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ADB:Süßmilch, Johann Peter

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Artikel „Süßmilch, Johann Peter“ von Vincenz John in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 188–195, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:S%C3%BC%C3%9Fmilch,_Johann_Peter&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 03:52 Uhr UTC)
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Süßmilch: Johann Peter S. ist heute allgemein als einer der hervorragendsten Vertreter der aufkeimenden Socialwissenschaft des vorigen Jahrhunderts anerkannt. Sein Hauptwerk „Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechtes“, von 1741–75 in vier Auflagen veröffentlicht, wird von Rümelin (Schönberg’s Handb. d. Nat.-Oekon. 1882) geradezu als die Grundlegung einer socialen Biologie bezeichnet. Knapp erklärt dasselbe in seiner „Theorie des Bevölkerungswechsels“ (1874) als ein nationalökonomisches und politisches Werk, welches in der Art der realistischen Behandlung der socialwissenschaftlichen Fragen für seine Zeit einzig dasteht. Roscher endlich würdigt Süßmilch’s „Göttliche Ordnung“ in seiner „Geschichte der National-Oekonomik in Deutschland“ als das bedeutendste volkswirthschaftliche Specialwerk seiner Zeit, gleichzeitig als die erste ausführliche Bevölkerungstheorie, welche ihren Gegenstand als Selbstzweck behandelt. Ist doch der Grundgedanke der epochemachenden Theorie Malthus’ bereits von S. ausgesprochen. Ebenso findet die erst ein Jahrhundert später systematisch gepflegte Moralstatistik in Süßmilch’s „Göttlicher Ordnung“ ihre Verkündigung. Aber auch den Medicinern gilt er [189] als einer der Begründer ihrer fachwissenschaftlichen Statistik, und zwar dies vornehmlich durch sein Cap. VII der G. O. (1. Aufl.), betitelt: „Von denen Krankheiten und ihrem Verhältniß“; in Verbindung mit dem Cap. XVII (2. Aufl.): „Die Sterbenden nach verschiedenen Krankheiten und Jahrhunderten“, sowie durch die Schrift: „Gedanken von den epidemischen Krankheiten und dem größern Sterben des 1757sten Jahres“.

Trotz dieser vielseitig gewürdigten Bedeutung des ehemaligen Feldpredigers für die deutsche Wissenschaft sind die biographischen Nachrichten über denselben bisher ziemlich lückenhafte. Als Hauptquelle gilt bis heute die Schrift des Zeitgenossen Christian Förster aus dem Jahre 1768: „Nachricht von dem Leben und Verdiensten des Herrn Oberconsistorialraths Johann Peter Süßmilch“. Diese Lebensbeschreibung weist bereits auf eine frühere im 18. Theil des in jenen Tagen weit verbreiteten „Neuen gelehrten Europa“ hin. Allein Förster erklärt sofort, daß er selbst weit mehr und sicherere Nachrichten besitze als diese biographische Zeitschrift, denn seine Quellen seien theils eigene handschriftliche Aufzeichnungen Süßmilch’s, theils authentische Mittheilungen der nächsten Verwandten und Freunde desselben. Und in der That enthält selbst Formey’s Akademie-Nachruf (Histoire de l’Académie Royale de Berlin, 1767) gegenüber den Nachrichten Förster’s nichts wesentlich Neues.

