Abessinien und seine Geschichte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: C. Falkenhorst
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Abessinien und seine Geschichte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 284–287
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[284]

Abessinien und seine Geschichte.

Von C. Falkenhorst.0 Mit Abbildungen von Richard Mahn.

Als vor einem Jahrzehnt die „Teilung von Afrika“ stattfand, trat auch Italien in die Reihe der Kolonialmächte und hißte seine Flagge auf der Insel Massaua im Süden des Roten Meeres. Der Küstenstrich, den es unter seinen Schutz stellte, war nicht besonders verlockend, eine öde Gegend erstreckt sich hier, berüchtigt durch das heiße fiebererzeugende Klima, bewohnt von wilden räuberischen Stämmen. Aber Massaua ist der Ausfuhrhafen Abessiniens und auf dieses Hinterland der öden Küste hatten die Italiener im stillen ihr Auge geworfen. Die blaue Gebirgsmauer, die im Norden von Massaua sich auftürmt, war das Ziel ihrer Wünsche und sie wußten wohl, daß jenes Hochland unter den sonnverbrannten Ländern Afrikas eine der wenigen kostbaren Perlen bildet.

Abessinien war ja seit lange kein unerforschtes Land. Zahlreiche Forschungsreisende hatten es durchquert und über seine Natur und Bevölkerung genauere Kunde nach Europa gebracht – und wie farbenprächtig waren diese Schilderungen!

Auf steilen Pfaden zieht der Reisende von der Küste landeinwärts, und kaum hat er siebzig Kilometer zurückgelegt, so befindet er sich bereits in einer Hohe von 2000 m über dem Meeresspiegel; ein Bergland dehnt sich vor ihm aus, das an Großartigkeit der Eindrücke einzig in seiner Art sein dürfte und an Umfang die Schweiz etwa zehnmal übertrifft. Wohl fehlen ihm die Gletscher, aber auf seinen höchsten Zinnen erglänzt häufig der Schnee. Vulkanische Kräfte haben in grauer Vorzeit diese Bergrücken emporgehoben, dann nagten an ihnen Wind und Wetter und verliehen dem Hochland im Laufe von Jahrtausenden die wildromantischen Charakterzüge, die es heute aufweist. Malerisch sind in der That die Landschaften Abessiniens. Tiefe Schluchten durchziehen das Gebirge, dazwischen ragen gewaltige Felsmassen wie Pfeilerreihen, Domkuppen oder Pyramiden empor, oft gestalten sie sich zu Tafelbergen, die, schwer zugänglich, mitunter nur mit Hilfe von Leitern erstiegen werden können. Das sind die „Amben“, die manchmal so weit sich ausdehnen, daß sie Dörfern, Ackerfeldern und Weiden für zahlreiche Herden genügenden Raum bieten, das sind die natürlichen Festungen dieses Landes, auf deren Höhen die Einwohner gern ihre Burgen errichten. Es giebt wohl in Abessinien dürre, wasserarme Strecken, aber in höheren Regionen, wo reichliche Regen fallen, fehlt es nicht an schäumenden Bächen, die in Wasserfällen in die finsteren Schluchten stürzen, und aus den Thälern und Hochebenen blinken blaue Seen zum Himmel empor. Der berühmteste und größte von ihnen ist der Tanasee, der den Grund eines Riesenkraters ausfüllt und etwa achtmal so groß ist wie unser Bodensee. Wo Wasser rauschen, da ist die Erde fruchtbar und die Berge Abessiniens kleiden sich mit reichem Pflanzenschmuck. Wer da bergauf bergab, über steile Grate und tiefe Thäler wandert, der schaut die Flora fast aller Zonen der Erde. Er sieht in heißen Gründen Palmen und Bananen, die Kinder der Tropen, und findet alpine Pflanzen auf den Zinnen des Hochlands. Dazwischen grünen auf Uebergangshöhen der Kaffeestrauch und der wilde Oelbaum, eigenartige, kandelaberförmige Euphorbien strecken ihre Aeste aus, Sykomoren beschatten menschliche Wohnungen, neben dem Tabak reift die Weinrebe, Akazien und Tamarisken schließen sich zu Wäldern zusammen, neben Bohnen und Erbsen wogen im Winde die Aehren unserer nordischen Getreidearten und über den Weizen- und Gerstefeldern erstrecken sich Alpenmatten mit köstlicher Weide für einen starken Pferdeschlag, der hier gezogen wird, für große Herden der Sangarinder, für wollige Schafe und muntere Ziegen. Auch fehlt es nicht an Wild und Geflügel in Wald und Sumpf; neben der leichtfüßigen Antilope schreitet hier mächtigen Schrittes der Elefant einher, in den Gewässern schnaubt das plumpe Nilpferd und durch die Nächte tönt das markerschütternde Gebrüll des Löwen.

