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ADB:Traube, Ludwig

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Artikel „Traube, Ludwig“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 504–507, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Traube,_Ludwig&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:07 Uhr UTC)
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Traube: Ludwig T., berühmter Arzt und Kliniker, wurde am 12. Januar 1818 als Sohn des Großweinhändlers Wilhelm T. und älterer Bruder des später durch hervorragende Arbeiten auf dem Gebiete der Chemie ausgezeichneten [505] Moritz T. († zu Berlin am 26. Juni 1894) zu Ratibor in Oberschlesien geboren. Er besuchte anfangs eine Privatschule, dann vom 10. bis zum 17. Lebensjahre das Gymnasium seiner Vaterstadt, wo er sich besonders durch seinen Sinn für Mathematik und philosophische Propädeutik hervorthat. Ostern 1835 bezog T., eigener Neigung, sowie einem väterlichen Wunsche folgend, die Universität Breslau zum Studium der Medicin. Hier fesselte ihn am meisten der physiologische Unterricht Purkinje’s; zugleich widmete er sich lebhaft philosophischen Privatstudien, namentlich studirte er gründlich Spinoza und Baco von Verulam. 1837 vertauschte T. Breslau mit Berlin, hörte hier mit Vorliebe Johannes Müller und beschäftigte sich eifrig mit Pflanzenphysiologie und Mikroscopie, sowie mit dem Studium der französischen Medicin, besonders der Werke von Magendie und Laënnec. Am 3. Februar 1840 erlangte er mit seiner, „Specimina nonnulla physiologica et pathologica“ betitelten Inauguralabhandlung die Doctorwürde. (Die betr. Arbeit zerfällt in drei Abtheilungen: a) De dyspnoea in pulmonum emphysemate; b) De telarum primitivarum metamorphosi; c) Casus cretinismi scrofulosi, quem observavit auctor.) Unmittelbar darnach machte er eine wissenschaftliche Reise von dreivierteljähriger Dauer nach Wien, wo er sich unter Skoda und Rokitansky in der Handhabung der physikalischen Untersuchungsmethoden und in der pathologisch-anatomischen Diagnostik ausbildete. Nach Berlin zurückgekehrt, bestand er hier 1841 das Staatsexamen und ließ sich zunächst als Arzt nieder. Doch sagte ihm die rein praktische Thätigkeit wenig zu, vielmehr fuhr er fort, sich eingehender wissenschaftlicher Arbeit zu widmen. Als Assistent des Armenarztes der Rosenthaler Vorstadt, Dr. Natorp, sowie später von dessen Nachfolger, dem jetzigen Geheimen Sanitätsrath Dr. Ph. J. L. Klein, benutzte er das große armenärztliche Krankenmaterial zu weiteren klinischen Beobachtungen und Studien, wobei ihm die in Wien erlangte Fertigkeit in den neueren Untersuchungsarten mit Hülfe der Percussion und Auscultation außerordentlich zu statten kam. Nachdem er im Sommer 1843 trotz pecuniärer Schwierigkeiten zu seiner vollkommenen Ausbildung einen abermaligen Aufenthalt in Wien durchgesetzt hatte, eröffnete er noch in demselben Jahre zunächst in einem engeren Kreis von praktischen Aerzten Lehr- und Demonstrationscurse mit Auscultations- und Percussionsübungen, welche sich bald großer Beliebtheit erfreuten und T. den Ruf eines tüchtigen und gewandten Untersuchers, bezw. Diagnostikers verschafften. Leider mußten die immer mehr Zulauf findenden Curse nach einiger Zeit ganz eingestellt werden, da die Berliner Armendirection die Erlaubniß zur Benutzung des Krankenmaterials infolge von Klagen über große Belästigungen durch das viele Percutiren und Auscultiren zurückzog. T. wandte sich daher anderen wissenschaftlichen Arbeiten zu. Er begann experimentelle Untersuchungen an Thieren zu machen und zwar speciell zu dem Zweck des Studiums krankhafter Vorgänge an denselben. Hierbei assistirten ihm seine Schüler und Freunde, der später ruhmlos untergegangene Arnold Mendelssohn, Rühle, z. Th. auch Joseph Meyer. Als Resultat dieser Forschungen, die zunächst in primitivster Weise in Traube’s Wohnung, dann mit Erlaubniß von