Alle diese Biographen stimmen darin überein, daß die Familie S. dem nordöstlichen Böhmen entstammt, wo ihr schon von Kaiser Maximilian I. das Erbrichteramt auf der Lausitzer Grenzfeste Tollenstein übertragen worden war. Deren Ueberreste, nahe der Station Niedergrund der böhmischen Nordbahn, sind noch heute sichtbar. Nachforschungen des verdienstvollen Historiographen der Lausitz, Dr. Moschkau, in einem gut erhaltenen Waisenbuch des Ortes Tollenstein, aufbewahrt im Museums-Archiv der benachbarten Ruine Oybin, bestätigen diese Mittheilungen, insofern in dieser Quelle für die Jahre 1600–1634 Christof Süßmilch als Richter genannt ist. Dessen Sohn Christof starb nach der ebenfalls aufgefundenen Sterbematrik des nahen St. Georgenthal i. J. 1669 (Mittheil. d. Nordböhm. Excursionclubs IX). Ein zweiter Sohn, Elias, der Nachfolger im Erbrichteramt, ward der Urgroßvater des nachmaligen Akademikers Johann Peter S., dessen genannte Vorfahren, erfaßt von der nach Böhmen übergreifenden Reformation zum Protestantismus übergetreten waren. Nur der eben genannte Elias S. hatte sich bei seiner zweiten Verheirathung auf Andringen der Braut wieder der römischen Kirche zugewandt. Dessen Sohn Elias erster Ehe dagegen, an ausländischen Universitäten zum praktischen Juristen herangebildet, verweigerte den neuerlichen Glaubenswechsel, und wurde darum, ganz abgesehen von den strengen Maßregeln der Gegenreformation unter Ferdinand III., von den Verwandten der Stiefmutter derartig verfolgt, daß er ins Ausland flüchten mußte, und aller Mittel entblößt, schließlich bei dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Brandenburg Söldnerdienste nahm. Ob seiner höhern Qualitäten in die bevorzugte Zahl der Leibtrabanten eingereiht und hier bald zum Wachtmeisterlieutenant befördert, gewann er noch überdies die besondere Gunst des Fürsten. So blieb er denn auch nach seiner Verheirathung in dessen Diensten, trotzdem er mit seiner Frau ein Landgut in Zehlendorf bei Berlin erworben hatte. Erst nach der Schlacht bei Fehrbellin gab er den Kriegsdienst auf, ohne jedoch deshalb der Gewogenheit des Kurfürsten verlustig zu werden, welcher auf seinen Wegen von Berlin nach Potsdam bei „seinem alten Süßmilch“ einzukehren pflegte.

Der einzige überlebende Sohn dieses Kriegsmannes, ebenfalls Elias benannt, erhielt eine vorzügliche Erziehung, welche nach der Sitte jener Tage noch durch Reisen in fremde Länder vervollständigt wurde. Auf einer seiner Fahrten [190] kam dieser Enkel des letzten Erbrichters von Tollenstein auch nach Böhmen auf den Stammsitz der Familie. Hier wurde ihm der Erwerb des ansehnlichen Nachlaßvermögens seines Großvaters in Aussicht gestellt, wenn er nach dessen Beispiel zur römisch-katholischen Kirche übertreten wolle. Allein, gleich dem Vater blieb er dem lutherischen Bekenntniß treu. Er kehrte nach Brandenburg zurück, um hier gänzlich der Landwirthschaft zu leben. Doch übersiedelte er nach seiner bald erfolgten Verheirathung nach Berlin, wo er ein ansehnliches Getreidegeschäft begründete. Seiner Ehe entsproß am 3. September 1707 der Sohn Johann Peter S.

Derselbe verlebte seine erste Jugendzeit zumeist bei den Großeltern, hochangesehenen Bürgersleuten in Brandenburg, woselbst er auch den ersten Unterricht erhielt. Gut vorbereitet kam er vorerst an das Gymnasium der Neustadt Brandenburg, und 1716 an jenes „zum grauen Kloster“ in Berlin. Daselbst genoß er den Unterricht der hervorragendsten Schulmänner seiner Zeit. Nur hat S. als gereifter Mann an diesem Unterricht auszusetzen, daß allzu viel der Zeit auf den Sprachunterricht verwandt, und dieser selbst noch überdies nach einer sehr schwerfälligen Methode betrieben wurde, so daß thatsächlich mehr für die Schule als für das Leben gelehrt und gelernt worden sei. Als eine Ausnahme hievon bezeichnet er den Conrector Frisch, welcher, durch die ersichtliche Vorliebe des Knaben für die Naturwissenschaften angeregt, demselben in der Naturgeschichte besonderen Unterricht ertheilte. Bald durchstreifte denn auch der Schüler mit größtem Eifer die Umgebung Berlins nach Mineralien und Pflanzen und gelangte gerade dadurch zu einer selbständigeren Beobachtung der Dinge, als sie der bloße Sprachunterricht zu bieten vermochte.

