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ADB:Wolf Dietrich von Raitenau

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Artikel „Wolf Dietrich von Raittenau, Erzbischof von Salzburg“ von Karl Mayr-Deisinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 723–726, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wolf_Dietrich_von_Raitenau&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 05:46 Uhr UTC)
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Wolf Dietrich von Raittenau, Erzbischof von Salzburg, geboren am 26. März 1559, † am 16. Januar 1617; Erzbischof von 1587 bis 1612. Er entstammte einer ehrgeizigen Familie, die hervorragende Geistliche und Kriegsleute hervorgebracht hatte. Seine Jugend verlebte er zu Rom in dem lockeren Hause eines reichen Renaissance-Cardinals, seines Oheims, des Marx Sittich von Hohenems. Das elegante Leben und die verschwenderische Baulust des üppigen Cardinals weckten in dem jungen Mann verwandte Keime. Schließlich leitete der Oheim den Neffen auf die modernste Laufbahn, die im Beginn der Gegenreformation zur Verfügung stand: er schickte ihn ins Collegium Germanicum. 1583 erhielt er die niederen Weihen, worauf er rasch einige Pfründen in Deutschland empfing. In Salzburg besaß er seit 1578 durch Verzicht des sorglichen Oheims ein Kanonikat, und seit Herbst 1578 residirte er dort. Freilich vom weltflüchtigen Geiste der Gegenreformation war der 26jährige, frische, kleine Domherr keineswegs durchdrungen. Erst an der Kirchenthür pflegte er Hut, Rappier und spanischen Mantel abzulegen, und allgemein genoß er den Ruf eines wohlgebildeten, ehrgeizigen und schneidigen Mannes. Trotzdem wurde er als der jüngste von allen Domherren, dem zum kanonischen Alter noch zwei Jahre fehlten, als Nachfolger des Erzbischofs Georg von Küenburg gewählt, vielleicht eben deswegen, weil die Capitularen von einem so gearteten Herrn kein allzu straffes, gegenreformatorisches Regiment in dem behaglichen Erzstift erwarteten. Mit Freude begrüßte die emporwachsende Restaurationspartei die Wahl des energischen Germanikers – wie es sich später zeigen sollte mit Unrecht. Denn in Wolf Dietrich überwog der unaufhörlich bethätigte Drang, eine Rolle zu spielen, bei weitem ebenso die kirchliche Gesinnung wie das Pflichtbewußtsein, vor allem für das Wohl der Unterthanen besorgt zu sein. Sein selbstiges Wesen sträubte sich, mit der allgemeinen Strömung zu schwimmen, zu sein wie seine Genossen aus dem Germanicum, zu reformiren wie die anderen Restaurationsbischöfe. Seinen Lebensdrang unter dem Joch einer strengen Ehelosigkeit zu ersticken, war er offenbar von vornherein nicht gesonnen; selbst die volle Theologie des Trienter Concils anzunehmen, deren Verbreitung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wuchs, weigerte sich aufs entschiedenste sein Eigensinn oder Gewissen. Mitten im Schwung der Restaurationsbewegung blieb er der Vertreter einer Zwischenform des religiösen Bekenntnisses, deren Vertreter sich ihre Theologie individuell zurecht machten. So wurde er ein ausgesprochener Individualist: in theologischen Dingen ein Compromißkatholik, in seinen Beziehungen zum Reich ein entschiedener Territorialist, in der inneren Regierung seines Landes ein harter Absolutist. Es konnte nicht anders kommen, als daß diese interessante Persönlichkeit aus einer Hoffnung der Restaurationspartei ein Opfer dieser Richtung wurde, die derartiger Selbständigkeit keinen Raum gönnen konnte. In der Verwaltung seines Landes vernichtete er mit zielbewußter Energie sowol die Macht der Landstände, die er seit 1599 nicht mehr berief, als den Einfluß der Capitularen auf die Regierungsmaßnahmen. Das Streben, möglichst viel Geld von seinen Unterthanen zu erpressen, ließ ihn höchst ergiebige neue Steuern erfinden, die er rücksichtslos, schnöde und mit solch erbitternder Strenge eintrieb, daß im J. 1606 über der Einschätzung der