ADB:Wimmer, Friedrich
[320] der Schwelle des sechzigsten Lebensjahres stand, in noch nicht ganz fünfjähriger Thätigkeit errungen. Sein kräftiger Körper bewahrte seine Jugendfrische bis gegen Ende des Jahres 1867. Da stellten sich asthmatische Beschwerden ein, welche zunächst durch sorgsame ärztliche Behandlung zurückgedrängt, im März 1868 mit erneuter Heftigkeit auftraten und dem Wirken des thätigen Mannes inmitten seiner Berufsarbeit und ganz unerwartet infolge eines Herzschlages im 65. Jahre seines Lebens ein Ziel setzten.
Wimmer: Christian Friedrich Heinrich W., Pädagoge und Botaniker, geboren zu Breslau am 30. October 1803, † ebendaselbst am 12. März 1868. Auf dem Friedrichs-Gymnasium seiner Vaterstadt vorgebildet, trat W. mit dreizehn Jahren in die Prima dieser Anstalt, in welcher Classe er fünf Jahre lang blieb, um nach abgelegter Reifeprüfung, Michaelis 1821 die Universität Breslau zu beziehen zum Studium der Philologie und Naturwissenschaften. Am 30. September 1826 trat W. an demselben Gymnasium, auf dem er seine Schulbildung erlangte, als ordentlicher Lehrer ein, erhielt 1835 den Professortitel und wurde Ostern 1843 zum Director des Gymnasiums erwählt. Bis zum Jahre 1863 stand er der Anstalt als Leiter vor. Da berief ihn der Breslauer Magistrat in die neugeschaffene Stelle eines Stadtschulraths, in dem Vertrauen, daß seiner pädagogischen Erfahrung, seiner Umsicht und seinem Tacte die Lösung der vielen neuen Aufgaben gelingen würde, welche auf dem Gebiete des höheren und des Volksschulwesens in jenen Jahren der Stadt Breslau gestellt waren. Das auf ihn gesetzte Vertrauen hat W. in hohem Grade gerechtfertigt. Unter seiner Leitung hat sich das Schulwesen seiner Vaterstadt nach jeder Richtung hin bedeutend entwickelt, sowol was die Neuschaffung von Schulen verschiedener Art, als auch deren Organisation und die materielle Stellung der Lehrkräfte betrifft. Es gelang Wimmer’s nie ruhender Energie, verbunden mit großer Klarheit und Schärfe des Verstandes sowie einem concilianten Wesen allen betheiligten Factoren gegenüber, die großen Schwierigkeiten zu überwinden, die sich ihm entgegenstellten. Diese großen Erfolge hat W., der, als er Schulrath wurde, anNeben seiner praktischen Thätigkeit führte W. sein nie rastender Geist und ein inneres Bedürfniß immer wieder zur Wissenschaft hin. Die schon auf der Schule in ihm erwachte Neigung zur Botanik bildete sich im Laufe der Jahre zu einer recht productiven litterarischen Thätigkeit aus und es beruht gerade Wimmer’s wissenschaftliche Bedeutung in der wol einzig dastehenden Verbindung gründlicher naturwissenschaftlicher und philologischer Gelehrsamkeit. Wie dem praktischen Schulmanne, so ist auch dem Gelehrten die Anerkennung nicht versagt geblieben. Er erlangte die Mitgliedschaft verschiedener gelehrter Gesellschaften, wirkte mehrere Jahre als Secretär der botanischen Section der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur und zuerst in gleicher Eigenschaft, später als Director der Section für Obst- und Gartenbau. Auch erhielt er für seine wissenschaftlichen Verdienste im J. 1853 von der philosophischen Facultät der Breslauer Universität die Würde eines Ehrendoctors. Nach anderen Anerkennungen hat der bescheidene Mann nicht gestrebt. Im stillen Familienkreise und im Verkehr mit jüngeren Freunden wußte er durch seine gewinnende Güte und die liebenswürdige Feinheit seines Geistes die Herzen aller ihm näher Stehenden zu fesseln. Durch seine Universitätslehrer Passow und Schneider war W. in die Kenntniß des griechischen und römischen Alterthums eingeführt worden. Namentlich hatte letzterer ihn für Theophrast und dessen naturwissenschaftliche Schriften zu interessiren verstanden. Auf dem Gebiete der altgriechischen naturwissenschaftlichen Litteratur bewegen sich denn auch fast ausschließlich Wimmer’s philologische Arbeiten. Er gab 1854 und 1862 die Werke Theophrast’s in einer kleineren und 1866 in einer größeren, mit lateinischer Uebersetzung versehenen Ausgabe bei Didot in Paris heraus. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten stand das Studium der naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles. Schon 1838 veröffentlichte er seine „Phytologiae Aristotelicae Fragmenta“, in welchen die zerstreuten Angaben des Aristoteles über die Natur der Pflanzen mit großem Fleiße zusammengestellt sind. 1844 und 1851 erschienen als Gymnasialprogramme seine „Lectiones Theophrasteae“ und 1859–61 seine „Lectiones Aristotelicae“. Seit 1858 arbeitete W. gemeinschaftlich mit dem Physiologen Aubert an den Werken des Aristoteles. 