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ADB:Vivenot, Alfred Ritter von

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Artikel „Vivenot, Alfred Ritter von“ von Hermann Hüffer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 783–787, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vivenot,_Alfred_Ritter_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:57 Uhr UTC)
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Band 40 (1896), S. 783–787 (Quelle).
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Vivenot *): Alfred Ritter v. V., österreichischer Geschichtsschreiber, wurde in Wien als der zweite Sohn des angesehenen Arztes Rudolf v. V. (s. S. 85) am 6. August 1836 geboren. Die wechselnden, nicht immer heiteren Eindrücke seiner Jugend hat er in einem kleinen Buche „Dorf-Harmonieen, eine Elegie von Alfred Elfeld“ (Rastatt1862) geschildert, welches, wenn nicht von bedeutender dichterischer Begabung, doch von einem regen Naturgefühl und innigem Gemüthsleben zeugt. Bei einer sorgfältigen Erziehung konnten seine Fähigkeiten sich früh entwickeln; er entschied sich für den Soldatenstand, trat als Sechzehnjähriger in das Cürassierregiment Graf Wallmoden, diente auch bei den Ulanen und Husaren und bereits 1859 als jüngster Hauptmann in dem Infanterieregiment des Feldzeugmeisters v. Benedek, dem er durch seine Mutter, eine geborene Freiin v. Metzburg, in entferntem Grade verschwägert war. Der Krieg von 1866 gab ihm Gelegenheit, eine hervorragende militärische Befähigung an den Tag zu legen. Nach der Schlacht bei Königgrätz (3. Juli) wurde das Regiment Khevenhiller, in welchem V. damals – seit 1864 als Hauptmann erster Classe – diente, in der Festung Josephstadt enge eingeschlossen; der Commandant, Generalmajor v. Gaißler, wünschte Anweisungen aus dem Hauptquartier. Da übernahm es V., von drei Unterofficieren begleitet, mitten durch die feindliche Hauptarmee zu dem in Olmütz stehenden Oberbefehlshaber Benedek sich durchzuschleichen. Mit ebenso viel Kühnheit als Geschicklichkeit legte er in zwei Tagen und Nächten, vom 11. bis 13. Juli, den langen Weg zurück, organisirte dabei einen geheimen Postdienst zwischen den böhmischen Festungen und dem Hauptquartier und gelangte, noch am Abend des 13. wieder aufbrechend, unter den größten persönlichen Gefahren am 17. Juli nach Josephstadt zurück. In Olmütz hatte er eine Denkschrift über Organisation eines allgemeinen Landsturms in Böhmen, Mähren und Schlesien zu Papier gebracht. Während die Genehmigung des Kaisers erwartet wurde, erhielt V. von dem in Josephstadt versammelten Kriegsrath die Erlaubniß, in den böhmisch-mährischen Gebirgen ein freiwilliges Jägercorps zu bilden, und machte sich mit einer kleinen Schar von etwas mehr als 40 Mann am 20. Juli wieder nach Olmütz auf den Weg. Während des fünftägigen Marsches gelangen Ueberfälle preußischer Patrouillen; Feldtelegraphen wurden zerstört, in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli bei dem Dorfe Gabel sogar ein Zug von 156 Wagen überrascht und die werthvollen für die Abtheilung des Generals Knobelsdorf bestimmten Proviantvorräthe fortgeschleppt oder vernichtet. – In Olmütz, das V. am 25. Juli erreichte, war unterdessen ein vom 14. Juli datirtes Telegramm des Kaisers eingetroffen: „Der Hauptmann v. Vivenot sei anzuweisen, den Landsturm zu organisiren“. Auf Grund dieses Auftrages erließ V. nunmehr als „der von Sr. K. K. apostolischen Majestät bevollmächtigte, mit der Organisirung des Landsturmes betraute Commandant“ eine Proclamation „an die Völker von Mähren, Schlesien und Böhmen“ und eine „Geheime provisorische [784] Instruction für alle Gemeindevorsteher“, welche in feurigen Worten die wirksamsten Maßregeln vorschrieb. Aus verschiedenen Truppentheilen wurden ihm 287 Fußsoldaten zugewiesen, und von einem Zug Ulanen begleitet, brach er mit seinen