ADB:Städeler, Georg Andreas Karl
*): Georg Andreas Karl St., Professor der Chemie in Göttingen und Zürich, wurde am 25. März 1821 in Hannover geboren, † daselbst am 11. Januar 1871.
StädelerAls St. das Gymnasium seiner Vaterstadt absolvirt hatte, war es, einer ausgesprochenen Neigung zu den Naturwissenschaften folgend, sein Wunsch, die Heilkunde zu studiren; da jedoch seine schwächliche Constitution den Anstrengungen des ärztlichen Berufes nicht gewachsen schien und man ihm daher von seinem Vorhaben abrieth, so sehen wir ihn in den folgenden Jahren als Lehrling und Gehülfe in der Apotheke zu Aerzen und dann zu Hannover den Weg zum Studium der Naturwissenschaft wandeln, den so mancher berühmte Chemiker der damaligen und der früheren Zeit aus Mangel an anderen gangbaren Wegen eingeschlagen hat. Diese chemische Vorschule vertauscht er jedoch auf Anregung des Bergraths Gruner im Jahre 1845 mit der Göttinger Hochschule, um zu Füßen des großen Wöhler die Wissenschaft an der Quelle zu schöpfen. Aus dem eifrigen Schüler wird bald ein Mitarbeiter und nach kurzer Zeit ist er selbst mit neuen und wichtigen Entdeckungen beschäftigt. Als er die Einwirkung des Chlors, im Zustande des Entstehens, auf verschiedene organische Stoffe studirt, macht er die merkwürdige Beobachtung, daß aus Chlor und Stärke ganz derselbe Stoff entsteht, den Liebig schon 1832 aus dem Alkohol gewonnen, und Chloral genannt hatte, und welcher später, nach seiner Einführung in die Medicin durch Liebreich, so wichtig werden sollte. Zugleich aber gewinnt St. aus dem Chloral durch die Einwirkung der Schwefelsäure eine neue Substanz, welche er Chloralid nennt. Das Chloralid ist später der Typus für eine ganze Classe von Verbindungen geworden, welche Wallach unter dem Namen der Chloralide zusammengefaßt und kennen gelehrt hat. Die Zusammensetzung des Chloralids war nicht leicht zu interpretiren, zumal solange die Berzelius’sche dualistische Theorie noch in der organischen Chemie ihr Dasein fristete. So kam es, daß die von St. auf Grund genauer Analysen aufgestellte Formel bald von den namhaftesten Chemikern angegriffen wurde. Gmelin, Laurent und Gerhardt stellen, indem sie die Richtigkeit seiner Analysen in Zweifel ziehen, jeder eine andere Formel für das Chloralid auf. Aber die Genugthuung bleibt nicht aus: nach elf Jahren werden seine Zahlen durch neue Analysen von Kekulé vollkommen bestätigt und heut besteht an der Richtigkeit seiner Formel kein Zweifel mehr, seitdem es Wallach gelungen ist, das Chloralid auf synthetischem Wege darzustellen und es als dreifach gechlorten Aethenester der dreifach gechlorten Milchsäure zu erkennen.
