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ADB:Goßner, Johannes

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Artikel „Goßner, Johannes Evangelist“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 407–410, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Go%C3%9Fner,_Johannes&oldid=- (Version vom 2. Dezember 2024, 14:18 Uhr UTC)
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Band 9 (1879), S. 407–410 (Quelle).
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Goßner: Johannes Evangelist G., der bedeutendste Vertreter der evangelischen Bewegung, welche gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Baiern entstand, wurde geboren am 12. (oder 14.) Decbr. 1773 in dem baierischen Weiler Hausen (bei Günzburg, damals zum Bisthum Augsburg gehörig). Schon frühe erwachte in dem frommen, talentvollen und lernbegierigen Knaben der Wunsch, Geistlicher zu werden; den Widerstand seiner wohlhabenden Eltern, deren 10. Kind er war, überwindend, trat er mit 12 Jahren in das Salvatorgymnasium in Augsburg ein, welches von Jesuiten trotz der Aufhebung ihres Ordens geleitet wurde; Frühjahr 1792 bezog G. die Universität Dillingen, September 1793 vertauschte er sie mit Ingolstadt, dessen Georgianum ihm einen erwünschten Freiplatz gewährte. Trübe sind dem nach Wahrheit strebenden Jüngling dort die Tage verflossen; die Anstalt wurde in jesuitischem Geiste geleitet, die Lehrer beschäftigten sich wenig mit ihren Zöglingen, strenge Vorschriften schlossen diese vom Umgang mit andern Leuten fast völlig ab; ihm selbst konnten seine Studiengenossen, meist Bauernsöhne ohne ernstes wissenschaftliches Streben, die an materiellen Ergötzlichkeiten ihre höchste Freude fanden, wenig Sympathie abgewinnen. Mit trefflichen Zeugnissen ausgerüstet, ein ernster frommer Jüngling, verließ G. am 21. Juli 1797 Ingolstadt, um den Rest des Jahres in dem Priesterhause zu Pfaffenhausen zuzubringen. Es schien ihm ein Gefängniß zu sein und von ganzem Herzen freute er sich, als er die Priesterweihe erhalten hatte und am 28. Jan. 1798 dem Hause Valet sagen konnte; für seine besondere Begabung war die anregende praktische Thätigkeit eines Geistlichen die passendste; und in richtiger Erkenntniß seiner selbst hatte er die Aufforderung eine [408] wissenschaftliche Laufbahn als Universitätslehrer einzuschlagen früher schon abgewiesen. In den drei Stellen, die er der Reihe nach bekleidete, Stoffenried, Neuburg und Steeg widmete er sich mit allem Eifer, dessen seine fromme Seele fähig war, seinen geistlichen Amtspflichten, besonders der Seelsorge; das Bild des Seelsorgers, wie es Sailer in seiner Pastoraltheologie gezeichnet hatte, suchte er lebendig darzustellen. Zugleich ging in jener Zeit eine bedeutsame innerliche Wendung bei ihm vor. Eine eigenthümliche reformatorische Bewegung war gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der katholischen Kirche jener Gegend entstanden (zwischen Lech und Iller); sie fiel zeitlich zusammen mit der Aufhebung des Jesuitenordens und den Bestrebungen, eine deutsche katholische Nationalkirche zu bilden; sie war hervorgerufen durch die geistige Dürre, welche Rationalismus und jesuitischer Schematismus auf dem Felde katholischer Lehre und Lebens hervorgebracht hatte; ein Dringen auf religiöse Innerlichkeit war das charakteristische Zeichen dieser Bewegung, im Anschluß an Fenélon, Thomas a Kempis u. A. suchten die Vertreter dieser Richtung auf die evangelischen Grundprinzipien zurückzugehen, welche sich noch in der katholischen Glaubenslehre fanden. Wissenschaftlich war diese Richtung angeregt worden durch Joh. Mich. Sailer, welcher neben einer großartigen schriftstellerischen Thätigkeit einen weitgreifenden Einfluß als Lehrer auf die baierische theologische Jugend ausübte. Aber während Sailer den Boden der katholischen Kirche und Lehre nie verließ, waren Boos (s. d. Art.) und nach ihm und durch ihn G. von ihren praktischen religiösen Bedürfnissen getrieben bald weiter geführt zu specifisch evangelischen Grundsätzen, zur Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben. Noch meinten sie mit ihren Anschauungen Raum in ihrer katholischen Landeskirche zu haben, aber der lebhafte