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ADB:Volkmann-Leander, Richard von

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Artikel „Volkmann, Richard von“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 238–240, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Volkmann-Leander,_Richard_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:25 Uhr UTC)
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Band 40 (1896), S. 238–240 (Quelle).
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Volkmann: Richard v. V., geboren am 17. August 1830 zu Leipzig als Sohn des Anatomen und Physiologen Alfred Wilhelm V. (s. o.), ging sieben Jahre später mit seinem nach Dorpat berufenen Vater dorthin und kehrte mit demselben 1843 in das Vaterland zurück. Er besuchte darauf sechs Jahre lang die Fürstenschule in Grimma, widmete sich von 1850–54 dem Studium der Medicin auf den Universitäten Halle, Gießen und Berlin und hatte sich an letzterem Orte der besonderen Förderung von Seite Traube’s und Langenbeck’s zu erfreuen. Nachdem er am 26. August 1854 mit der Dissertation „De gangraena pulmonum“ in Berlin zum Doctor promovirt worden war und im folgenden Winter in Halle das Staatsexamen zurückgelegt hatte, trat er im Sommer darauf als Assistenzarzt in die chirurgische Klinik von Blasius, wo er im nächstfolgenden Sommer den wegen eines schweren Augenleidens beurlaubten Director vier Monate lang in der Leitung der Klinik zu vertreten und alle Operationen selbständig auszuführen hatte. Im Juni 1857 habilitirte er sich mit der Arbeit „0bservationes anatomicae et chirurgicae quatuor“ in Halle als Privatdocent der Chirurgie und schied als Assistent aus der chirurgischen Klinik aus, indem das Verhältniß des jungen, aufstrebenden, seine Zuhörer mehr als sein Lehrer fesselnden Docenten zu diesem ein unfreundliches geworden war. Da ihm jede Beziehung zur chirurgischen Klinik versagt war, mußte er zu der Thätigkeit eines praktischen Arztes greifen, war bald der gesuchteste Arzt in Halle und blieb in dieser anstrengenden und zeitraubenden Wirksamkeit bis zu seiner im März 1867 erfolgten Ernennung zum ordentlichen Professor und Director der chirurgischen Klinik, nachdem er im Februar 1863 zum Prof. extraord. ernannt worden war. Inzwischen war er bei aller ermüdenden praktischen Thätigkeit, sowol in Vorträgen und Cursen, darunter solchen über pathologische Anatomie, als in wissenschaftlichen, mit eigenhändigen vortrefflichen Zeichnungen ausgestatteten Arbeiten überaus fleißig gewesen. Es sind von denselben zu nennen: „Bemerkungen über einige vom Krebs zu trennende Geschwülste“ (Halle 1858); „Ueber Neubildung Haversischer Canäle im harten Knochengewebe (vasculöse Ostitis)“ und die vorzügliche Monographie „Die Krankheiten der Knochen und Gelenke“ (in Pitha-Billroth’s Handbuch der Chirurgie, 1865). Im J. 1866 leitete er vom Juli bis October als Chefarzt, ohne militärische Charge, unter schwierigen Verhältnissen die großen Lazarethe auf dem böhmischen Kriegsschauplatze in Trautenau.

Mit seiner Ernennung zum Leiter der Halleschen chirurgischen Klinik begann jene glänzende chirurgische Thätigkeit, welche ihn bald in die erste Reihe seiner Fachgenossen stellte. Jede neue Errungenschaft fand daselbst Eingang; zahlreich sind die von ihm für die chirurgische Behandlung gemachten Erfindungen und Verbesserungen. Alsbald hatte er die offene Wundbehandlung eingeführt, die ihm schon im Feldzuge 1866 gute Resultate geliefert hatte, während früher zeitweise die Mortalität in der Halleschen Klinik eine furchtbare gewesen war. Er blieb dieser Behandlungsweise bis zur Aera der Antiseptik treu. Im April 1870 begann er, in Verbindung mit hervorragenden Fachgenossen die Herausgabe einer Sammlung klinischer Vorträge aus allen Zweigen der praktischen Medicin, eine Publication, die seinen Namen bald in aller Welt bekannt machte. Während des deutsch-französischen Krieges war er in der Eigenschaft [239] eines consultirenden Generalarztes anfänglich als Chefarzt der Lazarethe in Mannheim, dann bei Sedan, von Ende September an aber vor Paris und nachdem er bereits nach Hause zurückgekehrt gewesen war, von Anfang Februar bis Mitte März bei der Südarmee in Dijon thätig. Während der einförmigen Belagerung von Paris entstand sein bedeutendstes, unter dem Pseudonym „Richard Leander“ berühmt gewordenes dichterisches Werk „Träumereien an französischen Kaminen“, die er für Frau und Kinder in der Heimath niedergeschrieben und in Feldpostbriefen in die Heimath gesandt hatte, nachdem die reiche dichterische Thätigkeit aus seiner Studenten- und Verlobungszeit durch eine anstrengende fachwissenschaftliche Beschäftigung eine lange Unterbrechung erfahren hatte.

