ADB:Tag, Christian Gotthilf
Homilius’ Leitung war und dessen Musikunterricht genoß. Ob er nach Beendigung des [352] Gymnasiums noch eine Universität bezog, ist nicht bekannt; da er sich aber als Schullehrer, beziehentlich Cantor, ausbildete, so muß man es voraussetzen, denn sonst hätte er eben nie zum Cantor gewählt werden können, da dieser stets als vierter Lehrer den Lateinunterricht zu übernehmen hatte. Es ist nur bekannt, daß er nach Beendigung seiner Studien sich im J. 1755 auf die Wanderschaft begab, um die Welt kennen zu lernen, aber schon in Hohenstein sein Reiseziel fand, wo ihm der eben erledigte Cantordienst angeboten wurde. Er lebte sich dort so ein, trotz der kleinen beschränkten Verhältnisse, daß er alle anderen Angebote, die ihm mehrfach zu theil wurden, ausschlug und bis an sein Lebensende dort blieb. Rochlitz entwirft im 3. Bande seiner Schrift „Für Freunde der Tonkunst“ S. 89 ein treffendes Bild seines Charakters und seiner Persönlichkeit und zeichnet damit zugleich den ganzen Stand der damaligen kleinen deutschen Cantoren. Sobald er seine Amtspflichten erfüllt hatte, componirte er. Seine Schränke waren angefüllt mit eigenen Compositionen. Trotzdem fühlte er nie das Bedürfniß, der Welt etwas davon mitzutheilen, und ward davon etwas bekannt, so geschah es ohne seine Absicht. Wenn sein Kirchenchor die Composition aufgeführt hatte, so war der Zweck erfüllt, und das Manuscript wanderte in seine Bibliothek. Er schrieb nur dem eigenen Drange folgend für sich und seine Kirche und fand darin vollkommene Befriedigung. Seine pecuniären Verhältnisse waren von der dürftigsten Art; doch da er keine Bedürfnisse kannte, so empfand er sie nicht und lebte glücklich und zufrieden. Seine Ansichten über Kunst, die er Rochlitz gegenüber ausspricht, bewegen sich in einem engen aber kernigen Kreise. Er hängt an dem, was er einst kennen gelernt hat, mit eiserner Festigkeit und verachtet stoisch jede neuere Leistung, die über sein Begriffsvermögen geht. Weiter als bis zur mittleren Entwicklungsperiode Joseph Haydn’s ist er nie gelangt. So rühmte er sich z. B. Rochlitz gegenüber, daß er hundert Variationen über ein Thema geschrieben habe, eine Leistung, die ihm schwerlich einer nachmachen würde. Im J. 1807 verlor er seine Frau, und dies lähmte seinen Lebensmuth und seine Arbeitskraft in einem Maaße, daß er 1808 sein Amt niederlegte und zu seiner an einen Pfarrer verheiratheten Tochter zu Niederzwönitz zog, wo er sein bescheidenes und thätiges Leben beschloß. Die Angabe, daß er in Hirschberg Cantor gewesen sei, ist falsch; die Stelle wurde ihm zwar angeboten, doch lehnte er sie nach reiflicher Ueberlegung ab. (Außer dem biographischen Materiale in Rochlitz findet sich auch in der Leipziger Musikzeitung Bd. 17, Sp. 681 eine Biographie.) Von seinen Compositionen läßt sich heute nur Weniges nachweisen. Gedruckt ist nur eine vierstimmige Motette in Joh. Adam Hiller’s 3. Bande seiner 1776–1791 erschienenen Motettensammlung (s. mein Verzeichniß neuer Ausgaben alter Musikwerke). Ferner 6 Choralvorspiele für Orgel, Leipzig und Dessau 1783 im Selbstverlage und 2 Sammlungen Lieder beim Clavier zu singen, Leipzig bei Jacobäer & Sohn, 1783 und 1785 gedruckt. Beide Werke besitzt die Kgl. Bibl. zu Berlin und Königsberg eine 1793 erschienene Choralbearbeitung über „Wir glauben all an einen Gott“ für Orgel. Die Kgl. Bibl. zu Berlin besitzt unter den Autographen Grasnick’s eine Cantate für Chor und Orchester, ferner in Copien 3 Messen für Chor und Orchester (der Breitkopf’sche Katalog zeigt im J. 1764 fünf Messen an), mehrere Kyrie und Gloria, 6 Cantaten, Choralvorspiele u. A. Auch die Universitätsbibliothek in Königsberg i. Pr. besitzt mehrere Cantaten im Manuscr. (s. den Katalog Jos. Müller’s). Die in Elbing auf der Marienkirche liegenden Cantaten tragen keinen Vornamen, und es ist nicht sicher, ob sie nicht Christian Traugott Tag angehören, der vielleicht ein Sohn des Obigen war und den Cantorposten zu Glauchau im Schönburgischen um 1813 bekleidete.
Tag: Christian Gotthilf T., das Urbild eines deutschen Cantors, an denen Deutschland im 18. Jahrhundert so reich war, die aber seit der Errichtung von Schullehrerseminarien gänzlich ausgestorben sind. Sie besaßen Gymnasialbildung; oft hatten sie sogar eine Universität besucht, kannten keine irdischen Bedürfnisse und lebten trotz des geringen Gehaltes und der kleinen Verhältnisse glücklich und zufrieden, nur ihrem Berufe und ihrer Kunst dienend. T. war 1735 in Beierfeld, einem Dorfe im Erzgebirge, geboren und starb am 19. Juli 1811 zu Niederzwönitz in Sachsen im Kreise Zwickau. Er kam als Freischüler an die Kreuzschule zu Dresden, wo er Alumnus und Chorsänger unter