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ADB:Storr, Gottlob Christian

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Artikel „Storr, Gottlob Christian“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 456–458, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Storr,_Gottlob_Christian&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 20:51 Uhr UTC)
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Storr: Gottlob Christian St., evangelischer Theologe, geboren zu Stuttgart am 10. September 1746, † ebendaselbst am 18. Januar 1805, war der Sohn von Johann Christian St. (s. d. Art.), württemb. Consistorialrath, und von Euphrosyne Margarethe geb. Röslin. Die hohe Stellung seines Vaters, glückliche Familien- und Vermögensverhältnisse bereiteten dem hochbegabten, frohen und liebenswürdigen Knaben eine sonnige Kindheit, welche nur durch ein länger andauerndes Augenleiden getrübt wurde, welches ihn zu selbstständigem Denken führte, auch ernster stimmte, ohne ihm aber den jugendlichen Frohmuth zu rauben. Nach der Sitte frommer württembergischer Familien frühe schon zum Theologen bestimmt bezog er sechzehn Jahre alt die Landesuniversität Tübingen, studirte dort Philosophie und Theologie unter Reuß, Cotta, Sartorius und Klemm, bestand 1768 mit Auszeichnung sein Examen und trat, nachdem er ein Jahr lang seinem Vater Vicarsdienste geleistet hatte, 1769 mit seinem Bruder Gottlieb Konrad Christian, später Professor der Medicin in Tübingen, eine wissenschaftliche Reise an, welche ihn nach Holland, England, Frankreich und durch die meisten Städte Deutschlands führte. Sehr bereichert besonders an philologischen Kenntnissen und Welterfahrung (er hatte in Leyden Schultens wegen des Griechischen und Valckenaer wegen des Hebräischen gehört, war in Paris auch mit seinem Landsmann Schnurrer zusammengetroffen) kehrte er im August 1771 in seine Heimath zurück. Im nächsten Jahre wurde er Repetent in Tübingen, im J. 1775 Vicar in Stuttgart, aber im gleichen Jahr zum außerordentlichen Professor der Philosophie nach Tübingen berufen und 1777 außerordentlicher Professor der Theologie; in demselben Jahr, beim III. Jubelfest der Universität erhielt er die theologische Doctorwürde, im J. 1780 wurde er IV. Professor und Frühprediger. 1786 trat er als Ordinarius in die Facultät ein und wurde zugleich Superattendent des Seminars. Eine reiche, vielseitige, hochangesehene aber auch vielangefochtene Thätigkeit entfaltete er in dieser Zeit als Lehrer und Schriftsteller; ein sehr umfassendes Wissen in Philosophie, Philologie und Theologie (auch in der Mathematik war er recht gut bewandert), ein scharfer Verstand, streng logisches Denken und ein sehr treues Gedächtniß verbunden mit einem nie erlöschenden Wissenstrieb und einer großen litterarischen Gewissenhaftigkeit machten ihn zu einem der hervorragendsten Theologen seiner Zeit. Diese wissenschaftlich anerkannte Bedeutung war getragen von einer Achtung gebietenden Persönlichkeit, in welcher sich Ernst und Humanität paarten, von einer wirklich frommen Gesinnung: so war er das Haupt der älteren Tübinger Schule. St. stand fest auf dem Boden des Supranaturalismus; gegenüber den Angriffen der Aufklärung, des Rationalismus und der Philosophie (Kant) hielt er fest an der Wahrheit und Nothwendigkeit der christlichen Offenbarung; den Scholasticimus der alten lutherischen Orthodoxie gab er, in richtiger Erkenntniß der Zeitströmung Rechnung tragend, auf, um die angefochtene christliche Lehre überhaupt zu vertheidigen. Unablässiges Studium der h. Schrift hielt ihn von der Accommodationstheorie eines Semler und von einem alles verwässernden, geistlosen Rationalismus fern, sie war ihm die Quelle und das Gesetzbuch der göttlichen Lehre, mit allen Mitteln seiner historischen und philosophischen Gelehrsamkeit suchte er dies zu beweisen und festzuhalten, und die Wärme, welche er dabei entfaltete, gewann ihm auch die Achtung anders Denkender. Wenn er auch nach der Sitte der Zeit und nach dem Tübinger Lehrplan exegetische und geschichtliche Vorlesungen hielt (Daniel, Neutestamentliche Briefe, Evangelienharmonie, Apokalypse, Geschichte des Canons, [457] Neutestamentliche Geschichte, Kirchengeschichte u. a.), so war doch sein Hauptfach die Dogmatik; dieser mußte auch seine Exegese dienen, und wenn die erstere mehr einem Mosaikbild glich, da die eigentlich speculative Ader St. fehlte, wenn die ganze Auffassung intellectualistisch und die Darstellung trocken und wenig gefällig war, so blieb sie doch in einer gährenden, von neuen Anschauungen bewegten Zeit der letzte bedeutende Versuch des Jahrhunderts, die christliche Lehre in ihrer orthodoxen Auffassung zu vertheidigen. Sein „Lehrbuch der Dogmatik“ (doctrinae christianae pars theoretica 1793, von C. C. Flatt ins Deutsche übersetzt 1803) wurde als evangelische Landesdogmatik in Württemberg eingeführt und bei den Uebungen der Seminarzöglinge und den Disputationen der Geistlichen Jahrzehnte lang zu Grunde gelegt. Besonders zu erwähnen ist ein litterarischer Streit mit Kant, gegen dessen Schrift: Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft er die Möglichkeit einer Offenbarung philosophisch darzulegen sucht, um die Realität derselben dann biblisch-geschichtlich zu beweisen; ausdrücklich hob Kant Storr’s Scharfsinn und Billigkeit im Prüfen hervor.