Schon vor der Veröffentlichung der Chloralarbeit hatte sich St. am 5. Sept. 1846 den Doctorgrad und zugleich eine Assistentenstelle an Wöhler’s Laboratorium erworben. Als zweites Prüfungsfach hatte er die Botanik gewählt, welche er nun auch in den Kreis seiner chemischen Untersuchungen hereinzieht. Die sogenannten westindischen Elephantenläuse, die Steinfrüchte des Nierenbaumes, Anacardium occidentale, haben von jeher das Interesse des Menschen auf sich gezogen, wegen des ätzenden und blasenziehenden Balsams, den ihre Samenhülle enthält. St. zeigt, daß dieser Balsam neben einer krystallisirenden, hochmolekularen Fettsäure, welche er Anacardsäure nennt, als wirksamen Bestandtheil ein stark ätzendes Oel, das „Cardol“ enthält. Inzwischen ist er Wöhler bei der Ausführung von Analysen der von diesem entdeckten Schwefelverbindungen des Chinons behülflich und benutzt sogleich diese Anregung seine früheren Chlorstudien auch auf diesen Körper auszudehnen. Woskresensky hatte das Chinon 1838 durch Oxydation der Chinasäure erhalten, ferner hatte Erdmann durch die Einwirkung von Chlor auf den Indigo eine in prachtvoll goldenen Blättern krystallisirende [779] Substanz erhalten, das Chloranil. Diese beiden Körper stehen in naher Beziehung zu einander: die vier Wasserstoffatome des Chinons sind im Chloranil oder Tetrachlorchinon durch vier Chloratome ersetzt. St. behandelt die Chinasäure, das Nebenproduct der Chininfabriken, mit Chlor und gewinnt neben einander das Mono-, Di-, Tri- und Tetrachlorchinon, die Reihe, von der nur das Anfangs- und Endglied bekannt war, vervollständigend. Aus dem Chinon hatte Wöhler zwei Wasserstoffverbindungen erhalten, das „grüne“ (Chinhydron) und das „farblose“ Hydrochinon; St. unterläßt nicht, seine neuen Chloride in die entsprechenden Wasserstoffderivate zu verwandeln und gelangt schließlich zu einer „Kette, deren Glieder fest in einander greifen“ von nicht weniger als 16 wohl charakterisirten Chinonen.
1849 habilitirt sich St. in Göttingen als Privatdocent. Unter seinen Collegen befindet sich der fast gleichaltrige Friedr. Frerichs, der spätere berühmte Kliniker und Patholog, mit welchem ihn eine enge Freundschaft verbindet. Auch Wilhelm Langenbeck, mit welchem er eine gemeinsame Arbeit über die giftige Wirkung der organischen Kupfersalze veröffentlicht, ist ihm befreundet. Kein Wunder, daß seine chemischen Arbeiten nun mit Vorliebe eine physiologische Richtung annehmen; zumal aus der Interessengemeinschaft mit Frerichs entspringt eine Reihe für die physiologische Chemie höchst werthvoller zum Theil gemeinsamer Arbeiten.
Die erste dieser Arbeiten aus der Thierchemie veröffentlicht St. im J. 1851. Es ist eine sorgfältige Untersuchung der flüchtigen Säuren des Harns. Er macht hierbei die merkwürdige Beobachtung, daß der normale Harn einen sonst für den Organismus giftigen Körper, die Carbolsäure, enthält; außerdem findet er noch drei flüchtige Säuren, welche er Taurylsäure, Damalursäure und Damolsäure nennt. Die Existenz der Taurylsäure im Harn ist später von Hoppe-Seyler in Zweifel gezogen worden; indessen bestätigte Baumann Städeler’s Beobachtung, indem er zugleich nachwies, daß die Carbolsäure, sowie die Taurylsäure, die er als p-Kresol erkannte, im normalen Harn in Form ihrer Schwefelsäureäther vorkommen. Die beiden andern Säuren, welche schon von St. als Fettsäuren erkannt wurden, sind später von Schotten bestätigt worden.
Dieser wichtigen Arbeit fehlte die Anerkennung nicht. Die Regierung machte ihn zum Professor e. o. der physiologischen Chemie und die Göttinger Societät der Wissenschaften zum Assessor der physikalischen Klasse.
Bald darauf beschäftigt ihn die Harnsäure; durch Oxydation in alkalischer Lösung gelingt es ihm, zwei neue Derivate derselben, die Uroxansäure und das Uroxil, zu gewinnen; auch gibt er eine zweckmäßige Methode an, aus der Harnsäure die Alloxansäure zu erhalten.
