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ADB:Schmid, Heinrich (Kirchenhistoriker)

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Artikel „Schmid, Heinrich“ von Friedrich Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 83–85, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmid,_Heinrich_(Kirchenhistoriker)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 16:15 Uhr UTC)
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Schmid: Heinrich Friedrich Ferdinand Sch. wurde am 31. Juli 1811 als Sohn des fürstlich öttingen-wallersteinischen Geh. Hofraths Schmid in Harburg bei Nördlingen geboren, besuchte das Gymnasium zu St. Anna in Augsburg und studirte von 1828 ab in Tübingen, Halle, Berlin und Erlangen Theologie. 1833 trat er in das neu gegründete Predigerseminar zu München und fand hier inmitten der sich kräftig in die Höhe arbeitenden Diasporagemeinde der bairischen Hauptstadt und im Verkehre mit hervorragenden evangelischen Persönlichkeiten, wie G. H. v. Schubert, Fr. Wilhelm Thiersch und Schnorr v. Carolsfeld eine Fülle von kirchlichen Anregungen, die für die Richtung seines Lebens von Bedeutung werden sollten. Von 1837 ab war Sch. Repetent bei der theologischen Facultät in Erlangen und lieferte in dieser Zeit für die Erlanger Lutherausgabe die Bände IX–XI der „Exegetica opera latina“, welche die Capitel 36–50 der Enarrationes in Genesin umfassen. Nachdem er sich 1846 als Privatdocent habilitirt hatte, wurde er 1848 außerordentlicher Professor und 1852 ordentlicher Professor. Entsprechend seiner litterarischen Thätigkeit überwies man ihm zunächst die Kirchengeschichte und die systematische Theologie; da aber seine Interessen doch vorwiegend auf dem geschichtlichen Gebiete lagen, er auch neben Thomasius als Dogmatiker überflüssig [84] war, so trat er nach Engelhardt’s Tode 1855 in dessen kirchenhistorische Professur. Von da ab hat er noch ein Vierteljahrhundert die Kirchengeschichte schlecht und recht in Wort und Schrift auf der Universität Erlangen vertreten. Er gehörte, wenn auch nicht zu den führenden Geistern, so doch zu den charakteristischen Figuren der alten Erlanger Schule und hat infolge seiner langen Wirksamkeit und der dadurch bedingten Kenntniß von Personen und Verhältnissen einen gewissen Einfluß an der Universität ausgeübt und sich für seine Zeit einen Namen gemacht. Im J. 1867 überkam er das Prorectorat und führte sich mit einer etwas ungesalzenen Rede über die Aufgaben der Universität und den rechten Gebrauch der akademischen Freiheit in seinem neuen Amte ein. Gegen Ende der siebziger Jahre nahmen seine geistigen und körperlichen Kräfte rasch ab, sodaß er sich 1881 genöthigt sah, vom Lehramte zurückzutreten. Der 17. November 1885 machte diesem stillen, von großen Wechseln nicht berührten Gelehrtenleben ein Ende.

