ADB:Werder, Diederich von dem
Tasso’s und Ariost’s, wurde als Sprößling eines uralten adligen Geschlechts zu Werdershausen im Herzogthum Anhalt-Köthen am 17. Januar 1584 geboren. Er erhielt seine Erziehung in Kassel, wo ein naher Verwandter, Hans v. Bodenhausen, als Prinzenhofmeister und Vorsteher der fürstlichen Hofschule, des späteren Collegium Mautitianum, wirkte. Kassel war in jener Zeit, unter der Regierung Moritz des Gelehrten (s. A. D. B. XXII, 268 ff.) ein Hauptsitz der Renaissancebildung in Deutschland. Der Landgraf bethätigte sich selbst auf den verschiedensten wissenschaftlichen und künstlerischen Gebieten, [768] er erdachte ritterliche Schauspiele, deren Gegenstand er den epischen Dichtungen Ariost’s und Tasso’s entnahm, sein Hof war der zweite, an dem ständig eine Truppe englischer Komödianten weilte, Musik und die neueren Sprachen fanden dort eifrige Pflege. Als Kammerpage wuchs W. unter den Augen des Landgrafen auf und alle seine Geistesgaben wurden von trefflichen Lehrern, unter denen Rudolf Goclenius (s. A. D. B. IX, 308 ff.) hervorzuheben ist, ausgebildet. Später studirte er in Marburg Rechtswissenschaft und Theologie, unternahm die übliche Bildungsreise nach Frankreich und Italien, wurde nach der Rückkehr zum Stallmeister und Kammerjunker ernannt und stieg bald zum Oberhofmarschall und Geheimen Rath auf. Daneben wurde er Ephorus des Collegium Mauritianum und leitete als Nachfolger seines Verwandten die Erziehung der Kinder des Landgrafen. Mehrfach betheiligte er sich auch erfolgreich an Turnieren und Kartellen bei Gelegenheit fürstlicher Hochzeiten und bei der Krönung des Kaisers Matthias, der ihn auch bei seiner Vermählung mit Dorothea Katharina v. Waldau am 21. Juni 1618 reich beschenkte. Werder’s Vermählung fällt in die Zeit, in welcher er vielfach vom Landgrafen zu diplomatischen Diensten verwendet wurde. Die außerordentlichen Schwierigkeiten der politischen Lage des Fürsten und seines Landes spiegeln sich in den mannichfaltigen Gesandtschaftsreisen Werder’s ab, die ihn nach Dänemark, an den Haag, nach Braunschweig und Berlin führten. Am Convent zu Mühlhausen nahm er 1620 theil mit dem Auftrage, den Kurfürsten Johann Georg von Sachsen zum Festhalten an der Sache der Evangelischen zu bewegen, und eine eigene, jetzt wie es scheint verlorene Schrift enthielt Werder’s Anrede an den Kurfürsten und dessen Antwort. Bei dieser Gelegenheit wird wol auch Werder’s Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft erfolgt sein, deren 20. Mitglied er unter dem Namen „der Vielgekörnte“ wurde; wenigstens läßt sich innerhalb des Jahres 1620, in dem er laut dem Gesellschaftsbuche beitrat, keine andere Veranlassung finden, bei der er mit den Häuptern der Vereinigung, zumal mit Ludwig von Anhalt-Köthen, ihrem eigentlichen Leiter, zusammengetroffen sein könnte.
Werder: Diederich von dem W., der erste deutsche Uebersetzer der großen epischen WerkeAls im J. 1622 das Unheil der kaiserlichen Execution unter Führung Tilly’s über Hessen hereinbrach, sandte Moritz vergebens W. an die Höfe von Kursachsen, Brandenburg, Eisenach, Coburg und Weimar. Es erschien keine Hülfe, W. fiel in Ungnade „in einer die Stadt Volkmarsen und die Landes-Defension betreffenden Sache“ und resignirte am 21. Juli 1622 auf seine Stellen in hessischen Diensten. Er begab sich auf sein Gut Reinsdorf bei Köthen und begann nun, sich seinen dichterischen Neigungen mit großem Eifer hinzugeben. Zuvor dürfte er kaum irgendwie sein poetisches Talent bewiesen haben. Wenigstens wissen die zahlreichen Gelegenheitsgedichte bei seiner Hochzeit, die sich gewiß keinen Vorzug ihres Helden entgehen ließen, nichts von einer Beschäftigung Werder’s auf litterarischem Gebiete zu melden, und in den folgenden, wild bewegten Jahren von 1618–22 wird er schwerlich Zeit und Ruhe zu poetischen Werken gefunden haben.
