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ADB:Völkel, Ludwig

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Artikel „Völkel, Ludwig“ von Adolf Stoll in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 233–235, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:V%C3%B6lkel,_Ludwig&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 22:36 Uhr UTC)
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Völkel: Johann Ludwig V., bedeutender hessischer Archäolog, geboren am 20. Januar 1762 zu Kassel, † daselbst am 31. Januar 1829. – Von lutherischen Bürgersleuten stammend, – der Vater war Schwertfeger – wurde er von 1773–78 auf dem Pädagogium, dann im Collegium Carolinum seiner Vaterstadt für seine gelehrte Laufbahn vorgebildet. Von 1778 ab studirte er in Göttingen Theologie, in der er dereinst ein akademisches Lehramt zu bekleiden hoffte, unter Koppe, Leß und Michaelis, daneben aber auch Philologie und Geschichte bei Heyne und Spittler; allmählich wandte er sich sogar auf Heyne’s Rath ganz der philologischen und archäologischen Wissenschaft zu. Nachdem er von 1782 an eine Hauslehrerstelle in Wetzlar bekleidet hatte, kehrte er 1784 nach Göttingen zurück und verbrachte daselbst die nächsten drei Jahre in vertrautem Umgang mit Heyne unter archäologischen Studien. Von 1787 bis zum Februar 1789 versah er darauf eine außerordentliche Professur der Philosophie an der Landesuniversität in Marburg und wurde dann mit der Mitaufsicht über das Museum in Kassel betraut. Im J. 1792 begleitete er den damaligen Erbprinzen, späteren Kurfürsten Wilhelm II., den er auch in die Archäologie und andre Wissenschaften einführte, auf einer Schweizerreise, von der er eine Episode im dritten Bande von Schiller’s Neuer Thalia, 1793, S. 3–46, anziehend geschildert hat, und in den beiden folgenden Jahren auf die Universität nach Leipzig. Nach Kassel zurückgekehrt, wurde V. zum Oberaufseher über die Antiken-, Pretiosen- und Kunstsammlungen, zum zweiten Bibliothekar und Hofarchivar mit dem Titel eines Raths ernannt, vom letzteren Amt aber 1802 auf sein Ansuchen wieder entbunden, wogegen er in diesem Jahre das Secretariat der Alterthumsgesellschaft übernahm und bis zum Zusammenbruch des Kurstaats und der gleichzeitigen Auflösung der Gesellschaft im J. 1807 führte.

Inzwischen hatte er nach mehreren kleineren litterarischen Arbeiten im J. 1798, angeregt durch die 1796 begonnenen französ. Kunsträubereien, eine Schrift „über die Wegführung der Kunstwerke aus den eroberten Ländern nach Rom“ herausgegeben; es war, als habe ihm dabei schon das Schicksal vor Augen geschwebt, welches die seiner Obhut übergebenen Sammlungen erleiden sollten; in den Jahren 1806 und 1807 erfuhren diese durch die Franzosen wiederholt schwere Plünderungen, welcher der als eifriger Patriot wie als Gelehrter schwer davon getroffene Mann selbst in einem neuerdings veröffentlichten Manuscript vom J. 1813 (s. u.) ausführlich und anschaulich dargestellt hat. Nach dem Sturz der Fremdherrschaft, während deren er, böswillig denuncirt, 1809 nach Dörnberg’s Unternehmen [234] sogar für mehrere Tage im Kastell zu Kassel eingekerkert worden war, übrigens nach Strieder’s Rücktritt die erste Bibliothekarstelle bekleidet hatte, wurde er zunächst wieder zweiter Bibliothekar mit dem Titel eines Oberhofraths, da Strieder wenigstens formell die erste Stelle und die Leitung der Anstalt nunmehr wieder übernahm. Im April 1814 ging er mit zwei Begleitern, Lepel und Robert, nach Paris, um daselbst die von den Franzosen entführten litterarischen und Kunstschätze wieder zurückzuholen. Er fand zwar seine Antiken fast vollständig im Dianasaal des Louvre wieder, wurde aber durch den ersten Pariser Frieden bitter enttäuscht, indem Kaiser Alexander’s übel angebrachte Großmuth den Franzosen alle geraubten Kunstschätze sicherte; ja die Commission wäre – im Juni 1814 – mit völlig leeren Händen heimgekehrt, wenn es ihr nicht gelungen wäre, wenigstens eine Anzahl entführter Bücher und Bilder neben einigen Kunstgegenständen, die Jérôme auf seiner Flucht mitgenommen hatte, von dessen Gefolge wieder zurückzugewinnen. Doch hatte V. so genaue Aufzeichnungen über die Standorte der hessischen Antiken in Paris gemacht, daß nach dem zweiten Pariser Frieden das hessische Eigenthum dort auch ohne seine persönliche Anwesenheit, bloß auf seine Angaben hin, von anderen zurückgenommen und heimgeführt werden konnte.

