Am Waldsee

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Autor: Guido Hammer
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Titel: Am Waldsee
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 140-142
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wild-, Wald- und Waidmanns-Bilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 11. Am Waldsee.

Auge des Waldes, wie fesselst und bewegst du mit deinem feuchten Blick das Innere des Menschen! Von deiner Wunderkraft angezogen, wogt die Seele dessen, den dein schwimmendes Antlitz gemahnt, in bangem, süßem Ringen dir entgegen. Ja, ein Wunderauge bist Du, denn du schauest nicht nur – du singst dem Menschen auch tief in’s Herz hinein! Die Lichtschwingungen der Sonne tönen nur in unserer Vorstellung; aber deine Blickeswellen, die kosend deine Augenlider – die Ufer – umspielen, sind wirklicher und doch wieder so geheimnißvoll zauberhafter Gesang, der, wenn rollend sein Gottesathem über dich hinhaucht, im Schilfe – deinen Wimpern – und in den mächtigen, dich umstarrenden Waldriesen, den Tannen und Fichten – deinen Brauen – sehnsüchtige und Sehnsucht erweckende Weisen anstimmt oder zu orgeltonbrausendem Psalm sich erhebt. Kommt, der Tag ist schön und mild, begleitet mich nach dem erst kürzlich gewichenen Winter hinaus. Noch ist in den an den See grenzenden, aufwärts liegenden Waldschluchten der Schnee nicht gänzlich zerronnen. Das offen liegende Gewässer, von dürrem braunem Geröhricht umkränzt, hat zu solcher Zeit, wo die Natur noch ringsum schläft, etwas tief Melancholisches, aber doch auch Etwas, das zu sagen scheint: Glaube an mich! – Gleichsam wie ein bereits abgeschlossen gewesenes Leben, dem noch einmal die Hoffnung zu neuem Schaffen winkt, erscheint uns an einem solchen Vorfrühlingstage das seiner starren Fesseln ledige, lebendige Element. Dunkel sehen sich die finstern Tannen in dem düstern Spiegel, der selbst den blauen Frühlingshimmel wie nächtlich verwandelt. Dennoch mahnt uns das wieder offene Wasser, das so lange starr unter schneeiger Decke eine einförmige Fläche gebildet, prophetisch an die Kraft des nahen, belebenden Frühlings, von dem das immergrüne Nadelholz mit seinem dämmerigen, anheimelnden Schatten zu träumen nie aufhört.

Ein solcher sonniger Vorfrühlingstag im Walde ist von unnennbarem Reiz. Mehr als je ist man empfänglich, Lebendiges zu betrachten; jede Ameise, die die warme Witterung bereits aus ihrem Bau herausgelockt, und die nun wieder ihre alte Straße in geschäftiger Eile wandelt, bald hier, bald da einer ihrer kleinen Genossinnen ausweichend, erlabt das Auge und Gemüth. Zu vollendetem Gesang werden die einzelnen Zwitschertöne der überwinterten Vöglein, und mit angehaltenem Athem lauscht man dem Klopfen des Spechtes, der dann mit weithin gellendem Pfeifen zum nächsten morschen Stamme fliegt, um dort sein Zimmerhandwerk fortzusetzen. Aber auch verschiedenes Wasser- und Strandgeflügel ist bereits rege. Weit drüben auf dem stillen, blanken Spiegel schwimmen, nur als Punkte erscheinend, ein paar Taucher, durch eigenthümlichen, wie fernes Bellen klingenden Laut sich kund gebend, mit dem das Männchen seiner Erkornen zärtliche Hingebung zu bezeigen sucht. Dort reihen [1] sich mehrere Entvögel[2], ebenfalls in erwachender Liebesgluth, hinter einer einzelnen Ente, bis diese in eine kleine busch- und rohrumstandene Lache in der Nähe des Sees einfällt, während an dessen Ufer die triste Bläßente nickend und kläglich seufzend durch das trockene Schilf raschelt. Hoch oben in der Luft aber schwebt ein einzelner Reiher, jedenfalls als Quartiermeister für die nachkommenden Schaaren. So ist überall, wo wir hinblicken, schon Leben, obgleich es nur die Vorläufer der Massen sind, die noch folgen sollen, um hier ihr Asyl aufzuschlagen. Eine gewisse Oede herrscht freilich immer noch am See im Vergleich zu späteren Zeiten, deren mannichfaches Treiben wir ein ander Mal zu erleben gedenken. Zuvörderst wählt unsere Betrachtung aus den verschiedenen Wasser- und Sumpfvögeln, die uns zur Schilderung anregen, die wilden Enten, als die massenhaftesten Vertreter jenes Geschlechts, heraus, und unter ihnen nimmt vor allen die bei uns am häufigsten vorkommende und vom jägerlichen Standpunkte besonderes Interesse bietende unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, nämlich:

Die Stockente.

