ADB:Ziegenbalg, Bartholomäus
Aug. Herm. Francke ihn an den Director des Friedrich-Werder’schen Gymnasium zu Berlin, Joachim Lange, einen anderen bekannten Vertreter des Pietismus, gewiesen hatte, sehen wir den jungen Z. im Frühjahr 1702 in Berlin, wo er auch die Bekanntschaft mit Philipp Spener und dem Freiherrn v. Canstein machte. Allerdings war der Aufenthalt nur sehr kurz, Krankheit zwang ihn bald, Berlin wieder zu verlassen. Einigermaßen wiederhergestellt, zog es ihn dann nach Halle, um seinen väterlichen Berater A. H. Francke selbst kennen zu lernen und sich unter seinen Augen dem Studium der Theologie zu widmen. Doch erwies sich auch der Aufenthalt in Halle mit seiner ungesunden Luft seiner schwächlichen Körperconstitution als so unzuträglich, daß er es ebenfalls nach einem kurzen, dort verbrachten Sommersemester (1703) wieder verlassen mußte. Aber war auch seines Bleibens in Berlin und Halle nicht lange gewesen, so hat er doch aus dem Verkehr mit jenen von ihm hochverehrten Männern, Lange, Spener, Canstein und dann zuletzt und besonders Francke, unverwischliche Eindrücke mit fortgenommen. So sauer es Z. wurde, so beschloß er doch, da nun einmal seine Gesundheit das wissenschaftliche Studium nicht zuzulassen schien, ganz darauf zu verzichten und den praktischen, bescheidenen Beruf eines Landmanns zu ergreifen. Doch zu guter Letzt eröffnete sich ihm ein anderer Weg, um zu dem so sehr ersehnten Ziele zu [156] kommen. Als Lehrer einer Privatschule in Merseburg und dann in Erfurt und darauf als Prädicant in seiner Heimath und in Werder bei Berlin fand er Gelegenheit, sich auf praktischem Wege für das geistliche Amt vorzubereiten. In dieser letzten Stellung als Prädicant in Werder empfing er die Berufung zu seinem nachmaligen Missionsamte.
Ziegenbalg: Bartholomäus Z., der erste deutsch-evangelische Missionar, wurde am 24. Juni 1683 als Sohn eines schlichten Handelsmannes gleichen Namens in dem sächsischen Städtchen Pulsnitz in der Lausitz geboren. Nach dem frühen Tode beider Eltern versah die älteste Schwester an den andern noch unmündigen Geschwistern Elternstelle; sie trug auch Sorge, daß der zum Studium bestimmte Knabe die städtische Schule zu Kamenz und darnach das Gymnasium zu Görlitz besuchte. Hier in Görlitz wurde der 16jährige Jüngling, bei dem der religiöse Zug schon frühzeitig entwickelt war, in die Kreise der damals im Aufblühen begriffenen pietistischen Bewegung mit hineingezogen. Er machte eine tiefgehende Erweckung durch, die für die Richtung seines ganzen weiteren Lebensganges von ausschlaggebender Bedeutung wurde. Nachdem ein Briefwechsel mit dem von ihm um seinen väterlichen Rath angegangenenDer König Friedrich IV. von Dänemark hatte, vornehmlich wohl auf Betreiben seines eifrigen Hofpredigers Lütkens, den Entschluß gefaßt, zu den heidnischen Bewohnern der überseeischen dänischen Colonien Boten des Evangeliums zu senden, um jene zum Christenthum zu bekehren. Lütkens wurde beauftragt, sich nach Candidaten umzusehen, die zu solchem Amte geeignet sein möchten. Da sich nun in Dänemark zu solch gefährlichem Dienst niemand bereit fand, wandte er sich nach seinem Heimathlande, Deutschland, und schrieb an seine Berliner Freunde, zu welchen auch Lange gehörte, ob man in dieser Sache dort keinen Rath wüßte. Sofort dachte man in Berlin an Z., der sich ja auch gerade in der Nähe von Berlin befand. Er und mit ihm ein anderer junger Theologe, Heinr. Plütschau, wurden, nachdem sie sich einverstanden erklärt hatten, in feierlicher Sitzung am 1. October 1705 in Berlin zum Missionsdienst ausgesondert und nach Kopenhagen abgesandt. Auf der Reise dorthin und in Kopenhagen selbst erregten zwar die beiden jungen Leute, wenn sie von ihrem Vorhaben sprachen, viel Kopfschütteln; die meisten hielten das Unternehmen für eine höchst abenteuerliche und ganz nutzlose Sache. Auch der Bischof Bornemann stellte sich feindselig. Er ließ sie in dem Examen, das er mit ihnen anzustellen hatte, mit der charakteristischen Begründung durchfallen: „Die Männer sind verwerflich, denn es sind Pietisten.