bäuerlichen Vermögen eine Revolte im Pinzgau entstand, die durch die Hinrichtung von drei Rädelsführern in Salzburg gedämpft werden mußte. Zwangsanlehen und Bevorzugung von Geldstrafen zu Gunsten der erzbischöflichen Casse sind häßliche Auswüchse seiner Geldgier, die in Verbindung [724] mit der herrischen Behandlung der Salzburger Bürger schließlich die Auswanderung trotz hoher Strafen wesentlich förderte. Die beträchtlichen Steuererträgnisse verschlangen die soldatischen Neigungen des Erzbischofs, die verschwenderische Beschenkung seiner zahlreichen Familie und seine unersättliche Baulust. Zu bauen und durch Bauten in der Nachwelt fortzuleben, war eine seiner stärksten Leidenschaften. Durch umfassende Niederreißungen, Schaffung großer, freier Plätze und Neuanlage zahlreicher stattlicher Gebäude veränderte er das mittelalterliche Bild der Stadt und prägte ihr den italienischen Barockcharakter auf, der von seinen Nachfolgern fortgeführt wurde und noch heute die Stadt beherrscht. Und da die Baulust seine Phantasie so stark beherrschte, so brachte sie auch die schlimmen Seiten seines Charakters an den Tag: eine durch Ruhmgier entstandene Launenhaftigkeit, die nicht selten Halbvollendetes als Ruine verwittern ließ, um Neues zu beginnen, Jähzorn, der einen unglücklichen Baumeister sofort mit dem Tode bedrohte, und Herzenshärte, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse rücksichtslos flehentliche Wünsche Anderer bei Seite stieß. Seine Bauthätigkeit machte auch den stärksten Eindruck auf das Volk. Pläne und Stiftungsbriefe in der Hand haltend dachte es ihn noch am Anfang unseres Jahrhunderts in seiner Gruft sitzend. Nur aus seiner erpresserischen Steuerwirthschaft ist es zu erklären, daß sich bei seiner Verschwendung schließlich die Stiftsschulden nicht um mehr als 160 000 fl. vermehrt hatten und er selbst ein zinstragendes Capital von etwa 100 000 fl. erworben hatte. Im Anfang seiner Regierung ließ seine heiße Sehnsucht nach Ehren im Zusammenhang mit der Tradition seines Hauses, seinen Familienverbindungen und seiner Jugenderziehung in ihm sich den Wunsch entfalten, Cardinal zu werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist seine kirchliche Haltung in den ersten Regierungsjahren, sowie seine Gleichgültigkeit gegen die Forderungen der Restaurationspartei nach dem Fehlschlagen seiner Hoffnungen zu erklären. Alsbald nach seiner Wahl ließ er sich weihen, machte eine Romreise und begann 11 Tage nach seiner Rückkehr am 20. Juli 1588 eine scheinbar kräftige Restaurationsbewegung einzuleiten mit Austreibung der hartnäckig Ketzerischen, Visitationen in einzelnen Theilen der Diöcese, Erlaß einer strengen Schulordnung und allem, was den jungen Erzbischof in den Augen der Restaurationspartei angenehm zu machen im Stande war. Indeß war alle Mühe vergebens. Der Hort und der treueste Vertreter der Partei unter den Fürsten, Herzog Wilhelm V. von Baiern, verdächtigte Wolf Dietrich’s Gesinnungen in Rom, schilderte die Hoffnung der Partei als unruhigen, hochmüthigen, anmaßenden Fürsten und klagte über seine Ausschweifungen, so daß Wolf Dietrich nach anfänglich sehr correcter Haltung und drei vergeblichen Versuchen es im J. 1595 aufgab, eine auszeichnende Stelle in der Kirche zu erobern. Von da an verebbte die Fluth seiner Begeisterung für die Wiederherstellung der katholischen Kirche in Deutschland. Die Kirche mochte sehen, wie sie es ohne das reichste Erzstift fertig brachte; er wandte sich nunmehr weltlichen Dingen zu. Hier nahm er in der That alsbald eine markante, wenn auch keineswegs löbliche Stelle ein, die von Wichtigkeit in der Reichsgeschichte ist. Das vielleicht unbewußte Ziel der deutschen Territorialbewegung war die Sprengung der auf Lehenspflicht und Mehrheitsbeschlüssen des Reichstages formell beruhenden Reichsverfassung, die Umwandlung des Reiches in einen Föderativstaat. Keiner der protestantischen Reichsstände hatte