Die Zahl der Schmid’schen Bücher und Aufsätze ist nicht gering; doch bedeutet unter ihnen allen nur seine erste Schrift, die noch in Schmid’s Repetentenzeit fallende „Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche dargestellt und aus den Quellen belegt“, 1843, 7. Auflage 1893, einen glücklichen Wurf. Das Buch will in farblosen Paragraphen und breiten Excerpten aus den classischen Dogmatikern des 16. und 17. Jahrhunderts den Ertrag der dogmatischen Arbeit von Melanchthon bis Hollaz zur Darstellung bringen und den Lutheranern von heute das richtige Verständniß für diese alte Zeit vermitteln. Es hat sich in der That während eines halben Jahrhunderts als nützliches Compendium für das Examen im Gebrauch erhalten und ist auch für die außerdeutschen Lutheraner ins Schwedische (1846) und Englische (1876) übersetzt. Aehnlichen Charakter trägt das „Lehrbuch der Dogmengeschichte“ 1860, das schon 1862 ins Schwedische übertragen wurde, 1877 in 3. Auflage und 1887 in neuer Bearbeitung von Albert Hauck erschien. Dagegen hat sein „Lehrbuch der Kirchengeschichte“ (1851, 2. Aufl. 1856) keinen weitergreifenden Einfluß ausgeübt und ist auch in seiner letzten Gestalt als zweibändiges „Handbuch der Kirchengeschichte“ 1880, 1881 schon veraltet gewesen, noch ehe es erschien. Schmid’s Monographien zeichnen sich durch nüchterne Sachlichkeit aus, doch lassen auch sie meist nur allzusehr die persönliche Note vermissen; sie behandeln die „Geschichte der synkretistischen Streitigkeiten in der Zeit des Georg Calixt“ 1846, die „Theologie Semler’s 1858 (im Anschluß an sein Programm: Semlerianae theologiae principia et progressiones 1854), die „Geschichte des Pietismus“ 1863, den „Kampf der lutherischen Kirche um Luther’s Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter“ 1868 und die „Geschichte der katholischen Kirche Deutschlands von Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart“ 1874. Zu weiteren Kreisen aber sprach Sch. in der „Zeitschrift für Protestantismus und Kirche“ erst als fleißiger Mitarbeiter, dann neben Thomasius und Hofmann als eigentlicher Redacteur; sein ruhig abwägendes Urtheil empfahl ihn für diese Aufgabe ganz besonders, und es war nicht seine Schuld, wenn das einst tüchtige Organ 1876 an Altersschwäche einging. – Sch., der in seiner Jugend die kirchliche Erweckung miterlebt hatte, war zeitlebens bestrebt, den neu erwachten Glauben durch die alte Orthodoxie zu stützen. Der Niederschlag der Dogmatik des 17. Jahrhunderts ist für ihn die lutherische Dogmatik schlechthin, die bis jetzt wenigstens noch nicht überboten ist. Somit ragt Sch., wenngleich ein vornehmes Glied der Gruppe, nicht über jene lutherischen Theologen hinaus, die, den Blick unentwegt rückwärts zu den Vätern gewandt, der Kirche mit einer wissenschaftlichen Arbeit zu dienen vermeinten, die, weil unter angeblich [85] kirchlichen, in Wirklichkeit fremden Gesichtspunkten unternommen, sich rasch überleben mußte. Seine Beurtheilung des Pietismus hat Sch. den Vorwurf eingetragen, daß er nicht über ein Plagiat des Joh. Georg Walch hinausgekommen sei und daß er mit seiner These von den Trübungen der reinen Lehre durch die pietistische Bewegung noch auf dem ablehnenden Standpunkte von 1730 stehe. In der Theologie Semler’s vermag er nur Rückschritte und Mängel zu entdecken. Und daß Sch. als Student zu den Füßen Schleiermacher’s gesessen hat, davon ist in seiner Theologie nirgends etwas zu spüren. Gleichwohl hebt sich Sch. wohlthuend von den Repristinationstheologen gröberen Schlages ab. Als Süddeutscher ist er glücklich davor bewahrt geblieben, religiöse Fragen zur engen Parteisache werden zu lassen. Dazu kam der befruchtende Einfluß Hofmann’s, mit dem Sch. von der Repetentenzeit ab in innigem Freundschaftsverhältniß gestanden hat. Als Hofmann’s selbständige Ausgestaltung und Weiterbildung der lutherischen Theologie den Unmuth des nur an den alten Formeln klebenden mecklenburgischen Lutherthums hervorrief, wußte Sch. in seiner für den Freund eintretenden Schrift: „Dr. v. Hofmann’s Lehre von der Versöhnung in ihrem Verhältniß zum kirchlichen Belenntniß und zur kirchlichen Dogmatik“ 1856 besonnen zwischen dem Bleibenden und zeitlich Bedingten, zwischen der Substanz des Bekenntnisses und der dogmatischen Arbeit des einzelnen Theologen zu unterscheiden. Die Wissenschaft darf sich nicht knechtisch an das Ueberlieferte binden, sondern sie muß sich die Freiheit wahren, den von der Vergangenheit überkommenen Stoff immer aufs neue wieder zu prüfen, zu sichten und umzugestalten. Dem Freundschaftsbunde mit Hofmann hat Sch. nach dessen Tode noch ein hübsches Denkmal gesetzt in der Herausgabe und Bevorwortung der „Vermischten Aufsätze von Prof. v. Hofmann“, 1878. Und umgekehrt war es ein letzter Schüler Hofmann’s, der im Nachruf auf Sch. für diesen das treffende Motto: „Frei und treu“ geprägt hat.

Allgem. evangelisch-lutherische Kirchenzeitung 1885, Sp. 1127 f. – Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (3) 17, S. 647 ff. – G. Frank, Geschichte der protestantischen Theologie IV, 462 f.