“ Indessen setzte Lütkens eine nochmalige Prüfung in Gegenwart von Zeugen durch, und jetzt mußte Bornemann sie wohl oder übel für „bestanden“ erklären. Nachdem Ziegenbalg und Plütschau dann zum Missionsamt ordinirt waren, segelten sie am 29. November 1705 nach ihrer neuen Wirkungsstätte ab. Ursprünglich war als solche Westindien ins Auge gefaßt, dann die Küste von Guinea in Westafrika. Schließlich wurde – es ist unbekannt aus welchem Grunde – auch davon Abstand genommen, und Vorderindien wurde das Arbeitsfeld unserer beiden Missionare. Hier besaß Dänemark an der Coromandel-Küste eine kleine Besitzung Trankebar, sie liegt in dem fruchtbaren Delta, welches die Kaweri, der südindische Nil, bei ihrer Einmündung in den Indischen Ocean bildet. Die Einwohner des Landes gehören zu dem etwa 16 Millionen zählenden dravidischen Volksstamm der Tamilen; unrichtigerweise werden sie in den alten Missionsberichten stets Malabaren genannt.
Als Z. und Plütschau nach glücklich beendeter Seereise am 9. Juli 1706 in Trankebar landeten, ahnten sie noch nicht, wieviel Schwierigkeiten und Hindernisse sich ihrer Arbeit entgegenthürmen würden. Die von Kopenhagen ziemlich unabhängige dänisch-ostindische Compagnie, welche von der Predigt des Evangeliums eine Erregung des religiösen Fanatismus ihrer heidnischen Unterthanen und damit eine Gefährdung ihrer Herrschafts- und Handelsinteressen befürchtete, sah darum von Anbeginn an das Eindringen der Missionare mit feindseligen Augen an. Zwar konnte die Handelscompagnie öffentlich gegen die auf ausdrücklichen Befehl des Königs eingerichtete Mission nichts unternehmen, desto mehr suchte man sie unter der Hand zu hemmen und wirkungslos zu machen. Demgemäß lauteten die dem Commandanten von Trankebar, Hassius, ertheilten geheimen Instructionen. Und Hassius erwies sich als ein gefügiges Werkzeug seiner Auftraggeber. So oft die Missionare ein Anliegen an ihn hatten, dessen Beförderung sie im Vertrauen auf die königlichen Befehle von ihm erwarteten, legte derselbe vielmehr das äußerste Widerstreben an den Tag, ihnen entgegen zu kommen; ja es geschah wohl gerade das Gegentheil von dem, was die [157] Missionare gewünscht hatten. Er suchte den mißliebigen Männern das Leben so sauer wie möglich zu machen. Dabei blieb es nicht einmal; es kam mehrfach zu erregten Auftritten, wobei sich der Commandant dazu fortreißen ließ, die Missionare mit gemeinen Schimpfworten und sogar mit Faustschlägen zu tractiren. Auf den Höhepunkt stieg diese Verfolgung, als er Z., welcher sich in furchtloser Freimüthigkeit einer tamilischen Christin gegen einen gewissenlosen dänischen Compagniebeamten angenommen hatte, wie einen Aufrührer ins Gefängniß werfen ließ. Niemand durfte Z. darin besuchen; sogar Tinte und Papier wurden ihm verweigert. Die Speisen, für welche Plütschau sorgen mußte, wurden vorher erst untersucht, ob auch kein Brief eingeschmuggelt würde. Mehr als vier Monate hat er in diesem Gefängniß sitzen müssen, dann wurde er entlassen, ohne daß je in seiner Sache ein Urtheil gesprochen wäre. Jahrelang wurden diese Drangsalirungen seitens des Commandanten fortgesetzt, die Missionare haben darüber ein dickes Buch „den Bericht von den Verhindernissen in dem Werk der Bekehrung der Heiden“ geschrieben. Erst als Z. 1715 selbst nach Europa ging, wurde Abhülfe geschaffen; Hassius wurde seines Amtes entsetzt, und ein missionsfreundlicher Commandant, Herr v. Nissen, trat an seine Stelle.
