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ADB:Wappäus, Johann Eduard

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Artikel „Wappäus, Johann Eduard“ von Wilhelm Wolkenhauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 162–165, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wapp%C3%A4us,_Johann_Eduard&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 00:12 Uhr UTC)
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Wappäus: Johann Eduard W., hervorragender Geograph und namhafter Statistiker, wurde am 17. Mai 1812 als der dritte Sohn des wohlhabenden Kaufmanns und Rheders Georg Heinrich W. († 1836) und dessen Ehefrau Anna Sophie, geb. Forst, in Hamburg geboren und erhielt hier in einer Privatschule und in den oberen Classen des Johanneums seine Vorbildung. Aus Rücksicht auf seine zarte Gesundheit sich der Landwirthschaft widmend, besuchte er eine Zeitlang die von Albrecht v. Thaer geleitete landwirthschaftliche Lehranstalt zu Möglin (bei Frankfurt a. d. O.), wurde hier aber durch seinen Lehrer Körte für die Naturwissenschaften gewonnen und setzte deshalb nach einer überstandenen schweren Lungenentzündung Ostern 1831 das Studium derselben auf der Universität Göttingen, namentlich unter dem Mineralogen Hausmann, fort. Mit dem zuletzt genannten Gelehrten blieb W. dann als dessen nachmaliger Schwiegersohn und College ein Menschenalter in engster Verbindung. Von Ostern 1832 finden wir W. an der Berliner Universität immatriculirt, wo Karl Ritter, bei dem er durch Hausmann eingeführt war, von großem Einfluß für die Richtung seiner Studien wurde. Wie lange W. in Berlin blieb, ist nicht genau festzustellen; infolge seines Lungenleidens waren seine Universitätsstudien wahrscheinlich öfter unterbrochen. Von Ostern 1835 bis Michaelis 1836 ist W. wieder in Göttingen immatriculirt, wo er im Herbst 1836 mit einer Dissertation „De Oceani fluminibus“ promovirte. In diese Studienzeit fällt sehr wahrscheinlich (vielfach wird die Zeit vom Juni 1833 bis Juli 1834 angegeben, doch lauten die Angaben verschieden) auch die große Reise in die Tropen, die W. auf ärztlichen Rath auf einem Schiffe seines Vaters unternahm und die ihn nach den Capverdischen Inseln und Brasilien führte und die ihm zugleich die günstige Gelegenheit bot, seine geographische Anschauung und namentlich auch seine portugiesischen und spanischen Sprachkenntnisse, die ihm bei seinen späteren Arbeiten so sehr zu statten kamen, zu erweitern. Nach seiner Promotion privatisirte [163] er in Hamburg, Bonn (wo G. B. Mendelssohn, ein Schüler Ritter’s lehrte) und Paris und habilitirte sich dann i. J. 1838 als Privatdocent für Geographie an der Georgia-Augusta-Universität Göttingen, der er dann 41 Jahre ununterbrochen angehört hat und zwar seit 1845 als außerordentlicher, seit 1854 als ordentlicher Professor für Geographie und Statistik. Seine Vorlesungen, die durch vielfaches Kranksein oft unterbrochen waren, erstreckten sich auf geographischem Gebiete fast nur auf „Allgemeine Erdkunde“ und „Geographie von Amerika“, auf statistischem auf „Allgemeine Statistik“, Bevölkerungsstatistik und Statistik einzelner europäischer Länder, besonders des Königreichs Hannover. Im letzten Jahrzehnt waren „Einleitung in das Studium der allgemeinen Erdkunde“ und „Einleitung in das Studium der Statistik“ seine beiden gewöhnlichen Vorlesungen. Als akademischer Lehrer hatte W. fast während seiner ganzen Lehrthätigkeit unter der Geringschätzung der Geographie, namentlich als Unterrichtsfach in den höheren Schulen, zu leiden. Mehr als durch das Wort hat W. deshalb durch seine gelehrten geographischen und statistischen Schriften gewirkt. Seine ersten Arbeiten, so die „Untersuchungen über die geographischen Entdeckungen der Portugiesen unter Heinrich dem Seefahrer“ (Göttingen 1842), seine 1843 begonnene Publication „Die Republiken Südamerikas geographisch und statistisch“ (1. Abt. Venezuela, Göttingen 1843) sind Bruchstücke geblieben; auch von seinen „Beiträge zur Kunde von Südamerika“, die als Fortsetzung seiner Schrift über „Deutsche Auswanderung und Kolonisation“ (Leipzig 1846) erschienen, kam nur Heft I (Die Provinzen des Rio de la Plata, Leipzig 1848) heraus; doch gebührt ihm das Verdienst, zuerst das südliche Amerika als ein für die deutsche Auswanderung im höchsten Grade geeignetes Gebiet wissenschaftlich begründet und nachhaltig empfohlen zu haben. Später wurde W. denn auch lange Zeit das Consulat für Chile und Argentinien übertragen.