Mehrere Berufungen auswärtiger Universitäten hatte er abgelehnt; als er 1792 nach Stuttgart versetzt werden sollte, gaben die Seminaristen eine Bittschrift für ihn ein, welche der Herzog Karl Eugen auch genehmigte; 1793 wurde er von der Haager Gesellschaft zur Vertheidigung des Christenthums zum correspondirenden Mitglied ernannt, aber am 6. November 1797 zum Oberhofprediger nach Stuttgart berufen. Seine Predigten, trocken und nicht begeisternd, aber gehaltvoll und fein ausgearbeitet, sammelten einen großen Kreis von Zuhörern, besonders aus den gebildeten Ständen, um ihn. Sein neues Amt, verbunden mit einer Stelle im Consistorium und in der theologischen Examenscommission, ließ ihm wenig Muße zu wissenschaftlichen Arbeiten, die Abfassung einer neuen Liturgie und eines neuen katechetischen Lehrbuchs für die württembergische Kirche, welche ihm übertragen war, kam nicht zur Ausführung. Im J. 1775 hatte er sich mit Charlotte Amalie Reuß, Tochter des Tübinger Kanzlers J. F. Reuß, verheirathet; von seinen sechs Kindern überlebte ihn nur eine Tochter Christiane Luise verehel. Klaiber. St. hatte keine kräftige Constitution, nur die sorgfältigste Lebensweise erhielt ihn bei seinen anstrengenden geistigen Arbeiten gesund, seine Versetzung nach Stuttgart hatte eine Zeit lang einen günstigen Einfluß, aber im Herbst 1804 fing er an zu kränkeln, am 16. December hielt er seine letzte Predigt und am 18. Januar 1805 entschlief er. Von seinen sehr zahlreichen Schriften findet sich in den von Süskind und Flatt herausgegebenen Sonn- und Festtagspredigten Storr’s Bd. II, 1807, S. 37 ein vollständiges Verzeichniß, von denselben seien hier erwähnt: „Observationes super N. Testamenti versionibus syriacis“ (1772); „De evangeliis arabicis“ (1775); „Neue Apologie der Offenbarung Johannis“ (1783); „Ueber den Zweck der evangel. Geschichte und der Briefe Johannis“ (1786, 1810); „Erläuterung des Briefes Pauli (!) an die Hebräer“ (1789, 1809); sein oben angeführtes „Lehrbuch der Dogmatik“; „Opuscula academica“ (1–3, 1796–1803); „Annotationes ad philosophicam Kantii de religione doctrinam“ (1793, deutsch 1794). Abhandlungen und Recensionen finden sich von ihm im Magazin für Dogmatik und Moral von Flatt (1796 u. 98); in Eichhorn’s Repertorium für biblische Litteratur Th. 5, 10, 14; Tübinger gelehrte Anzeigen (1783–86) und Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Litteratur 1 u. 2. Diesen schließt sich eine Reihe Dissertationen an sowie viele einzeln erschienene Predigten und jene oben erwähnte nach seinem Tode erschienene Sammlung.

Etwas über Storr’s Leben und Charakter (von Süskind und Flatt) in der angeführten Predigtsammlung Bd. 2; Realencyklopädie für protestant. [458] Theologie u. s. w. der Art. von Landerer-Wagenmann: Tübinger Schule I, 16, S. 485 ff., II, 16, S. 67 ff. – Allgem. (Hallische) Litteraturzeitung 1805. – Intelligenzbl. Nr. 43. – Nationalchronik d. Teutschen 1805, S. 33 ff., 71 ff. – Athenäum berühmter Gelehrter Würtembergs, 1830, H. 4, S. 42 ff. – Weizsäcker, Lehrer und Unterricht an der evangel.-theol. Facultät in Tübingen, 1877, S. 127 ff. – Landerer, Neueste Dogmengeschichte, 1881. – Zeitgenossen Bd. 2, 1818, III. Abth., S. 191 ff. – Württemb. Kirchengeschichte 1893, S. 595.