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Am Sarge eines Helden

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Textdaten
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Titel: Am Sarge eines Helden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 322–323
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[322]

Am Sarge eines Helden.

„Moltke ist todt!“ Seit Kaiser Wilhelm I. hinabsank in die Gruft, ist kein Wort im Deutschen Reiche schmerzlicher von Millionen Lippen wiederholt worden wie dieses! Nicht viel Reden hörst du, nicht viel Klagen! Wie das am kräftigsten geschleuderte Geschoß den geradesten Weg aufs Ziel nimmt, so ringt die mächtigste Ergriffenheit nach dem einfachsten Ausdruck. „Moltke ist todt!“ Andere Worte findet und sucht auch hier nicht das erschütterte Gemüth; sie sagen alles mit bitterer Vollständigkeit; und wo sie gesprochen werden, da erfüllt ein tiefer Schmerz alle Herzen, ein banges Empfinden der jäh gerissenen Lücke – –

So ehrt ein Volk seine großen Männer, wenn sie sterben müssen!

Es ist ein zweischneidig Schwert, mit dem die Helden des Kriegs sich ihren Ruhm erstreiten. Denn die Räder ihres Siegeswagens führen über zerstampfte Felder, über bleiche blutige Leichen, und den Siegesjubel, der sie umtost, überdauert stilles, herzbrechendes Weinen. Wilde Begeisterung folgt ihren Spuren – selten, nie fast aufrichtige Liebe. Glücklich noch die wenigen, die als Staatsmänner die Wunden heilen durften, die sie als Feldherrn schlagen mußten. Cäsar und Friedrich dem Großen war es vergönnt, das zerstörende Prinzip des Schlachtensiegers aufzuwiegen durch schöpferische Gestaltungen. Aber an des ersten Napoleons Ruhm zehrt der Fluch des Massenmörders. Denn kein bildender, schaffender, dauernder Gedanke versöhnt mit der schauerlichen Erhabenheit seines Welterobererthums.

[323] Warum steht Moltke, der nur Feldherr war, dem Herzen des deutschen Volkes so nahe? Warum vergessen wir, daß die Blume seines Ruhmes auf dem Anger erblühte, der mit dem Blute unserer Väter, Söhne und Brüder gedüngt ward? Warum zürnen wir ihm nicht ob der Thränen, welche die großen Tage seines Lebens fließen machten, warum fluchen wir ihm nicht ob der Todessaat, die er ausstreute, indem er seinen Fuß auf die Schwelle der Unsterblichkeit setzte?

Du giebst sie Dir selbst, die Antwort. Wir wissen alle, daß Moltke die Kriege, die er geführt, nicht selbst gesucht, nicht selbst verschuldet hat. Ihn trifft kein Theil an jener furchtbaren Verantwortung, welche die Könige und-Staatsmänner tragen müssen: war der Krieg nothwendig oder nicht? War er gerecht oder ungerecht? Weltenfern bleibt ihm der Verdacht, als hätte er die Kriege gewollt, weil er Lust an Kriegen gehabt, einen Tummelplatz für seine große Kunst gesucht hätte, weil sein Ehrgeiz nach einer neuen Staffel des Ruhms begierig gewesen wäre. Wohl hat Moltke es bekannt, daß er den ewigen Frieden nur für einen Traum erachte, und nicht einmal für einen schönen Traum. „Der Krieg,“ so schrieb er an den Staatsrechtslehrer Bluntschli in Heidelberg, „ist ein Element der von Gott eingesetzten Weltordnung. Die edelsten Tugenden des Menschen entfalten sich darin: Muth und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit. Der Soldat giebt sein Leben hin. Ohne den Krieg würde die Welt in Fäulniß gerathen und im Materialismus sich verlieren.“ Aber wenn ihm so der Krieg gleich einem reinigenden Gewitter ist, das über die Völker dahinfährt, so hat er an diesen Glauben doch nie die Folgerung geknüpft, ihn rufen zu sollen. Nicht daß, sondern wie gekriegt wurde, war Moltkes Verantwortung. Ruhig stand er da, das Schwert in der Scheide, und sorgte nur pünktlich dafür, daß es immer fein scharf, schneidig und locker sei. Kam dann der schicksalsvolle Augenblick, das Schwert zu ziehen, nun dann – in Gottes Namen! Dann rückte er hinaus ins Feld, ganz ein Mann der Pflicht und des Gehorsams.

