Altdeutscher Leichenbrauch
Es ist mehr denn zwölfhundert Jahre her. Auf deutschem Boden kämpft das Christenthum mit dem Heidenthume um die Herrschaft. Hier und da erheben sich kleine Kirchen, und unter dem Schutze mächtiger Häuptlinge und Fürsten bilden sich Christengemeinden, aber daneben gelten noch immer die alten Götter, und ihre Bilder werden nicht selten von nachsichtigen Priestern in den Kirche neben dem Kreuze aufgestellt. Nur schwer vermögen die trotzigen Germanen die Lehre von der christliche Demuth und Feindesliebe zu fassen und zu verstehen. Da fragt der Friesenfürst Radbod kurz vor der Taufe den Bischof Wulfram: „Ehrwürdiger Vater, werde ich in dem Christenhimmel auch meine Vorfahren wieder finden?“
„Nein, sie sind ohne Taufe zur Hölle gefahren.“
„Gut, so will auch ich Eure Taufe nicht. Ich will lieber mit meinen tapferen Vorfahren in Walhalla zusammen sein, als in Eurem Himmel mit wenigen Unansehnlichen.“
Mit diesen Worten trat der Fürst vom Taufbecken zurück, und nichts vermochte seinen Sinn zu ändern.
Allmählich aber brach sich doch das Christenthum Bahn, denn der Gott der Christen erwies sich mächtiger als die alten
[725][726] Götter. In seltsamer Weise vermischte sich dabei der alte Glaube mit dem neuem. Das gewöhnliche Volk veränderte oft nur die Namen und verehrte in der Jungfrau Maria die Göttin Frigg und in dem Apostel Petrus fand es Aehnlichkeit mit dem Gotte Donar. Auch die alten Festbräuche beim Nahen des Winters und beim Fortgange desselben, bei Geburt und Tod schleichen sich in oft wenig veränderter Gestalt in die neue Lehre über, und bis zur Jetztzeit haben sich ihre Spuren erhalten.
Die altdeutschen Leichenbräuche mögen uns zeigen, wie die Gegenwart in der Vergangenheit wurzelt.
In den Gemälde-Ausstellungen circulirte vor Kurzem ein groß angelegtes Bild des Münchener Malers Georg Urlaub, dessen umstehende Wiedergabe den altgermanischen Begräbnißact in ergreifender Weise zur Anschauung bringt. Germanische Krieger beerdigen ihren Stammgenossen. Auf offener Haide haben sie das Grab gegraben, und auf einem Brette, in voller Waffenrüstung, wird der Todte der Erde übergeben. Die besten Waffen und seinen Schmuck legt man ihm bei, damit er in der andern Welt ehrenvoll neue Kämpfe bestehen kann. Die Straße ist weit, die der Todte zu gehen hat; darum ist ihm festes Schuhzeug mitgegeben worden, und Speise und Trank, Stahl und Stein, damit er sich Licht machen kann auf dem finsteren Wege; selbst ein Reisepfennig darf nicht fehlen. Ueber das Grab aber werden die Stammgenossen, dem Todten zu Ehren, Steine legen und dann ihres Weges weiter ziehen.
„Aber ich denke,“ wird mancher unserer Leser fragen, „die Germanen haben ihre Todten verbrannt?“
Allerdings, indessen die Forschungen auf diesem Gebiete, das Oeffnen zahlloser Leichenhügel haben hinreichend bewiesen, daß in vorgeschichtlicher Zeit die Todten begraben und erst später, im sogenannten Eisenzeitalter, verbrannt worden sind.