Vielmehr können wir mit Sicherheit annehmen, daß erst der ständige lebhafte Verkehr mit den in Köthen wohnhaften Führern der Fruchtbringenden Gesellschaft ihn dazu angeregt hat, in ihrem Sinne für die Erhebung und Reinigung der deutschen Sprache und Dichtung zu wirken und so für Deutschland mit den andern Völkern um die Palme poetischen Ruhmes zu ringen. Daß dies nur auf dem Boden der Renaissancepoetik, mit möglichster Anpassung an die antiken und die antikisirenden modernen Dichter geschehen könne, darüber herrschte kein Zweifel. Mochte W. auch vielleicht schon von den parallelen Bestrebungen Martin Opitzens Kunde erhalten haben, als deren einzige Zeugnisse damals freilich erst eine kleine Gelegenheitsschrift und wenig umfangreiche Einzeldrucke [769] von einigen Dichtungen vorlagen, sein Vorbild war sicher nicht Opitz, sondern Tobias Hüebner (s. A. D. B. XIII, 272 und als Ergänzung der dortigen, zum Theil unrichtigen und unvollständigen Angaben S. 3–22 in dem unten genannten Buche Witkowski’s). Hüebner hatte die ersten Regeln für eine neue, formal geregelte deutsche Dichtung aufgestellt und sie in einem Uebersetzungswerke von gewaltigem Umfang zur Anwendung gebracht. Das Princip, von dem er ausging, war der denkbar genaueste Anschluß an die Form der Vorlage, und denselben Grundsatz finden wir wieder in dem bedeutsamen Unternehmen Werder’s. Tasso’s „befreites Jerusalem“ in gebundener Form ins Deutsche zu übertragen. Er begann damit bald nachdem er den Kasseler Hof verlassen hatte, und vollendete die Arbeit bis zum Jahre 1624, also noch ehe Opitzens Buch von der Deutschen Poeterey und die erste Sammlung seiner Gedichte ans Licht trat. Freilich vergingen infolge der prächtigen Ausstattung des Druckes mit Merianischen Kupferstichen noch zwei Jahre, bis das „erlösete Jerusalem“ 1626 in Frankfurt a. M. erschien. In der Vorrede setzt W. sich mit der Opitzischen Gesetzgebung auseinander und theilt Proben einer neuen großen, selbständigen Dichtung „von der Herrlichkeit Christi“ mit, in der er den Anforderungen des „Fürsten aller Teutschen Poeten“ genauer zu entsprechen sucht, von der aber nie mehr als das hier mitgetheilte bekannt geworden ist. Werder’s Tasso, sein erstes und zugleich sein Hauptwerk, ist ohne Zweifel eine in mannichfachen Beziehungen bedeutende Leistung. Gegenüber den großen Uebersetzungswerken der vorhergehenden Periode zeichnet es sich schon durch die Wahl des Stoffes erheblich aus; mit sicherem Blick erfaßt W. diejenige Dichtung, die am glänzendsten den Charakter der in den Barockstil übergehenden Spätrenaissance trägt und so dem neu in Deutschland zur Herrschaft gelangenden Geschmack entspricht, und sucht auch in der Form so viel wie möglich von der schimmernden Pracht der Sprache und Verskunst Tasso’s zu bewahren. Freilich mangelten ihm die Mittel, um dieses Streben erfolgreich zu bethätigen; weder kann er den Glanz und die Leichtigkeit des Ausdrucks seines Vorbilds in seiner Nachbildung auch nur ahnen lassen, noch vermag er es, die Schwierigkeiten, die das alexandrinische Metrum und der dreifach verschränkte Reim der Stanze bedingen, völlig zu überwinden. Immerhin ist aber seine Leistung im Hinblick auf ihre Neuheit durchaus achtenswerth und sie verdiente die Anerkennung der Zeitgenossen, die ihr reichlich zu Theil wurde. Im Januar 1627 durfte W. bei Gelegenheit einer Gesandtschaft, die ihn im Interesse Anhalts nach Wien führte, dem Kaiser Ferdinand II. persönlich sein Werk überreichen, das nach fünfundzwanzig Jahren (1651) in einer neuen Bearbeitung des Uebersetzers zum zweiten Male erschien. In dem Streben, alles zu beseitigen, was nicht dem Wortlaut der Poetik Opitzens entsprach, hat er hier die äußere Glätte beträchtlich gesteigert; dagegen hat die Treue und der poetische Werth der Arbeit sehr viel gelitten.