Gurlt in der Thierarzneischule an Hunden angestellt wurden, erschien Traube’s Aufsehen erregende Arbeit über „Die Ursachen und die Beschaffenheit derjenigen Veränderungen, welche das Lungenparenchym nach Durchschneidung der Nervi vagi erleidet“, durch die er im Verein mit zahlreichen anderen nachfolgenden der Begründer der experimentellen Pathologie in Deutschland geworden ist. Schon während dieser Zeit (1845) trat T. in Beziehungen zu Reinhardt und Virchow, damals Prosector an der Charité unter Froriep, und gründete zusammen mit diesen Forschern ein neues Journal unter dem Titel: „Beiträge zur experimentellen Pathologie“, in dem er außer der oben genannten berühmten Monographie [506] die gleichfalls bedeutende Arbeit „Beitrag zur Lehre von den Erstickungserscheinungen am Respirationsapparat“, sowie eine „geradezu epochemachende“ (Leyden) Vorrede (1846–47) publicirte. Doch hörte das Journal bald auf zu erscheinen. Der Ausbruch der Revolution von 1848 ermöglichte T. als Juden die Habilitation als Privatdocent an der Berliner Universität und ein Jahr später (1849) erhielt er als der erste Civilassistent Anstellung an der Klinik der Kgl. Charité unter Schönlein speciell mit dem Auftrage, in der Auscultation und Percussion Unterricht zu ertheilen. In dieser Stellung entfaltete T. fortab seine glänzende und ganz außerordentlich fruchtbare Thätigkeit als Forscher und Lehrer; er wurde 1853 zum dirigirenden Arzt einer Abtheilung, 1857 zum außerordentlichen Professor und später zum Chef der eigens für ihn (nach Erledigung der zweiten Klinik durch den Abgang E. Wolff’s) so betitelten „propädeutischen Klinik“ ernannt. 1862 wurde er Lehrer an den militärärztlichen Bildungsanstalten, 1866 erhielt er den Titel als Geheimer Medicinalrath, während die lange vorher verdiente Ernennung zum ordentlichen Professor infolge confessioneller Bedenken sich bis 1872 hinzog. Einen nach Schönlein’s Abgang 1859 an T. ergangenen Ruf nach Breslau hatte er abgelehnt. In den letzten Lebensjahren kränkelte T. viel und war zu öfteren Unterbrechungen seiner Lehr- und praktischen Thätigkeit genöthigt. Sein Tod erfolgte am 11. April 1876. – T. gehörte unbedingt nicht bloß zu den glänzendsten Zierden der Berliner Hochschule, sondern muß auch als eine Koryphäe der neueren, exacten und naturwissenschaftlichen Periode der Medicin bezeichnet werden, die er in dreifacher Beziehung gefördert hat, als Lehrer, als Experimentator, besonders pathologischer, und als klinischer Diagnostiker. In ihm war eine glückliche Mischung von philosophischem Geist und der Fähigkeit naturwissenschaftlichen, namentlich physikalischen Denkens und nüchterner Beobachtungsgabe vertreten. So ist er zum genialen Pfadfinder der med. Wissenschaft und Kunst geworden, in deren Annalen sein Name und sein Andenken unauslöschlich sein werden. – Traube’s Vorträge am Krankenbette, die klinischen Unterweisungen zeichneten sich dadurch aus, daß sie sich immer streng an den vorgestellten Fall hielten. Während die Auseinandersetzungen vieler klinischer Lehrer mehr allgemeiner Art sind und nur dieses oder jenes Capitel der speciellen Krankheits- und Heilslehre (Pathologie und Therapie) betreffen, zu dessen Wahl der jedesmalige vorgestellte Fall rein zufälligen und mehr äußeren Anlaß bietet, also sehr gut auch ohne Krankenvorstellung unter Umständen verständlich und denkbar sind, wie das z. B. bei den zeitweise recht glänzenden, meist sehr ruhigen und kühlen, häufig zu nüchternen und fast cynischen Vorträgen von Traube’s großem Rivalen, dem vorzüglichen Diagnostiker Frerichs, der Fall war, trugen die Unterweisungen Traube’s, der mit Leib und Seele akademischer Jugendlehrer war, durchaus individuelles Gepräge. Stets gingen sie von dem vorgestellten klinischen Fall aus, hielten sich lediglich an diesen und waren ohne ihn kaum möglich. Dadurch erlangte Traube’s Lehrmethode die besonders anregende und fesselnde