Zum Inhalt springen

ADB:Weitzmann, Karl Friedrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Weitzmann, Karl Friedrich“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 635–637, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weitzmann,_Karl_Friedrich&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 15:23 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Weixer, Romanus
Band 41 (1896), S. 635–637 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Carl Friedrich Weitzmann in der Wikipedia
Carl Friedrich Weitzmann in Wikidata
GND-Nummer 119189275
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|41|635|637|Weitzmann, Karl Friedrich|Robert Eitner|ADB:Weitzmann, Karl Friedrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119189275}}    

Weitzmann: Karl Friedrich W., ein Componist, Theoretiker, Musikhistoriker und Violinist, geboren am 10. August 1808 zu Berlin, † am 7. November 1880 ebendort. Unter Karl Wilhelm Henning bildete er sich zum Violinisten aus, erreichte jedoch keine virtuose Fertigkeit. Contrapunktische Studien machte er unter Bernh. Klein, ging dann 1827 nach Kassel, wahrscheinlich als Violinist am Theaterorchester und vollendete seine Ausbildung durch den Umgang mit Spohr, dem dortigen Capellmeister, und Hauptmann, der als Violinist im Orchester angestellt war. Von hier aus wandte er sich 1832 nach Riga und wurde als Violinist am Theaterorchester angestellt, gründete dort mit Heinrich Dorn, der daselbst Capellmeister war, einen Gesangverein und führte größere Gesangswerke auf. Von Riga ging er 1834 als Musikdirector an die deutsche Oper nach Reval, wo er Gelegenheit fand auch eigene dramatische Compositionen zur Aufführung zu bringen, die aber beim Publicum wenig Anklang fanden. Rußland mußte damals alle besseren musikgebildeten Kräfte aus dem Auslande beziehen. Es hatte zwar seine russische Jagdmusik, die mit Hülfe des Kantschus den Bläsern eingeprügelt wurde, doch damit war es auch am [636] Ende seiner Leistungsfähigkeit, mit Ausnahme einiger weniger Componisten, die sich im Auslande gebildet hatten. Es blieb daher den vornehmen Russen nichts übrig, um gleiche Kunstgenüsse wie andere Länder zu haben, als sich aus dem Auslande, besonders dem deutschen Nachbarreiche, Musiker zu verschreiben, die im Theater und Concert jegliche Kunstleistung ermöglichten. Die Gehälter nebst einer ansehnlichen Pension nach einer Dienstzeit von zehn Jahren bildeten die sicherste Anziehungskraft und wie im 17. und 18. Jahrhundert England der Anziehungspunkt aller geldbedürftigen Künstler war, so im 19. Jahrhundert Petersburg. Auch W. erhielt den Antrag als Violinist ins Petersburger Theaterorchester einzutreten und er folgte gern diesem Rufe, saß seine zehn Jahre am Notenpulte ab und kehrte nach Deutschland zurück. In Petersburg dirigirte er noch nebenbei den Kirchenchor der deutschen St. Annakirche und schrieb für denselben eine Reihe liturgischer Gesänge. Bis zum Jahre 1848 reiste er theils mit dem Oboisten G. Brod durch Finnland und gab Concerte, theils benützte er die Zeit um Paris und London mit ihren Kunstschätzen kennen zu lernen. In London wurde ihm sogar eine Violinistenstelle an der italienischen Oper angetragen, die er auch eine Zeit lang einnahm. Im J. 1848 kehrte er nach Berlin zurück, ließ sich häuslich nieder, gab Musikunterricht, componirte, sammelte eine Musikbibliothek und betrieb besonders theoretische und historische Studien. Als Richard Wagner’s Opern bekannt wurden und sich Kreise von Verehrern und Verächtern bildeten, die in der feindseligsten Weise aufeinander einstürmten, war er einer der Ersten, die Wagner’s Partei ergriffen. Dem Vorwurfe, daß Wagner keine theoretischen Studien gemacht haben könne, trat er 1853 in einer Abhandlung über den übermäßigen Dreiklang entgegen (bei Trautwein in Berlin erschienen), die sich ganz