ADB:Wansleben, Johann Michael

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Artikel „Wansleben, Johann Michael“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 159–162, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wansleben,_Johann_Michael&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:33 Uhr UTC)
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Wansleben: Johann Michael W., auf dem Titel seiner französischen und italienischen Schriften Vansleb genannt, Orientalist und Reisender, wurde am 1. November 1635 zu Erfurt als Sohn des lutherischen Predigers Johann [160] W. geboren. Er besuchte die Lateinschule seiner Vaterstadt, erwarb sich hier eine tüchtige Grundlage philologischer Bildung, bezog dann die Universität Königsberg, um Theologie und alte Sprachen zu studiren, wurde Hauslehrer eines jungen Edelmannes, ließ sich dann als Soldat anwerben, nahm an einem Feldzug nach Holland theil und kehrte hierauf in die Heimath zurück. Bald nach seiner Rückkehr lernte er in Gotha den berühmten Orientalisten Hiob Ludolf kennen, der ihn in das Studium des Aethiopischen einführte und als Hülfsarbeiter bei seinen umfangreichen grammatischen und lexikographischen Werken verwendete. Das erste dieser Werke, das Ludolf zu veröffentlichen wünschte, war sein äthiopisches Wörterbuch. Da er in Deutschland keinen Verleger fand, schickte er W. 1660 mit dem Manuscript nach London, um es hier drucken zu lassen. W. führte den Auftrag seines Lehrers nicht zu dessen voller Zufriedenheit aus. Er gab zwar das Werk unter dem Titel Jobi Ludolfi Lexicon aethiopico-latinum, nunc primum in lucem editum studio et cura J. M. Wanslebii (Lond. 1661, nicht, wie Fumagalli, Bibl. Aethiopica irrthümlich angibt, 1656) heraus, aber mit vielen Fehlern, die von nachlässiger Durchsicht und mangelhafter Correctur zeugen, weshalb Ludolf später selbst eine neue Ausgabe veranstaltete (Frkf. 1699). Während seines Londoner Aufenthaltes vertiefte sich W. auch anderweit in orientalische Studien und half namentlich dem englischen Philologen Edmund Castell bei der Bearbeitung und Drucklegung seines Lexicon heptaglotton. Dann kehrte er nach Deutschland zurück, um einen seinen Kenntnissen angemessenen Wirkungskreis zu suchen. Als er hörte, daß Herzog Ernst der Fromme von Gotha einen Gelehrten für eine wissenschaftliche Reise nach Aethiopien suchte, stellte er sich ihm zur Verfügung und erhielt den Auftrag, von Aegypten aus nach Abessinien vorzudringen, den Zustand der äthiopischen Kirche zu untersuchen, wenn möglich die dortige Geistlichkeit für die Lehre Luther’s zu interessiren und endlich einige bildungsfähige junge Eingeborene mit nach Thüringen zurückzubringen, die hier in den Grundsätzen des evangelischen Christenthums unterrichtet und dann als Missionare nach ihrer Heimath zurückgesendet werden sollten. Am 15. Juni 1663 reiste er ab und traf im Januar des folgenden Jahres glücklich in Aegypten ein. Anstatt aber sogleich die Reise nach Süden fortzusetzen, zog er in Unterägypten umher, hielt sich längere Zeit in Alexandrien und Kairo auf, ergab sich einem ausschweifenden Lebenswandel und verbrachte das ihm anvertraute Geld des Herzogs in leichtsinniger Weise. Allerdings sammelte er auch koptische Bücher und schrieb eine Anzahl ab, die er nicht käuflich erwerben konnte. Als er sich endlich zur Weiterreise entschlossen hatte, überredete ihn der koptische Patriarch Matthäus von Alexandrien, welcher