Man pflegt die Urzeit bis zur historischen Zeit heraus in drei Perioden einzutheilen. Professor Rochholz sagt in seinem Werke „Deutscher Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit“: „Die der Steinzeit angehörenden Hünengräber, älter als die Einwanderung der Germanen nach Europa, haben eine längliche Form, welche bedingt ist durch die längliche oder viereckige Steinkiste im Innern, über welche die Erde des Hügels hergehäuft ist. Da die Grabstätten der Urvölker zugleich ein Abbild ihrer Wohnstätten sind, so wird in der Steinperiode wohl auch die Wohnung viereckig gewesen sein, wie das Grab. Hierauf folgt die Bronzezeit mit den Kegelgräbern welche vertreten ist durch das Volk der Kelten und Germanen. Daß diese Völker in Rundhäusern wohnten, ergiebt sich aus der Rundgestalt ihrer Gräber und der darin erhobenen Urnen. Diese letzteren sind eben ihrer sprechenden Form wegen unter dem Namen Hausurnen eine Zierde unserer Alterthumssammlungen. Die letzte Periode bildet die Eisenzeit mit den Plattengräbern.“
Daß in Deutschland in der älteren Eisenzeit neben dem Verbrennen das Begraben gebräuchlich war, das beweisen gleichfalls viele Grabhügel, in denen man neben verbrannten Gebeinen auch ganze unverbrannte Gerippe vorfand. Höchst interessant in dieser Beziehung sind die Gräber von Hallstatt im Salzkammergut, die aus der frühen oder sogenannten älteren Eisenzeit stammen.
Nachdem hier schon in den vergangenen Jahrhunderten einzelne Alterthumsgegenstände zu Tage gekommen waren, stieß der Bergmeister Johann Georg Ramsauer im Jahre 1846 beim Abräumen der Dammerde auf ein menschliches Skelet, das einen Bronzering am Arme trug, und weiter auf mehrere Gräber mit Gefäßen voll Thon und Bronze. Die vorgerückte Jahreszeit that einer weiteren Untersuchung des Terrains Einhalt; im nächstfolgenden Jahre begannen jedoch im Auftrage des kaiserlich königlichen Münz- und Antikencabinets in Wien systematische Ausgrabungen, die schon im ersten Jahre überraschende Resultate lieferten und bis zum Jahre 1864 fortgesetzt wurden. Die Leitung übernahm Herr Ramsauer, welcher mit unermüdlicher Ausdauer sich dieser Arbeit widmete und ein Tagebuch über dieselbe führte, in welchem jedes Grab genau beschrieben und durch Zeichnungen veranschaulicht wurde. So wurden 993 Gräber geöffnet und 6084 Gegenstände aus denselben gehoben, welche in Wien aufbewahrt werden und eine für die Culturgeschichte unschätzbare Sammlung bilden.
Die Gräber waren äußerlich weder durch einen Hügel, noch durch eine Steinsetzung bezeichnet, also sogenannte Flachgräber, die theils in der Dammerde, theils in dem einhalb bis einen Meter unter derselben lagernden feinen Kalkschotter angelegt sind. Man fand hier verbrannte und unverbrannte Leichen und zwar in einem Grabe, wo bald die verbrannten Ueberreste, bald die unversehrten Leichname bestattet worden, sodaß der eine Begräbnißbrauch nicht den andern abgelöst haben kann, sondern beide neben einander fortgedauert haben müssen.
Die unverbrannten Leichname ruhen mit ihren Beigaben in freier Erde oder in einer Thonmulde mit fünf bis neun Centimeter hohem aufstehendem Rande und sind mit größeren Steinen zugedeckt. Der Körper liegt ausgestreckt, die Arme in verschiedener Lage. Eine einzige Leiche war in hockender Stellung beigesetzt worden; mehrere lagen wie schlafend auf der linken Seite, die Hand unter dem Kopfe. In einigen Gräbern lagen zwei Skelete; auch Eltern und Kinder befanden sich so in einem Grabe beisammen.
Spuren von Leichenverbrennung zeigten sich 455 Gräbern. Die verbrannten Knochen und die Asche lagen in freier Erde, auf größern Steinen oder in einer Mulde, einmal in einer Holzkiste, zweimal in Bronzegefäßen, in Thonurnen nur ausnahmsweise. In den Mulden waren sie zu einem Häuflein aufgeschüttet, und der freie Platz daneben schien für die Grabgeschenke bestimmt zu sein. Ueber das Ganze waren die Gewänder gebreitet und schließlich Steine darüber geschüttet. So wenig, wie sich in der Lage der Gräber irgend welche Symmetrie und Absicht erkennen ließ, so wenig Klarheit ließ sich über den Unterschied der Gräber mit den unversehrt begrabenen und denjenigen mit verbrannten Gebeinen gewinnen. Beide umschlossen die Reste von Männern, Frauen und Kindern. Ein Grab enthielt die Reste zweier Kinder, von denen das Eine verbrannt, das Andere unversehrt beerdigt war.
