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ADB:Stolle, Ferdinand

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Artikel „Stolle, Ferdinand“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 786–788, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolle,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 22:05 Uhr UTC)
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Stolle *): Ludwig Ferdinand St., Belletrist, wurde am 28. September 1806 zu Dresden geboren. Er hieß eigentlich Anders; da er aber früh verwaiste, so nahm sich ein Oheim Namens St., der Amtscassirer war, seiner mit außerordentlicher, wahrhaft väterlicher Liebe an, und so bezeichnete der dankbare Neffe sich, dem Wünsche des treuen Pflegers gemäß, in aufrichtiger Erkenntlichkeit [787] für das viele genossene Gute später mit dessen Familiennamen. Nach Absolvirung des Gymnasialbesuchs auf der heimischen Kreuzschule bezog er 1827 die Universität Leipzig, um die Rechte und Cameralia zu studiren, empfand aber bald Unlust an den trockenen Elementen der juristischen Anfänge und hörte die hervorragenden Vorlesungen in Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften, gleichzeitig mit Ernst bemüht, sich in ästhetischen Fragen und allgemeinen Wissensdingen selbständig fortzubilden. Nach mehrjährigem Aufenthalte in dem damals recht anregenden Pleißathen übersiedelte er 1834, nachdem er sich für die Schriftstellerlaufbahn entschieden hatte, auf Antrag des Hofraths Dr. Ferdinand Philippi nach Grimma, um diesem bei Herausgabe mehrerer Journale zur Hand zu gehen. Er verlebte in dem reizenden Muldenstädtchen, wo er anderthalb Jahre hindurch auch einen „Litterarischen Hochwächter“ schrieb, eine glückliche Zeit. Seit 1838 besorgte St. die Leitung der in Leipzig verlegten „Eilpost für alle Moden“, und begründete 1844 das volksthümliche Wochenblatt „Der Dorfbarbier“, dessen humoristisch-politischer Text mit seinen Tagesglossen trotz seiner durchgängigen Einfach- und Nüchternheit im ganzen Bereiche deutscher Zunge den lebhaftesten Beifall des bürgerlichen Publicums fand und St. weit und breit bekannt machte. Von 1852 ab erschien dann die ausgedehnte Zeitschrift als „Illustrirter Dorfbarbier“ in Leipzig – das jetzige Berliner Witzblatt „Der Dorfbarbier“ besteht erst seit 1879 – und wurde im nächsten Jahre durch eine Beilage „Die Gartenlaube“ bereichert, die ihr freilich bald über den Kopf wuchs und unabhängige Geltung erlangte, als Ernst Keil, der Verleger beider Unternehmen (s. A. D. B. XV, 531), ihr seine vollen Kräfte widmete. 1855 zog St. nach seiner Geburtsstadt Dresden, wo er in angenehmen und auskömmlichen Verhältnissen den Rest seines Lebens verbrachte. Er starb 1872, in der Nacht von seinem Geburtstage auf den 29. September. Auf die redactionelle Thätigkeit hatte er schon 1863 gänzlich verzichtet.

Als Schriftsteller besaß St. keine hervorragenden Gaben und er verdankt den Umstand, daß er einige Jahrzehnte überaus viel genannt und auch einer der gelesensten Autoren war, bloß den Erfolgen, die sein redactionelles Geschick im Bunde mit dem vor 1848 wenig kritischen Lesebedürfnisse des Philisterthums erzielte. Er bewies eine äußerst fruchtbare Feder und hat eine lange Reihe historischer Romane und humoristischer Erzählungen veröffentlicht, von denen die ersten meist an den nackten Thatsachen hängen bleiben und nirgends zu rechter Charakteristik von Personen und Ereignissen ansetzen, die letzteren wenig Witz und packende Laune, aber viel Behagen zur Schau tragen. Trotz alledem befriedigte sein schwächliches Talent geraume Zeit die Ansprüche des lesehungrigen Mittelstandes und beförderte in breiten Kreisen des Vaterlandes eine gewisse schlafmützige Beschaulichkeit, aus der sie erst die Revolutionsstürme aufrüttelten. Damit war dann auch Stolle’s Nimbus vorbei, und heute muß er sich beim Leihbibliothekar auf die hintersten Gestelle verstecken, wenn er nicht bereits in den Bodenraum oder gar zum Trödler umquartirt worden ist. Seine heiteren Erzählungen gewähren gelegentlich recht lesbare Seiten, wo eine harmlose Gemüthlichkeit waltet.