Trieb zu gemeinschaftlicher Erbauung, der sich in diesen Kreisen kund gab, erregte das Mißtrauen der bischöflichen Regierung. G., welcher Frühjahr 1801 als Domcaplan nach Augsburg berufen worden, wurde März 1802 in Untersuchung gezogen und zu mehrwöchigem Aufenthalt im Priestercorrectionshaus Göppingen[1] verurtheilt. Längere Zeit lebte er dann ohne Stelle bei Freunden, da änderte der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 – wie soviele Verhältnisse auch seine Stellung. Das Bisthum Augsburg fiel an Bayern, und Montgelas, der ehemalige Illuminat, bevorzugte besonders die Männer, welche die pfäffische Regierung verfolgt hatte. G. erhielt die gutdotirte Pfarrei Dirlewang bei Mindelheim (September 1803). Emsig und segensreich wirkte er bis Januar 1811 in dieser Gemeinde, ein anregender Kreis edler gleichgesinnter Freunde, darunter Schmid, Fenneberg, Siller, Bayr umgab ihn, bald aber wurde er auch mit den glaubenstreuen Protestanten Süddeutschlands, Kießling, Schöner, Buchrucker, Spittler, Blumhard u. A. bekannt, er nahm Theil an den Bestrebungen der Bibelgesellschaft für Süddeutschland und die Schweiz und verbreitete eifrig das Wort Gottes und erbauliche Schriften. Damit wurde aber die Kluft, welche ihn innerlich vom Katholicismus trennte, größer, eine Reise nach Basel, Zürich, St. Gallen, wo ihm die evangelische Kirche zum erstenmal in ihrer äußeren Erscheinung entgegen trat, vermehrte die Entfremdung, aber den entscheidenden Schritt des Uebertrittes that er noch nicht. Wegen geschwächter Gesundheit legte er seine Pfarrstelle nieder und nahm eine Beneficiatenstelle in München an, aber sobald er wieder predigen konnte, widmete er sich eifrig pfarramtlicher Thätigkeit und seine ausgezeichnete Rednergabe getragen von wahrer Frömmigkeit, sammelte rasch aus allen Schichten der Bevölkerung eine zahlreiche „Goßnergemeinde“ um ihn. Weithin verbreitete sich sein Ruf, norddeutsche Theologen versäumten selten, wenn ihr Weg sie durch München führte, ihn zu besuchen, die beiden Sack[WS 1], Snethlage, Schleiermacher (Herbst 1818) sprachen nacheinander bei dem „tüchtigen, festen, frommen Mann“ ein, auch Bethmann-Hollweg besuchte [409] ihn (Juli 1817), auch mit der Brüdergemeinde trat er zunächst brieflich in Verbindung. Aber die katholische Kirche wandte ihrem halbabtrünnigen Sohne jetzt ihre volle Aufmerksamkeit zu; der Jesuitenorden war wieder hergestellt worden, die Curie unablässig bemüht, die frühere Macht aufs neue zu gewinnen, Montgelas wurde entlassen (2. Febr. 1817). Bei einer solchen Richtung der Geister konnte ein Mann wie G. nicht lange unangefochten in evangelischem Sinne wirken. Müde der Verdächtigungen, fürchtend, mundtodt gemacht zu werden reichte er am 23. Aug. 1819 seine Entlassung ein und nahm die Stelle eines katholischen Religionslehrers am Gymnasium von Düsseldorf an, dieselbe welche vor ihm Boos inne gehabt hatte. Aber lange war seines Bleibens nicht daselbst, ränkevolle Denunciationen von Baiern ausgehend, erschwerten seine Thätigkeit. Da entriß ihn ein Ruf nach St. Petersburg (März 1820) dieser unangenehmen Lage. Kaiser Alexander I. hatte unter dem Einfluß der Frau v. Krüdener sein Reich den religiösen Flüchtlingen geöffnet. Würtemberger und Baiern waren zahlreich in die südlichen Provinzen eingewandert, Lindl, Goßner’s Freund, war Probst bei Odessa, G. selbst wurde Prediger an der katholischen Maltheserkirche in St. Petersburg (10./22. Juli 1820). Wie überall so gewann G. während der vier Jahre seines dortigen Aufenthaltes durch seine eifrige pfarramtliche Thätigkeit großen Einfluß; aber als nach dem Congreß in Verona der Kaiser durch die altrussische Opposition in seinen Reformplänen wankend gemacht wurde und Galitzin, Goßner’s Beschützer, gestürzt war, wurde G. selbst als Illuminat verdächtigt, die eifrige Förderung der Bibelverbreitung ihm vorgeworfen und unverfängliche Stellen aus seinem Buche: „Der Geist des Lebens und der Lehre Jesu“ als Schmähungen der heil. Jungfrau ausgelegt. Das Predigen wurde ihm verboten und er am 11. Mai (29. April) 1824 des Landes verwiesen. Die Hoffnung, welche er jahrelang hegte, seine Unschuld werde erkannt und er wieder nach Petersburg