Als Strichvogel ist sie das ganze Jahr bei uns, wo sie nur irgend offene Gewässer findet, es sei auf strömenden, nicht zufrierenden Flüssen und Bächen, oder auf warmen Stellen von Seeen, Teichen und Gräben. Werden mit dem weichenden Winter die Gewässer überhaupt eisfrei, so suchen sie ihre alten Brutstätten an schilfreichen Weihern, oft auch an kleinen Teichen und Lachen wieder auf, wo sie sich dann zu paaren anfangen. Ehe dies jedoch geschieht, werden von den Entvögeln erst erbitterte Kämpfe ausgegefochten, nachdem sie, wie wir bereits zu beobachten Gelegenheit hatten, irgend einer Schönen im nacheilenden Wettfluge den Hof gemacht, bis die Bestürmte in ein schilf- und buschumgebenes, stilles Wasserplätzchen einfällt. Dorthin folgen ihr die Anbeter, um entweder zu siegen oder – zu weichen.

Hat der Stärkste die Schwächern glücklich abgeschlagen, so ist es des Bevorzugten Aufgabe, durch liebenswürdiges Kosen, gehorsames Folgen und sanftes Schmiegen die volle Gunst der Ente zu erringen. Mit anerkennenswerther Beharrlichkeit bleibt ihr dann der Gatte treu, freilich nur so lange, als bis die Jungen ausgekommen, von welchem Zeitpunkte an er sich weder um diese, noch um die frühere Angebetete kümmert, vielmehr sich wieder zu seinen

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Die Stockente.

Geschlechtsgenossen hält. Mit echt mütterlicher Sorgfalt sorgt dagegen die Ente für die Kleinen, die sie sofort, wenn sie aus dem Ei geschlüpft sind, an’s Wasser führt oder, wenn sie hoch genistet hat, wie auf einem Baume, hinabträgt in ihr Element. Hier lehrt sie die junge Brut, beschützt sie vor Gefahren, entweder durch muthige Bekämpfung des nicht etwa allzu überlegenen Feindes oder durch List, die sie dem Stärkeren, mit dem sie im Kampfe augenscheinlich unterliegen müßte, entgegensetzt. Nehmen wir zu solcher Zeit, wenn die jungen Enten noch unmittelbar unter dem Schutze der Mutter stehen, das Gewehr und streifen an den See hinaus, uns durch den Augenschein vom Gesagten zu überzeugen und dabei vielleicht einen guten Schuß zu thun. Gibt es doch am Wasser das ganze Jahr über etwas zu jagen. Ein prachtvoller, lachender Morgen im nun schon vorgerückten Frühlinge gibt uns hierzu willkommene Gelegenheit. Mit gutem Winde und vorsichtig schleichen wir uns hinter Bäumen bis an den Rand des See’s vor, um uns einer Kitte[3] Enten zu nähern. Ruhig schwimmt oder vielmehr schaukelt inmitten ihrer Jungen die alte Ente auf den sanft wogenden Wellen, die, von der Frühsonne beschienen, rosig und silbern glitzernd im Schilfe plätschern. Hier und da hört man das „Quak, quak“ anderer Enten, die im Schilfe verborgen liegen, das unsere Beobachtete wie zu irgend einer Verständigung beantwortet. Dann sich manchmal stürzend[4] ist sie doch sofort nachher doppelt aufmerksam, ob sich etwas Verdächtiges kund gebe, um nöthigenfalls einer Gefahr rechtzeitig ausweichen zu können, was ihr auch meistens gelingt, da die Enten vorzüglich scharf äugen, vernehmen und winden.[5] Irgend etwas ihr nicht Geheueres oder die zu weit vorgerückte Tageszeit läßt unsere Ente in das Schilf hineinsteuern, so daß sie uns bald aus dem Auge verschwunden ist; nur die sich neigenden und schwankenden Spitzen der Schilfstengel, welche die Kitte im Schwimmen berührt, bezeugen den Pfad, den sie genommen. Ein hinter uns aufsteigender Entvogel veranlaßt uns aber jetzt, vom Gewehre Gebrauch zu machen und ihn herunter zu schießen.

