Zum Inhalt springen

ADB:Wolzogen, Alfred Freiherr von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wolzogen, Alfred Freiherr von“ von Max Mendheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 199–202, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wolzogen,_Alfred_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 17. November 2024, 19:21 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Woltman, Reinhard
Band 44 (1898), S. 199–202 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Alfred von Wolzogen in der Wikipedia
Alfred von Wolzogen in Wikidata
GND-Nummer 117435325
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|44|199|202|Wolzogen, Alfred Freiherr von|Max Mendheim|ADB:Wolzogen, Alfred Freiherr von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117435325}}    

Wolzogen: Karl August Alfred Freiherr von W., Schriftsteller und Theaterintendant, wurde am 27. Mai 1823 als Sohn des damaligen preußischen Generallieutenants und Bevollmächtigten bei der Militärcommission der Deutschen [200] Bundesversammlung, späteren Generals der Infanterie, Ludwig Frhrn. v. W. (s. u. S. 206) und seiner Gattin Emilie, geb. v. Lilienberg, in Frankfurt a. M. geboren. Durch vielfache Reisen mit den Eltern entwickelte sich bei ihm schon früh der Sinn für das Geographische der Landschaften wie für das Reisen überhaupt, ebenso aber auch, durch wechselnde Hauslehrer angeregt, eine ungewöhnliche Leidenschaft für die Bücherwelt und noch mächtiger die Liebe zur Kunst, besonders der Musik, die im Hause der Eltern eifrig gepflegt wurde. Durch Uebungen in der Declamation ward der Sprachsinn des Knaben frühzeitig geweckt, auf den namentlich der befreundete Dichter August Thieme, Geistlicher zu Allstedt bei Kalbsrieth, dem Familiengute in Thüringen, großen Einfluß ausübte. Nach der Pensionirung des Vaters 1836 kam Alfred auf das Pädagogium zu Halle, 1840 auf die v. Witzleben’sche Klosterschule Roßleben a. d. Unstrut und bezog im Herbst 1841 die Universität Berlin, um daselbst die Rechte zu studiren. Mehr als die Rechtswissenschaft fesselte ihn aber alsbald das rege Theaterleben der Residenz, das ihn durch den Verkehr mit namhaften Künstlern und Kunstfreunden, zu denen auch der junge Gustav zu Putlitz gehörte, immer mehr gefangen nahm. Nachdem er den Sommer des Jahres 1842 auf der Universität Heidelberg verbracht hatte, kehrte er wieder nach Berlin zurück, wo er sich nun selbst mit einem Trauerspiel, einem Lustspiel und einem Roman schriftstellerisch versuchte und eine Bearbeitung des Goethe’schen Operntextes „Claudine von Villa Bella“ unternahm, die von Friedrich Vettin in Musik gesetzt wurde. Trotz alledem bestand er im Herbste 1844 sein erstes juristisches Examen vortrefflich und kam bereits im October als Auscultator an das Oberlandesgericht zu Erfurt, wo er alsbald wieder Gelegenheit fand, auch seine künstlerischen Neigungen zu pflegen. Als er sich 1846 in Berlin auf die zweite Prüfung vorbereitete, wurde er in das Haus der Wittwe Karl Friedrich Schinkel’s eingeführt, mit dessen jüngster Tochter Elisabeth sich der junge Regierungsreferendar bereits am 10. October 1847 vermählte. Nach seiner Anstellung in Potsdam wurde er als preußischer Landwehrofficier auch öfter gegen die Erhebungen des Jahres 1848 zur Fahne einberufen, fand aber zugleich Zeit und Stimmung, die Herausgabe der Gedichte seines alten Freundes Thieme zu besorgen, nachdem er sich bereits in der Brautzeit an die Ausarbeitung einer Geschichte des Wolzogen’schen Geschlechtes gemacht hatte. 1850 konnte er sodann ein ihm übertragenes Vermächtniß seines im Juni 1845 verstorbenen Vaters, die „Memoiren Ludwig’s v. Wolzogen“, nach gründlicher Bearbeitung der Oeffentlichkeit übergeben. Ein herber Schmerz aber traf ihn, als seine geliebte Gattin nach längerem Leiden am 26. Juni 1851 in noch so jugendlichem Alter starb. In rastloser Arbeit zu seinem Assessorexamen suchte W. Trost, nahm dann aber längeren Urlaub und machte sich mit dem Beginn des Jahres 1852 auf den Weg zu einer Bereisung Italiens, der Schweiz, Frankreichs, Spaniens, Englands, Hollands und Belgiens. In Rom machte er dabei die Bekanntschaft der Miß Harriet Anne Houssemayne du Boulay, der Tochter eines englischen Gutsbesitzers, mit der er sich am 12. März 1853 in Florenz vermählte. Nach einer Reise durch England und Schottland kehrten beide nach Berlin zurück, wo W. als Hülfsarbeiter beim Ministerium des Innern angestellt war. 1854 aber wurde er plötzlich infolge der Veröffentlichung seiner Schrift „Preußens Staatsverwaltung mit Rücksicht auf seine Verfassung“ nach Breslau versetzt. W. wollte in dieser Schrift den Nachweis führen, „daß es für Preußens Wohlfahrt vor allem des vollen Einklangs zwischen der neuen Verfassungsform und dem fast unverändert gebliebenen alten Verwaltungssysteme bedürfe, daß aber dieser Einklang bis jetzt nicht erreicht und dies der vornehmlichste Grund sei, warum wir zu festen Zuständen uns durchzuringen noch nicht vermocht haben“. Die schriftstellerische Privatbeschäftigung Wolzogen’s bestand in Breslau zunächst [201] in der fortgesetzten Arbeit an der Familiengeschichte, dann in der Ausarbeitung des Journals seiner großen Reise, aus dem 1856 ein Theil unter dem Titel „Reise nach Spanien“ erschien, sowie in verschiedenen Aufsätzen über seine Ansichten in musikalischen Streitfragen der Zeit. Auf Wunsch von Schiller’s jüngster Tochter, Frau v. Gleichen, übernahm er auch die Redaction der in ihrem Besitze befindlichen Briefe der Eltern und Geschwister des Dichters, sowie der Großmutter Henriette v. Wolzogen und veröffentlichte das Buch unter dem Titel „Schillers Beziehungen zu Eltern und Geschwistern und zu der Familie v. Wolzogen“ (1858), gleichzeitig mit der zweibändigen „Geschichte des Reichsfreiherrlich von Wolzogenschen Geschlechts“. Zu neuen Anregungen führte ihn 1859 die Uebernahme der ständigen Berichterstattung über die Theateraufführungen für die „Breslauer Zeitung“. Auch beschäftigte er sich jetzt eifrig mit der scenischen und textlichen Reinigung von Mozart’s Oper „Don Juan“ auf Grund des ursprünglichen italienischen Textbuches des Lorenzo da Ponte. Eine Sammlung seiner Recensionen und Streitschriften enthält das Buch „Ueber Theater und Musik“ (1860); eine eingehende Biographie mit vielen interessanten Details bietet seine Schrift „Wilhelmine Schröder-Devrient“, die 1862 erschien.

