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ADB:Tennhart, Johann

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Artikel „Tennhart, Johann“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 570–571, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tennhart,_Johann&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 08:25 Uhr UTC)
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Tennhart: Johann T., Schwärmer, † 1720. Als am Ende des 17. Jahrhunderts der religiöse Subjectivismus gegen die Orthodoxie Sturm lief, erhoben sich neben dem besonneneren Pietismus die mannichfaltigsten Schwärmer, die wie Pilze aus der Erde schossen und jeder in seiner Weise Kirche und Welt reformiren und beseligen wollten. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte in diesen Kreisen der Nürnberger Barbier und Perückenmacher Johann T., dessen Schriften nicht bloß einen großen Theil seiner Zeitgenossen nachhaltig beeinflußt, sondern selbst noch im 19. Jahrhunderte bei den württembergischen Swedenborgianern neue Freunde erhalten haben. Hier ist er sogar gefeiert „als die letzte Posaune“ d. i. als der letzte Verkünder göttlicher Voroffenbarung vor dem wirklichen Eintritt der (Swedenborgianischen) neuen Kirche. Vgl. Schriften aus Gott (s. unten) Einl. S. XV. T. stammte aus bäurischen Verhältnissen und wurde am 2. Juni 1661 in dem Dorfe Dobergast zwischen Hohenmölsen und Pegau in Sachsen geboren. Seinen Beruf fand er im Barbierhandwerk, gelangte auf seinen Wanderungen in der Fremde nach Nürnberg, kam durch gute Geschäfte und eine reiche Heirath in ansehnliche Vermögensverhältnisse und befand sich als Bürger von Nürnberg in einer recht angenehmen Lage. Schmerzvolle Erfahrungen aber (der Tod seiner Ehefrau und eines Kindes, Vermögensverluste und eigene Krankheiten) ließen ihn sich gänzlich von den zeitlichen Dingen losmachen und dem inneren Christenthum sich widmen. Er bildete sich ein, daß Gott selbst mit ihm spreche und ihn zum Träger neuer Offenbarungen mache. Seine schwärmerischen Empfindungen sah er als „Worte Gottes“ an, die er über die Bibel stellte, und auf Grund solcher Wahrnehmungen hielt er sich für beauftragt, alle Welt zur Buße zu rufen. Ganz besonders sah er es dabei auf die Geistlichen ab, denen er die Verweltlichung der Christenheit hauptsächlich schuld gab. Seine erste „Offenbarung“ datirte T. vom 27. October 1704, als er in der Nacht zum ersten Male eine Stimme in sich gehört, die dreimal nach [571] einander zu ihm gesprochen: „Merk auf, was ich dir sage … ich sage dir gewiß und fürwahr, der Glaub ist auch verloschen gar! Sieh zu, du stehst in großer Gefahr“ u. s. w. (Er pflegte viel zu reimen). Von da fühlte und nannte er sich Canzlisten des großen Gottes in dessen weitem großem Königreiche und schrieb nun unausgesetzt, was das innere Wort ihm eingab. Zunächst bekamen das die Geistlichen Nürnbergs zu spüren, gegen welche er am 20. Februar 1708 dem Rathe ein „Traktätlein“ übergab (das später in seinem Werke „Gott allein soll die Ehre sein“ u. s. w. Nürnberg 1710, gedruckt wurde). Die Antwort war, daß er zum ersten Male gefangen gesetzt wurde. Im Winter 1714/15 wurde er noch einmal gefänglich eingezogen. Um sich von der ihm lästigen Beaufsichtigung des Nürnberger Rathes frei zu machen, gab er 1717 sein dortiges Bürgerrecht auf und ging auf Reisen, um als besagter Canzlist des großen Gottes dessen Einsprachen unter die Leute zu bringen. Er schrieb mit großer Bibelkenntniß in behaglicher Breite, viele Reime in prosaischer Sprache einflechtend, mit der Zuversicht eines Propheten. Einer strengen Lebensart hingegeben und meist zu Fuß wandernd, ermattete er aber bald und starb am 12. September 1720 zu Kassel. Die dortige Geistlichkeit hat ihn ehrlich begraben. T. scheint zu den liebenswürdigen und unschädlichen Schwärmern gehört zu haben, die nur an einem Punkte incorrigibel sind, sonst aber niemand ein Leides anthun. Welche begeisterte Anhänger er gefunden hat, beweist die apologetische Schrift, welche sein Freund Tobias Eisler (s. unten) 1724 herausgegeben hat. Daß die Geistlichkeit nicht bloß Nürnbergs sondern vieler anderer Orte auf diesen „Canzlisten Gottes“ nicht gut zu sprechen war, erklärt sich zur Genüge aus der Opposition, welche er gegen die bestehenden evangelischen Kirchen betrieb. Da er lediglich dem „inneren Worte“ folgte, so mußte er als consequenter „Inspirirter“ das äußere Wort Gottes, die Bibel, die äußere Kirche, den äußeren Cultus, Predigtamt, Taufe, Abendmahl, Sonntagsfeier u. s. w., aber auch die ganze Kirchenlehre geringschätzen oder gar bekämpfen. Und er hat es gethan. Zeugen des sind seine zahlreichen (meist mit langathmigen Titeln versehenen)

Schriften: „Gott allein soll die Ehre sein“ etc. (mehrere einzelne Schriften) (Nürnberg 1710); „Worte Gottes und letzte Warnungs- und Erbarmungsstimme Jesu Christi“ u. s. w. (1710 und 1711. Beide neugedruckt (letzteres freilich nur dem Anfang nach) in „Schriften aus Gott durch J. Tennhardt hrsg. v. Ludwig Hofacker“, Tübingen und Leipzig 1837); „Nothwendige und von Herrn Scheurer causirte Erklärung“ (1713); „Höchstnothwendige und zur Seelen-Seeligkeit sehr nützliche Erklärung“ (1715); „Fernere nöthige und zur Seelen-Seeligkeit höchst nützliche zweite Erklärung“ (1717); „Nützliche und höchstnöthige Warnung“ (1718). Außerdem existiren mehrere von Freunden hergestellte Auszüge aus seinen Schriften. Die Titel seiner eigenen und der von seinen Freunden für ihn geschriebenen Schriften in der Schrift Eisler’s (s. unten), in den „Unschuldigen Nachrichten“, Jahrg. 1726, 133 und in Zedler’s Universallexikon Bd. 42 (1744) s. v. Tennhart.

Zu vergl. Lebenslauf (T.’s), von ihm selbst geschrieben in der Schrift „Gott allein soll die Ehre sein“ etc. (1710), S. 7–190 und Lebenslaufs-Continuation, ebenfalls von ihm selbst, in seiner Schrift „Worte Gottes“ (1710), S. 137–622. – Eisler (Tobias), Christliches Ehren- und Liebes-Denckmahl, in der Form einer Inscription, Tennharten zu Ehren, aufgerichtet und zum Druck befördert 1723 u. 1724. – Sehr ausführlich handelt über T. Zedler’s Universallexikon a. a. O. Sp. 868–888.