Am köstlichsten ist aber in diesem Hochlande das Klima. Frische kühle Lüfte wehen um die Bergspitzen; hier spürt man wenig von der entnervenden Fieberglut der tropischen Tiefebene; hier könnten wohl selbst Europäer als Ackerbauer sich niederlassen und hinter dem Pfluge gehen.

Mit solchen Vorzügen von der Natur ausgestattet, ist Abessinien zweifellos ein Land, das sich kolonisieren ließe.

Datei:Die Gartenlaube (1896) b 0284 2.jpg

Ras Mangascha und sein Adjutant.

Aber dieses Hochland war nicht herrenlos, als die Italiener ihm nahten. Ein Volk, eigenartig wie die Natur Abessiniens, hält es besetzt; obwohl dunkelhäutig, ragt es doch hoch über alle Negerstämme Afrikas empor; von Ackerbau und Viehzucht sich nährend, ist es im Besitz einer alten Kultur, bekennt das Christentum seit anderthalbtausend Jahren, und wohlerfahren in den Künsten des Gebirgskrieges, wußte es stets seine Freiheit und Unabhängigkeit zu wahren. Wie hoch auch die Wogen der Völkerwanderungen im Laufe der Geschichte über Nordostafrika sich ergießen mochten, sie zerschellten doch an den Felsen Abessiniens. Diese eiserne Zähigkeit im Widerstand gegen alle Angriffe von Heiden und namentlich Mohammedanern hat seit jeher dem abessinischen Volke die Sympathien Europas gesichert; wir achten diese heldenmütigen schwarzen Christen und legen für die Beurteilung der Zustände in ihrem Lande einen besonderen Maßstab an. Wenn auf diesen Bergen und in diesen Thälern gar vieles recht kunterbunt ausschaut, so ist das zu entschuldigen, denn der Lauf der Weltgeschichte hat Abessinien von der Kulturwelt getrennt und es gewissermaßen zum Stillstand, der ja im Leben immer einen Rückschritt bedeutet, gezwungen.

[285] Eine Sage leitet den Ursprung des abessinischen Herrschergeschlechtes von weit her. Makeda, eine äthiopische Fürstin, in dem 1. „Buch der Könige“ der Bibel als Königin von Saba erwähnt, soll Salomo einen Sohn Namens Menelik geboren haben. Er ist nun nach der Volksüberlieferung der Stammherr der Könige Aethiopiens. In Wirklichkeit dürfte jedoch das äthiopische Reich älter sein. Wie die Forschung der Neuzeit annimmt, wanderten semitische Stämme, Verwandte der Araber, in grauer Vorzeit über das Rote Meer, ergriffen Besitz von Abessinien, vermischten sich hier mit der eingeborenen Bevölkerung und legten Grund zu dem Aethiopischen Reiche, das nach der Hauptstadt Aksum auch Aksumitisches Reich genannt wurde. Rege Beziehungen verbanden es mit dem alten Aegypten und später mit der in Alexandrien aufgeblühten griechischen Kultur. Von der Nilmündung drang im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung das Christentum nach Abessinien vor und allmählich wandten sich der neuen Lehre das Herrscherhaus wie das Volk zu. Leider sind über die nachfolgenden Schicksale des christlich gewordenen Kaisers fast gar keine geschichtlich verbürgten Nachrichten erhalten, und sein Zusammenhang mit den Kulturländern wurde völlig abgeschnitten, als die mohammedanische Flut über Nordafrika sich ergoß. Im Abendlande erhielt sich nur eine dunkle Kunde, daß jenseit der Wüste Sahara ein christlicher König unter dem Titel Priester Johannes ein Land beherrsche und mit den Moslems in ewiger Fehde lebe. Als nun in Portugal das große Zeitalter der Entdeckungen anbrach, bildete dieses sagenhafte Reich eines der fernen Ziele, die den Weltentdeckern vorschwebten; man wollte den Priester Johannes aufsuchen und mit ihm gemeinsam den Halbmond bekämpfen. Aber erst spät wurde vom Abendlande her mit ihm Fühlung gewonnen, als die Portugiesen im Verlaufe ihrer Indienfahrten die Küste von Nordostafrika besetzten.

