ADB:Volkmann, Robert
Anacker das bedeutende Musiktalent Volkmann’s und bestimmte ihn sich ganz der Musik zu widmen. V. ging 1836 nach Leipzig, welches durch Mendelssohn’s Anwesenheit eine große Anziehungskraft für junge studirende Musiker erhalten hatte (das Conservatorium für Musik wurde erst 1843 errichtet). Hier wurde er Schüler C. F. Becker’s im Orgelspiel und in der Theorie. Weit größeren Einfluß übten aber auf ihn die unter Mendelssohn’s Direction stehenden Gewandhausconcerte [241] und der Umgang mit Rob. Schumann, dessen Empfindungs- und Ausdrucksweise mit seiner eigenen auffallend übereinstimmte, wenn er auch später als Componist seine eigenen Wege ging. 1839 erschien in Leipzig bei Schuberth sein erstes Werk: „Phantasiebilder für Pianoforte“. Der Titel verräth den Schumann’schen Einfluß, jedoch der Inhalt ist selbständig. Louis Ehlert schreibt in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung 1868, S. 316: Wenn ein Künstler sich in naturgemäßer Weise entwickelt, so brauchen wir für seine Bildungsgeschichte gar nicht die chronologische Reihe seiner Werke. Trägt diese letztere, wie es sein soll, den Charakter einer aufsteigenden Scala, so können wir mit voller Bestimmtheit alles Unreife an den Anfang und alles Vollendete an das Ende stellen. Bei V. trifft das nur selten zu, die Chronologie seiner Werke läßt keinen eigentlich organischen Entwickelungsgang erkennen. Ueberall eine ersichtlich ideale Haltung, ein reiches inniges Gemüthsleben, größtentheils unverkennbares Talent, und dabei wieder ein Sichgehenlassen, eine Unbekümmertheit, eine naive Kritiklosigkeit, die neben das Beste das Schwächste stellt. Obige Phantasiestücke nahm V. später nochmals vor, arbeitete sie zum Theil um und gab sie von neuem in Wien bei Spina ohne Opuszahl heraus. Ein Vergleich der ersten Ausgabe mit der neuen war mir nicht erreichbar. 1839 ging er nach Prag und ernährte sich als Musiklehrer, schrieb auch manches des lieben Broterwerbs halber. 1842 ließ er sich in Pest nieder, ging aber 1854 nach Wien und lebte dort bis 1858, worauf er sich dauernd in Pest niederließ. Sein äußeres Leben scheint sehr einfach dahin geflossen zu sein. Kummer und Sorge wird ihm nicht erspart geblieben sein, doch ist davon nichts der Außenwelt bekannt geworden. Das erste seiner Werke, welches die Aufmerksamkeit der Kunstwelt und Kunstfreunde auf sich zog, war das 1852 erschienene zweite Claviertrio in B–moll op. 5, bald darauf die beiden Streichquartette in A–moll und G–moll. Dieses zweite Trio ist bekanntlich dasjenige Werk, an welche sich die gespanntesten Erwartungen für die Zukunft des Componisten knüpften. In der That, nach einem solchen Löwenwurf war es dem Publicum nicht zu verargen, wenn es über die vielen zahmen Hausthiere, die darauf folgten, einigermaßen betroffen war. In der That, so viel V. auch nach dem Trio Vortreffliches geschaffen hat, über das B–moll-Trio ist er niemals hinausgekommen. Er hat nicht nur niemals seine Kräfte höher gesteigert, sondern auch niemals wieder diese Höhe erreicht. Das Trio ist ganz aus einem Guß, von den mächtigsten Dimensionen und ohne jeden Sprung. Man hat durchaus die Empfindung, daß nicht ein bloßes Talent, sondern eine geniale Hand dasselbe geformt. Keine Nachäfferei, keine Unsicherheit, kein Experimentiren verderben irgendwo den Eindruck der spontansten Unmittelbarkeit. Die Themen sind durchweg edel und prägnant, bald groß und feierlich wie im Anfange, bald anmuthig wie im Allegretto, bald feurig wie im Finale. Dabei ist über das Ganze ein Wohlklang ausgegossen, eine schöne Sicherheit des Colorits, daß man jener supplementären Empfindungen, die uns beim Anhören so vieler moderner Compositionen zu fortwährendem Retondiren nöthigen, ganz überhoben ist. Das Streichquartett ist seit Beethoven der Prüfstein für jeden Componisten. Das in A–moll, op. 9, beginnt mit einer für unser heutiges Empfinden fast gar zu einfachen Einleitung, an welche sich ein unbefangen heiteres Allegro schließt, von den reinsten Formen und ansprechenden Gedanken, deren Reiz weniger in ihrer Tiefe, als in ihrer glücklichen Vertheilung und Abrundung liegt. Das Adagio versucht tiefere Saiten anzuschlagen und sich im Beethovenschen Empfindungsgeiste zu bewegen. In der Mitte löst sich der Dreiviertel- in einen Neunachteltakt auf. Die erste Geige figurirt in starken Affecten zu dem ruhigen Gange der Unterstimmen