Als im Herbste 1853 der Lehrstuhl der allgemeinen Chemie an der Universität Zürich frei wurde, nahm St. den Ruf dahin als Nachfolger von Löwig an. Hier entfaltete er eine fast zwanzigjährige glückliche und erfolgreiche Lehrthätigkeit, wozu ihm in dem damals bescheidenen Universitätslaboratorium eine tiefe Gründlichkeit und Genauigkeit im Vortrage, sowie seine ungemein praktische Begabung in willkommenster Weise zu statten kam. Diese Thätigkeit nahm an äußerem Umfange noch zu, als ihm nach zwei Jahren auch noch die Professur für analytische Chemie am eidgenössischen Polytechnikum übertragen wurde. Mit rastlosem Eifer widmete er seine praktischen Fähigkeiten dem Bau des neuen Laboratoriums, welcher später vielen anderen deutschen und ausländischen als Vorbild gedient hat. Mit eisernem Fleiße bewältigte er die vielseitigen an ihn herantretenden neuen Aufgaben, neben denen er gleichwohl noch Muße findet, seine physiologisch-chemischen Arbeiten fortzuführen. Von diesen theils von ihm allein, theils von oder in Gemeinschaft mit seinen Schülern ausgeführten Arbeiten mögen hier [780] nur noch zwei erwähnt werden, welche für die Chemie des Stoffwechsels im thierischen Körper von grundlegender Bedeutung sind: die classischen und erschöpfenden Untersuchungen über das Tyrosin und über die Farbstoffe der Galle. Das Tyrosin ist zuerst von Liebig erhalten worden, wie der Name sagt, aus dem Casein; später fand man es überall, wo Eiweißkörper, auch pflanzliche, in Zerfall gerathen, in abgestorbenen oder Fäulnißproducten des Organismus. Dann wies St. nach, daß es im Fibrin der Muskel- und der Pflanzenfaser vorkommt und in einer mit Frerichs gemeinsamen Arbeit, daß, was damals bestritten wurde, das Tyrosin präexistirend im normalen lebenden Organismus auftritt, häufiger jedoch in erkrankten Organen und zumal in der Leber, bei gestörter Function derselben, aus der es dann reichlich in den Harn übertreten kann. Diesen für die Physiologie des Stoffwechsels und für die Chemie der Eiweißstoffe gleich wichtigen Körper unterwirft St. einer eindringenden chemischen Untersuchung. Ein Farbstoff, welchen man aus dem Tyrosin durch Oxydation gewinnt, das Erythrosin führt ihn zu der Untersuchung der diesem sehr ähnlichen Gallenfarbstoffe, welche er nun in der zweiten Arbeit, die 1864 in den „Annalen“ erscheint, auf breitester Basis studirt und damit für die Chemie der Galle eine feste Grundlage schafft.
Eine große Verbreitung fand Städeler’s Leitfaden für die qualitative Analyse, welchen er für seine Schüler hatte drucken lassen und der zu seinen Lebzeiten viermal aufgelegt wurde. Eine fünfte Auflage veranlaßte nach seinem Tode sein Freund Kolbe.
Die Anstrengungen der sechziger Jahre begannen aber für seine unsichre Gesundheit, die er, wenn die Berufspflicht ihn rief, nie geschont hatte, zu groß zu werden. Auf einer Alpenreise erkrankte er in Zermatt an einer Herzbeutelentzündung, welcher einige Jahre später ein heftiger Lungenkatarrh folgte. Vergeblich sucht er in Ems, in Wiesbaden und Baden-Baden Heilung, bis er im Herbst 1870 sein Amt niederlegt, um in sein Elternhaus zurückzukehren, wo er am 11. Januar 1871 allzufrüh verschied.
- G. S. Kraut[WS 1], Ber. d. Dt. Chem. Ges. 1871, 4, 425.
[778] *) Zu S. 358.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ G. S. = „Georg Städeler“; Kraut = Karl Kraut (1829-1912)