besonders auf Wagner’sche Harmoniefolgen bezieht und deren Berechtigung nachzuweisen sucht. Dieser folgte 1854 die „Geschichte des Septimen-Akkordes“ (Berlin bei Guttentag), wo er ebenfalls bemüht war die außergewöhnliche Verwendung desselben in der Wagner’schen Oper zu begründen und ihre Berechtigung nachzuweisen. Einen gleichen Zweck verfolgte die in demselben Jahre bei Peters in Berlin erschienene Abhandlung über den verminderten Septimenakkord. Im nächsten Jahre gab er einen Beweis seiner historischen Studien in dem kleinen Werke: „Geschichte der griechischen Musik“ (Berlin 1855), die hauptsächlich aus Proben altgriechischer Melodien nebst Mittheilung von 40 neugriechischen Volksmelodien besteht. 1860 erschien sein preisgekröntes „Harmoniesystem“ (Leipzig), worin er auf Grund Beethoven’scher und Wagner’scher Harmoniefolgen der alten Theorie den Krieg erklärte und sich bemühte die Grenzen zu erweitern, die bis dahin als ausreichend gegolten hatten. Weitzmann’s Schriften erregten in der Musikwelt eine wahre Revolution und es regnete Schriften für und wider, bis sich schließlich dennoch die Wogen glätteten und nach Jahrzehnten die neuen Errungenschaften Allgemeingut wurden. 1861 erschien bei Kahnt in Leipzig die Schrift: „Die neue Harmonielehre im Streit mit der alten. Mit einer musikalischen Beilage, betitelt: Albumblätter zur Emancipation der Quinten, und Anthologie klassischer Quintenparallelen“. Mit diesem kleinen aber bedeutungsvollen Werke beschloß er seine theoretischen Streitschriften und betrieb nur noch historische Studien neben kleinen Compositionen im kanonischen Stile, worin er Meister war. Unter die ersteren gehört seine „Geschichte des Clavierspiels“ als 3. Band zu Lebert und Stark’s großer theoretisch-praktischer Clavierschule (Stuttgart 1861–1863, 3 Bände). Für die damalige Zeit, wo die Musikgeschichte noch in den Kinderschuhen steckte, genügte wol die Arbeit, doch selbst eine 2. Auflage (1879 ebd. erschienen) umfaßte zu geringe Quellenwerke, die es ermöglichten, eine auf Documenten beruhende Darstellung der Entwicklung der Claviercomposition, in Verbindung [637] mit dem fortschreitenden Clavierbau, zu geben. Weitzmann’s Compositionstalent war nur klein, doch er wußte es durch contrapunktische Formen in der geschicktesten Weise zu verwerthen. So schrieb er z. B. zwei Hefte „Contrapunktische Studien“ (Leipzig), die nur auf zwei Notensystemen im Violinschlüssel notirt waren und doch vierhändig gespielt werden mußten, indem nämlich der zweite Spieler dieselben Noten im Baßschlüssel spielte. Ebenso sind seine 2 Hefte „Musikalische Räthsel zu 4 Händen“ abgefaßt; ferner schrieb er 900 Präludien und Modulationen für Pianoforte oder Orgel, 1. im classischen Stile, 2. im romantischen Stile. Die Erfindung ist nur klein, doch weiß er seine kleinen Gedanken so zu verwerthen, daß sie jedem Spielenden das größte Vergnügen bereiten werden, denn Wohlklang und Formengewandtheit sind ihm durchweg eigen. Ich hatte mehrfach Gelegenheit, W. persönlich kennen zu lernen und da ich mich noch im Beginne meiner historischen Studien befand, so hoffte ich an ihm, der eine so umfangreiche Bibliothek älterer Werke besaß, eine hülfreiche Unterstützung zu finden. Doch er schien von Natur zur Mittheilung wenig geneigt zu sein; stumm und verschlossen hörte er meine Bitte an und wehrte jede Einsicht in seine Bibliothek in drastischer Weise ab. Später trat er in die Gesellschaft für Musikforschung ein, die ich im J. 1869 gründete, doch auch hier wies er jede thätige Mithülfe ab. Wol mögen ihn die heftigen Angriffe der Wagnergegner verbittert haben und so verschloß er sich in sein Arbeitszimmer und wollte von der Welt nichts mehr wissen. Seine reichausgestattete Bibliothek zerstreute sich nach seinem Tode in alle Winde.

Mendel-Reißmann und die Musikzeitschriften nebst eigener Bekanntschaft.