Auch den sonstigen in Trankebar ansässigen Europäern war ihre Anwesenheit ein Dorn im Auge; man argwöhnte, daß sie Spione wären, die von dem Thun und Treiben der Europäer nach Hause berichten würden, was denselben allerdings angesichts ihres lasterhaften Wandels nicht eben erwünscht sein konnte. Leider stellten sich auch die beiden dänisch-evangelischen Prediger auf Seite ihrer Feinde, sie hielten es für angebracht, eine geharnischte Predigt gegen sie zu halten, in welcher sie die Missionare als falsche Propheten und Irrgeister an den Pranger stellten. Vollends sah der katholische Priester P. Guevara, der die Arbeit unter den Tamilen bisher als seine Domäne angesehen hatte, in den evangelischen Missionaren Eindringlinge in seine Interessensphäre, welche er mit allen Mitteln der Intrigue bekämpfen zu müssen glaubte. So hatten die Missionare viele Feinde und wenig Freunde. Die Freunde in der Heimath aber waren weit und ließen wenig von sich hören. Bei den damaligen unvollkommenen Verkehrsverhältnissen dauerte es oft Jahre lang, bis ein Schiff nach Indien gelangte und Briefe und die zur Beförderung des Werkes nöthigen Geldmittel brachte. Welch ein Schlag war es da, daß die erste größere Geldsendung von 2000 Thl. auf der Rhede von Trankebar durch die Schuld des betrunkenen Capitäns ins Wasser fiel und verloren ging. Zu dem allen gesellte sich schließlich noch Leid im eigenen Hause. Von drei 1708 neu hinausgesandten Missionaren trat einer auf die Seite ihrer Feinde. Es war ein höchst unerquickliches Zusammenleben voll täglicher kleiner Reibereien und Streitereien. Die Missionare athmeten erleichtert auf, als dieser falsche Bruder sie nach drei Jahren wieder verließ.
Das war der schwere Anfang der Mission. Alle diese Hindernisse mußten offenbar den Prüfstein abgeben, an dem sich erwies, ob das Werk probehaltig war oder nicht. Z. hat die Probe bestanden. Er ist unter den zahlreichen Heimsuchungen nicht müde noch mürbe geworden. Hätte er das Feld geräumt, so wäre es menschlicher Berechnung nach für lange Zeit mit der Mission aus gewesen. Durch sein standhaftes Beharren hat er die Mission sowol im Heidenlande wie in der Heimath fest begründet.
Was nun Ziegenbalg’s Missionsthätigkeit selbst betrifft, so hatte er auch hierin natürlich eine viel schwierigere Position als spätere Missionare. Es hatte noch niemand vor ihm auf diesem Gebiete Erfahrungen gesammelt, es waren noch keine Missionsprincipien festgelegt noch Regeln für ihren Betrieb aufgestellt. Z. mußte als Bahnbrecher alles selbst erproben. Daß er nun als junger Missionar auch manchen Mißgriff gethan hat, ist nicht verwunderlich. Aber sehr interessant [158] ist es, zu beobachten, wie Ziegenbalg’s Thätigkeit doch schon die wichtigsten Grundzüge aufweist, nach welchen auch heute noch die evangelische Mission verfährt. Gar bald kam er zur Erkenntniß, daß es durchaus nicht genüge, das Evangelium auf Portugiesisch – damals die lingua franca in Südindien – zu verkündigen, und daß er, um tieferen Eingang in das Volk zu finden, unbedingt in seiner Muttersprache, auf Tamilisch, zu ihm reden mußte. Mit allem Nachdruck und mit Benutzung aller auftreibbarer Hülfsmittel warf er sich auf diese Sprache und konnte zur Verwunderung der Europäer nicht minder als der Eingeborenen bereits nach Jahresfrist die erste tamilische Predigt halten. – Nach dem bekannten Worte, daß, wer die Jugend hat, auch die Zukunft hat, ruft die evangelische Mission überall Schulen ins Leben. So war es auch einer der ersten Schritte Ziegenbalg’s und seines Collegen, die Kinder der Tamilensklaven und die Waisenkinder in Trankebar zusammenzulesen und mit ihnen eine Schule anzufangen. Dies war der