Das hervorragendste Werk von W. auf geographischem Gebiete ist seine neue (siebente) Auflage des Stein-Hörschelmann’schen „Handbuchs der Geographie und Statistik für die gebildeten Stände“ (Leipzig, Hinrichs’sche Verlagbuchhandlung, 6. Auflage 1834 von Hörschelmann), für das er die Gesammtredaction und die Abfassung einzelner Abtheilungen bereits im J. 1847 übernahm, dessen Ausgabe auch im Juli 1849 begann, dessen Schlußlieferung aber erst 1871 erschien. Diese monumentale geographische Encyclopädie, zehn Bände (nach der Inhaltsbezeichnung 4 Bände in 11 Abtheilungen) umfassend, vereinigt freilich in einer der heutigen Auffassung vom wissenschaftlichen Charakter der Erdkunde widerstrebenden Weise aus Gründen der Zweckmäßigkeit Geographie und Statistik, trotzdem aber wird sie wegen der außerordentlich gründlichen Benutzung eines für manche Länder großartig reichen Quellenmaterials dauernden Werth behalten. Die werthvollsten Theile dieses geographischen Handbuchs bilden die von W. selbst bearbeiteten drei starken Bände über Amerika: Nordamerika erschien 1855, Central- und Südamerika nebst Patagonien 1858–71 und Brasilien 1871. Als ein eifriger Vertreter der Ideen seines großen Lehrers Karl Ritter bekundet sich W. fast ausschließlich in den zahlreichen Recensionen, die er für die „Göttinger Gelehrten Anzeigen“, deren Redacteur er vom Juni 1848 bis April 1863 und von Mitte 1874 bis zu seinem Tode war, schrieb. Hier hat er bei der Anzeige und Besprechung wichtiger Erscheinungen auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Geographie und besonders der besseren geographischen Lehrbücher oft und gern Gelegenheit genommen, seine Ansichten über die Ziele und Methode der Ritter’schen Schule in langen Anmerkungen oder in der Form von Abschweifungen darzulegen. Besonders wichtig ist in dieser Beziehung die kritische Anzeige der 3. Auflage von Hermann Oberländer’s „Der geographische Unterricht“ (Götting. gel. Anz., St. 27, 1879), die er selbst gelegentlich als sein Selbstbekenntniß [164] und wissenschaftliches Testament bezeichnet hat. Nur einige Aussprüche mögen seine Auffassung von der Geographie hier charakterisiren. Im Stück 27 der Gött. gel. Anz. 1879 schreibt er: „Die Erdoberfläche nach ihrer Konfiguration und Bodenplastik, nach den Verhältnissen des Festen und Flüssigen auf derselben und in ihrem Verhältnisse zur Natur und Geschichte zu erforschen und zur Anschauung zu bringen, das ist die eigentliche Aufgabe der wissenschaftlichen Erdkunde“. – Götting. gel. Anz., St. 27, 1875, erklärt er: „Politische Geographie ist eine Verbindung der Geographie mit Statistik zu einem nicht eigentlich wissenschaftlichen, sondern ganz überwiegend praktischen Zwecke, nämlich zur bequemen Belehrung über die Merkwürdigkeiten der verschiedenen Staaten auf geographischer Grundlage, wie sie das Bedürfniß des praktischen Lebens für jeden Gebildeten erfordert. Diese Disciplin hat nicht mehr Ansprüche auf den Rang einer Wissenschaft als die Litteratur der Reisehandbücher“. An demselben Ort (S. 860) heißt es weiter: „Die Geographie soll nur thatsächliche Verhältnisse ins Auge fassen und darstellen; darin, daß die Geographie sich von Hypothesen fernhält, ist wesentlich das Gewicht geographischer Lehren und Gesetze begründet. Deshalb hat die Erdkunde es auch nur zu thun mit den realen, factisch bestehenden Verhältnissen der Erdoberfläche; d. h. für die Erdkunde ist der Anfang erst gegeben mit der gegenwärtigen, zur Bewohnbarkeit für die Menschen fertigen und für die Thätigkeit der Menschen vorbereiteten Erde. Denn für die Erdkunde gewinnt die Betrachtung der Erdoberfläche ihre volle Bedeutung erst um des menschlichen Gesichtspunktes wegen“.