Im J. 1724 durfte S. der feierlichen Eröffnung des reorganisirten anatomischen Instituts in Berlin beiwohnen. Die Lectionen an dieser Anstalt erregten in ihm ein derartig lebhaftes Interesse für die medicinischen Studien, daß er noch in demselben Jahre die Vorlesungen über allgemeine Medicin, über Anatomie, Botanik und Chemie besuchte und bereits am Schluß des Jahres das öffentliche Examen aus der Osteologie ablegte mit einem Erfolge, welcher geradezu die Bewunderung des prüfenden Hofraths Buddeus erregte. Daß nach alledem seine Neigung dahin ging, ein tüchtiger Mediciner zu werden, ist erklärlich. Allein die Eltern hegten gegen den Stand der Aerzte eine unüberwindliche Abneigung; sie wünschten in ihrem Sohne durchaus einen Rechtsgelehrten zu sehen. Zu dem Zweck wurde derselbe vorerst noch auf die berühmte Lateinschule des Waisenhauses zu Halle geschickt, wo er denn auch bald wieder eifrig der Vorbereitung für die juristischen Studien oblag.

Allein nach Absolvirung der Lateinclassen empfand S. ein gänzlich unwiderstehliches Interesse für das Studium der Theologie. Er bemerkt, es sei ihm selbst unerklärlich, wie der Theologie gegenüber ihm plötzlich alle andern Wissenschaften gleichgültig geworden seien; und zwar dies in einem Grade, daß es ihm unmöglich erschien, seine Neigung noch fernerhin dem Willen des Vaters zu unterwerfen. In Würdigung dieser Stimmung erhielt er denn auch schließlich die Einwilligung der Eltern. So bezog er im Frühjahr 1727 die Friedrichs-Universität zu Halle, welche die berühmtesten Theologen jener Zeit an ihrem Sitz vereinigte. Gleichzeitig betrieb er das Studium des Hebräischen und der verwandten orientalischen Sprachen mit einem Eifer, daß selbst die Gesundheit dadurch gefährdet wurde. Sein Wissen zu ergänzen, ging S. im folgenden Jahre nach Jena, „weil dort die Philosophie in größerer Freiheit als anderwärts gelehrt wurde“. In kurzem war er hier mit dem Magister Zimmermann, dem vornehmsten Vertreter der philosophischen Facultät, aufs innigste befreundet.

[191] Als ein psychologischer Schlüssel für das große Interesse, welches S. später für die Arbeiten der politischen Arithmetiker Englands bewies, kann außer seinen naturwissenschaftlichen Vorstudien die auch von Förster berührte Thatsache aufgeführt werden, daß gerade in jenen Tagen die sogenannte mathematische Methode der Forschung und ihre Anwendung selbst auf die Gebiete der Philosophie allgemein begeisterte Aufnahme fand. Alle Wissenschaft galt für seicht und verworren, welche nicht auf dem Grunde der Mathematik gewonnen war. Auch S. wurde dadurch zu den eingehendsten mathematischen Studien angeregt. Er betrieb dieselben wiederum mit derartigem Erfolg, daß er bald zum Correpetitor der Mathematik an der Facultät vorgeschlagen wurde. Gleichzeitig hatte er die Vorlesungen des berühmten Physikers Hamberger besucht, und sich immer mehr in den Gedanken hineingelebt, einst als akademischer Lehrer sich gänzlich der Wissenschaft zu widmen. Allein auch hierin begegnete er dem Widerstreben der Eltern.

In diesem entscheidendem Momente traf ihn der Antrag, im Hause des Feldmarschalls v. Kalkstein in Berlin die Erziehung der Söhne zu übernehmen. Nach reiflicher Ueberlegung erklärte er sich hiezu bereit. Doch verließ er Jena erst, nachdem er noch i. J. 1732 seine öffentliche „Dissertatio physica de cohaesione et attractione corporum“ (Präside G. E. Hambergero defensa) veröffentlicht hatte, in welcher er die Ansicht der englischen Gelehrten von der physischen Attraction und ihren Wirkungen bekämpfte. S. hatte die Absicht, dem Uebergangsstadium des Erziehers höchstens zwei Jahre seines Lebens zu widmen. Allein der inzwischen erfolgte Tod seines Vaters bewog ihn, noch zwei Jahre in der ihm lieb gewordenen Familie zu verbleiben. Im J. 1736 übertrug ihm der Feldmarschall die Stelle eines Feldpredigers in seinem Regimente mit der Erlaubniß, vor deren Antritt noch eine Reise nach Holland zu unternehmen, um seine Erfahrungen zu bereichern. So kam S. erst im nächsten Jahre zur neuen Amtsthätigkeit, nachdem er noch im August 1736 ordinirt worden war. Von Holland heimgekehrt, vermählte er sich mit der jüngsten Tochter des Hofjuweliers Lieberkühn in Berlin.