die Oberherrschaft auch über die abessinische Kirche beanspruchte, wieder nach Europa zurückzukehren. W. sandte einen Bericht über seine bisherige Thätigkeit an den Herzog und suchte sich im günstigsten Lichte darzustellen, doch vermochte er sich nicht von dem Verdachte zu reinigen, daß er sein Reisegeld unnütz vergeudet und die Aufträge seines Herrn mißachtet habe. Sein Lehrer Hiob Ludolf beschuldigte ihn wiederholt der Veruntreuung und unsittlichen Lebensführung, doch vergalt ihm der undankbare Schüler diese üble Nachrede später reichlich, indem er ihn der Vielweiberei und anderer schamloser Vergehungen anklagte. In den ersten Tagen des Jahres 1665 schiffte sich W. in Alexandrien ein und landete am 16. Februar in Livorno. Anstatt aber nach Deutschland zurückzukehren, um hier seinem Herrn persönlich Rechenschaft abzulegen, begab er sich nach Rom, trat hier zur katholischen Kirche über und nahm im folgenden Jahre das Ordenskleid der Dominicaner. Er setzte in Rom seine äthiopischen Studien fort, verkehrte viel mit dem großen deutschen Jesuiten Athanasius Kircher, fand aber sonst weder Anerkennung noch Förderung und begab [161] sich deshalb 1670 nach Paris. Hier gab er einen „Conspectus operum aethiopicorum, quae ad excudendum parata habet J. M. Wanslebius“ (Paris 1671) heraus und erregte dadurch die Aufmerksamkeit des Ministers Colbert, der ihn beauftragte, nach Aegypten zu reisen, um hier für die königliche Bibliothek orientalische Handschriften zu erwerben. W. fuhr am 20. Mai 1671 von Marseille nach Syrien, hielt sich mehrere Wochen in Tripoli, Aleppo, Damaskus und Sidon auf, segelte darauf nach Damiette, vervollständigte hier seine Reiseausrüstung und begab sich dann nach Kairo. Hier besuchte er die Kirchen und Klöster der einzelnen christlichen Secten, namentlich der Kopten, wohnte deren Gottesdiensten und Kirchenfesten bei, beobachtete ihre religiösen Ceremonien und bemühte sich, ihre Glaubenslehren und die Geschichte ihrer Kirche auf das genaueste zu erforschen. Dann durchzog er die nähere und weitere Umgebung der Stadt, drang bis in die nitrische Wüste vor, untersuchte überall die altchristlichen Gräberfelder und Einsiedeleien, sammelte Inschriften und Manuscripte und erlernte die Sprache der Kopten. Im Frühjahr 1673 trat er eine Reise nach Oberägypten an. Er fuhr in Begleitung eines christlichen nubischen Sklaven nilaufwärts bis zu den Ruinen von Theben, besichtigte eingehend die großartigen Trümmerfelder von Karnak, Luksor und Medinet Habu, unternahm einen längeren Ausflug in die thebaische Wüste mit ihren Einsiedlergrotten und Höhlengräbern und begab sich dann zu Schiffe nach Rosette. Von hier aus schickte er eine Sendung von 334 arabischen, türkischen und persischen Handschriften an die königliche Bibliothek nach Paris. Er wäre gern noch längere Zeit in Aegypten geblieben und bis nach Abessinien vorgedrungen, doch sah er sich überall in seinen Unternehmungen gehemmt, weil ihn die Behörden für einen französischen Kundschafter hielten und die Eingeborenen allerorten an seinem ausschweifenden Lebenswandel, namentlich an seinem Hange zur Trunksucht Anstoß nahmen und ihn deshalb mit Haß verfolgten. Er beschloß darum, nach Constantinopel zu gehen, hier durch Vermittlung des französischen Gesandten vom Sultan einen Paß zur ungehinderten Fortsetzung seiner Reise nach Aethiopien auszuwirken und dann nach Aegypten zurückzukehren. Im Frühjahr 1674 segelte er von Rosette