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ADB:Tutilo

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Artikel „Tutilo“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 28–30, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tutilo&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 08:30 Uhr UTC)
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Tutilo, Mönch in St. Gallen, † an einem 27. April im Anfange des 10. Jahrhunderts. Ein Schüler der Klosterlehrer Iso (s. A. D. B. XIV, 637) und Marcellus (XX, 295), war T. ein Zeitgenosse Notker’s des Stammler’s. Alle näheren Angaben über T. fließen einzig aus der so vielfach getrübten klösterlichen [29] Ueberlieferung, wie sie erst im 11. Jahrhundert durch Ekkehart IV. (siehe A. D. B. V, 792 u. 793) schriftstellerisch gestaltet wurde. Ekkehart schildert T. als einen Menschen mit Muskelarmen und athletischen Gliedern, beredt, von heller Stimme, zierlich in erhabener Arbeit, als einen Künstler in der Malerei, einen Musiker, vor allen seinen Genossen in allen Gattungen von Saiteninstrumenten und Rohrpfeifen, so daß er auch die Söhne der Edeln in einem vom Abt dazu bestimmten Raume auf den Saiten unterrichtete; dazu wird T. als ein geschickter Bote gepriesen, in die Ferne und Nähe – in angefügten Anekdoten erscheint er in Mainz, bei Metz bethätigt –, als in Bauten und in den übrigen Künsten tüchtig, geschult in der deutschen und der lateinischen Rede, in Ernst und Scherz voll Gemüthes, so daß Kaiser Karl III. den schalt, welcher einen Mann von solcher Naturanlage zum Mönche gemacht habe. Keusch, so daß er vor den Frauen die Augen geschlossen hielt, oft im Verborgenen in Thränen zerknirscht, so sei T., „ein Senator unseres Gemeinwesens“, im Chore thätig, Verse und Melodien zu schaffen befähigt gewesen. Auch als Urkundenschreiber wird er, 907, ersichtlich, und von 898 an, nachdem er zuerst 895 als Priester genannt wurde, waltete er urkundlich nachweisbar als Cellararius, Secretarius, Hospitarius, bis 912, unter den klösterlichen Officialen. Ekkehart nennt T. im besonderen auf dem Felde der musikalischen Leistungen als den Meister der Tropen, jener besonders an hohen Festtagen gesungenen ausschmückenden Zusatzverse, deren Weisen er durch das Rotta genannte Saiteninstrument zu finden wußte, und er erwähnt ihn als den Dichter der Weihnachtstrope „Hodie cantandus est“, sowie des Stückes „Omnium virtutum gemmis“, die T. zu einer von Karl III. verfaßten Antiphone zugefügt haben soll; dabei meint Ekkehart, einem musikalischen beanlagten Leser nur einzelne Verse Tutilo’s anführen zu müssen, damit dieser sich daran erinnere, wie verschieden von allen Anderen dessen Klang gewesen sei. Ueberhaupt war T. ohne Zweifel ein Liebling des Verfassers der Casus sancti Galli, da er gern gerade von ihm erzählt oder ihn bei anderen Vorfällen als betheiligt erscheinen läßt. Besonders anschaulich ist der Zusammenstoß des Mönches mit den zwei Räubern, welche vor dem tapferen Manne in der Kutte davonflohen, ausgemalt. Im Todtenbuch von St. Gallen ist T. in einer Einfügung als doctor nobilis celatorque hervorgehoben, und Ekkehart schreibt ihm neben anderen Kunstwerken, z. B. einem Superfrontale, ganz ausdrücklich einen Antheil an den Schnitzereien des Elfenbein-Diptychon zu, das an dem auf Bischof Salomon’s III. Auftrage angefertigten berühmten Evangelium in St. Gallen sich befinde, und so wollte man die eine Tafel vom Evangelium Longum, Codex Nr. 53 der St. Galler Stiftsbibliothek, auf der die Himmelfahrt Mariä und die Speisung des Bären durch den Klosterheiligen Gallus als figürliche Darstellungen sich finden, dem „Künstlermönche“ zuschreiben. Allein erstlich ist, gegen den Wortlaut des Zeugnisses Ekkehart’s, die Urheberschaft des gleichen Künstlers auch für die zweite Tafel des genannten Codex, mit der Majestas Domini als Inhalt der Darstellung, in Anspruch zu nehmen, und zweitens reicht die Bezeugung für eine Zuschreibung des Werkes an T. durchaus nicht aus. Wohl aber ist allerdings Tutilo’s Künstlerlegende als die früheste auf deutschem Boden vorkommende zu verzeichnen. Am Ende des Mittelalters galt T. als Heiliger in St. Gallen, und es gab da beim Kloster eine St. Güetlen-Capelle. Stumpf (s. A. D. B. XXXVI, 751 ff.) wußte im 16. Jahrhundert auch von weiteren Kunstwerken, künstlichen astronomischen Tafeln, zu sprechen, die man in der St. Galler Bibliothek zeige und auf T. zurückführe.

Grundlage für die Geschichte Tutilo’s sind Ekkehart’s IV. Mittheilungen, besonders in cc. 1, 6, 22, 33–36, 39–40, 45, 46 (doch vgl. dazu [30] die kritischen Noten v. Verf. d. Art. in der Ausgabe, St. Gallische Geschichtsquellen, III, 1877). Vgl. ferner Gabr. Meier, Geschichte der Schule von St. Gallen im Mittelalter, Jahrbuch f. schweizerische Geschichte, X, 58 u. 59. Gegen die kritisch nicht ausreichende Würdigung Tutilo’s durch Alw. Schultz in Dohme, Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit, I, Nr. 2, oder Lübke, der gar in seiner Geschichte der Plastik einen „Abt“ Tutilo erwähnt, vgl. Rahn, Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz. 111 ff., besonders aber Nachlese, 787–790, sowie Jul. v. Schlosser, Beiträge zur Kunstgeschichte aus den Schriftquellen des frühen Mittelalters, Sitzungsberichte d. phil.-histor. Classe der Wiener Akademie, CXXIII, Nr. 2, 180–185.