Im J. 1740 wurde S. vom Domcapitel zu Brandenburg als Prediger nach Ezien (heute Etzin) und Knoblauch berufen. Da aber soeben der erste schlesische Krieg ausgebrochen war, und das Kalkstein’sche Regiment als eines der ersten nach Schlesien dirigirt wurde, hielt er es für seine Pflicht, dasselbe nicht zu verlassen, sondern auf den Kriegsschauplatz zu begleiten. Die Vorrede der im J. 1741 veröffentlichten ersten Auflage seiner „Göttlichen Ordnung“ datirt denn auch: „Auf dem Marsch zu Schweidnitz“; ein Beweis, wie selbst das Getümmel eines Kriegslagers ihn nicht aus seinen Meditationen und Arbeiten herauszureißen vermochte.

Erst Ende 1741 übersiedelte er nach Ezien. Allein nicht lange sollte er die Stille einer ländlichen Seelsorge genießen; schon im nächsten Jahre wurde er vom König als Consistorialrath nach Berlin berufen, wo er sehr bald nicht nur als Prediger, sondern auch als Mann der Wissenschaft eine derartig hervorragende Stellung einnahm, daß bereits im J. 1745 seine Aufnahme in die Akademie erfolgte; und zwar, wie dies der Nachruf Formey’s hervorhebt, ganz besonders im Hinblick auf das bedeutsame Werk vom J. 1741.

Im J. 1750 wurde das Oberconsistorium reorganisirt und S. zu dessen Mitglied ernannt. Als solches suchte er nach dem Selbstbekenntniß in seiner „Göttlichen Ordnung“ vor allem die vollkommenere Einrichtung und Führung der Geburts-, Trauungs- und Sterberegister zu fördern, im übrigen Religion und Politik möglichst in Einklang zu bringen. Gleichzeitig hielt er an der Akademie wiederholt Vorlesungen „über die Materie seiner Göttlichen Ordnung“. [192] Aus diesen Vorträgen entstand allmählich die zweite Ausgabe des epochemachenden Werkes. S. veröffentlichte dieselbe im J. 1761, nachdem er für die erste Ausgabe „außer Deutschland auch aus Holland, England, aus der Schweiz, aus Dänemark und Schweden zahlreiche Beweisthümer von der guten Aufnahme erhalten hatte, dieselbe überdies vergriffen war, und viele auswärtige Gelehrte ihn um eine neue Auflage ersucht hatten“. Diese zweite Ausgabe ist eine durchaus neue Arbeit von dem doppelten Umfange der ersten. „Von einer nüchternen Theodicee erhebt sich dieselbe zu einem nationalökonomischen und politischen Werk, dessen für jene Zeit allumfassende und erschöpfende Vollständigkeit später nicht wieder erreicht worden ist“ (Knapp l. c.). Das Werk fand denn auch allgemein eine derartige Aufnahme, daß bereits im J. 1765 eine dritte Ausgabe desselben veranstaltet werden mußte. Charakteristisch für die obberührte Grundströmung jener Tage ist das der ersten Ausgabe vorgedruckte „empfehlende“ Vorwort des bekannten Philosophen Christian Wolf zu Halle, welcher das Werk Süßmilch’s „als eine Probe bezeichnet, wie die Wahrscheinlichkeitstheorieen zum Gebrauch im menschlichen Leben verwerthet werden können“; eine Auffassung, welche später in einem Laplace und Quetelet ihre hervorragendsten Vertreter finden sollte, auch neuerlich in einer besondern Richtung der mathematischen Statistik unserer Tage zur Aufnahme gelangt ist.

