserlichen Hofgericht in Heidelberg zu vertreten, bei welchem die Mitglieder des alten Raths Klage erhoben hatten. Das Gericht entschied zu Gunsten der Kläger. Der neue Rath leistete freilich dem Urtheil keine Folge, ging sogar so weit, das gesammte Privateigenthum der Ausgewichenen an Immobilien und Renten, so viel davon sich aus den Hypothekenbüchern erkennen ließ, zu confisciren und zum Besten der Stadt zu verkaufen. So wurde Tidemann St. Eigenthümer des Hauses, welches bis dahin dem verdienstvollen Bürgermeister Jordan Pleskow gehört hatte. Er veräußerte es bald wieder. Auffällig ist, daß die Abgeordneten nach ihrer Rückkehr von Heidelberg wahrheitswidrige Nachrichten über das Gerichtsverfahren gaben. Daß Tidemann St. sich dabei betheiligte, erregt die Vermuthung, daß er nach Ansichten und Gesinnung mehr auf Seiten des alten, als des neuen Raths stand. Acht Jahre lang dauerte der ungesetzliche Zustand. Tidemann St. wurde 1412 Bürgermeister. Im J. 1416 gelang es den fortgesetzten Anstrengungen Jordan Pleskow’s, den Bemühungen befreundeter Städte und dem Eingreifen des Kaisers Sigismund, die Wiedereinsetzung des alten Raths zu bewirken. Es ist kein Zweifel, daß er von der Gemeinde gern wieder aufgenommen wurde, und er kehrte seinerseits mit durchaus versöhnlichen Gesinnungen zurück. Der neue Rath mußte zwar zurücktreten, aber fünf Mitglieder [546] desselben wurden bei den erforderlich gewordenen Ergänzungswahlen in den alten Rath berufen, unter ihnen Tidemann St., jedoch nicht als Bürgermeister, sondern als Rathmann. Auch in die Zirkelgesellschaft fand er Aufnahme. Der Rath bewies ihm sogleich volles Vertrauen und er war von nun an eins der thätigsten Mitglieder. Namentlich wurde er zu fast allen auswärtigen Sendungen, wenn gleich, wie es damals üblich war, nicht allein, sondern mit einem oder einigen Andern, gebraucht, auch zu den schwierigen Verhandlungen, welche eine Aussöhnung des Königs Erich von Dänemark mit Heinrich, Herzog von Schleswig und Graf von Holstein, bezweckten, wurde er gesandt. 1418 schloß er einen Vertrag mit den Grafen Dietrich und Christian von Oldenburg, in welchem diese versprachen, den Seeräubern und Vitalianern keine Unterstützung mehr zu gewähren, 1422 einen ähnlichen mit einer Anzahl ostfriesischer Häuptlinge, 1420 nahm er unter der Oberleitung Jordan Pleskow’s Antheil an einem mit Hamburg gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Lauenburg, durch welches nach der Eroberung der Schlösser Bergedorf und Riepenburg, die sogenannten vier Lande in den Besitz der beiden Städte gekommen sind.