und drückt ihre Erregung durch eine fast zu übertriebene Vermischung [242] ] der verschiedenartigsten Notenwerthe aus. Der 9/8 Takt verkürzt sich zum 6/8 Takt, bricht leidenschaftlich jäh ab, um einer zweiten Enclave Platz zu machen, welche im Charakter des Recitativs gehalten ist, und rhapsodisch auf das erste Thema zurückführt, mit welchem, etwas weicher ausgesponnen, der Satz schließt. Trotz vereinzeltem Werthvollen, will sich derselbe zu keinem rechten Ganzen fügen. Das Scherzo dagegen, welches jetzt folgt, hat jene reizende Einfachheit und Schlichtheit der musikalischen Erfindung, durch welche V., da sie ein hervorragender Zug seines Naturells ist, vielleicht berufen gewesen wäre, der Haydn unserer modernen Musik zu werden, wenn er sich nicht mitunter durch gelegentliche Espritmacherei und ein forcirtes Wesen untreu würde. Das Finale, rasch und tarantellenartig, hat viel Temperament, aber keinen sonderlichen Geist, wodurch diese Beweglichkeit doch allein noch genießbar würde. Das zweite Quartett in G–moll op. 14, ist ein recht lehrreiches Beispiel dafür, wie ein glücklicher Griff, ein einziger kühner Gedanke das Schicksal eines Musikstückes bestimmen kann. Nur wenig Hörer wird es geben, die dem ersten Satze nicht einen stark männlichen Charakter und ein ganz wunderbar ausgeprägtes G–moll zuerkennen werden. Den wesentlichsten Antheil daran hat das zweite Motiv des ersten Themas. Ein Motiv, so granithart und straff, mit den dazu erklingenden Synkopen, welche seinem heroischen Charakter noch ein besonderes Relief geben und so glücklich verwendet und verwerthet, daß es sich wie eine Steinader überall sichtbar und doch nicht zudringlich, durch das Ganze zieht, wird überall und stets einen bedeutenden Eindruck hervorrufen. Nach solchem Satze wird sich stets ein zweiter schwer behaupten und zwar um so mehr, da die langsamen Sätze Volkmann’s sterblichste Seite sind. Dieses Andante in Es–Dur, welches seine weltmüde Sentimentalität nicht einmal durch geistreiche Appretur zu verbergen weiß, sticht mächtig gegen den ersten Satz ab. Ganz vortrefflich in seiner sprudelnden Lebhaftigkeit ist wieder das Scherzo in G–moll, 6/8 Takt, nur ist V. das seltene Unglück passirt, daß der geistvolle und neckische Mund Mendelssohn’s dabei die Stichwörter gegeben hat. Der Eintritt des zweiten Themas auf dem einschneidenden A des Violoncells, der fugirte Mittelsatz, die elfenhafte Hast der Stimmen, die spukhafte Wiederkehr des Unisonomotivs in der Mitte, dies schöne Gleichgewicht zwischen Ruhe und Bewegung, Staccatoläufen und gebundener Cantilene, das Alles gehört unverkennbar dem Schöpfer der Sommernachtstraummusik an. So etwas kann selbst dem besten Künstler passiren. Der letzte Satz steht dem ersten nicht ebenbürtig zur Seite. Die Einleitung ist matt und der Zwischensatz in H–Dur mit dem dreitaktigen Rhythmus ist nicht ganz im Quartettstil gehalten, und macht den Eindruck als wenn der Abschnitt nicht hineingehörte. Trotz aller Einwendungen verdient das G–moll-Quartett Volkmann’s unsere Bewunderung und zeigt den Componisten als genialen Meister. V. hat noch 4 Quartette geschrieben, opus 34, 35, 37 und 43. Hervorzuheben sind das opus 35, 37 und 43, besonders das mittlere von den dreien zeichnet sich als das bedeutendere aus. Leidenschaftlich stürmt der erste Satz dahin, leider nicht frei von genialen Schroffheiten, ihm schließt sich ein gesangreiches Adagio an, vielleicht das beste was V. geschrieben hat, und ihm folgt gleich darauf ein Finale mit stark ausgesprochenem trotzigen Charakter, voller Feuer und Leben. Die andern beiden Quartette, opus 35 und 43 zeichnen sich durch eine gesunde, harmlose Musik aus, die einen außerordentlich wohlthätigen Eindruck hervorruft und wahrhaft heilkräftig wie Haydn’sche Musik auf die Nerven wirkt. Dies ist auch eines der großen Verdienste Volkmann’s, daß er in seinen Compositionen so oft zum einfachsten und doch zum Herzen sprechenden Ausdruck kehrt und den Beweis liefert, daß sich selbst in dieser Einfachheit Ursprünglichkeit und Genialität entwickeln kann. Seine beiden Sinfonien in D–moll, op. 44 [243] und in B–dur, op. 53, gehören zu den interessanteren Arbeiten der romantischen Epigonen. Wenn sie auch nicht entfernt die tiefe Kraft des Schumann’schen Sujectivismus besitzen, so wird man ihnen doch eine Fülle von Reizen nicht absprechen können. Die D–moll-Sinfonie beginnt mit einem