Die vierte Auflage der G. O., die heut verbreitetste, ist um einen Band Anmerkungen vermehrt und datirt vom Jahre 1775. Sie wurde von dem Schwiegersohn, Prediger Baumann, besorgt; denn S. selbst war bereits am 21. März des Jahres 1763 durch einen Schlaganfall in schmerzlichster Weise in seinen vielseitigen Bestrebungen unterbrochen worden. Allerdings vermochte er nach einer längeren Cur in Teplitz seine frühere Thätigkeit wieder aufzunehmen, indem er, abgesehen von der Drucklegung mehrerer Predigten und der dritten Ausgabe der G. O. noch 1766 die umgearbeitete Akademieschrift von 1756 veröffentlichte, betitelt: „Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht von Menschen, sondern vom Schöpfer erhalten hat“. Allein bald traten neuerliche Lähmungen ein, welche am 22. März 1767 den Tod des ausgezeichneten Realisten und Theologen herbeiführten, nachdem er nahezu das 60. Lebensjahr erreicht hatte. Von den zehn Kindern seiner Ehe war ein Sohn bereits im zarten Kindesalter verstorben. Ein zweiter stand zur Zeit des Todes des Vaters in königlichen Diensten in Schlesien; der dritte war Student an der Universität Frankfurt. Von den sieben Töchtern war zur selben Zeit nur die älteste verheirathet.

Der Biograph Förster erhielt von der Wittwe ein Verzeichniß der hinterlassenen Schriften des Verstorbenen. Dieselben sind in einem Anhang seiner Lebensbeschreibung veröffentlicht. Ausgenommen sind nur einige Predigten und unbedeutendere Manuscripte. Die bedeutenderen derselben sind auch in Meusel’s Lexikon der vom J. 1750–1800 verstorbenen deutschen Schriftsteller abgedruckt. Es sind außer den im obigen Text bereits genannten noch folgende. Obenan die interessante Untersuchung: „Schnelles Wachsthum und Erbauung der königlichen Residenzstadt Berlin; in zweyen Abhandlungen erwiesen“ (1752). Ebenso die bereits erwähnte Schrift von 1758: „Gedanken von den epidemischen Krankheiten und dem größern Sterben des 1757ten Jahres; in einem Sendschreiben an die Verfasser der Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen und auf deren Verlangen entworfen.“ Im J. 1759 erschien das „Essai sur le nombre des Habitans de Londres et de Paris“ in den Mémoires de l’Académie Royale des Sciences de Berlin, eine Uebertragung aus dem Deutschen. Nach Förster war S. auch Autor der 1751 pseudonym veröffentlichten Schrift: „Der Brandenburger Patriot oder unparteiische Beurtheilung der errichteten und von Sr. kgl. [193] Majestät in Preußen octroyrten Handlungsgesellschaft“, in zweyen Sendschreiben entworfen und nach ihrer Möglichkeit und vortheilhaften Beschaffenheit betrachtet von Philopatrius.

An interessanten Manuscripten waren hinterlassen: „Réflexions sur le Traité L’homme Machine“. Ferner: „Mémoire sur la diminuation des mariages et des naissances de quelques provinces de S. M. Roi de Prusse depuis l’an 1734 jusq’à 1740“; „Dissertatio problematica, num navigatio et expeditio in terras australes utilis esse possit, et ubi primae sedes sint stabiliendae“. Ferner: „Abhandlungen, worin erwiesen wird, daß der westliche Theil von Europa, besonders Teutschland, zu Julius Cäsars Zeiten nicht vielmal volkreicher gewesen sein könne als es anjetzo ist; ja, daß es damals nicht die Hälfte der jetzigen Einwohner ernähren können“ (gegen des Präsidenten Montesquieu „Lettres persanes“). Weiter die Schriften: „Dissertation von der Gefahr großer Städte“; „Berechnung des Schadens, welchen die Preußischen Lande durch epidemische Seuchen und Kriege in den drei Jahren 1756–58 erlitten haben“; „Anmerkungen zu des Herrn Brownringgs (Bevölkerungs-)Rechnung von Bristol“, in der Akademie der Wissenschaften gelesen am 28. Novbr. 1754; „Dissertatio, daß die Menschen nach einer gewissen Regel sterben“, gelesen in der Akademie am 28. Nov. 1755. Endlich: „Vorschlag zu einer „Historia naturalis patriae“.