Die, auch neu aufgelegte Romanserie, die die napoleonischen Kriegsbegebenheiten aufwärmte, ist relativ noch am gelungensten und enthält selbst manche hübsche Schilderung: „1813“ (1838), „Elba und Waterloo“ (1838), „Der neue Cäsar“ (1841), „Napoleon in Aegypten“ (1844), „Boulogne und Austerlitz“ (1848), „Die Granitcolonne von Marengo“ (1852). Reinen Abklatsch schichtlicher Vorgänge liefern auch die drei Bände „Von Wien bis Vilagos“ (1866), ein Werk, wo er schon ganz nachgelassen hat, und „Der Weltbürger“ (1839), gleichfalls ein „historischer Roman“, steht in dieser Hinsicht kaum viel [788] höher. An „komischen Romanen“, die den unsterblichen „Boz“ nachahmen wollen, ihm aber nicht das Wasser reichen, immerhin in ihrer bewußten spießbürgerlichen Sphäre lobenswerthes leisteten, schrieb er: „Deutsche Pickwickier“ (1841 „Die Erbschaft in Kabul“ (1845), „Der König von Tauharawi“ (1857), „Die deutschen Pickwickier auf Reisen“ (1864). Ferner auf erzählendem Gebiete: „Camelien. Novellen, Erzählungen und Genrebilder“ (1838), „Kleinere Erzählungen“ (1844), „Die weiße Rose, Morgenländischer Roman“ (1851), „Frühlingsglocken. Erzählungen und Novellen“ (1851), „Moosrosen. Novellen und Erzählungen“ (1853–64), „Je länger, je lieber. Phantasiestücke und Erzählungen“ (1857–59). „Dorfbarbiers neueste Erzählungen“ (1862). „Die Familie des Generals v. Pulverrauch. Erzählung“ (1864). Dazu kommen lyrische Ergüsse ohne Tiefe und ohne Eigenart: „Stella. Poetisch-humoristische Gabe“ (1832), „Ein Weihnachtsbaum, angezündet für unsere Armen im Gebirge. Lieder und Gedichte“ (1847), welche Veröffentlichung mit Glück dem Nothstand im Erzgebirge zu steuern versuchte, ebenso wie die von St. veranlaßte „Marienstiftung“; ferner das nette Dorfidyll „Der Frühling auf dem Lande“ (1867), seine letzte Arbeit, und verstreute Gedichte; die revolutionären „Nachtigallenlieder“ (1842), die W. Menzel (Gesch. der deutsch. Dichtg. III, 481) als sein Erzeugniß anzusehen scheint, rühren wohl von einem Namensvetter her, da er äußerlich recht zahm und auch vorsichtig war, obzwar er unleugbar freisinnigen Ideen huldigte. Von seinen lyrischen Anthologien waren mehrere ihrer Zeit gern gekaufte Geschenkbüchcr und auch nicht verdienstlos, obschon die speculativen Titel enttäuschen: „Blüthen und Perlen der echten deutschen Lyrik“ (1831), „Nationalversammlung der deutschen Lyriker des 18. und 19. Jahrhunderts“ (1838–39), „Palmen des Friedens“ (1855; 5. Aufl. 1873), „Winter und Frühling im Schmucke deutscher Poesie“ (1863), „Album für Deutschlands Söhne. Liederschatz“ (1864). „Des Dorfbarbiers ausgewählte Schriften. Volksausgabe“ erschienen in 30 Bänden 1859–64 und enthalten bei der Lyrik auch ziemlich selbstgefällige „lebensgeschichtliche Umrisse“; „Ausgewählte Schriften. Neue Folge“ in 12 Bänden 1865. Daß einige Romane in diese Sammlungen keinen Eingang fanden, wird man nicht erwachter Selbstprüfung zuschreiben dürfen.[1]


[786] *) Zu S. 408 oben.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 788. Eine knappe Charakteristik von Stolle’s Humor und seinen deutsch-volksthümlichen Gestalten entwirft Anton Schönbach, Ueber die humoristische Prosa des XIX. Jahrhs. (1875), S. 27–29. [Bd. 45, S. 673]