1860 erschien dessen Zeugungs- und Entwicklungsgeschichte und 1867 die Bearbeitung der „Historia Animalium“. Wimmer’s botanische Leistungen liegen hauptsächlich auf dem Felde der botanischen Systematik. Im Verein mit gleichstrebenden Freunden, mit Schummel, Günther, Grabowski, Krause und Wichura unternahm W. in der Mitte der zwanziger Jahre zahlreiche Excursionen in die heimathliche Provinz nach allen Richtungen hin und erlangte so eine gründliche Kenntniß der schlesischen Flora. Schon 1824 veröffentlichte er mit Günther und Grabowski eine „Enumeratio stirpium phanerogamarum“. Drei Jahre später erschien dann der erste Band der größeren mit Grabowski herausgegebenen „Flora Silesiae“ in lateinischer Sprache und in der Anordnung des Linné’schen Systems, deren zweiter und dritter Band 1829 folgten. Eine deutsche Umarbeitung des Werkes unter dem Titel: „Flora von Schlesien. Handbuch zur Bestimmung und Kenntniß der phanerogamen Gewächse dieser Provinz“, kam 1832 heraus. Von dieser wurde bald eine erweiterte Bearbeitung nothwendig durch Ausdehnung [321] des Gebietes auf Oesterreichisch-Schlesien oder das obere Oder- und Weichselquellengebiet. Sie erschien 1840 und gibt die Pflanzen in der Ordnung des Endlicher’schen Systems. Auch dieses Buch erlebte bereits nach vier Jahren eine neu redigirte und bereicherte zweite Auflage in zwei Bänden. Der erste enthält die Beschreibung der 1288 aufgeführten Pflanzenarten; der zweite ist durch eine meisterhafte pflanzengeographische Schilderung der schlesischen Vegetationsverhältnisse, durch eine Statistik der Flora, eine Geschichte und Litteratur der schlesischen Floristik und durch eine von H. R. Göppert entworfene Uebersicht der fossilen Flora Schlesiens ausgezeichnet und besitzt noch heute unbestrittenen Werth. Eine dritte Auflage kam 1857, eine vierte kurz nach des Verfassers Tode im Mai 1868 heraus. Es entsprach einer Lieblingsneigung Wimmer’s, die wol in seiner kritisch angelegten Natur wurzelte, zur speciellen Bearbeitung gerade solche Pflanzengenera zu wählen, bei welchen zur Feststellung ihrer Artverhältnisse ein großer Aufwand von Unterscheidungsvermögen nöthig war und welche, der vielen Mittelformen wegen, früheren Bearbeitern besondere Schwierigkeiten geboten hatten. So war es ihm darum zu thun von den schlesischen Arten der Gattungen Carex, Rubus, Mentha, Viola u. A. eine klarere Uebersicht, als sie bisher bestand, zu gewinnen. Besonders aber studirte er die Bastardformen, namentlich innerhalb der Gattungen Hieracium und Salix, zu deren Feststellung er wiederholte Reisen unternahm und mit botanischen Fachgenossen eifrig correspondirte. W. war nächst Lasch (s. A. D. B. XVII, 731) der erste, welcher in das Chaos von Weidenformen neues Licht brachte. Er verpflanzte zu diesem Zweck Weidenstecklinge in einen von ihm gemietheten Garten und unterzog ihre Entwicklung einer jahrelangen Beobachtung. Hierbei waren Krause und vor allem Wichura (s. A. D. B. XLII, 316) seine erfolgreichen Mitarbeiter. Eine Zusammenstellung der bis 1853 ermittelten hybriden Pflanzen der schlesischen Flora erfolgte in den Denkschriften der schles. Gesellsch. (1853) in der Jubiläumsarbeit: „Wildwachsende Bastardpflanzen, hauptsächlich in Schlesien beobachtet“. Die Weidenbastarde wurden außerdem in mehreren Jahresberichten der schles. Gesellsch. 1841–66, sowie in der Zeitschrift Flora von 1845, 46, 48 und 49 erläutert. Ferner erschien noch von ihm und Krause herausgegeben 1857 ein „Herbarium Salicum“, durch welches die schlesischen Weidenformen dem botanischen Publicum in authentischen Exemplaren zugänglich gemacht wurden. Ihren Abschluß endlich fand Wimmer’s dreißigjährige Weidenforschung in einer zwar schon 1859 vollendeten, aber erst 1866 publicirten umfangreichen Monographie, welche sämmtliche europäische Formen umfaßt, unter dem Titel: „Salices europaeae“. Neben den speciellen Beschreibungen der 34 als echt angeführten und der 74 Bastardformen behandelt die Einleitung die biologischen und morphologischen Verhältnisse der Gattung Salix und eine kritische Beurtheilung der älteren Bearbeitungen. Auch in der Schullitteratur hat W. verdienstliches geleistet. Seinem Bemühen, den naturwissenschaftlichen Unterricht auf der Schule zu höherer Geltung zu bringen, entsprangen zwei Lehrbücher, welche höchst anregend gewirkt haben. Sie führen beide den Titel: „Das Pflanzenreich. Anleitung zur Kenntniß desselben“. Die erste Bearbeitung führt die Pflanzen nach dem natürlichen System, die zweite nach dem Linné’schen auf. Sie sind ausgezeichnet durch eine große Zahl geschickt ausgewählter und trefflich ausgeführter Illustrationen, die zu einem „Atlas des Pflanzenreichs“ vereinigt sind. Beide Bücher wurden wiederholt aufgelegt.