zurückberufen werden, ging nicht in Erfüllung. Den Sommer 1824 hielt er sich in Berlin und Altona auf, 15. October zog er nach Leipzig. Ziemlich abgeschlossen, nur mit wenigen Familien verkehrend, brachte er dort beinahe zwei Jahre zu; ein umfangreicher Briefwechsel entschädigte ihn für die selbstgewählte Einsamkeit und fortgesetzte schriftstellerische Thätigkeit bewies, daß er sein Pfund nicht vergraben wolle. Versammlungen, von wenigen Leuten besucht, gaben der Polizei den Anlaß, ihn aus Leipzig auszuweisen. Den Heimatlosen nahm Graf Reuß XXXVIII. in Jänkendorf auf; mit ihm und andern adeligen Familien, Stollberg, Reden, Dohna, war G. schon früher bekannt geworden. Am 23. Juli 1826 trat er öffentlich in Königshayn zum Protestantismus über; innerlich hatte er schon lange keine Gemeinschaft mehr mit seiner Mutterkirche; er wollte auch nach außen hin Klarheit über seine Herzensstellung geben, die Sehnsucht nach einer festen geregelten Wirksamkeit wirkte ebenfalls zu diesem Schritt mit. In Berlin sollte ihm diese zu Theil werden; seine Bekannten brachten ihn dorthin als an einen für seine Thätigkeit geeigneten Ort; aber Jahre lang zog sich seine definitive Anstellung hinaus, auch nachdem der mehr als 50jährige Mann die Pein einer förmlichen Prüfung mit Probepredigt hatte über sich ergehen lassen; mit mancherlei Widerwärtigkeiten hatte er zu kämpfen. Die Berliner Geistlichen, mit Ausnahme Schleiermacher’s, versagten ihm ihre Kanzeln; Februar 1829 erfolgte endlich seine Berufung an die Bethlehemskirche, rasch sammelte sich auch hier wieder eine zahlreiche Gemeinde aus allen Ständen um ihn und seine bedeutende Anlage zu praktischer Thätigkeit kam zu voller Entfaltung, er gründete einen Männerkrankenverein, das Elisabethenkrankenhaus, mehrere Kinderbewahranstalten. Eben so weitgreifend war seine Thätigkeit in der Förderung der äußeren Mission; er gründete 1834 eine Zeitschrift: „Die Biene auf dem Missionsfelde“ für Missionsfreunde [410] und Missionsvereine; seiner anregenden Persönlichkeit gelang es, stets neue Sendboten für das Evangelium zu gewinnen, im Capland, in Nordamerika unter die kirchlicher Pflege entbehrenden Deutschen, auf die Chathamsinseln in Polynesien, besonders in Indien unter den Khols waren ihre Stationen, von welchen die letztere die bedeutendste, noch blühende ist. Zunehmende Kränklichkeit und amtliche Verdrießlichkeiten bewogen ihn am 21. April 1846 seine Stelle aufzugeben, ungestört konnte er sich nun diesen Werken der christlichen Barmherzigkeit und Bruderliebe widmen, bis der Tod am 20. März 1858 dem reichgesegneten Leben und Wirken ein Ende machte. – Von seinen Schriften, welche alle, auch die historischen, einen erbaulichen Charakter an sich tragen, sind die bekanntesten und bedeutendsten: „Das Erbauungsbuch des Christen oder die hl. Schriften des N. Testamentes“, Th. 1–8. 1827–31; „Geist des Lebens und der Lehre Jesu“, Bd. 1. 2., 1823, und besonders sein „Schatzkästchen“, enthaltend biblische Betrachtungen auf alle Tage im Jahre, Bd. 1. 2., 1825, oft aufgelegt; mehrere Sammlungen seiner Predigten und „Martin Boos, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“, herausgegeben von J. Goßner, 1831, ein schönes Denkmal pietätsvoller Treue, das er dem frühverstorbenen Freunde setzte.

Johannes Goßner. Ein Lebensbild aus der Kirche des neunzehnten Jahrhunderts von Hermann Dalton. Berlin, Verlag des Goßnerischen Missions-Vereins. 1874[2], eine vortreffliche Biographie mit Benutzung vielen handschriftlichen Materials und umfangreicher Litteraturkenntniß klar und anziehend geschrieben. Prochnow, Johannes Goßner. Biographie aus Tagebüchern und Briefen, Berlin 1864. Bethmann-Hollweg, Johannes Goßner in Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben, 1858. S. 177 ff. Evangelische Kirchenzeitung, 1858. S. 837 ff. Aichinger, Johann Michael Sailer, Freiburg 1865. Schmid, Geschichte der katholischen Kirche Deutschlands, München 1874.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 408. Z. 29 v. o. l.: Göggingen (st. Göppingen). [Bd. 9, S. 796]
  2. S. 410. Z. 21 v. o. ergänze nach 1874: 2. Auflage 1878. [Bd. 9, S. 796]

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