Aus dem Felde zurückgekehrt, fand V. seine Klinik in einer überaus traurigen hygienischen, während der Jahre 1871, 72 fast ganz andauernden Verfassung. Da entschloß er sich im November 1872 zu einer Probe mit der von Joseph Lister erfundenen und empfohlenen antiseptischen Behandlung, die trotz der damaligen Umständlichkeit der Methode, in seinen Händen bald so günstige Resultate lieferte, daß er ein begeisterter Anhänger und Apostel derselben wurde und in seinen 1875 erschienenen „Beiträgen zur Chirurgie“ von der antiseptischen Methode rühmen konnte, sie habe die Chirurgie zum Range der jüngsten Experimentalwissenschaft emporgehoben, und daß er auf dem Internationalen medicinischen Congreß in London 1881 von ihr sagen konnte, daß die durch sie herbeigeführten Wandlungen ohne gleichen in der Geschichte der Medicin seien. Es ist daher das unbestrittene Verdienst Volkmann’s, durch Wort und Schrift thatkräftig für die Antiseptik gewirkt und unermüdlich an der Vereinfachung, Verbesserung und Verbreitung derselben gearbeitet zu haben, so daß sie in Deutschland so schnell und so allgemein, wie in keinem andern Culturlande, festen Fuß faßte und zum Gemeingut Aller wurde. Inzwischen war auf seinen und Gustav Simon’s Antrieb, in Gemeinschaft mit B. v. Langenbeck die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie gegründet worden, deren erste Sitzung am 10. April 1872 mit seinem Vortrags: „Zur vergleichenden Mortalitäts-Statistik analoger Kriegs- und Friedensverletzungen“ eröffnet wurde. Bis zu seinem Tode war V. auf den Congressen der Gesellschaft eines der thätigsten und anregendsten Mitglieder, und als Langenbeck nach 14jähriger Leitung derselben im J. 1886 sein Amt niederlegte, wurde V. an seiner Stelle zum Vorsitzenden erwählt und verblieb in dieser Stellung zwei Jahre lang. – 1877 wurde er zum Geh. Medicinalrath ernannt, 1878–79 bekleidete er das Rectorat der Universität Halle; 1879 ging endlich sein Lieblingswunsch in Erfüllung, in eine andere, nach seinen Angaben erbaute Klinik einziehen zu können, die sich bald als eine Musteranstalt erwies. – Von seinen wissenschaftlichen, meistens auf den Chirurgencongressen zur allgemeinen Kenntniß gebrachten Arbeiten führen wir noch an seine Bestrebungen, die verbesserte Technik der Exstirpation der krebsig entarteten Brustdrüse zugleich mit ihren Lymphdrüsen einzuführen, seine Mittheilungen über Paraffin- und Rußkrebs, Psoriasis linguae oder buccalis, seine Totalexstirpation der Gelenke ohne Knochenresection, seine Behandlung der Leberechinococcen und seine „Chirurgischen Erfahrungen über die Tuberculose“ (1885). – An Ehrungen, die ihm zu Theil geworden waren, finden wir die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes der Stadt Halle und die 1885 erfolgte Erhebung in den erblichen Adelstand.

Die letzten Lebensjahre Volkmann’s waren vielfach durch Krankheit getrübt; ein schleichend verlaufendes Rückenmarksleiden verursachte Schmerzen von großer Heftigkeit, die ihn öfter an der Ausübung seiner Berufspflichten hinderten und ihn zur Erholung zwangen, die er, wie früher in der Schweiz, so in der späteren Zeit meistens in Italien und dessen Kunstsammlungen suchte, [240] deren Anschauung und Bewunderung ihm große Befriedigung gewährte. Durch einen 17maligen Aufenthalt in Rom war er mit den dortigen Kunstschätzen vollständig vertraut. Ueberhaupt besaß er auf manchen anderen Gebieten, als seiner Fachwissenschaft eingehende Kenntnisse, wie sich dies z. B. in den auf einem sehr fleißigen Studium der provençalischen Dichtungen des frühen Mittelalters beruhenden Troubadourliedern, der letzten, wenige Monate vor seinem Tode erschienenen poetischen Gabe des Dichters, äußerte. – Nachdem es ihm, im Mai 1889 gestärkt aus Italien zurückkehrend, noch einmal möglich gewesen war, im Sommerhalbjahre mit seltenen Unterbrechungen seine Klinik zu halten, auch eine Monographie „Ueber den Krebs“ wesentlich zu fördern, hielt er sich zur Erholung in Jena auf, kam am 17. November nach Halle zurück, um an Berathungen über die Vorbereitungen des im folgenden Jahre in Berlin abzuhaltenden internationalen medicinischen Congresses theilzunehmen, zog sich aber auf der Rückkehr nach Jena eine Lungenentzündung zu, der er am 28. November erlag.

V. war seinem Aeußeren nach eine vornehme Persönlichkeit und konnte, wenn er wollte, von bezaubernder Liebenswürdigkeit sein; er war aber auch von bewunderungswürdiger Energie, ja selbst Zähigkeit, und wenn es ihm nöthig schien, konnte er sogar rücksichtslos sein. Allen seinen Kranken erweckte sein liebevolles Wesen Zuversicht und Hoffnung auf Heilung, wie Tausende, die solche von seiner Hand empfingen, bezeugen können. Als Lehrer war er unübertrefflich. Ein Meister der Form und der Rede, von hinreißender Lebhaftigkeit im Vortrage, vermochte er seinen Schülern die schwierigsten Verhältnisse klar zu legen und durch Zeichnungen zu erläutern, den scheinbar unbedeutendsten Gegenstand anziehend zu machen, einem gegebenen Stoffe immer neue Seiten abzugewinnen. Auf wissenschaftlichen Versammlungen griff er mit Schlagfertigkeit in die Discussion ein und war vermöge seiner hohen geistigen Begabung und seines schnellen Fassungsvermögens eines der hervorragendsten Mitglieder solcher. Seine dankbaren Mitbürger, Freunde und Schüler errichteten ihm vor der chirurgischen Klinik, der Stätte seiner vieljährigen Wirksamkeit, ein Denkmal, das am 1. August 1894 eingeweiht wurde.

Fedor Krause in Berliner klinische Wochenschrift, 1889, S. 1089, 1119 (mit einem vollständigen Verzeichniß seiner wissenschaftlichen u. belletristischen Arbeiten und Schriften). – E. v. Bergmann in Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 19. Congreß. 1890, I, S. 3.