Zum Inhalt springen

Berliner Bilder/Ein Polterabend

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ernst Kossak
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Polterabend
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 137-140
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[137]

Berliner Bilder.

Von E. Kossak.
8. Ein Polterabend.

Gewöhnlich vermitteln alle geselligen Spiele an öffentlichen Orten die nähere Bekanntschaft der Theilnehmer und veranlassen nicht selten die Entstehung von wahren Freundschaften, die bis an den Rand des Grabes und in der Erinnerung bis darüber hinaus dauern. Nur das Schachspiel rückt die Menschen einander nicht näher. Schachziehende Menschen können täglich zusammenkommen, um an einem neutralen dritten Orte tiefsinnig ihre Hölzer zu schieben, ohne daß es ihnen jemals einfallen wird, im Schachspieler auch die menschliche fühlende Creatur neben dem kalten berechnenden, den Untergang des Gegners ausstudirenden Phantom zu suchen. So hatte auch ich fast zwanzig Jahre lang monatlich mehrmals mit einem Herren Schach gespielt, aber selbst im Traume waren wir Beide nicht auf den Gedanken gekommen, einen genaueren Umgang anzuknüpfen, und wir wußten von einander wenig mehr, als Stand und Namen. Wir liebten oder haßten einander nur als Schachspieler.

[138] Wie überrascht mußte ich daher sein, als mein alter Gegner, wie ich ihn wohl nennen darf, wenn ich nicht die Jahre seines Lebensalters, sondern die unserer Kriegsdauer zähle, nach einem hartnäckigen Gambit die Figuren mit einiger Verlegenheit in die Schachtel packte und folgende, für einen Schachspieler sehr seltsame Worte sprach: „Mein werther Herr, erlauben Sie mir, eine Bitte an Sie zu richten!“

Natürlich machte ich jenes huldvolle Zeichen der Gewährung dieser Erlaubniß, da ja die Bitte selber dadurch noch nicht gewährt ist.

„Mein Bruder, der, wie Sie vielleicht wissen werden, viele Jahre lang eine Schuhfabrik in Paris gehabt, sich aber jetzt aus dem Geschäft zurückgezogen hat, ist mit seinem neuen Hausbau fertig und würde es sich zur Ehre anrechnen, wenn Sie sein Besitzthum in Augenschein nehmen wollten.“

Dergleichen Bitten werden an Publicisten zu oft gerichtet und sind mit dem Lebensfaden aller Zeitungen zu genau verknüpft, um abgeschlagen werden zu können. Ich glaubte daher in dem Wunsch des Schusters von Paris die Sehnsucht zu erkennen, sein Haus öffentlich erwähnt zu sehen, und versprach meinem Schachgegner, der seines Zeichens ein Architekt war, also auch wohl seinen eigenen kleinen Ehrgeiz dabei haben konnte, gelegentlich das neue Haus zu besichtigen. Es vergingen indessen einige Wochen, und es bedurfte noch einer schmerzlichen Mahnung durch den Architekten, ehe ich mich bei dem schlechten Wetter entschließen konnte, den ziemlich weiten Weg anzutreten.

Der Herbst hatte eben mit starkem Regenwetter begonnen, und ich kam etwa um halb sieben Uhr, eine Stunde vor Eintritt der Dunkelheit, an. Nach dem üblichen Ceremoniell erkundigte ich mich zunächst nach dem Besitzer des Hauses. Der listig aussehende Knabe, welcher mir die Thür geöffnet hatte, behauptete mit geheimnißvoller Miene, sein Gebieter sei augenblicklich nicht zu sprechen, aber sein Herr Bruder, der Architekt, werde sich ein Vergnügen daraus machen, mich zu empfangen. Zugleich setzte sich der listig aussehende Knabe an die Spitze des Zuges, ich folgte, und wir begaben uns in den rechten Flügel des Hauses, der baulich noch sehr roh aussah, nach Mauerwerk und Tapetenkleister roch, aber in einigen großen Gemächern doch schon mit Möbeln, namentlich mit auffallend viel Stühlen versehen war. In einem geräumigen Saale fand ich meinen Schachspieler, den Architekten. Er stand auf einem Theater, an welchem noch von zwei Tischlergesellen gezimmert wurde (wenn es nicht Zimmergesellen waren, wie ich zur Beruhigung des Berliner Gewerberathes und zur Vermeidung möglicher Zwistigkeiten unter den Innungen hinzufügen will), und leitete einen jugendlichen Tapezierer an, einige bunte Drapirungen zu befestigen. Ich fühlte mich verlegen und näherte mich nur schüchtern. Zu welchem Feste rüstete man sich hier? war es nicht am passendsten für mich, augenblicklich wieder fortzugehen? Mir blieb indessen keine Zeit dazu. Der Architekt hatte mich nicht so bald gesehen, als er rasch von der Leiter stieg, mich zärtlich, aber heftig bei den Schultern ergriff und den conservativsten Theil meines Leibes mit solcher Schnelligkeit auf den nächsten hölzernen, eigentlich nicht zum Sitzen bestimmten Gegenstand, eine Trittleiter, drückte, daß ich einen höchst empfindlichen Schmerz an dem heiligen Bein (os sacrum) empfand. In der freudigen Aufregung beachtete der liebenswürdige Mann weiter nicht meine schiefen Gesichter, sondern sagte: „Mein Bruder wird entzückt sein, Sie bei uns zu sehen! Sie konnten in keinem glücklicheren Augenblicke bei uns eintreffen.“