Die mitbegrabenen Geschenke ergaben ein reiches Material: Bronze, Gold, Eisen, Glas, Achat, Bernstein, Thon, Elfenbein ist zu Waffen und Geräthen aller Art verarbeitet worden. Hingegen fand man weder Silber, noch Münzen, noch Schrift.
Sind nun auch die Hallstätter Gräber wohl nichtgermanischen Ursprungs, so zeigten doch zahlreiche andere Grabstätten dieselben Ergebnisse. Später in der jüngeren nordischen Eisenzeit herrschte überall die Leichenverbrennung vor, die nach der alten Götterlehre Odin selbst eingeführt hat. Er sagte jedem Verbrannten Aufnahme im Walhall zu und je höher der Rauch bei der Feier stieg, desto mehr ehrte Odin den Todten.
Als der lichtstrahlende Gott Balder durch Loke’s List gefallen, da versammelten sich die Götter zu einer großartigen Leichenfeier. Aus dem Todtenschiff erhebt sich der mächtige Holzfloß, auf dem – von den Göttern reich geschmückt – der Gefallene liegt. Weinend kommt Nanna, Balder’s Gattin, herbei. Der Schmerz bricht ihr das Herz, und so wird auch sie zu dem Todten gelegt. Balder’s Roß, mit kostbarem Sattelzeug geschmückt, muß gleichfalls seinem Herrn folgen, und nun weiht Thor mit dem Hammer die Flammen. Odin selbst giebt noch dem Geliebten seinen kostbaren Ring Draupnir, und redet ihm geheime Worte in’s Ohr. Hoch auf schlagen dann die Flammen, und die Winde entführen das Schiff. Die Götter, am Ufer stehend, sehen es steigen und sich neigen, sinken und schwinden.
Die nordische Sage weiß auch von alten Seekönigen, die auf ihrem Schiff und mit demselben verbrannt wurden. In prunkenden Gewändern wurden sie auf das Schiffsdeck gelegt und um sie ihre Pferde, Hunde, Falken und ihre Sclaven. Dann wurde das Segel gehißt, der Anker gelichtet, das Fahrzeug vom Lande gestoßen und die Brandfackel hineingeschleudert. Sanft glitt das Schiff über die Fluth und versank in die Tiefe. Nicht nur Roß, Hund und Falke folgten ihrem Herrn in den Tod, auch die treuen Diener, bisweilen sogar die Gattin. Aber sie folgte aus eigenem freiem Willen. Als Brynhilde ihren Entschluß kund giebt, den Sigurd auf dem dunkeln Gang zu begleiten, wozu sie sich kraft ihrer Liebe berechtigt fühlt, bemerkt sie tadelnd:
„Schicklicher stiege unsere Schwester Gudrun
Heut auf den Holzstoß mit dem Gemahl,
Gäben ihr gute Geister den Rath,
Oder besäße sie unseren Sinn.“
Dann bittet sie ihren Gemahl, eine so breite Burg auf dem Felde zu erbauen, daß Alle, „die mit Sigurd zu sterben kommen, darin Raum finden“:
[727]„Die Burg umziehe mit Zelten und Schilden,
Erles’nem Geleit im Leichengewand,
Und brennt mir zur Seite den Hunnengebieter.
Dem Hunnengebieter brennet zur Seite
Meine Knechte mit kostbaren Spangen geschmückt:
Zwei zu Häupten und zwei zu Füßen,
Dazu zwei Hunde und der Habichte zwei.
Also ist Alles eben vertheilt.“
Zahlreiche altdeutsche Helden ruhen am Meere beim Rauschen der Wogen. So wurde dem Beowulf – einem alten angelsächsischen Könige, dessen Thaten in dem Beowulfs-Liede besungen werden – auf seine Bitte ein Hügel am Meere errichtet, Allen, die vorüberfuhren, von fern sichtbar; so bestimmten ferner König Bele und Thorsten Vikingson, der Vater des Frithjos, den Platz für ihre Gräber am Meere. Die Beschreibung solcher Leichenbrände rühmt die Pracht der Leichengeschenke an Kleidern, Waffen und Goldschmuck oft so hoch, daß man Bedenken trägt, an so übertriebenen Luxus zu glauben, allein es sind in den nordischen Ländern Grabhügel geöffnet worden, deren Inhalt uns in Staunen setzt. Prächtig sollten die Edeln zu Odin eingehen. Oftmals gab man ihnen ihr Schiff und ihr gesatteltes Streitroß, wohl auch den Streitwagen mit in’s Grab, damit sie nach Belieben nach Walhall fahren oder reiten könnten.