Zu näherer Beschäftigung mit den bildenden Künsten wurde W. durch den 1861 erfolgten Tod seiner Schwiegermutter, der Wittwe Schinkel’s, veranlaßt, aus deren Nachlaß er allerlei Reisetagebücher, Briefe, Aphorismen über Kunst u. s. w. Schinkel’s für den Druck vorzubereiten übernahm. Der Tod seiner zweiten Gattin, am 5. December 1862, stürzte ihn von neuem in tiefe Trauer. Dann nahm er seine Kunstbestrebungen wieder auf, hielt Vorträge, schrieb Aufsätze und veröffentlichte 1865 das Werk „Rafael Santi, sein Leben und seine Werke“, ein auf wissenschaftlicher Grundlage basirendes populäres Buch, in dem er besonders auf die weltgeschichtlich-philosophische Bedeutung von Rafael’s Kunst Gewicht legt. Ein kleines Lustspiel, „Nur kein Ridicül“, das W. in dieser Zeit dichtete, ist nirgends zur Aufführung gelangt. Seine Ernennung zum Regierungsrath (im Herbst 1863) hatte für ihn in den nächsten Jahren mancherlei Dienstreisen zur Folge; dennoch fand W. 1865 Muße genug, in Gemeinschaft mit dem Breslauer Regierungsreferendar Albert v. Winterfeld drei ernste, historische Schauspiele in Versen zu schreiben: „Blanche“, „Sophia Dorothea“ und „Fürstin Orsini“. Alle drei haben Liebesintriguen zum Gegenstande und Frauen zu Helden und Gegenhelden (Intrigantinnen). Sie sind ganz im Stile der Epigonen unserer Classiker geschrieben, in wohllautender, flotter, energischer Sprache, haben reichbewegte, verwickelte Handlung, sind (besonders die beiden letzten) reich an wirklich dramatischen Momenten, die mit gutem Geschick angebracht sind, leiden aber auch an manchem technischen Fehler, vornehmlich an der ungerechtfertigten Verwerthung des Monologs zu biographischen Mittheilungen der redenden Person an das Publicum. Aufgeführt sind nur das erste und dritte Stück, „Sophia Dorothea“, das vielleicht dramatisch und stofflich wirksamste, vermuthlich aus politischen Gründen nicht.