Da er in die Gegend der Ente niederfällt, so gibt der darnach einspringende Hund Veranlassung zu einer neuen Beobachtung. Die alte Ente nämlich, die ihre Jungen bedroht glaubt, flieht vor dem Hunde in einer Weise, daß man darauf schwören möchte, sie sei flügellahm geschossen, und könne sich nicht mehr erheben; denn nur flatternd streicht sie kurz vor dem Hunde her, der sich wirklich dadurch täuschen läßt, sie für den heruntergeschossenen Entvogel zu halten, und sie zu fangen und zu apportiren sucht. Die Ente aber hat ihren Zweck erreicht, den Hund von ihren Jungen zu entfernen, die sich unterdessen dicht am Ufer in das Gras gedrückt haben. Natürlich pfeifen wir, den Irrthum bemerkend, den Hund ab, um ihn nicht auf dieser trügerischen Spur fortarbeiten zu lassen, Ehe er aber zu uns zurückkommt und auf weiteren Befehl wieder in’s [142] Wasser geht, hat die Ente die Stelle, wo sie ihre Jungen verließ, mehrmals quakend umkreist und diese in ihrer Sprache hinweg und dahin, wo sie selbst eben einfällt, gelockt, um ihre Kinder im Schutze von Gras und Schilf auf das Land zu führen und erst nach eingetretener Ruhe mit ihnen in’s rechte Fahrwasser zurückzugehen. Unser Hund aber, nicht mehr irre geleitet, hat bald den geschossenen Entvogel gefunden und herbeigebracht. Der Schuß hat aber noch manches Andere rege gemacht, so daß nicht nur Massen von Enten hoch über uns pfeifend hinschwärmen, um weit draußen auf der Blänke des See’s wieder einzufallen, sondern auch Reiher, die theils auf den den See überschattenden Bäumen, theils unten im Schilf gestanden haben, aufgescheucht worden sind und, nachdem sie sich schwerfällig emporgehoben haben, hoch in den Lüften mit unbewegten Fittigen, wie im blauen Aether schwimmend, umherkreisen, während die kleinen Belferer, die Rohrsperlinge, lästernd und scheltend, daß Jemand sie zu stören gewagt, im Schilfe herumspektakeln.

Ein Taucher, der weit über gewöhnliche Schußweite hin ruhig auf dem klaren Spiegel schwimmt, verführt uns mit dem Büchsenrohre des Doppelzeuges zu schießen; aber ehe die Kugel ihn erreicht hat, die dann tanzend auf dem Wasserspiegel vielfach aufschlägt, ist er untergetaucht und kommt nach Minuten, wohl mehrere hundert Schritt weit von dem Flecke, wo wir ihn zuerst sahen, wieder heraus, bald darauf abermals tauchend und so fort, bis er im schützenden Schilfe des jenseitigen Ufers verschwindet. Doch schießen wir im Laufe des Vormittags noch mehrere Entvögel, ohne die immer schußgerecht dahinsegelnden Bläßenten zu beachten, die mit ihrer melancholischen Stimme und ihrem düsteren Aussehen Einem im Voraus den Appetit nach ihrem Braten verderben, der nur zur Osterzeit von den Katholiken, als erlaubte Fastenspeise, gesucht und gern gespeist wird. Ich meinerseits würde lieber fasten, als diese trauerblödige, dickhäutige, thran’ge Creatur zu genießen, die, was Widerwärtigkeit betrifft, für mich in der Vogelwelt das ist, was die Ratte unter den Säugethieren. Vielleicht thue ich ihr Unrecht; denn jedenfalls ist sie ein recht gutes Thierchen, aber hübsch ist sie nicht. Wie sich jedoch sehr oft Contraste begegnen, so sind die Jungen dieser unansehnlichen Enten, eigentlich richtiger Wasserhühner, mit ganz brillantem Gefieder ausgestattet. Durch eine eigenthümliche, von der Regel abweichende Federschmückung, durch lange, glänzendrothe Mietzel, die Kopf und Hals überdecken, bekommen die kleinen Geschöpfe ein auffallend ungewöhnliches Ansehen. Diese Erscheinung ist seltsam genug, da unter den Vögeln sonst nicht die alten, sondern die jungen unscheinbar aussehen.

Die eigentlichen Entenjagden werden wir erst in vorgeschrittener Jahreszeit, im Sommer – Monat Juli – wo die Jungen dann flug- und jagdbar werden und die Alten in der Mauser liegen, mitmachen können. Noch später, im Herbst, setzen wir uns dann zur Dämmerstunde auf den Einfall, welches eigentlich, wenn auch nicht die lohnendste, so doch anregendste Jagd ist. Bei diesen Gelegenheiten wird es nicht blos Enten zu jagen geben, sondern, hoffen wir, noch manches andere Wassergeflügel und sonstiges Flugwild uns vor das Auge kommen, das werth ist, näher betrachtet zu werden. Auch was sonst am See lebt und webt und von seinen kühlen Fluthen angezogen wird, soll nicht unbeobachtet bleiben.




  1. Reihen: hintereinander herfliegen.
  2. Entvögel: die Männchen.
  3. Kitte: Alte und Junge zusammen, die Familie.
  4. Stürzend: sich wie die zahmen Enten mit dem Vordertheile untertauchend und den Steiß in die Höhe richtend.
  5. Aeugen, vernehmen und winden: sehen, hören und riechen.