ab, erlitt aber unterwegs Schiffbruch und traf in sehr heruntergekommenem Zustande in Constantinopel ein. Da er hier sein wüstes Leben fortsetzte, fand er von Seiten der französischen Colonie wenig Entgegenkommen und mußte sich trotz seiner Verbindungen mit Colbert als Abenteurer behandeln lassen. Ende 1675 war er endlich mit seinen Vorbereitungen zu der geplanten äthiopischen Reise fertig, doch bemühte er sich vergeblich, einen Paß zu erhalten, und da unterdessen auch Gerüchte von seiner schlechten Aufführung nach Paris gedrungen waren, rief ihn Colbert zurück. Im Frühjahr 1676 begab er sich zur See nach Frankreich, da er aber auch hier seinen schlimmen Leidenschaften keine Zügel anlegte, wurde er von dem Minister sehr ungnädig behandelt und erhielt weder eine Belohnung für seine Verdienste, noch die nöthigen Gelder zur Veröffentlichung seiner äthiopischen Werke. Tiefgekränkt und in großer Armuth lebte er nun theils in Paris, theils in verschiedenen Orten der Umgebung. Gegen Ende des Jahres 1678 erhielt er endlich ein geistliches Amt als Vicar zu Bouron bei Fontainebleau, aber bereits am 12. Juni 1679 erlag er hier im Alter von 43 Jahren den Folgen seiner Ausschweifungen. Er war ein Mann von bedeutenden Geistesgaben und ausdauernder Arbeitskraft und hätte in geordneten Verhältnissen wahrhaft Großes leisten können, doch zerrütteten seine Leidenschaften, namentlich sein Hang zur Trunksucht seinen Körper, sodaß er in seinem späteren Leben nirgends die gehoffte Anerkennung und Unterstützung fand, sondern überall auf Mißtrauen und Kälte stieß und darum an sich selbst und an seiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe verzweifelte.

[162] An noch vorhandenen Werken hinterließ er den schon erwähnten handschriftlichen Bericht an den Herzog Ernst über seine erste Reise, der sich gegenwärtig auf der Bibliothek in Gotha befindet (Cod. chart. fol. 101), ferner einen italienischen Auszug aus diesem Bericht: „Relazione dello stato presente dell’ Egitto“ (Parigi 1671), dann ein französisches Werk über seine zweite Reise: „Nouvelle relation en forme de journal d’un voyage fait en Egypte par le P. Vansleb R.D. en 1672 & 1673“ (Paris 1677; 1698, auch englisch London 1678), endlich eine werthvolle Beschreibung der koptischen Kirche in Aegypten: „Histoire de l’église d’Alexandrie, fondée par S. Marc, que nous appellons celle des Jacobites-Coptes d’Egypte, écrite au Caire même en 1672 et 1673“ (Paris 1677). Nach seinem Tode erschien unter seinem Namen: „A brief account of the rebellions and bloodshed occasioned by the antichristians practises of the Jesuites and other popish emissaries in the Empire of Ethiopia“ (London 1679). Ob diese Schrift wirklich von ihm herrührt, ist ungewiß. Das bedeutendste Werk Wansleben’s ist seine „Nouvelle relation“. Es enthält nicht nur eine vortreffliche, auf genauen eigenen Beobachtungen beruhende Schilderung Aegyptens, seiner Bewohner und der wichtigsten dort vorkommenden Thiere und Pflanzen, sondern auch werthvolle Nachrichten über die christlichen Alterthümer des Landes. Auch die Schrift über die alexandrinische Kirche ist eine Frucht eingehender gewissenhafter Studien. Sie enthält ausführliche Angaben über die Glaubenslehren und Ceremonien der koptischen Kirche, sowie ein Verzeichniß gelehrter Kopten und ihrer Werke.

Jöcher 4, 1812. – Niceron, Mémoires (Paris 1734) 26, 7–17. – Cyprian, Bibl. Gothana 64. – Vockeradt, De J. M. Wanslebio Gotha 1708.