Anfang des bis heute blühenden Schulwesens in Trankebar. – Weiter sieht es die evangelische Mission überall als ein von ihr zu erstrebendes Ziel an, dem Volke, an dem sie arbeitet, die Bibel in seiner Muttersprache zu bieten; die Bibel in der Landessprache ist eins der wesentlichsten Fundamente der aus der Heidenschaft zu bildenden Volkskirche. Auch Z. machte sich, sobald er die Sprache einigermaßen beherrschte, an die Bibelübersetzung. Er hat das Neue Testament vollständig ins Tamilische übersetzt und mit dem Alten einen Anfang gemacht. Bei dem Stande der damaligen Kenntniß der tamilischen Sprache konnten diese Arbeiten natürlich noch nicht vollkommen ausfallen; spätere Uebersetzer haben dann fort und fort daran gebessert und sie immer vollkommener gestaltet. – Es gilt aber nicht nur den heidnischen Nationen unsere heiligen Schriften zu bieten; um sie in ihrem religiösen Denken und Fühlen zu verstehen, ist es nöthig, auch eine Kenntniß ihrer Religion zu haben. Solcher Erkenntniß verschloß sich Z. nicht. Um die religiösen Anschauungen, Sitten und Gebräuche der Tamilen kennen zu lernen, trat er mit vielen gelehrten Vertretern des Brahmanenthums in brieflichen Verkehr und benutzte auch jede Gelegenheit, um mit ihnen ein Gespräch anzuknüpfen. Eine ganze Reihe von Abhandlungen sind Früchte dieser Studien, so z. B. seine „Genealogie der Malabarischen Götter“, „Das Malabarische Heidenthum“, „Malabarische Moralia“ u. s. w.
Immer mehr wurde es Z. auch klar, daß die wenigen europäischen Missionare allein die zahllosen Scharen der Heiden nicht würden bekehren können, daß man hierzu der Hülfe der eingeborenen Christen nicht würde entrathen können. Als er daher 1716 von seiner Europareise (s. o.), auf welcher er übrigens vom König von Dänemark zum Propst der Mission ernannt wurde, nach Trankebar zurückkehrte, machte er durch Gründung eines kleinen Seminars den Anfang mit der Ausbildung eingeborener Lehrer. Es sollte dies eins seiner letzten Lebenswerke sein. Nehmen wir zu dem allen noch die tägliche Arbeit, das Ausgehen unter die Heiden und die Verkündigung des Evangeliums, die sonntäglichen und Wochengottesdienste, den Katechumenenunterricht der Taufbewerber, die Weiterbildung der jungen Christen, so werden wir staunen müssen über alles, was Z. zumal bei der ihm sein Leben lang anhaftenden Leibesschwachheit und bei dem entnervenden Klima Indiens geleistet hat. Um so schmerzlicher mußte es ihn treffen, wenn das Missionscollegium zu Kopenhagen sich dazu berufen glaubte, an dieser mit Hingabe seines ganzen Lebens betriebenen Arbeit eine vernichtende Kritik zu üben. Das Missionscollegium meinte, die Missionare verflöchten sich zu sehr in abliegende Angelegenheiten; von Kirchenbauen, Schulehalten, Bibelübersetzen stände in der Missionsinstruction, die der Herr selbst Matth. 10 den Jüngern gegeben habe, nichts; darum sollten sich die Missionare auch dessen [159] enthalten u. s. w. Diese ungerechte und unverständige Verurtheilung seines Lebenswerkes brach Z. das Herz. Er fiel in schwere Krankheit und starb am 23. Februar 1719 im Alter von erst 34 Jahren.
Die in die Augen fallenden Früchte seiner Arbeit waren noch bescheiden: etwa 250 tamilische Christen sammelten sich zur Zeit seines Todes um die „Jerusalemskirche“, als ihr Centrum. Es gilt hier das Wort: „der eine sät, der andere schneidet.“ Z. war der Säemann, der den guten Samen ausstreute, andere haben dann geerntet, was er gesät hat. Jedenfalls gebührt Z. ein Ehrenplatz unter den hervorragenden Vertretern der evangelischen Mission.
- Dr. W. Germann, Ziegenbalg und Plütschau. Bd. I, Ihr Leben. Bd. II, Urkunden.
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