aber bis dahin die directe Loslösung aus dem Reichsverband angestrebt. Wolf Dietrich war der erste, der diesen insbesondere allen katholischen Anschauungen zuwiderlaufenden Schritt gethan hat, zum Theil aus Selbstsucht, die ihm die Verwendung seiner Einnahmen für persönliche Zwecke wünschenswerther als für die großen Aufgaben des Reiches erscheinen ließ, zum Theil aus übel angebrachter Rechthaberei. Zuerst [725] suchte er sich aus dem Kreisverband zu lösen, indem er sich weigerte, auf den Kreistagen von 1594, 1595, 1597, 1601 und 1602 den Beschlüssen der Mehrheit beizutreten. Jedesmal schickte er nach eigenem Ermessen eine geringe Truppenhülfe für den Kaiser nach Ungarn gegen die Türken. Im J. 1597 kam es Wolf Dietrich darauf an, in einer wirthschaftlichen Frage bezüglich des Salzhandels, die keineswegs das Reich, sondern nur die localen Interessen Salzburgs und Baierns berührte, den Widerstand des Kaisers zu brechen. Unbedenklich gab Wolf Dietrich seinen territorialen Neigungen nach und erklärte mit größter Entschiedenheit zum Jubel der protestantischen Bewegungspartei und zur tiefen Entrüstung der reichstreuen Stände, daß auch die Mehrheitsbeschlüsse des Reichstages für ihn nicht bindend seien. Es war zum ersten Mal, daß ein deutscher Fürst in solcher Weise die Verfassungsgrundlage zu erschüttern wagte. Hat sich späterhin Wolf Dietrich auch wieder unterworfen, so blieb dieser Schritt doch von symptomatischer Bedeutung und wol nicht ohne Einfluß auf die spätere Haltung der pfälzischen Partei. Von 1600–1605 versuchte Wolf Dietrich bei dem gemüthskranken Kaiser die Rolle eines politischen Rathgebers zu spielen und in die schwierigsten Fragen, wie die Nachfolge im Reich, mit wenig Sachkenntniß und großer Wichtigthuerei einzugreifen. Da der Kaiser alsbald die wohlgemeinten Phantasien seiner merkwürdigen Rathschläge unbeachtet liegen ließ und somit auch dieser neue Weg, zu Ansehen zu gelangen, im Sande verlief, zog sich Wolf Dietrich verdrossen und verstimmt von nun an fast ganz auf den Genuß und die Regierung seines Erzstiftes zurück. Dabei verfeindete er sich noch mehr mit der streng katholischen Richtung seiner fürstlichen Glaubensgenossen. Den ersten Anlaß bot die Liga. Als die katholischen Stände diese nach der Sprengung des Reichstages von 1608 zum Schutz der Reichsverfassung und der katholischen Kirche für nöthig erachteten, weigerte sich Wolf Dietrich unter allerlei Ausflüchten aufs nachdrücklichste in den Bund einzutreten; aus Zorn über diesen neuen Versuch, seine Selbständigkeit zu stören, soll er das Einladungsschreiben wüthend mit Füßen getreten haben. Beträchtlich vergrößert wurde die Kluft zwischen ihm und den katholischen Ständen durch seine Lebensführung, die dem mönchisch-strengen Ideal der Gegenreformation freilich wenig entsprach. Nicht bloß sah er unthätig zu, wie sich großentheils die Liederlichkeit seines Clerus am Ende des Jahrhunderts ganz auf der Höhe des beginnenden Jahrhunderts hielt und der Protestantismus ziemlich ungehindert sich verbreitete, sondern er richtete sich auch durchaus ein gleich einem weltlichen Fürsten. Seinen Palast ließ er zum Aerger der Frommen mit mythologischen Fresken schmücken, und mit der Salzburger Bürgerstochter Salome Alt lebte er, als ob sie seine rechtmäßige Gattin wäre. Von seinen Kindern lebten im J. 1611 noch 7 Töchter und 8 Söhne. Nicht minder als dieser ungeistliche Wandel mußte die Eifrigen die Nichtberufung der Jesuiten nach Salzburg und die Spuren einer vertraulichen Correspondenz empören, die er mit der Seele der pfälzischen Bewegungspartei, mit Fürst Christian von Anhalt, begonnen hatte. Dazu gerieth Wolf Dietrich von Jahr zu Jahr mehr in den Verdacht der Ketzerei. An der Hauptsensation jener Tage, den theologischen Flugschriften, nahm er gar kein Interesse, und als Spätling des Compromißkatholicismus pflegte er von der allgemeinen Norm abweichende Anschauungen, ohne