Seine Sehnsucht nach dem Amte einer Theaterleitung erfüllte sich im Januar 1867, als sein alter Universitätsfreund Gustav zu Putlitz den Intendantenposten am Schweriner Hoftheater aufgeben wollte und ihn für diese Stellung vorschlug. W. wurde auch sogleich vom Großherzog Friedrich Franz II. vorläufig auf ein Jahr mit der Leitung betraut und trat am 1. October, von der Breslauer Regierung beurlaubt, seine neue Stellung an, nachdem ihm noch die philosophische Facultät der Universität Breslau das Doctordiplom h. c. überreicht hatte. Seine erste Sorge als Intendant war auf eine gleichmäßig rein und prägnant ausgebildete Kunstsprache der Darsteller gerichtet, hielt sich also mehr an die seinem eigenen dichterischen Schaffen entsprechenden Grundsätze, wie [202] er denn vornehmlich auch die classischen Stücke bevorzugte und eine sorgsame Schulung der Künstler in diesem Sinne pflegte. Nachdem ihn der Großherzog zu seinem Kammerherrn und definitiv zum Hoftheaterintendanten ernannt hatte, schied W. am 29. April 1869 aus dem preußischen Staatsdienste. Zu einem Ereigniß für die Schweriner Bühne gestaltete sich die nach Wolzogen’s Scenarium einstudirte Aufführung des „Don Juan“, worüber er selbst 1869 eine kritische Schrift veröffentlichte. Im Januar desselben Jahres erlebte auch sein dramatisches Gedicht „Sakuntala“, Schauspiel in fünf Aufzügen, frei nach Kalidasa’s Drama, die erste Aufführung daselbst. Das Werk ist eine feinsinnige Bearbeitung dieses altindischen Schauspiels; seine edle, bilderreiche und fließend weiche Sprache entspricht ganz der Lyrik des Stückes. Hat auch Kalidasa’s Werk in Wolzogen’s Bearbeitung das eigentliche originale indische Gepräge stark eingebüßt, so hat es doch an präciser Durchführung der Handlung sehr gewonnen und ist mehr dem abendländischen Geschmacke angepaßt. Allerdings ist auch der tragische Mittelpunkt, der Grund für die Zurückweisung Sakuntala’s durch den König, gänzlich verändert. Das Dämonische, Zauberhafte (der Fluch) ist bei W. beseitigt oder vielmehr in die Kraft des Ringes verlegt; die Schuld liegt bei ihm in dem Willen des Königs und nicht wie im Originale in dem Fluche, der Sakuntala trifft und durch den der König willenlos die Erinnerung verliert; dadurch aber wird die Handlung bei W. menschlicher, natürlicher gestaltet. – Ein weiterer theatralischer Versuch Wolzogen’s war die Zusammenziehung der Wallenstein-Trilogie in ein einziges Theaterstück, ein anderes Stück von ihm das einactige Lustspiel „Die glückliche Braut“ (1870), ein ferneres das Weihnachtsmärchen „Die kleinen Hasenscharten“ („Die kleinen Zwillinge“), 1871. In den folgenden Jahren pflegte er besonders Shakespeare’sche Dramen, dann Grabbe’s große Tragödien und wandte sich schließlich noch mit Interesse Björnson und Ibsen zu, dessen „Brand“ er selbst übersetzte und bearbeitete wie auch manche Stücke älterer ausländischer Dramatiker. Auch der Aufführung von Wagner’s Musikdramen widmete er liebevolle Sorgfalt. Der Brand des Hoftheaters in Schwerin am 16. April 1882 erregte den erkrankten Intendanten so, daß er zuerst in Neuenahr, dann in Kalbsrieth und schließlich in San Remo Erholung suchen mußte, aber am Morgen des 13. Januar 1883 daselbst verschied. Die Fortführung seiner schon früh begonnenen „Selbstbiographie“ und zwei Humoresken, „Die Unke“ und „Lori“ (beide in Reclam’s „Universalbibliothek“), die reich an drolligen Einfällen und Situationen sind und prächtige Charakterbilder enthalten, waren seine letzten schriftstellerischen Arbeiten.

Ein liebevolles biographisches Erinnerungsbild ist die Arbeit seines ältesten Sohnes Hans Paul Freiherrn von Wolzogen (mit Porträt, erschienen 1883).