Leuten noch in der Nacht des 25. von Olmütz auf. Unbemerkt von dem preußischen Corps, das die Straßen besetzte, gelangte man nach Oesterreichisch-Schlesien, wo von dem Orte Karlsbrunn aus Streifzüge unternommen und am 29. Juli in Troppau preußische Quartiermacher sowie der Landrath v. Selchow aufgehoben wurden. V. stand bereits im Begriff, mit seinem auf 500 Mann angewachsenen Corps in Preußisch-Schlesien einzufallen, als die Nachricht von der am 26. Juli zu Nicolsburg vereinbarten Waffenruhe seiner kriegerischen Thätigkeit ein Ziel setzte. Freilich, ohne die Gefahren seiner Stellung aufzuheben. Denn da der Waffenstillstand, wenn auch drei Tage vorher abgeschlossen, nur durch unverbürgte Gerüchte bekannt geworden und deshalb von V. nicht beachtet war, wurden seine Unternehmungen von den preußischen Behörden nicht ohne Grund als dem Kriegsrecht zuwiderlaufend angesehen. Er hätte in die übelste Lage gerathen müssen, wäre es ihm nicht gelungen, durch rasche und geschickte Bewegungen seine kleine Schar in den Bereich der österreichischen Demarcationslinie zurückzuführen. – Von Niemandem wurde Vivenot’s Thätigkeit bereitwilliger und mit größerem Lobe anerkannt als von einem preußischen, bei der Belagerung von Josephstadt betheiligten Officier, welcher bald nach dem Kriege in einem ausführlichen Aufsatze über „die österreichische Landsturmbewegung“ in den Berliner „Militärischen Blättern“ der Thatkraft und dem ungebeugten Muthe eines Feindes ein glänzendes Zeugniß ausstellt.

In Oesterreich wurde V. am 14. Juli 1866 „für hervorragende Dienstleistung vor dem Feinde“ durch das Militärverdienstkreuz ausgezeichnet, später durch den Kronenorden 3. Classe aus dem Edlen- in den Ritterstand erhoben. Aber mehr und mehr gewann die Neigung für eine politische und litterarische Wirksamkeit bei ihm die Oberhand. Für beide war es von nicht geringer Bedeutung, daß er durch tiefe Herzensneigung am 29. November 1860 mit Mathilde Englerth aus einer angesehenen, in den Rheinlanden weit verbreiteten Familie sich verbunden hatte. Wiederholter Aufenthalt machte ihn mit den Zuständen in Süddeutschland bekannt, kräftigte seine auf die Anerkennung Oesterreichs als deutscher Großmacht gerichteten Neigungen, und einer glaubwürdigen Ueberlieferung zufolge waren es Forschungen über die militärischen Ereignisse bei Mannheim im J. 1795, welche seinen Blick zuerst auf die Geschichte, insbesondere auf die Kriege der Revolutionszeit lenkten. Für solche Gesinnungen und Bestrebungen fand er Förderung und Interesse bei zwei aus Süddeutschland gebürtigen, aber, wie so manche ihrer Landsleute, in Wien zu hoher Stellung gelangten Staatsmännern: dem Freiherrn Max v. Gagern und dem Freiherrn Ludwig v. Biegeleben. Besonders der letztere hat auf den jungen Oesterreicher großen Einfluß ausgeübt. V. verfaßte nach dem Tode seines 1872 verstorbenen Freundes ein warm empfundenes Lebensbild: „Ludwig Freiherr v. Biegeleben, letzter deutscher Staatsreferent des Bundes-Präsidialhofes“ (Wien 1873). Auch der in der Allgemeinen Deutschen Biographie veröffentlichte Artikel über Biegeleben wurde von V. verfaßt und die dort mitgetheilten Briefe des österreichischen Staatsmannes sind unzweifelhaft an ihn gerichtet. In solcher Weise in das politische Leben eingeführt, erhielt er auch aus Leipzig, wo er dem Professor Heinrich Wuttke nahestand, auf Grund eines gleich anzuführenden militärisch-politischen Werkes 1867 die philosophische Doctorwürde. Dagegen traten der von ihm gewünschten Beförderung zum Major Schwierigkeiten entgegen. Im Juni 1871 wurde er auf seinen Wunsch zur Reserve gestellt, [785] wenig später zum Legationsrath ernannt und dem Ministerium des Auswärtigen beigegeben. Graf Beust hatte nämlich schon seit längerer Zeit auf den eifrigen mit der Feder wie mit dem Schwert gewandten Officier sein Augenmerk gerichtet, so sehr, daß V. im