Das Verhältniß Lübecks und der Hansestädte überhaupt zu König Erich von Dänemark, welcher zu der Wiedereinsetzung des alten Raths viel beigetragen hatte und mit Jordan Pleskow persönliche Freundschaft unterhielt, änderte sich mit des Letzteren Tode 1425. Sein Verfahren gegen die Herzöge von Schleswig und Grafen von Holstein, und die widerrechtliche Erhebung eines neuen Zolls, des Sundzolls, veranlaßten einen Krieg. In diesem Kriege rüsteten 1427 die sechs wendischen Städte eine große Flotte aus, jede Stadt gab ihren Schiffen einen Anführer, zum gemeinsamen Oberanführer, dem alle zu gehorchen verpflichtet waren, wurde der Führer der Lübeckischen Schiffe, Tidemann St., bestellt. Der Rath verlieh ihm, um ihm größeres Ansehen zu geben, die Bürgermeisterwürde. Die Flotte segelte in den Sund und hatte insbesondere den Auftrag, eine ansehnliche hansische Handelsflotte, die im Begriff war, aus der Weichsel in die Westsee zu segeln, und eine andere, deren Rückkehr aus Frankreich und Flandern in die Ostsee erwartet wurde, zu schützen und gegen Angriffe der Dänen zu sichern. Diesen Auftrag führte Tidemann St. nicht aus. Nach dem Berichte des Chronisten Detmar kämpften die Hamburger Schiffe unglücklich und verloren viele Gefangene, die Lübecker dagegen kämpften glücklich und Tidemann St. segelte mit der gemachten Beute davon. Der Bericht ist vielleicht nicht genau, andere Chronisten erzählen etwas anders. Wie es auch sein mag, die Thatsache steht fest, daß kurze Zeit nach Tidemann Steen’s Entfernung die hansische Flotte aus der Westsee im Sunde erschien und den Dänen in die Hände fiel. Sie eroberten mehr als dreißig, nach einem anderen Bericht sechsundvierzig reich beladene Schiffe und machten viele Gefangene. Die Städte, zunächst Lübeck und Hamburg, aber auch andere, namentlich die livländischen, erlitten beträchtliche Verluste und hatten überdies den Schimpf. Begreiflicher Weise entstand große Aufregung und Erbitterung. Man forderte Schadenersatz und die Bestrafung Tidemann Steen’s, der einem bestimmt ihm ertheilten Befehl zuwider gehandelt habe. Der Rath konnte nicht umhin, ihn alsbald ins Gefängniß zu setzen. Bei dem weiteren Verfahren gab dann Tidemann St. eine andere Darstellung: die Hamburger Schiffe seien nicht mehr in der Lage gewesen, ihm Beistand zu leisten, die Stralsunder seien gar nicht anwesend gewesen, er habe zwar noch sechsunddreißig Schiffe gehabt, aber große und kleine, den dreiunddreißig großen dänischen Schiffen gegenüber sei er zu schwach gewesen, ein Kampf würde ihm Verderben gebracht haben, deshalb habe er der flandrischen Flotte durch einen Boten eine Warnung entgegengesandt und sich nach Bornholm zurückgezogen, um die Stralsunder Schiffe aufzunehmen und die werthvollere [547] Weichselflotte zu retten. Der Rath, der offenbar Tidemann St. geneigt war, erbat sich nun – in damals nicht ungewöhnlicher Weise – eine Rechtsbelehrung von dem Rathe von Lüneburg, und dieser ersuchte wieder die Räthe von Braunschweig und Göttingen um ein Gutachten. Beide Gutachten führten aus, daß ein in einem Kriege dem Oberbefehlshaber gegebener Befehl niemals als ein unbedingt gegebener angesehen werden könne, vielmehr demselben immer überlassen bleiben müsse, den Umständen gemäß zu handeln, Tidemann St. also ein Verbrechen nicht begangen habe. Hiernach war der Rath der Nothwendigkeit überhoben, die Todesstrafe über ihn zu erkennen, aber im Gefängniß blieb er, und es war ein schweres Gefängniß. Anfangs war er mit Fesseln und mit Ketten an den Beinen beladen und mußte das länger als ein Jahr ertragen. Erst zu Michaelis 1428 erlaubte der Rath, daß ihm die Bande abgenommen wurden. Nach Verlauf fast eines weiteren Jahres, am 22. Juli 1429, ließ der Rath zu, daß er aus dem Thurm, in dem er bis dahin gehalten war, in einen anderen, also leichteren, gebracht wurde. Wiederum nach mehr als einem Jahre, am 11. November 1430, verwandelte er die Gefängnißstrafe in strengen Hausarrest. Jedes Mal mußten vier Freunde, angesehene Männer, sich dafür verbürgen, daß er nicht entfliehen werde, und versprechen, selbst ins Gefängniß zu gehen, falls es dennoch geschehen sollte; bei Antritt des Hausarrestes leistete er selbst eidliche Urfehde.

Das Schicksal des Mannes fand in weiten Kreisen Theilnahme. Schon 1428 verwandte sich der Herzog Otto von Braunschweig-Lüneburg für ihn, indem er sich darauf berief, daß er als sein Unterthan geboren und mit vielen achtbaren Familien verwandt und befreundet sei. Sogar der Kaiser erhielt, vielleicht durch den Bischof von Lübeck, Kenntniß von dem Vorfall und befahl, durch eine Urkunde vom 1. Mai 1430, bei einer Strafe von 1000 Mark löthigen Goldes, den Tidemann St. frei zu lassen und wieder in sein Amt einzusetzen. Der Rath von Braunschweig übersandte den Befehl durch eine eigene Botschaft. Die Stimmung der Bürgerschaft wird es dem Rathe unmöglich gemacht haben, ihn in Ausführung zu bringen, ohne Einfluß ist er wahrscheinlich nicht geblieben. Auch spätere Verwendungen des Erzbischofs Dietrich von Köln, des Herzogs Adolf von Cleve und Berg, des Grafen Gerhard von Cleve im April 1434, blieben erfolglos.

Bis zu Ende des Jahres 1431 hat der Rath den Tidemann St. als sein Mitglied angesehen, 1432 wurde wieder ein vierter Bürgermeister erwählt, am 1. December 1434 erfolgte seine förmliche Entlassung mit seiner Zustimmung und unter abermaliger Leistung einer Urfehde. Der Rath gab der Bürgerschaft davon Kenntniß. Er hat noch lange gelebt. Am 20. September 1441 übergab er in seinem Hause und in Gegenwart zweier Rathmänner den Vorstehern des Heil. Geist Hauses die Summe von 1500 Mk. mit der Bestimmung, daß von den Zinsen jedem Hospitaliten täglich ein Brod gereicht werden solle. Kurz darauf, wie aus anderen Aufzeichnungen erhellt, ist er gestorben. Der Todestag ist nicht bekannt.