König Menelik von Schoa auf seinem Throne.
Nach einer Abbildung in der „Illustrazione italiana“.

Der damalige christliche Herrscher Abessiniens befand sich in einer schlimmen Notlage; hart wurde er von verschiedenen Seiten bedrängt. Von Süden her überfielen die kriegerischen heidnischen Gallavölker sein Land und von Norden und Westen unternahmen die Moslems ihre Verheerungszüge. In Trümmern lag bereits Aksum, die alte Krönungsstadt des Reiches, und das Ansehen des Herrschers im Innern war gesunken. Jeder der Gouverneure schaltete und waltete nach eigenem Ermessen in seiner Provinz, fühlte sich als ein selbständiger Fürst und der Negus Negesti, der König der Könige von Aethiopien, war nur ein Schattenkaiser. Der Bedrängte bat die europäische Christenheit, ihm Hilfe zu leisten. In der That erschienen um das Jahr 1540 unter Führung von Christoph da Gama 450 portugiesische Musketiere mit einigen Geschützen in den Hochländern Abessiniens, und mit ihrem Beistand gelang es, den Feind zurückzudrängen. Seit jener Zeit wurde Abessinien wiederholt von Europäern aufgesucht. Vor allem war man bestrebt, das abessinische Christentum neu zu beleben; denn in der Abgeschiedenheit hatte sich dort die Lehre des Evangeliums nicht fortentwickelt wie im Abendlande. Das Licht der abessinischen Kirche brannte recht trübe, der Gottesdienst war mehr zur Aeußerlichkeit herabgesunken und heidnischer Aberglauben machte sich im Volke breit. Missionare kamen also nach Aethiopien, aber sie fanden kein Gehör. Jahrhundertelang hatten die Abessinier ihre Kirche vor dem Ansturm des Heidentums und des Halbmonds mit Waffen in der Hand zu verteidigen gewußt; kein Wunder, daß sie ihnen lieb geworden, ans Herz gewachsen war, daß sie sich von ihr um keinen Preis trennen wollten. So blieb die Berührung mit dem Abendlande in kultureller Hinsicht völlig fruchtlos.

Die jüngere und jüngste Geschichte Abessiniens bewegte sich weiter in den alten Bahnen. Immerfort seufzte das Volk unter den trostlosen Zuständen, die es sich selbst bereitete oder die ihm feindliche Einfälle brachten. Der Krieg nach allen Seiten hin hörte hier nimmer auf. Die Gallavölker im Süden sind stets unruhige gefährliche Nachbarn geblieben und unaufhörlich tobten die Grenzkämpfe mit den Mohammedanern. Von Zeit zu Zeit gelang es wohl dem einen oder dem andern Kaiser, sich Ansehen zu verschaffen, aber die Macht der Unterkönige erstarkte immer mehr und schließlich zerfiel das Reich in eine Anzahl von Fürstentümern.