Sommer 1870 bei dem Ausbruche des deutsch-französischen Krieges nach Süddeutschland geschickt wurde, um mit Hülfe seiner zahlreichen Familien- und freundschaftlichen Beziehungen die Stimmung der Bevölkerung zu erkunden. Zunächst in Heidelberg, dann an anderen Orten konnte er jedoch so rasch von dem Aufflammen einer einmüthigen nationalen Begeisterung sich überzeugen, daß er ungesäumt nach Wien zurückkehrte und seinestheils zu der späteren Haltung des Ministers beitrug. Eine bedeutende Laufbahn schien dem noch jugendlichen Manne bevorzustehen. Leider nur kurze Zeit. Rastlos mit immer neuen litterarischen und politischen Entwürfen beschäftigt, stellte er an seine Lebenskraft die äußersten, ja übermäßige Anforderungen, als er im Interesse seiner Familie auch an finanziellen Unternehmungen sich betheiligen mußte. Am 9. Juli 1874 gegen Mittag verweilte er, amtlich beschäftigt, im Gebäude des Ackerbauministeriums; plötzlich wurde er von einem Schwindel befallen, und während er noch die Herbeieilenden mit der Versicherung, es sei nur ein leichtes Unwohlsein, beruhigte, sank er mit einem langen Seufzer todt in den Sessel zurück. Der Vater, der, auf die unbestimmte Nachricht von dem Unglücksfall, suchend von einem Ministerium zum andern eilte, konnte nur noch eine schon erkaltende Hand in die seinige drücken. Mit ihm betrauerten die Gattin, ein Sohn und zwei Töchter den so früh Dahingeschiedenen.

Man darf Vivenot’s Befähigung für den kleinen Krieg keineswegs gering anschlagen, aber was seinem Namen Dauer verleiht, sind seine schriftstellerischen Leistungen. Als er zum Manne heranreifte, wurde die seit mehr als hundert Jahren angeregte Frage, ob Oesterreich oder Preußen die Hegemonie in Deutschland zustehe, mit leidenschaftlicher Heftigkeit vorerst einmal wieder in der geschichtlichen Litteratur erörtert. Es läßt sich schwerlich in Abrede stellen, daß von preußischer Seite zwar mit wissenschaftlicher Ueberlegenheit, aber nicht immer mit unparteiischer Abwägung der politischen oder rechtlichen Verhältnisse geurtheilt wurde, nicht zum wenigsten deshalb, weil der Verschluß der österreichischen Archive eine richtige Kenntniß lange Zeit unmöglich machte. Mit dem ganzen Feuer seines Wesens griff V. in den Streit ein. Trotz der Familienabstammung aus dem wallonischen Luxemburg und trotz des ungarischen Indigenats, das seinem Großvater – nicht dem Vater – wegen seiner Verdienste bei der Erkrankung des späteren Kaisers Ferdinand verliehen war, fühlte er sich ganz als Oesterreicher und Deutscher. Noch ehe er auf dem Schlachtfelde das Schwert ziehen konnte, hatte er in einem Buche über den Reichsfeldmarschall Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen, dem, was er als kleindeutsche Geschichtsfälschung bezeichnete, in überströmendem, zuweilen auch ins Breite sich ergießenden Redefluß den Krieg erklärt. Dem ersten 1864 erschienenen Bande konnten schon 1866 zwei andere starke Bände folgen. Werden auch strenge Methode und eine schulgerechte Darstellung dabei vermißt, man muß doch anerkennen, daß V. aus den ihm sich öffnenden Archiven ein reiches und werthvolles Material nicht bloß für seine Sache, sondern für die Wissenschaft nutzbar gemacht hat. Unzweifelhaft hat er auch in wichtigen Punkten, wenn der Ausdruck erlaubt ist, den Nagel auf den Kopf getroffen, wenigstens wenn es sich um die Vertheidigung seines Vaterlandes handelte. Freilich geht er auch in dieser Vertheidigung mitunter zu weit, und nur zu sehr verfällt er in den Fehler, den er seinen Gegnern vorwirft, wenn er die preußische Politik und die preußischen [786] Staatsmänner während des Revolutionskrieges zum Gegenstand seiner Angriffe macht. Richtig hat er selbst gefühlt, daß in umfassenden Darstellungen nicht seine Stärke gelegen sei. Denn abgesehen von kleineren, obgleich nicht unwichtigen Abhandlungen – wie „Korssakow und die