sehr pathetischen Satze, fast von der Stilkraft Cherubini’s. Während das erste Motiv weniger Ansprechendes besitzt, ist das zweite mit seinem imitatorischen Geflechte ungemein wohllautend. Der ganze Satz hat etwas Würdiges und Abgeklärtes und ruft einen bedeutenden Eindruck hervor. Das hierauf folgende Andante, trotz seiner Verwandtschaft mit Gade, ist außerordentlich gesangreich gehalten. Holzbläser führen den Gesang ein, die Streichinstrumente und Hörner treten alternirend hinzu, und ohne eigentlichen Mittelsatz zu bilden, spinnt sich der Satz cantilenenartig zu Ende. In der Mitte des Satzes geräth der Fluß der Melodie einmal ins Stocken und in langgezogenen Accorden schweben die Saiteninstrumente um die beiden Hörner. Es ist eine coloristische Wirkung von der lieblichsten Art. Die Instrumentation des ganzen Satzes ist von der keuschesten Einfachheit. Das nun folgende Scherzo ist rhythmisch von großem Reiz und das darauf folgende Trio gibt ihm erst den rechten Werth. Der letzte Satz bekämpft mit geschickter Hand die Gefahr, die in der zu großen Aehnlichkeit zwischen den beiden Themen liegt. In einem Sinfoniesatze müssen die beiden Motive Gegensätze bilden, sonst verfällt der Satz der Monotonie und macht dem Componisten das Leben schwer. Es ist bewundernswerth wie glücklich der Autor die Klippe umschifft. Die zweite Sinfonie in B–dur ist noch besser disponirt; die Themen des ersten Satzes sind von packender Kraft, gepaart mit den anmuthigsten Stimmungsbildern. Der zweite Satz ist eines jener stimmungsvollen heiter bewegten Stücke, deren Vorbilder Beethoven in der achten Sinfonie geschaffen hat. Der dritte Satz ist eigentlich nur eine breit ausgesponnene Einleitung zum Finale und läßt manche kritische Ausstellung zu, ebenso das Finale, welches zu dünn instrumentirt ist und sich weit besser im vierhändigen Arrangement macht. Man staunt, wenn man den Satz vom Orchester und dann auf dem Pianoforte hört, auf letzterem entwickelt sich Leidenschaft und Uebermuth, gepaart mit der ausgelassensten Lustigkeit, während die Wirkung bei der Orchesterausführung matt und langweilig ist. Es erübrigt nur noch seine Werke für Gesang zu erwähnen. Er schrieb 2 Messen, ein Offertorium und geistliche mehrstimmige Gesänge, Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte und mehrere Hefte für Männerstimmen. Die beiden Messen sind für Männerstimmen ohne Begleitung geschrieben und trotz aller möglichen Kunst bei den geringen Mitteln ist es V. nicht gelungen, die spröde Masse zu einem erträglichen Eindruck zu bringen. Das Offertorium und die geistlichen Gesänge rufen einen besseren Eindruck hervor, ohne gerade uns mit Begeisterung zu erfüllen. Das Offertorium ist ein dankbar geschriebenes Stück, leicht ausführbar und für den Gottesdienst berechnet. Aus seinen weltlichen Gesangsstücken sind besonders hervorzuheben „An die Nacht“ für eine Altstimme und Orchester und die Ode „Sappho“ für Sopran und Orchester. Beide Werke sind höchst bedeutend und werth recht oft gehört zu werden. Von seinen Liedern ist nur ein und das andere beachtenswerth, so in op. 16 „Am See“ und op. 32 „Ruhe in der Geliebten“.
Volkmann: Robert V., ein bedeutender Componist der Neuzeit, zu Lommatzsch in Sachsen am 6. April 1815 geboren und am 29. zum 30. October 1883 zu Pest gestorben. Sein Vater, Friedrich August Gotthelf V., war seit 1802 an obigem Orte Cantor und zweiter Knabenlehrer und unterrichtete seinen Sohn selbst, sowol in den Schulwissenschaften als in der Musik; derselbe erhielt auch vom Stadtmusikus Friebel Unterricht auf Streichinstrumenten, so daß er als zwölfjähriger Knabe sowol den Vater auf der Orgelbank vertreten, als in Streichquartetten mitwirken konnte. Trotz der sich zeigenden Veranlagung zur Musik, bestimmte ihn dennoch der Vater zum Lehrerstande und schickte ihn auf das Seminar zu Freiberg i/S. Dort erst erkannte der MusikdirectorDie Biographien in den neueren Musiklexicis von Riemann und Mendel-Reißmann und die kurze biographische Skizze in Bagge’s Deutscher Musikzeitung, Wien 1860, S. 12 sind in ihren kurzen trockenen Notizen das Einzige was uns über Volkmann’s Leben mitgetheilt wird. Hätte nicht Louis Ehlert in der Leipziger Musikzeitung, wie oben erwähnt, ihm einen umfassenden, seine Werke beurtheilenden Artikel gewidmet, so wäre V. heute wol fast vergessen, nachdem er erst etwas über ein Jahrzehnt der Erde entrissen ist.