Erst im neunzehnten Jahrhundert gewann der Gedanke der Wiedervereinigung des alten Reiches an Lebendigkeit und wurde durch thatkräftige Häuptlinge wiederholt verwirklicht. Zunächst erhob sich im Jahre 1855 der Ras oder Häuptling von West-Amhara, beugte die andern unter seine Herrschaft und ließ sich im Jahre 1855 zum Negus Negesti krönen, wobei er den Herrschernamen Theodor II. annahm. Anfangs schien er von guten Absichten beseelt zu sein, suchte europäische Handwerker im Lande anzusiedeln und dasselbe wirtschaftlich zu heben. Um seine Macht zu behaupten, sah er sich jedoch genötigt, ein Heer, das 150000 Köpfe stark war, in Bereitschaft gegen verdächtige Häuptlinge zu halten. Diese Soldateska ernährte sich auch im Frieden von Raub und Plünderung und verheerte Abessinien derart, daß die befürchteten Aufstände erst recht ausbrachen. Kaiser Theodor erstickte sie in Strömen von Blut und nun wurde er durch seine Grausamkeit berüchtigt. Als er vollends eine Anzahl von Europäern, die in seinem Machtbereich sich aufhielten, wider alles Völkerrecht ins Gefängnis warf, sandte England im Jahre 1868 eine Expedition unter Lord Napier nach Abessinien.

Die Engländer trugen den Sieg davon, und zwar mit einer Schnelligkeit, die in Anbetracht der schwierigen Terrainverhältnisse geradezu erstaunlich war. Aber nicht allein ihre besseren Waffen sicherten ihnen den Erfolg; es gelang ihnen vielmehr, unter den Abessiniern einen Bundesgenossen zu gewinnen, der ihnen die [286] größten Dienste erwies. In der nördlichsten der abessinischen Landschaften, in Tigre, herrschte damals ein Statthalter Namens Kassai, der aus einem vornehmen Geschlechte stammte und in Theodor einen Usurpator sah. Dieser zu jener Zeit noch junge Mann trug sich mit hohen Plänen, er wollte die Kaiserwürde an sich reißen und verband sich mit den Engländern. Kassai gewährte Lord Napier freien Durchzug durch sein Gebiet, beschützte die englischen Telegraphenleitungen und versorgte das englische Heer mit Lebensmitteln. Als nun Kaiser Theodor auf den Trümmern seiner Felsenburg Magdala sich durch einen Pistolenschuß entleibt hatte und die siegreichen Engländer abzogen, belohnten sie Kassai in wahrhaft königlicher Weise. Sie schenkten ihm einen Teil der für die Expedition bestimmten Ausrüstung, namentlich Gewehre, Geschütze und Munition.

Nach dem Abzug der Engländer begann in Abessinien ein neuer Streit um die Kaiserwürde. Außer Kassai traten Gobesieh von Lasta und Menelik von Schoa in die Schranken. Kassais Heer war der Zahl nach das schwächste, aber dank seiner Ausrüstung den beiden anderen überlegen. Zunächst entbrannte der Kampf zwischen Kassai und Gobesieh; vor Adua, in derselben Gegend, wo jetzt die Italiener ihre schwere Niederlage erlitten haben, kam es am 14. Juli 1871 zur entscheidenden Schlacht. Kassai schlug mit 12000 Mann das fünfmal so starke Heer Gobesiehs und nahm seinen Rivalen gefangen, der nun, geblendet und in silberne Ketten gelegt, auf der Amba Salama als Staatsgefangener gehalten wurde. Der siegreiche Kassai ließ sich aber am 21. Januar 1872 in der alten Kaiserstadt Aksum zum Negus Negesti krönen und nannte sich von nun an Johannes.

Ein schweres Gewölk zog indessen über Abessinien herauf. Aegypten, das im Sudan so große Gebiete erobert hatte, wollte seine Herrschaft über Abessinien ausdehnen; aus gelegentlichen Grenzscharmützeln entwickelte sich zuletzt ein großer Krieg. Für Abessinien galt dieser Krieg als ein heiliger, das Kreuz und der Halbmond stritten wieder einmal um die Herrschaft und der Rival des Kaisers Johannes, der Negus Menelik von Schoa, wagte nicht, sich den Mohammedanern anzuschließen. Johannes bot indessen alle seine Mannen auf und trat den Aegyptern bei Gura entgegen. Am 7. März 1876 wurde hier die größte Schlacht geschlagen, die Abessinien jemals gesehen. Zwanzig ägyptische Bataillone wurden bis Abend niedergemetzelt und insgesamt deckten 50000 Tote das Schlachtfeld. Der Sieg war vollkommen und der Ruhm des jungen Kaisers befestigte sein Ansehen im Innern. Nur der südlichste Teil des Reiches, die Provinz Schoa, in der Menelik herrschte, blieb noch unabhängig. Im Jahre 1879 zog nun Kaiser Johannes gegen diesen mächtigen Rivalen. Schon standen sich die Heere gegenüber, aber es kam nicht zur Schlacht, denn Menelik zeigte seine Unterwerfung an. Und in der That erschien er vor versammeltem Hofe in demütiger Haltung mit einem schweren Block auf dem Halse. Als aber der Negus Negesti seinen Gegner in einer solchen Erniedrigung erblickte, sprang er auf und befahl dem General Ras Alula, den Block abzunehmen, worauf er Menelik umarmte und unter einem Strom von Thränen seine eigene Krone bringen ließ, mit der er ihn zum König von Schoa krönte. Das war ein denkwürdiger Tag in der Geschichte Abessiniens, zum erstenmal seit Jahrhunderten war das Reich wieder unter einem Oberhaupte vereint!