Betheiligung der Russen an der Schlacht bei Zürich“ (1870); „Thugut und sein politisches System“ (1870); „Zur Genesis der zweiten Theilung Polens“ (1874) – war es der unerschöpfliche Urkundenschatz der Wiener Archive, dessen Verwerthung er sich von jetzt an zum Ziele setzte. Mit unvergleichlichem Eifer hat er in den wenigen Jahren, die ihm vergönnt blieben, eine Reihe wichtiger, für alle Zeiten werthvoller Urkundenwerke zum Abschluß gebracht. Schon 1869 erschien „Thugut, Clerfayt und Wurmser“, ein unentbehrliches Quellenwerk für die Geschichte des Krieges von 1795; 1871: „Zur Geschichte des Rastatter Congresses“ und im selben Jahre „Vertrauliche Briefe des Freiherrn von Thugut“ oder vielmehr der Briefwechsel des Ministers mit dem Cabinetsminister des Kaisers, Grafen Franz Colloredo, und anderen einflußreichen Personen. Für das ganze Ministerium Thugut’s ist diese Briefsammlung von unschätzbarem Werthe; nicht selten gestattet sie in die verborgensten Falten der Politik weit deutlicheren Einblick als ihn officielle, für größeren Leserkreis bestimmte Actenstücke gewähren können. Aber die Krönung seines wissenschaftlichen Strebens sollte ein Werk größten Stiles bilden die „Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik Oesterreichs während der französischen Revolutionskriege 1790–1801“. Zwei starke Bände hatte der unermüdliche Mann noch in den Jahren 1873 und 1874 veröffentlicht, als ihn bei der Ausarbeitung des dritten der Tod ereilte.

Auf die Auswahl der Actenstücke ist die litterarische Stellung Vivenot’s nicht ohne Einfluß geblieben. Es kam ihm, wie schon Titel und Vorrede andeuten, besonders darauf an, seine früher ausgesprochenen Ansichten über die Richtung der kaiserlichen Reichspolitik durch unwidersprechliche Zeugnisse zu erhärten, also alles darauf bezügliche in möglichster Fülle zusammenzustellen. Zugleich erschien ihm, wie er sagt, wichtiger: „was man in Wien wollte“, als „was nach Wien über die Verhältnisse fremder Höfe berichtet wurde“. Deshalb hat er in weit überwiegender Zahl beinahe sämmtliche Weisungen des Ministeriums an die Gesandten, aber von den gesandtschaftlichen Berichten nur einzelne, besonders wichtige mitgetheilt. Diesen Mängeln wurde zum Vortheil der Wissenschaft durch Heinrich v. Zeißberg, der im Auftrage der Wiener Akademie die Fortsetzung des Werkes übernahm, seit dem 3. Bande 1882 in glücklicher Weise abgeholfen. Immer bleibt V. der Ruhm, die große Publication angeregt und zu einem beträchtlichen Theile selbst ans Licht gestellt zu haben. Auch habe ich, seinen Mittheilungen nachgehend, ihre Zuverlässigkeit durchweg bestätigen können und niemals bemerkt, daß er um vorgefaßter Meinungen willen bei der Aufnahme oder Abweisung des Urkundenmaterials willkürlich verfahren wäre. Durch den ersten 1868 erschienenen Band meines Werkes über die „Diplomatischen Verhandlungen der Revolutionszeit“ war ich zu den ihn beschäftigenden Streitfragen und bald zu ihm selbst in nähere Beziehungen getreten. Ich habe stets in ihm einen treuen, hülfsbereiten, uneigennützigen Freund gefunden. Vor mir liegt noch der Entwurf eines Vertrages, einer Art von Testament, durch welches er mir seinen litterarischen Nachlaß vermachen wollte; auch hat er mich niemals entgelten lassen, daß ich öffentlich oder im vertraulichen Gespräch in manchen Punkten ihm entgegentrat, seine bedingungslose Bewunderung für Thugut nicht theilen konnte und seine Vorwürfe gegen die preußische Politik öfters einseitig oder unbegründet fand. Er mag die Fehler seiner Vorzüge nicht immer vermieden haben, aber sicher darf man die Vorzüge nicht unbedeutend nennen.

[787] Wurzbach, Biogr. Lex. d. Kaiserth. Oesterreich LI, 85 ff. – Militär. Blätter XVII, 400 ff. Berlin 1867. – Mittheilungen der Familie sowie des mit Vivenot befreundeten Freiherrn Langwerth v. Simmern und eigene Erinnerungen.

[783] *) Zu S. 85.