Noch ehe das „erlösete Jerusalem“ gedruckt war, erschien die erste erhaltene selbständige Dichtung Werder’s, in der er mit echtem Gefühl den Verlust seiner am 22. Februar 1625 gestorbenen Gattin besang, der er 1629 in Juliane Ursula, verwittwete v. Krosigk, geb. v. Pöblitz eine Nachfolgerin gab. Wie wenig fest W. in seinen ästhetischen Grundsätzen war, zeigt die Verirrung der hundert Sonette „Krieg und Sieg Christi“ betitelt (1631), die in jedem Verse wenigstens einmal die Worte Krieg und Sieg enthielten, eine Geschmacksverirrung, der höchstens in einzelnen Machwerken der späteren Nürnberger ähnliches, nirgend in der deutschen Dichtung aber etwas gleiches an die Seite zu stellen ist. Nachdem W. in diesen Jahren nach Kräften als Diplomat für Anhalt gewirkt hatte, brachte er seinem Vaterlande Ende 1631 auf Wunsch Gustav Adolf’s [770] das Opfer, sich an die Spitze eines schwedischen Regimentes zu stellen, das auf Kosten der anhaltischen Lande geworben und unterhalten wurde. Bis zum Jahre 1635 blieb er, im freundschaftlichsten Verhältniß zu den schwedischen Führern, in dieser Stellung, die ihn übrigens nicht abhielt, in derselben Zeit zahlreiche Gesandtschaftsreisen auszuführen und ein zweites großes Uebersetzungswerk in Angriff zu nehmen, in dem seine dichterische Kraft ihren Höhepunkt erreichte. Er verdeutschte von 1632 bis 1636 die ersten 31 Gesänge von Ariost’s „rasendem Roland“ (vgl. Carlo Fasola, Diederichs von dem Werder Uebersetzung des Ariost, Zs. f. vergl. Littgesch., N. F. VII, 189–205). Bei dieser Arbeit verzichtete W. auf den genauen Anschluß an das Original; an Stelle der Stanze gebrauchte er einfach gereimte Alexandriner und auch dem Wortlaut gegenüber verhielt er sich viel freier als zuvor, indem er da kürzte, wo er bei seinen Lesern geringeres Interesse voraussetzen durfte, andrerseits eine Episode aus Bojardo’s „Orlando Innamorato“ einschob, und sich im einzelnen hauptsächlich bestrebt zeigte, die Anmuth und den Humor seines Vorbildes wiederzugeben. Das ist ihm an vielen Stellen gelungen, und so schwebt hier in der That über dem schwerfälligen Deutsch des 17. Jahrhunderts ein Hauch von der italienischen Grazie des Cinquecento. Nicht als ein Werk gelehrt-höfischer Dichtung sondern als Volksbuch wollte W. diese Arbeit betrachtet sehen; die Ungunst der schweren Zeit hat es verschuldet, daß der einzigen deutschen Uebersetzung, die als ein Vorläufer der großen Leistungen der Romantiker auf diesem Gebiete gelten kann, der verdiente Erfolg der Volksthümlichkeit versagt blieb.
Aber die Noth des unendlichen Krieges konnte W. und seinen gleichgesinnten fürstlichen Freund Ludwig von Anhalt nicht abhalten, unermüdlich für die geistigen Interessen, die sich in der Fruchtbringenden Gesellschaft verkörperten, zu wirken. Ihr Briefwechsel bezeugt den Eifer, mit dem sie litterarische und sprachliche Fragen erörterten, daneben erwarb sich W. ein besonderes Verdienst dadurch, daß er 1629 die Aufnahme Opitzens durchsetzte, der sich dafür durch die Widmung dreier Werke an W. dankbar bezeigte.
Von den späteren litterarischen Leistungen Werder’s verdient nur noch die vortreffliche Friedensrede von 1639 und die Uebersetzung von Loredano’s Roman „Dianea“ (1644), einer Nachahmung von Barclay’s „Argenis“, Erwähnung. Die übrigen prosaischen und poetischen Werke der späteren Zeit sind unbedeutend; Gelegenheitsdichtungen, Bußpsalmen, geistliche Lieder und überaus zahlreiche Andachten auf die Stunde des Todes.
Auch äußerlich verliefen die letzten Jahrzehnte seines Daseins ruhig, nur hier und da durch politische Missionen unterbrochen, deren eine ihm vom Großen Kurfürsten von Brandenburg die Ernennung zu seinem Geheimen Rath und Kriegsobersten einbrachte. In Anhalt bekleidete W. das Amt eines Unterdirectors der gesammten Landschaft. Er starb am 18. December 1657 auf seinem Gute Reinsdorf am Marasmus senilis. – Sein einziger Sohn, Paris von dem W., geboren am 12. Juni 1623, † an demselben Tage 1674 als Dessauischer Geheimer Rath, ist außer durch den Vortrag der oben erwähnten Friedensrede seines Vaters litterarisch nur durch die Uebersetzung der „Zwantzig Heroischen Frauenreden“ aus dem Französischen der Scudéry (1659) hervorgetreten.
- Witkowski, Diederich von dem Werder. Ein Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1887 (dort auch die gesammte ältere Litteratur über W.).