Die günstigen Folgen dieser Wandlung blieben nicht aus; die Zustände im Innern wurden sicherer, die Mohammedaner aus dem Lande verwiesen oder genötigt, die Taufe anzunehmen. Nach außen hatte man gleichfalls namhafte Erfolge zu verzeichnen. Menelik von Schoa erwarb im Einverständnis mit Johannes die Landschaften Kaffa, Enarea, Gurage und Harrar, während im Westen der Zusammenbruch der ägyptischen Herrschaft im Sudan die Interessen Abessiniens förderte. Auf die Dauer sollte jedoch dem Lande der Frieden nicht beschieden werden. Im Bewußtsein seiner wachsenden Kraft streckte Abessinien seine Hand nach Massaua aus, um diesen seinen natürlichen Ausfuhrhafen den Aegyptern zu entreißen. Als Italien ihm aber zuvorkam, gelangten jene Wirren zum Ausbruch, deren Abschluß noch heute unabsehbar ist. König Johannes hatte anfangs einen schwierigen Stand, denn an Stelle der Aegypter wurden die Mahdisten zu Herren des Sudans und überzogen auf ihrem Siegeszuge auch Abessinien mit Krieg. Johannes bestand diesen Kampf auf zwei Fronten mit vollen Ehren. Seine Heerführer schlugen die Italiener bei Dogali, und wenn sie sich später vor den italienischen Ersatztruppen zurückziehen mußten, so geschah es, weil Johannes mit der Hauptmacht seines Heeres den Derwischen entgegentrat. Es war wiederum der 7. März im Jahre 1889, als Johannes bei Metamneh in der Landschaft Kalabat die mörderische Schlacht gegen die Derwische eröffnete. Die Abessinier siegten, aber Johannes fiel im Kampfe für das Kreuz und für die Unabhängigkeit seines Landes. Der Kaiserthron Abessiniens war wieder verwaist; rasch aber wußte Menelik von Schoa die Oberherrschaft an sich zu reißen und die einzelnen Ras zur Huldigung zu zwingen. Zu Antoto ließ er sich als Negus Negesti krönen. Anfangs suchte er mit den Italienern Frieden zu halten und schloß mit ihnen Verträge ab, bis die junge Kolonialmacht sich hinreißen ließ, Tigre, die nördlichste Provinz des abessinischen Hochlandes, zu besetzen. Der Gouverneur dieser Landschaft, Ras Mangascha, mußte fliehen, aber es gelang ihm, Menelik und die andern Ras zum Kriege gegen Italien aufzureizen. Die Kriegskunst der Abessinier zeigte sich auch diesmal dem Gegner überlegen und der Feldzug fand vorläufig am 1. März d. J. durch die große Schlacht bei Adua einen für Italien ungünstigen Abschluß.