Und wie hat er dann dies Schwert geführt! Berechnend und kühn, vorsichtig und wuchtig, zuwartend und behende. Da war keine Finte, die nicht glückte, keine Parade, die nicht deckte, kein Streich, der nicht saß. Und darin ist ein Zweites begriffen, was einen versöhnenden Schein über Moltkes blutbethaute Lorbeeren ausgießt. Wo ist der Mensch, dessen Verstand es sich nicht mit unabweisbarer Gewißheit aufdrängte, daß der am genialsten geführte Krieg zugleich der menschlichste ist? Da ist keine Mühsal so schwer, keine Entbehrung so herb, kein Opfer so blutig, daß nicht ein vollwerthiger Zweck sie aufwöge. In die Thränen, die fließen, die Schmerzen, die erduldet werden müssen, mischen sich nicht wie bittere Wermuthstropfen die Anklagen: es war umsonst, nutzlos, verfehlt! Da ist kein barbarisches Sichzerfleischen, kein sinnlos wüthendes Aufreiben der gegenseitigen Kräfte, da wird das Schlachtfeld nicht zur Schlachtbank erniedrigt: Schutzgeist, nicht Würgengel ist die Feldherrnkunst in ihrer höchsten Vollendung. Und nun vollends ein Krieg wie der des Jahres 1870! Ein Krieg, der einem ganzen großen Volke ein Jahrzehntelang erstrebtes Kleinod, seine Einheit, erstritt, der die Schuld von Jahrhunderten auslöschte aus den Tafeln der Geschichte – wahrhaftig, einen solchen Krieg glücklich geführt zu haben, das ist der höchste und zugleich der reinste Ruhm, der einem Schlachtenlenker beschert werden kann.

Das ist es, warum wir Moltke, den Mann des Krieges, nicht bloß bewundern, sondern auch lieben!

Wir wollen heute nicht das Leben Moltkes erzählen. Erschöpfen könnten wir es nicht im Raume einer kurzen Skizze und die großen hervorragenden Ereignisse desselben leben frisch im Gedächtniß der Mitwelt. Manches hat auch die „Gartenlaube“ schon ihren Lesern erzählt, sie hat sie eingeführt in die ländliche Idylle von Creisau, die Moltke sich geschaffen, und am Tage seines siebzigjährigen Dienstjubiläums einen Rückblick auf die Laufbahn dieses seltenen Mannes geworfen, sie hat im vorigen Jahre seinen neunzigsten Geburtstag mit ihm gefeiert.

Ja, fast einundneunzig Jahre ist Moltke alt geworden, so alt wie Kaiser Wilhelm I., mit dessen Größe die seinige so innig verwachsen ist. Als Moltke ein Knabe war, da brachen die Franzosen plündernd in das Haus seines Vaters zu Lübeck ein und die preußische Königsfamilie suchte im äußersten Osten ihres schwerheimgesuchten Landes Schutz vor dem korsischen Eroberer. Und als Moltke starb, da war aus dem zerrissenen, geknechteten, verhöhnten Deutschland ein einiges, gefürchtetes, geachtetes Reich geworden und auf dem Throne dieses Reiches saß der Enkel des Knaben, der einst mit seiner todtkranken Mutter in Sturm- und Schneegestöber nach Memel geflüchtet war – welch eine Wendung! Daß sie aber kam, diese Wendung, das verdankt das deutsche Volk nächst seiner eigenen Kraft und Tüchtigkeit, die in der Erniedrigung nicht erlag, in der Noth nicht verzagte und in der Oede nicht verkümmerte, das verdankt das deutsche Volk jenem stolzen Dreigestirn von Männern, an deren Namen sich des Deutschen Reiches Gründung auf ewig knüpfen wird: Kaiser Wilhelm I., Bismarck und Moltke.

Wie Moltke im Felde der Führer des deutschen Schwertes war, so war er im Frieden sein Hüter. Dies Schwert durfte nicht rosten und nicht schartig werden, das war der Inbegriff der Aufgabe, an deren Erfüllung er die Kräfte seines Greisenalters setzte, der er diente als Soldat und als Bürger, als Chef des Generalstabs, als Vorsitzender der Landesvertheidigungskommission und als Abgeordneter im Reichstag – nicht infolge beruflicher Einseitigkeit, sondern auf Grund der Erfahrung eines Menschenlebens, das fast ein Jahrhundert umspannte.

Sie werden weniger und weniger, die Helden, die im Jahre 1870 an der Spitze der deutschen Heere standen; viele sind gestorben, Moltke war einer der letzten, der noch aktive Dienste leistete. Noch vor wenig Tagen hatte er die Welt wieder einmal durch eine Probe seiner Rüstigkeit in Erstaunen gesetzt, hatte der Nagelung neuer Feldzeichen, einer Parade im Lustgarten, der Grundsteinlegung der Lutherkirche und einem Festmahl im königlichen Schlosse hintereinander an einem Tage beigewohnt, und kein Zeichen der Ermüdung verrieth seiner Umgebung, daß dem Einundneunzigjährigen die Last zu schwer würde. Nun hat auch er die Wahlstatt, Leben genannt, verlassen, den nie Besiegten bezwang das eherne Gesetz der Natur. Worauf die mit menschlichen Wahrscheinlichkeiten rechnende Vernunft längst uns vorbereiten mußte, das ist am Abend des 24. April eingetreten – die klugen, klaren Augen haben sich geschlossen, an deren Falkenblick einst das Wohl und Wehe von Millionen hing, und das Haupt hat sich geneigt, dessen Gedanken einst Legionen lenkten.

Deutschland aber trauert am Sarge seines Helden!