Abgesehen von diesen vorwiegend bevölkerungsstatistischen und politischen Untersuchungen trieb S. auch die eingehendsten Sprachstudien. Hievon sind veröffentlicht in den Mémoires de l’Académie de Berlin 1745: „Réflexions sur la convenance de la Teutonique avec celles de l’Orient“; ferner im Dictionnaire de la Langue Bretonne par Louis le Pelletier (Paris 1752) ein „Verzeichniß deutscher Wörter in der Altbritischen Sprache“. Zu einem „Glossario Brittanico“ waren Materialien hinterlassen, an welchen er sein ganzes Leben hindurch mit außerordentlichem Eifer gearbeitet haben soll. Außerdem fanden sich eine Menge Studien linguistischen, theologischen und geschichtlichen Inhalts. Ein Verzeichniß der gedruckten Predigten ist auch bei Meusel l. c. aufgenommen.

Das Hauptwerk seines Lebens blieb jedoch „Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechtes, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen,“ nach der Erklärung im Vorwort „angeregt durch des vortrefflichen Derham Physico-Theology, or a demonstration of Being and Attributes of God from his works of creation“, ein Werk, welches, 1723 bereits in sechs Auflagen und in mehrfacher deutscher und französischer Uebersetzung weit verbreitet, auch S. noch in Jena in die Hand gekommen war. Die darin aufgenommenen „durchaus neuartigen Beobachtungen der Engländer Graunt, Petty, King, Arbuthnot u. A. über die Listen der Geborenen, Gestorbenen und Verheiratheten hatten seine Begierde zu eben solchen Untersuchungen ganz unwiderstehlich angeregt; und als ihm nach seiner Rückkehr von der Universität dazu dienliche Verzeichnisse von Berlin wie aus dem ganzen Lande zugänglich wurden, fand er eine derartige Uebereinstimmung mit den Wahrnehmungen der Engländer, daß er hierdurch noch mehr angereizt wurde, Alles zusammenzutragen, was er in dieser Richtung nur immer aufzutreiben vermochte.“

Und in der That überragt S. alle seine Vorgänger und nächsten Nachfolger durch den Reichthum des Stoffes; Beweis dessen seine Ausbeutung durch die Letzteren bis herab auf Quetelet. Diesen außerordentlich umfassenden Stoff weiß er noch überdies in einer derartig ungezwungenen, natürlichen Weise zu gliedern und mit feinem Tact auszunützen, daß er gegenüber seinen Vorgängern geradezu als der erste Systematiker desselben bezeichnet werden muß. Hiebei ist er stets [194] der eminente zielbewußte Methodiker im Sinne der heutigen Statistik. „Die Beobachtung großer Massen ist der Weg zur Erkenntniß der Regelmäßigkeit in den scheinbar zufälligen Erscheinungen.“ … „Man muß erst eine Menge einzelner und kleiner Fälle und viele Jahre sammeln, und ganze Provinzen zusammennehmen, um dadurch die verborgenen Regeln der Ordnung und Gesetzmäßigkeit ans Licht zu bringen.“ … „Dann erst lernt man einsehen, wie übereinstimmend die Regeln dieser Ordnung sind“ (G. O., 2. Aufl., I, § 17).