Die letzten Ereignisse haben wohl gezeigt, daß man am grünen Tisch in Europa die Abessinier mit Unrecht gering geschätzt hat. Gewiß ist Abessinien ein Land, in dem man überall auf Zeichen des Verfalls stößt. Die alte Herrlichkeit des Reiches ist geschwunden. Was ist heute Aksum, die alte Krönungsstadt der Kaiser von Aethiopien? Einst wirkten hier griechische Baumeister, die aus Aegypten gekommen waren und die Stadt mit Palästen, Denkmälern und Obelisken schmückten, fast alle diese Bauten liegen heute in Trümmern. Einst erhob sich hier die berühmte Krönungskirche, ein reiches Gotteshaus, das von Gold und Silber funkelte; aber seitdem Sultan Mohammed Granje von Adal das Heiligtum im Jahre 1535 geplündert hatte, ist von der ehemaligen Pracht nichts weiter übrig geblieben als die nackten notdürftig ausgebesserten Wände. Unter Sykomoren versteckt, stehen jetzt in Aksum einige hundert ärmliche Hütten, in denen zumeist Priester und Mönche wohnen. Um sie schart sich eine zweifelhafte Gesellschaft, denn Aksum ist ein Asyl, ein heiliger Ort, in dem selbst Uebelthäter unbehelligt bleiben müssen, und so mancher Bandit findet hier Schutz im Schatten der Trümmer alter Herrlichkeit.

Und was ist heute Gondar, die nächstberühmte Residenzstadt der abessinischen Machthaber? Schaut man aus der Ferne, von benachbarten Hügeln auf ihr Panorama hinab, so glaubt man zu träumen; denn da tauchen Burgen und Schlösser auf, man erblickt [287] krenelierte Mauern und weiter versteckt zwischen buschigen Bäumen Paläste und Kirchen. In einer vorübergehenden Blüteepoche des Reiches unter Kaiser Fasilidas im 17. Jahrhundert wurden jene Bauten errichtet und damals soll Gondar an 50000 Einwohner gezählt haben. Nähert man sich aber der Stadt, so bemerkt man, daß jene Bauwerke nur noch Ruinen sind, und die Stadt selbst besteht aus ärmlichen Hütten, in denen kaum 5000 Menschen wohnen. Unsere Abbildung S. 289 zeigt die Ruinen des kaiserlichen Schlosses in Gondar nebst einigen Skulpturen, die es schmücken, nach einer Zeichnung, die in dem trefflichen Werke von G. Rohlfs über „Abessinien“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) enthalten ist.

Verfallen sind diese alten Residenzstädte und die Kaiser von Aethiopien haben keine festen Wohnsitze mehr. Sie ziehen mit ihrem Heerlager von Ort zu Ort, denn sie sind gezwungen, Landstriche auf- oder heimzusuchen, die ihren großen kriegerischen Anhang zu ernähren vermögen. Die ewigen Kriege mit äußeren Feinden und die ewigen Fehden unter den Ras ließen keinen größeren Wohlstand aufkommen, und so konnten auch an Stelle der alten keine neuen Städte aufblühen.

Was in Abessinien den stolzen Namen einer Stadt trägt, das ist in Wirklichkeit armselig genug. Fassen wir Adua, die vielgenannte Hauptstadt der umstrittenen Landschaft Tigre, ins Auge. Malerisch ist sie inmitten der Berge gelegen, besitzt einige Kirchen und europäisch gebaute Häuser, aber es ist nur ein Städtchen mit etwa zwei bis drei tausend Einwohnern, das sich durch keinen Wohlstand, geschweige denn Reichtum auszeichnet.