Nach Strieder’s Tod wurde ihm im J. 1815 die Oberleitung der Bibliothek wieder übertragen, an welcher die ihm sehr nahe stehenden Brüder Grimm die beiden andern Stellen innehatten, und er widmete nun, nach dem Regierungsantritt Kurfürst Wilhelm’s II. im J. 1821 als Director an die Spitze des gesammten Museums gestellt, den Rest seines Lebens ganz seinem Amte, in dem er sich als pflichttreuer Verwalter und sorgsamster Arbeiter erwies, und eifriger wissenschaftlichen Thätigkeit. Er starb, 67jährig, nachdem er wenige Monate vorher seine Gattin verloren, nach kurzer Krankheit am Abend des 31. Januar 1829.

Die Zahl seiner litterarischen Werke ist nicht groß, seine Bedeutung und das Maaß seiner Gelehrsamkeit auch nicht danach allein zu bemessen. Bescheiden sich zurückhaltend, sich selber schwer genügend, war er in unermüdeter Arbeit, lesend, prüfend, vergleichend, mehr um seine eigene Weiterbildung und um Sammlung gelehrten Materials bemüht; er besaß das gründlichste Wissen besonders auf dem Gebiet der Archäologie und die eingehendste Kenntniß der alten wie der neuen Fachlitteratur; Gelehrten wie Heyne, Böttiger, Welcker, K. O. Müller, Köhler befreundet, hat er doch außer mit U. Fr. Kopp keinen größeren litterarischen Briefwechsel gepflegt. Unter seinen gedruckten Abhandlungen verdienen außer der oben genannten Schrift diejenigen über die Germania des Tacitus (1788), über den olympischen Zeus und seinen Tempel (1794) und über die antiken Sculpturen im Museum zu Kassel in Welcker’s Zeitschr. f. Geschichte und Auslegung der alten Kunst (1818) Erwähnung. Ein umfassender, auf die Geschichte aller antiken auf uns gekommenen Bildwerke gerichteter Plan, für welchen er ausgedehnte Vorarbeiten gemacht hat, ist unausgeführt geblieben. Sein litterarischer Nachlaß, über dessen Reichhaltigkeit und Werth sich K. O. Müller in d. Gött. Gel. Anzeig. 1830, I. Band, 64. Stück, auf das anerkennendste äußert, wird in der ständischen Landesbibliothek zu Kassel aufbewahrt; auf Veranlassung Jakob Grimm’s hat K. O. Müller im J. 1831 vier Abhandlungen daraus veröffentlicht und mit Vorrede und Anmerkungen versehen, doch ist die geplante Fortsetzung unterblieben. Eine werthvolle Quelle für die Zeitgeschichte ist neben der schon erwähnten Aufzeichnung über die Beraubung des Kasseler Museums auch diejenige über „die Einnahme Kassels durch Czernitscheff und die letzten Tage des Königreichs Westfalen“ (s. u.).

Selbstbiographie, bis z. J. 1801 reichend, bei Strieder, Hess. Gel.-Gesch. XVI, 343–346; Zusätze daselbst XVII, 395 ff. Ein Ehrendenkmal setzte [235] ihm Jakob Grimm in dem schönen Nekrolog der Kasselschen Allgem. Zeitung 1829, Nr. 33, S. 158 ff. (auch in den Kl. Schrift. VI, 405–409). Die erwähnten für ihn selbst wie für die Zeit König Jérôme’s bedeutsamen Aufzeichnungen Völkel’s sind von A. Duncker in der Zeitschr. f. Hess. Gesch. u. Landesk., N. Folge IX, 1882, S. 261–318 veröffentlicht, der ebenda S. 252–259 u. 318–335 werthvolle Angaben über sein Leben macht (Anlage II enthält 5 Briefe Jakob Grimm’s, Völkel’s Nachlaß betreffend). Vgl. auch die Selbstbiographie der Brüder Grimm und ihre Jugendbriefe a. v. St.