„Aber Sie scheinen im Begriff zu stehen, eben ein Fest zu feiern!“ bemerkte ich etwas verlegen.

„Um so besser, daß Sie gekommen sind!“ antwortete der Architekt.

„Aber ich habe durchaus nicht die nöthige Toilette gemacht!“

„Wir feiern ein Fest, bei dem es bekanntlich niemals auf die Toilette ankommt – einen Polterabend. Die Tochter meines Bruders verheirathet sich mit dem Sohne eines reichen Rentiers – Sie haben gewiß von Kohlwurst gehört – dem reichen Kohlwurst?“

Gewiß hatte ich von dem reichen Kohlwurst gehört; er war, was man nach Analogie der Ausdrücke: Pferdezüchter, Schweinezüchter u. s. w. einen Hauszüchter nennen könnte. Mit vieler Arglist pflegte er immer in schlechten Zeiten kleine alte Häuser in guten Stadtgegenden so billig als möglich aufzukaufen, drei bis vier Stockwerke aufzusetzen, sie leichtfertig und mit oberflächlicher Eleganz auszubauen, und dann mit vielem Vortheil im richtigen Momente an einen Menschen, der gerade in der betreffenden Gegend wohnen oder ein Geschäft etabliren wollte, wieder zu verkaufen. Aber Kohlwurst baute auch an verschiedenen Stellen der Stadt neue Häuser, die er, sobald sie unter Dach und Fach standen, stets mit einigem Gewinn zu veräußern wußte. Von den achtungswerthen Züchtern lebender Wesen unterschied er sich nur in dem wesentlichen Punkte, daß diese Herren ihren Ehrgeiz darein setzen, durch die Eigenschaften ihrer Zöglinge alle Nebenbuhler zu verdunkeln, wenn die Preise derselben dadurch auch namhaft erhöht werden, Kohlwurst aber seine Häuser so schlecht und billig aufzubauen suchte, als die polizeiliche Bevormundung der neueren Zeit es irgend zuließ. Neben dieser einträglichen Speculation beschäftigte der weise Mann sich jedoch noch mit der rationellen Zucht seiner Persönlichkeit, und der Anblick derselben konnte einen Jagdliebhaber von Schwarzwildpret an verschiedene schlagende Bezeichnungen erinnern, welche das Jägerlexikon für ungemein große, reichlich durch Eichelkost genährte Exemplare jenes Thieres aufbewahrt, welches, wie Mose sagt, die Klauen spaltet, aber nicht wiederkäut. So war der große Kohlwurst beschaffen, dessen Sohn die Tochter des berühmten Pariser Schuhfabrikanten ehelichen sollte.