Kraft und wurde für den jungen Mediciner eine für seinen künftigen Beruf recht erziehliche, eine im besten und wirklichen Sinne des Wortes propädeutische. Besonders verdienstvoll und beliebt waren Traube’s sogen. Ambulatorien, d. h. die von ihm geübte Sitte, mehrmals wöchentlich (abwechselnd mit den stationären Vorlesungen) stundenlang mit seinen Hörern die klinischen Säle von Bett zu Bett zu durchwandern und dabei gleichsam peripatetisch zu lehren. Hierbei sprudelten seine Vorträge von Bemerkungen medicinisch-ethischen, man darf sagen religiös-philosophisch-medicinischen, aber auch vielfach allgemein pathologischen und in besonders reichem Maaße historischen Inhalts; sie gestalteten sich dadurch zu einer Art von therapeutisch-klinischem Gottesdienst, bei dem man den hehren, antiken, so zu sagen hellenischen Geist [507] und den weihevollen Hauch Hippokratischen Kunstsinnes zu verspüren meinte. Nicht wenig trug hierzu Traube’s Gewohnheit bei, gewisse „wichtige Sätze“ in Gestalt von knapp und scharf formulirten, aphoristisch-dogmatischen Aperçus aufzustellen, welche fast den Hippokratischen Aphorismen ähnelten. Namentlich wurde T. nicht müde, immer wieder auf das Sittliche im Beruf des Arztes hinzuweisen und seinen Schülern die Nothwendigkeit, bezw. die Regeln hinsichtlich des decens habitus einzuprägen. Auch bestand ein Hauptvorzug seiner Lehrthätigkeit darin, daß er die Therapie stets sehr eingehend behandelte, wobei er nicht selten auch manches (angeblich veraltete) Rüstzeug aus dem Arsenal seines reichen historischen Wissens und Könnens hervorzulangen sich nicht scheute. – Soviel über Traube’s gesegnete Wirksamkeit als akademischer Lehrer, die Verfasser dieser Biographie noch das Glück hatte, während mehrerer Semester 1874–75, wo er T. als Schüler und Famulus näher stand, aus eigener Anschauung kennen und schätzen zu lernen. – Traube’s Forscherthätigkeit ist durch epochemachende Arbeiten doppelter Art gekennzeichnet: einmal durch die berühmten, schon oben genannten experimentell-pathologischen Untersuchungen, denen sich später noch Abhandlungen über Fieber, über die Wirkungen der Digitalis, über den Zusammenhang von Herz- und Nierenkrankheiten u. a. hinzugesellten, dann durch außerordentlich zahlreiche Publicationen klinisch-casuistischen Inhalts, die z. Th. in den Charité-Annalen, zum größeren Theil in den Verhandlungen der Berliner med. Gesellschaft erschienen, deren sehr eifrig förderndes Mitglied T. war. Eine Zusammenstellung aller dieser, auch in anderweitigen Journalen zerstreuten Veröffentlichungen bilden die drei umfangreichen Bände, welche u. d. T.: „Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie“ erschienen (Bd. I enthaltend die experimentellen Untersuchungen, Berlin 1871; Bd. II enth. die klinischen Arbeiten, ebda.; Bd. III nach dem Tode Traube’s von seinem Neffen, dem zeitigen klin. Director am städtischen Urban-Krankenhause zu Berlin, Albert Fraenkel, ebda. 1878 edirt, enthält die Tagebücher und den wissenschaftlichen Nachlaß Traube’s). Selbständig erschien noch die kleine, unvollendet gebliebene Monographie: „Die Symptome der Krankheiten des Respirations- und Circulationsapparates“ (Berlin 1867). – Nicht unerwähnt bleibe, daß T. als consultirender Arzt sich großer Beliebtheit besonders bei den Berliner Berufsgenossen erfreute, wozu sein wohlwollender, collegialer Sinn und seine geistreichen diagnostischen Bemerkungen am Krankenbette nicht wenig beitrugen; erwähnenswerth ist ferner der Umstand, daß T. 1875 bei Gelegenheit des Leydener Universitäts-Jubiläums zum Ehrendoctor dieser Hochschule ernannt wurde. – Die Zahl der aus Traube’s Unterricht direct oder indirect hervorgegangenen Schüler ist Legion. Wir begnügen uns als einen von den bedeutenderen seinen Nachfolger E. Leyden zu nennen, dessen Gedächtnißrede z. Th. den obigen Zeilen zu Grunde gelegt wurde.

Vgl. ferner Biogr. Lexikon etc. V, 714.