deshalb zum Protestantismus hinzuneigen. Er hielt nichts von den Fasten, trat für die Beweibung der Bischöfe ein, scheint eine besondere Ansicht von der Auferstehung der Todten und der Einwirkung Gottes auf das Weltgeschehen gehabt zu haben und ließ in Litaneien die Heiligen nicht anrufen, für die Menschen bei Gott zu bitten, sondern nur um Gott zu danken. Unter den Capitularen scheint sogar die Meinung verbreitet gewesen zu sein, daß er mit den Gedanken umgehe, das Stift zu säcularisieren. Im besonderen [726] hatte er sich die Gunst seines mächtigen Nachbars, des Herzogs Maximilian von Baiern, durch seine Manipulationen gelegentlich eines salzburgischen Verfassungsgesetzes, des „ewigen Statuts“, verscherzt, wodurch die Häuser Oesterreich und Baiern von zukünftigen Wahlen ausgeschlossen werden sollten. Alles, was ihm Freund sein konnte, hatte sich auf diese Weise Wolf Dietrich allmählich, man kann fast sagen, der Reihe nach entfremdet. Nur so konnte es kommen, daß sich an Wolf Dietrich ein Ereigniß vollzog, wie es die ganze Geschichte der Gegenreformation nicht mehr aufweist, daß nämlich ein deutscher Reichsfürst einen anderen, der noch dazu nicht bloß geistlich, sondern auch Primus von Deutschland war, angesichts eines in der Nähe tagenden Kurfürstentages ohne die mindeste Einflußnahme von Kaiser und Reich zu beseitigen vermochte. Gelegentlich eines Streites über den salzburgischen Salzvertrag, der sehr zu Ungunsten Baierns lautete, ließ sich Wolf Dietrich hinreißen, am 7. October 1611 die Propstei Berchtesgaden zu besetzen, auf die er berechtigte Ansprüche zu haben glaubte, deren Inhaber aber der Bruder des Herzogs Maximilian war. Letzterer begegnete dem offenen Landfriedensbruch sofort mit Gewalt und rückte nach Burghausen mit 10 000 Mann. In letzter Stunde stieß noch Wolf Dietrich’s Aerger und Unklugheit sein Capitel durch Schroffheit von sich. Im Feldlager bat eine Abordnung desselben den Herzog, die Gelegenheit zu benutzen, um mit Heeresmacht Wolf Dietrich zu beseitigen. Maximilian ging in der That auf diese Erweiterung seines ursprünglich beschränkteren Planes ein, weil sich ihm Gelegenheit bot, einen Gegner zu vernichten, der nach seiner Meinung ihm, dem Reiche und der katholischen Religion in gleichem Maße gefährlich war. Um den 20. October rückte Maximilian gegen Tittmoning vor. Einem ernstlichen Kampfe entgegenzusehen und ihn durchzuführen, war Wolf Dietrich nicht der Mann. Hochmüthig und unverständig schwankte er zwischen Leichtsinn und Gebrochenheit, kriegerischen Befehlen und widerstandsloser Ueberlieferung. Am Abend des 23. October floh er samt 7 Wägen mit Silbergeschirr und Kleinodien, nachdem er 12 Stunden früher Salome Alt schon vorausgeschickt hatte. Vom Capitel aufgefordert, ließ ihn Maximilian verfolgen und bei Gemünden auf kärntischem Boden gefangen nehmen, zuerst auf Schloß Werfen und dann auf Schloß Hohensalzburg führen. Dort blieb er in der Gewalt des Herzogs bis zu seiner endgültigen Abdankung, weil Maximilian fürchtete, nach seiner Freilassung werde er sofort die Unirten zu seiner Hülfe rufen, diese würden den Anlaß ergreifen und den lang befürchteten großen Krieg entfesseln. Am 8. März 1612 wurde die endgültige Resignation vor einem päpstlichen Nuntius vollzogen, und zwar auf Grund von Bedingungen, die Wolf Dietrich am 17. December unter dem Druck der Verhältnisse unterschrieben hatte, und unter denen sich eine beträchtliche Pension nebst Freilassung befand. Von diesen Bedingungen wurde keine gehalten. Wolf Dietrich blieb in der Feste Hohensalzburg auf einige Zimmer beschränkt, weil man von dem unruhigen Mann neue verwirrende Praktiken befürchtete, bis an das Ende seines Lebens am 16. Januar 1617.

Leben Wolf Dietrich’s von Steinhausen, herausgeg. von P. Hauthaler in den Mitthlgn. der Gesellschaft für Salzburg. Landeskunde 1873, und Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich von Raittenau.