S. ist auch der erste, welcher Material und Methode der neuen Wissenschaft in den Dienst der philosophischen Fragen seiner Zeit und der Menschheit überhaupt zu stellen weiß. Wenn er hiebei die in den Veränderungen der menschlichen Gesellschaft zu Tage tretende Ordnung als den Willen und das Gesetz des außer der Welt stehenden Gottes auffaßt, so ist dies nur im Einklang mit seinem theologischen Standpunkt, welcher schon in dem vorgesetzten Motto aus Cicero’s Quaestiones Tusculanae (I. 1.) zum Ausdruck kommt („Non temere et fortuito sati et creati sumus, et profecto est quaedam vis, quae generi consulit humano“), und in der Vorrede noch eingehend gerechtfertigt wird „durch die Absicht, den Nachweis zu liefern, daß alle Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft nur der Ausfluß der göttlichen Weisheit und des göttlichen Willens seien, welche auch alle freien Handlungen des Menschen vorausbestimme“. Allerdings wurde gerade dieser Standpunkt im Verein mit der oft wahrhaft naiven politischen Anschauung vornehmlich der Grund jener unverdienten Mißachtung, welche die G. O. nach dem Tode des Autors nahezu ein Jahrhundert hindurch erfahren sollte. Schon daß Malthus, sein unmittelbarer Nachfolger in der Bevölkerungslehre und gleich ihm Deist und Theologe, einen gänzlich verschiedenen Standpunkt einnahm, und mit diesem nahezu die ganze nachfolgende Discussion beherrschte, mußte das Werk Süßmilch’s in den Hintergrund drängen; denn Malthus denkt sich Gott thätig nur bei der Erschaffung der Welt und der Menschheit, von da an aber beide ihrer selbständigen Entwicklung nach den in sie gelegten natürlichen Gesetzen überlassen. Insbesondere die menschliche Gesellschaft gilt ihm als ein Wesen, durchaus abhängig von den natürlichen äußeren Einflüssen, und innerhalb dieser in ihrer Entwicklung gebunden an die natürlichen innern Triebe, soweit dieselben nicht der Herrschaft des Intellects und der durch diesen geweckten moralischen Kraft unterworfen werden können. Die Auffassung bei Malthus ist darnach wesentlich eine naturwissenschaftliche, denn sie betrachtet die Gesammtentwicklung der Gesellschaft außerhalb der Sphäre des Intellects der Menschen als eine naturnothwendige, während S. hiefür Gott selbst als den „unendlichen und genauen Arithmetiker“ aufruft, welcher „alles Zeitliche und Natürliche nach Maaß, Zahl und Gewicht bestimmt“ (G. O., § 17).

Mit diesem Standpunkt mußte der Philosoph S. noch mehr in den Hintergrund treten, sobald die Weltanschauung der Encyklopädisten: „Es gibt nur bewegte Materie und außerhalb derselben keinen Geist,“ zu immer allgemeinerer Herrschaft gelangte. Ebensowenig konnte der Politiker S. in den Wirren der französischen Revolution und ihren Folgen Beachtung beanspruchen. Daß endlich auch die bevölkerungspolitischen Ansichten Süßmilch’s ihren Anhang verlieren mußten gegenüber dem gerade entgegengesetzten Bevölkerungsprincip, welches Malthus aus dem von S. in der G. O. selbst gelieferten Material ganz besonders in dem zweiten Buche (Cap. 11 u. 12) seines „Bevölkerungsversuchs“ deducirte, war die natürliche Folge des Ansehens und der raschen Verbreitung, welche die von Malthus verkündeten neuen Ideen erfuhren.

Für die Geschichte der Wissenschaft aber bleibt S. allezeit von Bedeutung dadurch, daß er die aus der Experimentalwissenschaft Englands in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hervorgegangene realistische Richtung der Socialwissenschaft, [195] die, von Graunt-Petty begründete „neue Wissenschaft der politischen Arithmetik“ mit derartig ausgezeichnetem Erfolge fortsetzte, daß seine „Göttliche Ordnung“ für alle Zeit einen der hervorragendsten Marksteine derselben bildet, und S. selbst als der erste Systematiker derselben angesehen werden muß.

Vgl. außer den im Text genannten Autoren und den zumeist kurzen Notizen der verschiedenen Handbücher der Statistik noch R. v. Mohl, Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften, 1858, Bd. III. – J. E. Wappäus, Allgemeine Bevölkerungsstatistik, 1859–61. – A. v. Oettingen, Die Moralstatistik, 1.–3. Aufl. Ganz besonders aber G. F. Knapp, Theorie des Bevölkerungswechsels, 1874, 2. Abth. „Geschichte“. – W. Roscher, Geschichte der National-Oekonomik in Deutschland, 1874. Endlich A. Gabaglio, Teoria Generale della Statistica. Parte Storica. Ediz. 2, 1888 und V. John, Geschichte der Statistik, 1884. I, 241 ff.