Zum Inhalt springen

ADB:Stosch, Philipp von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stosch, Philipp von“ von Rudolf Schwarze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 464–466, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stosch,_Philipp_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 01:48 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Stoß, Veit
Band 36 (1893), S. 464–466 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Philipp von Stosch in der Wikipedia
Philipp von Stosch in Wikidata
GND-Nummer 117673870
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|464|466|Stosch, Philipp von|Rudolf Schwarze|ADB:Stosch, Philipp von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117673870}}    

Stosch: Philipp v. St., Kunstkenner von europäischem Ruf, der Onkel von Eberhard Daniel St. (s. o.), war geboren am 22. März a. St. 1691 als Sohn des Arztes, späteren Bürgermeisters Philipp Siegismund St. in Küstrin. Nachdem er die Rathsschule seiner Vaterstadt durchlaufen, bezog er im April 1706 die Universität Frankfurt a. O. um daselbst Theologie zu studiren. Aber bald, einem schon früh gepflegten Sammeltrieb für Münzen und andere Raritäten folgend, wandte er sich den archäologischen Studien zu und erhielt 1709, am Schluß seines Trienniums, von seinem Vater die Erlaubniß, zu deren weiterer Pflege sich auf Reisen zu begeben. Sein Weg führte ihn an die wichtigsten Culturstätten Europas, schließlich nach Italien, wo er den größeren Theil seines Lebens zugebracht hat. Der beim Aufbruch aus der Heimath, die er nie wieder sah, erst achtzehnjährige Jüngling besaß in hohem Maaße das seltene Geschick, überall sich Freunde und Gönner zu erwerben, die ihm zur Erreichung seiner Ziele behülflich waren. Lernend von den Meistern, bald selbst eine Autorität in seinem Fache, durch Kaufen und Verkaufen Sammlungen von Kunstwerken aufhäufend, durch Wiederaufnahme des Adels, den die Familie im sechzehnten Jahrhundert hatte fallen lassen, sich den Zutritt zu fürstlichen Höfen verschaffend und von ihnen mit politischen Missionen betraut – so durchwanderte er Holland, wo ein reicher Münzkenner Franz Fagell ihm seine antiken Münzen schenkte und ihn auch weiter unterstützte, dann ging er herüber nach England, von dort durch Frankreich nach Italien und betrat die ewige Stadt zum ersten Male während des Carnevals 1715. Es war während des Pontificats des gelehrten und kunstliebenden Papstes Clemens XI. (Albani, 1700–1721), an den St. Empfehlungen hatte und mit dessen jüngstem, ihm gleichaltrigen Neffen, dem Cardinal Alexander (geb. 1692) er bald eine auf den gleichen künstlerischen Neigungen begründete Freundschaft schloß. Denn der Onkel wie der Neffe standen mitten in den Arbeiten für eine wirkliche, nicht bloß wie im fünfzehnten Jahrhundert nachgeahmte Wiedererweckung des classischen Alterthums, durch welche man sich bemühte, dem Erdboden die in ihm vergrabenen Schätze der Vorzeit zu entreißen, sie zu erhalten und zu sammeln. Römische, wie etruskische, bald auch pompejanische Ausgrabungen boten den erstaunten Augen einen unmittelbaren Einblick in das Schaffen und Leben längst vergangener Jahrhunderte. Man kann sich denken, welchen Antheil St. an diesen Bestrebungen nahm. Aber gerade mitten aus dieser vielversprechenden Thätigkeit ward er schon 1717 durch seinen Vater abgerufen, als sein älterer Bruder Ludwig (geb. 1688), ein talentvoller Arzt und Botaniker, in jenem Jahre in Paris plötzlich gestorben war. Der Wunsch des Papstes, St. bei der Abschiedsaudienz durch günstige Aussichten für die Zukunft dauernd an Rom zu fesseln, schien ihm an Voraussetzungen geknüpft, welche seinem protestantischen Bewußtsein widerstrebten. Er kehrte, zwar nicht in seine engere Heimath, wol aber nach Süddeutschland zurück, pilgerte durch Baiern nach Wien, wo ihn Kaiser Karl VI. empfing und ihm seine Münzen zeigte, dann nach Sachsen, wo der kunst- und prachtliebende August der Starke ihm eine Pension aussetzte, und begab sich endlich nach Holland zu seinem alten Freunde Fagell, bei dem er im Haag bis 1721 verweilte. Dann aber veranlaßte ihn die englische Regierung als ihr Agent nach Rom zurückzukehren, um die Umtriebe des Stuart-Prätendenten Jakob (III.), eines Sohnes des 1688 entthronten Jakob II., zu überwachen, der sich seit 1719 in Rom niedergelassen hatte. Nun lebte St. dort wieder im