ADB:Ziemann, Georg Wilhelm
Goßner in Berlin, und dieser, der mit geübtem Blick erkannte, was in dem schlichten, naturwüchsigen Manne steckte, konnte ihn in seinem Vorsatz nur bestärken. So verkaufte Z. Haus und Hof, Hab und Gut und zog 1842 mit seinem Weibe hinaus in das ferne Heidenland, nach Nordindien, wohin Goßner schon eine ganze Reihe von Glaubensboten geschickt hatte. Die ersten Jahre seines indischen Aufenthaltes sehen wir Z. an manchen Orten, wo er bald kürzer, bald länger stationirt war. Endlich faßte er 1855 in Ghazipur am Ganges, einige Meilen unterhalb Benares, festen Fuß, und diese Stadt wurde Zeuge der eigentlichen Lebensarbeit Ziemann’s.
Ziemann: Georg Wilhelm Z., wurde am 27. November 1809 in dem märkischen Dorfe Gr. Wudicke als drittes Kind des Schneiders und Ortsschulzen Ziemann geboren. Irgendwelche wissenschaftliche Studien zu treiben, bot sich in der Jugend für den Dorfknaben keine Gelegenheit. Selbst der Besuch der Dorfschule war ein sehr unregelmäßiger, denn schon bald mußte der Knabe fleißig in der Landwirthschaft mithelfen. Eine tüchtige Bibelkenntniß, die der gottesfürchtige Vater seinen Kindern anerzog, mußte viele sonstige Lücken ausfüllen. Nach der Confirmation wurde der Jüngling in die Geheimnisse des väterlichen Handwerks eingeweiht, und treulich hat er diesem schlichten Beruf bis zu seinem 33. Lebensjahre obgelegen. Der Einfluß eines jungen, feurigen Predigers Wrede, durch den Z. zu einem neuen geistlichen Leben erweckt wurde, diente dann dazu, seinem Leben eine ganz andere Richtung zu geben. Es erwachte in ihm der immer brennender werdende Wunsch, selbst ein Zeuge des Evangeliums zu werden, als Missionar zu den Heiden zu gehen. Es ließ ihm keine Ruhe mehr; in der Werkstatt, auf dem Felde, überall beschäftigte ihn dieser Gedanke. Schließlich wandte er sich an den bekannten MissionsvaterDie Missionsarbeit in Nordindien ist überaus schwierig und stellt die Geduld der Missionare auf harte Proben. Der Hinduismus tritt hier der Mission in seiner ganzen compacten Geschlossenheit entgegen, er erscheint wie ein massiges festgefügtes Bollwerk, aus dem nur mühsam hier und da ein Stein auszubrechen ist, bis es endlich eine größere Bresche gibt. Aber Z. war der rechte Mann auf solchem Posten. Als ein altmärkisches Erbtheil eignete ihm eine unverwüstliche Zähigkeit und Energie, die weder von dem trotzigen Widerstand des Heidenthums noch von der glühenden indischen Sonne besiegt werden konnte. Damit verband sich ein heiliger Feuereifer, der auch noch dem weißhaarigen Greise aus dem Augen blitzte. Und welche selbstlose Aufopferung für das Wohl Anderer, welche rührende Anspruchslosigkeit zierten ihn! Mit solchen Eigenschaften hat er manches Heidenherz überwunden. Die Missionsarbeit betrieb er all die Jahre hindurch mit großer Planmäßigkeit. Jeden Morgen verweilte er mehrere Stunden predigend und disputirend auf den Bazaren der Stadt, wo dann Volks genug zu finden war. Und war’s in seinen jüngeren Jahren seine gewaltige Bußpredigt und seine geistvolle Schlagfertigkeit, so war’s in den Tagen des Alters die Milde und der Ernst seiner ehrwürdigen Gestalt, die auf die Gemüther seiner Zuhörer tiefen Eindruck machten. Besonders gute Gelegenheit zu reichlichem Ausstreuen des guten Samens bot sich, wenn im Frühjahr viele Tausende von Landleuten nach der Stadt strömten, um ihr geerntetes Opium an die dortige Fabrik zu liefern. Dann lagerten sie wochenlang vor der Stadt, und jeden Abend war Vater Ziemann in ihrer Mitte zu finden. Viel Liebe und Fleiß wurde der erzieherischen Thätigkeit gewidmet. Obwol selbst wenig geschult, hat Z. doch auf diesem Gebiete besonders große Erfolge erzielt. Auf Drängen der englischen Beamten übernahm er die Aufsicht über die Ghazipurer Mittelschule, und sie hat sich unter seiner Leitung so gehoben, daß sie zur High-School [196] erklärt wurde. Aus ihr sind viele höhere Hindubeamte hervorgegangen. Z. meint selbst, daß es vornehmlich dem Einfluß dieser Schule zu danken sei, wenn allmählich die Stimmung in der Stadt gegen die Mission eine weniger feindselige geworden sei. Auch ein Waisenvater wurde Z. Eigene Kinder waren ihm versagt, so nahm er sich mit herzlichem Erbarmen der armen Hinduwaisen an, deren er eine große Zahl um sich sammelte. Mit ihnen die Morgenandacht zu halten oder an den schönen, stillen Abenden nach gethaner Arbeit im Garten liebliche Lieder zu singen, das war seine Erquickung. Ein wichtiger Zug in seiner Thätigkeit war endlich die Reisepredigt. Sobald die kalte Jahreszeit eintrat, in welcher allein es für Europäer möglich ist, längere Reisen zu unternehmen, dann hielt es ihn nicht mehr zu Hause. Dann gings auf die Wanderung. Vieler Vorkehrungen bedurfte es für den bescheidenen Mann nicht. Sein Ochsenwagen trug das Zelt und das Bett; er selbst ging zu Fuß, am liebsten barfuß und in Rockärmeln, mit einem mächtigen Hut gegen die Sonnenstrahlen. „Der barfüßige Missionar mit dem großen Hute“ war weit und breit eine bekannte und beliebte Erscheinung. So besuchte er unermüdlich wochenlang Dorf um Dorf; ein gelegentlicher Begleiter konnte es wol nicht begreifen, wie er das aushalten könne, vom Morgen bis zum Abend zu predigen, ohne sich mehr als eine halbe Stunde Mittagsruhe zu gönnen. Auch als sich die Beschwerden des Alters einstellten, wollte er diese Thätigkeit nicht aufgeben. Denn das Wort Ruhe und Erholung gab’s für ihn nicht. Schon recht hinfällig hatte er sich im November 1881 auf eine solche Rundreise gemacht, zum Tode erschöpft kehrte er zurück; und eine schnelle Krankheit setzte dem arbeitsreichen und gesegneten Leben am 2. Weihnachtstage ein Ende. Ein Denkmal von Erz und Stein ist ihm nicht gesetzt; aber die von ihm gegründete deutsche Mission von Ghazipur ist ein bleibendes Gedächtniß seiner Arbeit. Und ein noch köstlicheres bilden die fast 1000 Hindus, welche durch ihn zum Christenthum bekehrt sind, ein Erfolg, wie ihn wenig Missionare im nördlichen Indien aufzuweisen haben.
- H. Lorbeer, Der Held von Ghazipur.