Hatte die Flamme ihr Vernichtungswerk gethan, so nahten die Verwandten und löschten die Gluth. Die Knochenüberreste wurden in einer Urne gesammelt und im Grabe beigesetzt; gewöhnlich legten die Trauernden noch Liebesgaben in und neben die Urne. War nun das Grab geschlossen, so wurde an dem selben das Todtenmahl gehalten, und nach Beendigung desselben zerbrach man die Geschirre, aus denen man soeben gegessen, und streute die Scherben sowie die Ueberreste des Mahles auf das Grab. Daß man heute noch beim Begräbniß vornehmer Herren das Reitpferd im Trauerzuge mitführt, daß man heute noch prunkvolle Leichenessen giebt, das dürfte wohl seinen Grund in jenen alten Gebräuchen haben.
Während bei den deutschen Völkerstämmen das Verbrennen von Leichen in der geschichtlichen Zeit wieder mehr und mehr dem Begraben Platz macht, hält sich jener Brauch bei den slavischen Völkern viel länger, ebenso bei den Bewohnern der Ostseeküste. In Polen wurde noch im zehnten Jahrhundert die Frau mit dem Manne verbrannt. Die Litthauer ließen erst 1250, durch den deutschen Orden gezwungen, von ihrem alten Brauche. An der kurländischen Grenze soll sogar noch im siebenzehnten Jahrhundert ein Vornehmer mit vielen Kostbarkeiten, seinem Pferde, seinen Jagdhunden und – seinem Dienern verbrannt worden sein.
Bei den deutschen Völkerstämmen wurde durch das Christenthum das Begraben geradezu Pflicht. Als die Westgothen auf ihrem Zuge nach Afrika in Unteritalien plötzlich ihren großen König Alarich verloren, da leiteten sie den Busentofluß ab und ließen jenem im trockenen Flußbette ein Grab graben. Da hinein senkten sie den Todten, der in voller Rüstung auf seinem Streitrosse saß, schlossen dann die Gruft und ließen den Fluß wieder in sein altes Bett zurückströmen. Die Sclaven aber, die das Grab gegraben, wurden sofort getödtet, damit Niemand den Ort entweihe, wo der Heldenkönig ruht. Dagegen fanden sich in dem 1635 zu Tournay entdeckten Grabe, welches man für das des vorchristlich-fränkischen Königs Childerich erklärt, neben Waffen, Goldschmuck, Amuletten, Geld, sowie einem Siegelringe, ein Hufeisen seines Pferdes und ein Menschenkopf an seiner Seite, woraus geschlossen wird, daß der Marschall freiwillig mit seinem Herrn starb und dessen Rumpf nebst dem Schlachtrosse verbrannt wurde. Die Franken nannten das Grab Chreoburg oder Leichenburg und bauten darüber kleine Säulengänge und Gerüste, die sie mit kostbaren Tüchern umhingen. In der christlichen Zeit baute man Capellen und jene schönen gothischen Grabmäler, die als Kunstwerke große Bedeutung haben. Auf dem Grabe wurde gegessen und getrunken, und diese Todtenmahle wurden alljährlich wiederholt. Es kam sogar vor, daß Priester die Sacramente über den Gräbern austheilten.
Unsere Vorfahren trauerten nicht schwarz, sondern weiß, und heute noch gilt in manchen Gebirgsthälern der Schweiz weiß als die Trauerfarbe, heute noch meint das Volk, daß dem der Tod bevorstehe, der von weißen Mäusen, weißglühenden Pflanzen, weißen Haaren, weißer Wäsche etc. träumt. Auch andere Anzeichen des Todes, an die man namentlich auf dem Lande noch vielfach glaubt, sind aus grauer Vergangenheit der Gegenwart überliefert worden.