Kreise seiner alten Freunde, mit den Sonderbarkeiten eines Einsiedlers, aber den Mittelpunkt bildend der archäologischen Studien in Rom, wie er denn 1724 selbst ein Prachtwerk herausgab: „Gemmae antiquae caelatae“ in Folio, mit Kupfern von Picart, die aber weniger schön ausfielen. Da, Allen unerwartet, beschließt er 1731 Rom zu [465] verlassen und nach Florenz überzusiedeln. Was ihn hiezu bewog, ist nicht recht ersichtlich; der von St. selbst angegebene Grund, man beabsichtige in Rom auf ihn ein Attentat, dürfte wol nur ein ersonnener sein. In der Arno-Stadt füllt er ein prächtiges Haus mit seinen immer wachsenden Sammlungen an. Er ruft dorthin seinen jüngeren Bruder Heinrich Sigismund, der aber 1747 starb. Später veranlaßte St. seinen Neffen Wilhelm, den Sohn seiner an den Professor Muzel vom Joachimsthal’schen Gymnasium in Berlin verheiratheten Schwester Luise Hedwig, aus dem französischen Heere, in dem er stand, auszutreten und zu ihm zu ziehen. Die Verhandlungen über dessen Abschied verzögerten sich länger, als man erwartet hatte; erst 1756 konnte er in Florenz eintreffen. Wol ein Gefühl seines nahen Endes ließ St. wünschen, diesen nächsten Verwandten, den er zum Erben auch seines Namens machen wollte, in seiner Nähe zu wissen. Seine Ahnung erfüllte sich bald: am 7. November 1757 machte ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende. – Seine Hinterlassenschaft an Kunstsachen, Büchern u. A. ward auf 100,000 Ducaten geschätzt. Der Erbe beschloß sie zu verkaufen, weil er eine Reise nach dem Orient – Vorderasien und Aegypten – unternehmen wollte, die er später auch ausführte. Nun aber hatte St. testamentarisch Winckelmann dazu auserwählt, eine Beschreibung seiner Gemmen, auf die er einen besonderen Werth legte, und wozu er schon selbst die Vorarbeiten gemacht hatte, zu verfassen. St. kannte Winckelmann aus dessen früheren Dresdener Schriften; als dieser im Herbst 1755 nach Rom kam – man kennt die näheren Verhältnisse – hatte er sich im März 1756 zunächst durch einen Brief an seinen berühmten Landsmann in Florenz gewandt, der ihn dem Cardinal Alexander warm empfahl. Da Winckelmann jedoch einen Besuch bei St. wegen einer Reise nach Neapel verschob, so starb dieser, ehe ihn Winckelmann gesehen. Nun erfolgte an Letzteren vom jüngeren St. (wie der Neffe gewöhnlich genannt wird) die Einladung nach Florenz in das Stoschische Haus, dessen Schätze Winckelmann mit Staunen und Bewunderung erfüllten. Aber die Beschreibung der Gemmen erwies sich für diesen als eine gewaltige Arbeit. Es handelte sich um etwa 3000 alte Steine, die sich in 30 Kisten zu 10 Schubfächern wohlgeordnet befanden. Winckelmann widmete sich seiner Aufgabe mit dem emsigsten Fleiß in Florenz vom September 1758 während neun Monate, dann siedelte er nach Rom über, wo er noch andere neun Monate in der herrlichen Villa des Cardinals Albani, dessen Freundschaft er von St. geerbt hatte, an der Vollendung und Drucklegung der „Description des pierres gravées de feu Monsieur le baron de Stosch“ arbeitete, welche 1760 in Florenz in einem starken Quartbande erschien. Die französische Sprache war auf Wunsch des Neffen gewählt worden, der durch diese dem Verzeichniß eine weitere Verbreitung zu sichern glaubte. Ein classisches Französisch darf man darin freilich nicht suchen; auch könnte man bedauern, daß darin nur die schönsten Stücke näher beschrieben, die andern nur aufgezählt werden. Doch wird Winckelmann entschuldigt durch die Größe der Aufgabe und die Eile, mit welcher er sie fertig stellen mußte; auf alle Fälle ist die Sammlung durch seine Arbeit erst in ihrem Werthe erkannt worden und wol konnte eine deutsche Kritik den Vergleich wagen: „St. ist der Achill, der nach seinem Tode in Winckelmann einen Homer gefunden hat.“ Bei der nach kurzer Zeit erfolgenden Zerstückelung der Sammlung und deren Verkauf gingen die einzelnen Gruppen hierhin und dorthin. Erfreulich, daß gerade die Gemmen, welche St. besonders bevorzugte, durch Friedrich den Großen für 12,000 Thaler angekauft wurden, und so im Vaterlande ihres Sammlers und Erklärers ihren Platz im Berliner Museum, als eine besondere Perle desselben, erhalten haben.

[466] Strodtmann, Neues gelehrtes Europa V, Nachträge in X, XIII. – Rasmus, Mittheil. des Histor. Vereins in Frankfurt a. O. Heft VI u. VII, 1867. – Carl Justi, Winckelmann, Bd. II, Abth. 2, §§ 50, 51, 55–58, 65–67.