Ja, heruntergekommen ist der Abessinier. In dem schönen Hochlande werden wenig Produkte erzeugt, die einen nutzbringenden Handel schaffen könnten. Der Sohn der Berge erbaut nur, was er gerade braucht, um nicht zu verhungern. Vorräte speichert er nicht auf. Die abessinischen Handwerker ragen über ihre Standesgenossen bei den benachbarten Stämmen nicht besonders hervor. Aus Eisen verstehen sie Waffen zu schmieden und aus Häuten fertigen sie schöne Schilde, die sie mit Silber belegen und mit Mähnen wilder Tiere verzieren. Aus Leder verstehen sie auch Wassergefäße (vergl. die Anfangsvignette) zu nähen und stellen allerlei Thongefäße her. In letzter Zeit werden immer mehr europäische Waren eingeführt und auch europäische Handwerker sind hier und da im Dienste der Könige thätig. Die Großen des Landes umgeben sich wohl mit orientalischem Pomp. Sie sitzen auf kunstvoll gearbeiteten Thronsesseln, auf denen der Löwe, das Wappentier Abessiniens, nicht fehlt; sie tragen kostbare Gewänder und ihre Garde schreitet einher mit prächtigen Tierfellen geschmückt, ihre Offiziere führen mit Silber ausgelegte Schilde – aber die Masse des Volkes weiß wenig von diesem Luxus. Aus dürftigen Stoffen ist die malerische Tracht des einfachen Mannes gefertigt: die weite Hose und ein Umschlagetuch. Im Gegensatz zu dem Mohammedaner geht der christliche Abessinier barfuß und hält den Kopf unbekleidet; jeder aber trägt eine blaue Schnur, das Abzeichen äthiopischer Christen, um den Hals. Das Volk hat auch keine geistigen Interessen; groß, sehr groß ist die Zahl der Priester, der Mönche und Nonnen, aber es bedarf keiner besonderen Vorbildung, um in den Rang der Geistlichen treten zu dürfen, und der ganze Gottesdienst beruht auf Aeußerlichkeiten. Die Priester in weißen Jacken, mit einem Tuch über dem Haupt, leben zumeist von Almosen und erfreuen sich nicht immer eines besonderen Ansehens. Ihr Oberhaupt heißt Abuna und wird von dem Patriarchen von Alexandrien ernannt. Einst verweigerte dieser Abuna dem Usurpator Theodor den Segen; da trat der Kaiser vor den Oberpriester, streckte gegen ihn den Revolver aus und sprach: „Lieber Vater, bitte, gieb mir Deinen Segen!“ Und der Abuna segnete den Kaiser.

Trotz dieser Zerfahrenheit der inneren Zustände, trotz des Niedergangs von Ackerbau und Viehzucht, trotz des Verfalls des Handwerks ist Abessinien dennoch in den letzten Jahrzehnten dem Ausland gegenüber stärker geworden. Hat es doch im Süden weite Länderstrecken sich tributpflichtig gemacht, steht es doch geeint da, und es hat vom Ausland, von Europa so manches gelernt und empfangen. Alle Feldzüge, die bisher Engländer, Aegypter, Italiener gegen dieses Hochlandsvolk unternommen haben, endeten damit, daß die Waffenkammer Abessiniens mit Gewehren und Geschützen bereichert wurde. Besser denn je ist heute das abessinische Heer ausgerüstet, und seine Führer haben von den Europäern recht viel zu lernen verstanden. Der Verkehr mit Europäern hat auch die Großen des Landes gebildet, und wenn der Orientale schon an sich in den schlauen Winkelzügen der Diplomatie ein Meister zu sein pflegt, so verstehen die heutigen Herrscher Abessiniens noch außerdem ihre Diplomatie den europäischen Gebräuchen mehr und mehr anzupassen.

So lehrt uns die jüngste Geschichte der „afrikanischen Schweiz“, daß die Unterwerfung jenes freien Gebirgsvolkes ein überaus schwieriges Unterfangen ist. Wohl ist im Interesse der Kultur in Afrika dringend zu wünschen, daß Abessinien von einer europäischen Macht erobert werde. Ob diese Eroberung aber mit Gewalt, mit blutigen Waffen geschehen solle, das ist eine Frage, über die mit Recht gestritten werden kann. Es giebt auch friedliche Eroberungen. Wünschenswert ist es sicher, daß der Geist der europäischen Civilisation in das von ewigen Kriegen so schwer heimgesuchte Land eindringe, daß Abessinien, das im Kriegshandwerk so viel gelernt hat, nunmehr in den Künsten des Friedens von Europa gründlicher unterrichtet werde. Es hat bereits genug Kriegskaiser gehabt, wünschen wir ihm einen Friedenskaiser! Hoffen wir, daß es Italien durch weise Mäßigung gelingen möge, in diesem Sinne seine Herrschaft über Abessinien auszudehnen! Dann werden die guten Erfolge nicht ausbleiben, dann wird für Aethiopien eine neue Glanzzeit anbrechen und sein Handel und Wandel der europäischen Macht, die es geistig beschirmt und in der Kultur fördert, zu Nutzen gereichen.