Dem Umstande, daß W. durch den Wunsch der hannoverschen Regierung, Statistik des Königreichs Hannover gelesen zu sehen, auch sich der so vielfach mit der Geographie berührenden Statistik zuwandte, verdankt diese Wissenschaft, die einst in Göttingen zu Achenwall’s Zeiten ihre Wiege hatte, das vorzügliche Werk „Vorlesungen über allgemeine Bevölkerungsstatistik“ (Leipzig, Bd. I, 1859, Bd. II, 1861), das nicht nur wegen seines reichen wissenschaftlichen Inhalts, sondern auch wegen der ansprechenden Anordnung des Stoffes und der klaren Darlegung der bisher gewonnenen Gesetze allgemeine Anerkennung unter den Fachmännern fand. Im Auftrage der hannoverschen Regierung nahm W. auch an den Versammlungen der internationalen statistischen Congresse zu Paris (1853), zu Wien (1857), zu London (1860) und Berlin (1863) theil und erwarb sich durch seine persönliche Liebenswürdigkeit unter den Fachgenossen zahlreiche Freunde. In der Auffassung der Statistik hielt er an dem Achenwall’schen Begriff derselben fest. Für eine Biographie dieses Begründers der Statistik sammelte er schon seit vielen Jahren Material, kam aber leider nicht mehr zur Ausarbeitung des Buches, welches ihm ein Lieblingsgedanke geworden war. Seine öfter gehaltene Vorlesung „Einleitung in das Studium der Statistik“ wurde nach seinem Tode von O. Gandil (Leipzig 1881) herausgegeben.

So milde und liebenswürdig W. in seinem persönlichen Verkehr war, so unbeugsam war er in seinen politischen Anschauungen: er war ein Gegner der neuen Gestalt, in welcher das deutsche Reich wieder erstanden ist und er starb als ein treu ergebener Anhänger des hannoverschen Königshauses. Am 12. December 1879 erkrankte W. an seinem oft im Winter wiederkehrenden Lungenleiden und erlag demselben nach wenigen Tagen, am 16. December 1879. Bis in sein Alter in inniger Verehrung und tiefer Pietät seinen beiden einstigen Lehrern anhängend, hatte er noch kurze Zeit vor seinem Tode zum hundertjährigen Geburtstage Karl Ritter’s dessen Briefwechsel mit Joh. Fried. Ludw. Hausmann (Leipzig 1879) herausgegeben.

W. war zwei Mal verheirathet, zuerst mit Margarethe, geb. Wehner aus Hannover († 1844), aus welcher Ehe der einzige Sohn Dr. med. G. H. Wappäus [165] († 1893) zu Hamburg stammte; sodann seit 1847 mit der Tochter des Mineralogen Hausmann, welche im Februar 1859 starb.

Johann Eduard Wappäus. Von Professor Herm. Wagner in Petermann’s Mittheilungen, 26. Bd., 1880. – J. E. Wappäus. Ein biographischer Nekrolog von Dr. Otto Groß in den Mitt. der k. k. geogr. Ges. zu Wien 1880. – Johann Eduard Wappäus von Dr. A. Ficker in der Wiener Statistischen Monatsschrift, 71. Jahrg. 1880. – Kürzere Nachrufe in den Nachrichten von der k. Ges. der Wissensch. und der Georg Augusts-Universität zu Göttingen, 1880, S. 203–204, und in der Deutschen Rundschau f. Geogr. u. Statistik, II. Jahrg. 1880, mit Porträt. – Außer diesen dienten briefliche Mittheilungen des Bruders des Verstorbenen als Grundlage.