Im leise klopfenden Bohrwurm glaubte man schon in der Heidenzeit den Tod zu hören, wie er an die Thür klopft, und der Schrei der Eule war dem Kranken todbringend. Stirbt ein Tugendhafter, so geht die Seele als ein weißes Wölkchen aus seinem Munde. Wird dann aber die Leiche aus dem Hause zu Grabe getragen, so werden Fenster und Thüren sofort hinter ihr verschlossen, damit der Verstorbene nicht wieder zurückkehre. Bevor die Leiche in den Sarg gelegt wird, müssen ihr die Nägel an Fingern und Zehen beschnitten werden. In der „Edda“ wird es als ein Vorzeichen des nahen Weltuntergangs hingestellt, wenn es allgemein wird, diese Pflicht der Nächstenliebe zu vergessen. Auch Haar- und Bartschnitt waren in der altdeutschen Leichenordnung von Bedeutung, wie überhaupt die größte Sorgfalt auf Reinigung und Bekleidung der Leiche verwandt wurde. Altnordische Sitte war es, daß dem Todten Schuhe mitgegeben wurden. Wer einer Leiche schlechte mitgiebt, der wird oft hören müssen, wie sie damit in der Nacht im Hause herumschlürft. Wie bei unseren Vorfahren, so ist es auch jetzt noch an vielen Orten Brauch, der Leiche Geld in’s Grab mitzugeben. Wer kein Geld bei sich hat, sagt der Volksglaube, der muß mit den Gliedern seines eigenen Leibes die Ueberfahrt über den Todtenstrom bezahlen. Bei der Bestattung hatten ursprünglich Alle mitzuhelfen; unser Brauch, daß jeder Begleiter etwas Erde auf den Sarg wirft, erinnert noch daran. Man darf auch einem Verstorbenen nicht zu lange nachweinen, sonst nimmt man ihm die Ruhe. Die Thränen empfindet der Begrabene als frisches Blut in seinem Herzen. Es heißt darum in einem schwedischen Volksliede:
Denn jegliche Thräne, die deinem Aug’ entquillt,
Macht, daß sich mein Herz mit Blut anfüllt;
Doch jegliches Glück, das dein Herz bewegt,
Den Sarg voll duftiger Rosen mir legt.
Aus diesem weit verbreiteten Glauben erklärt sich die Heiterkeit, die oft bei Leichenmahlen waltet, die sich manchmal sogar bis zu Gesang und Tanz versteigt.
So lassen sich die meisten noch jetzt existirenden Begräbnißgebräuche, von denen wir hier nur einzelne nannten, auf die alte Zeit zurückführen. Ein eben erschienenes Werk „Die Todtenbestattung, Todtencultus alter und neuer Zeit oder die Begräbnißfrage. Eine culturgeschichtliche Studie von Waldemar Sonntag. Halle, 1878“ stellt in interessanter Weise die verschiedenen Leichengebrauche zusammen. Wer sich für diese Fragen interessirt, wird hier wie in dem erwähnten älteren Werke von Professor Rochholz reiche Belehrung und Anregung finden. Letzterem Buche entnehmen wir noch folgende Bemerkungen: Der Hagedorn, der eine roth- und eine weißblühende Gattung hat, war der zur Verbrennung der Leiche vorgeschriebene Strauch- und Brenndorn. An ihm wächst die moosgrüne Stielverwucherung, deren verschiedene Namen heißen Schlafapfel, Schlafdorn, Moosrose, Donnerrose etc. Odin steckt einen solchen Zweig der Brynhild unter’s Haupt, daß die Gluthen ihres Scheiterhaufens als „Waberlohe“ sie einschließen; das Kindermärchen aber hat sich das Dornröschen daraus gebildet, das hinter undurchdringlichen Dornenhecken im Zauberschlosse liegen muß. – Wie noch jetzt ein Grab jedem gebildeten Menschen ein geweihter Ort ist, so war es auch unseren Vorfahren heilig und unantastbar. Wehe dem, der von einem Grabe auch nur eine Blume brach! Eine Entwendung, an Gräbern begangen, hieß in altdeutschen Gesetzen nicht Todtendiebstahl, sondern Todtenraub und wurde schwer bestraft. Ließ aber ein Geschlecht die Gräber seiner Ahnen verfallen, so galt dies für ein gewisses Zeichen, daß dieses Geschlecht dem Untergange nahe sei.