„Nicht wahr, Sie bleiben bei uns? es versammelt sich eine ganz zwanglose Gesellschaft, auf dem Theater werden kleine Scherze aufgeführt, dann tanzen die jungen Leute – Sie bleiben doch bei uns?“ fuhr der Architekt mit so gutmüthigem Lächeln fort, daß ich seine Einladung nicht abschlagen konnte. Der Angabe nach versammelte sich die Gesellschaft erst um acht Uhr, ich beschäftigte mich daher gemeinsam mit dem Architekten bei der Vollendung des Theaters, und es gelang mir sogar, die wesentlichsten Dienste zu leisten, als die Tischlergesellen einmal das Bauwerk aus Ungeschicklichkeit ein wenig in Brand gesteckt hatten. Einige Minuten vor acht Uhr erschien der Hochzeitsvater. Sein Haar, offenbar kunstvoll gefärbt, war obendrein zur Feier des Tages durch heiße Eisen in mehrere Hundert kleine Löckchen gekräuselt, er trug einen Pariser Frack vom modernsten affentheuerlichst verzerrten Schnitte, und suchte durch seine Haltung darzuthun, wie überzeugt er von seiner Schönheit und ihrer ästhetischen Wirkung auf seine geschmackvollen Zeitgenossen sei. Sobald er mich zu Gesichte bekommen, und der Architekt, das directe Gegentheil seines komischen Bruders, mich ihm vorgestellt hatte, ging er rasch auf mich los, breitete beide Arme aus und drückte mich so kräftig an sein Herz, daß mir fast der Athem verging. „Endlich sehe ich diesen Mann bei mir, den ich seit Monaten bei Tage und bei Nacht kennen zu lernen wünschte!“ so schrie er während der Ausübung des ersten Foltergrades der Begrüßung, dann ließ er mich los, griff abermals rasch nach meinen Schultern und hielt mich in einiger Entfernung von seinem Antlitz fest, um anscheinend meine Gesichtszüge für immer seiner Einbildungskraft einzuprägen. Unwillkürlich mußte ich an die Schließer in den englischen Schuldgefängnissen denken, die jeden neuen Ankömmling „portraitiren“, d. h. so lange anstarren, bis sie seiner Physiognomie dauernd sicher zu sein glauben. Diese billigste Gattung von Kunstwerken der Daguerrotypie schien der Schuhfabrikant auch von meinem Gesichte besitzen zu wollen. Während des beschriebenen Actes sah er leider wie ein „falscher Biedermann“, ja wie ein Charlatan aus. Zuletzt schrie er mit Vehemenz, als wollte er mich für die ausgestandenen Folterqualen der Begrüßung entschädigen: „He! Jean! ein Glas Sect für den Herrn Redacteur!“ Ich lehnte diese Erquickung ab und suchte dem gastlichen Hochzeitvater begreiflich zu machen, daß mir eine Tasse heißen Thee’s viel mehr wohlthun dürfte; ich wurde nicht gehört. Thee, hieß es, sei nur für die Frauen und Mädchen gut; von Männern dürfe an einem solchen Festtage der Familie nur Sect getrunken werden. Alsbald erschien auch Jean, jener listig aussehende Knabe, ließ den Pfropfen der Flasche prahlerisch gegen die Decke springen und goß mir schwungvoll ein großes Glas des belebenden Saftes ein, in dem meine unglücklich kritisch organisirte Zunge sofort das Product vaterländischer Industrie, ja den ausgepreßten Saft von Baumfrüchten erkannte, die als Compot und gehörig versüßt zu den nothwendigsten heimischen Zuthaten eines Hasenbratens gehören. Da dem Gastgeber aber mein Mienenspiel, nachdem ich das Glas geleert, nicht zu gefallen schien, befahl er seinem Handlanger nicht wieder es zu füllen, sondern ließ mich endlich in Ruhe. Inzwischen trafen ziemlich gleichzeitig zahlreiche Gäste ein. Es fiel mir [139] auf, daß sich darunter viele Polizeibeamte in Uniform befanden, die freilich von ihren weiblichen Ängehörigen begleitet wurden, aber doch nach und nach der Gesellschaft einen gewissen officiellen Anstrich verliehen, bei dem einem bürgerlichen Menschen unmöglich wohl werden konnte.

Da war zuerst ein Polizeirath in Civil und dann noch ein Zweiter, welche Beide dem Schuhfabrikanten durch ihre Anwesenheit außerordentlich wohl zu thun schienen. Er eilte auf sie zu, als sie eintraten, küßte Beide, reichte ihnen Prisen, drückte ihre Hände, kurz er that alles unter deutschen komischen Männern Uebliche, um ihnen seine Freude über ihr Erscheinen darzuthun. Wenn auch nicht ganz so zärtlich, doch immer liebevoll genug, benahm sich der Hochzeitsvater gegen die zahlreichen uniformirten Beamten. Er umarmte Einige, klopfte Anderen freundlich auf die Schultern und zwang Alle, ein Glas Sect oder nach Umständen auch mehrere zu leeren. Da die Herren von der Schutzmannschaft keine verwöhnten Zungen zu besitzen schienen, so ließen sie sich die gastliche Anfeuchtung mit großer Zufriedenheit gefallen. Ich sah diesen Begrüßungsceremonien mit einiger Verwunderung zu, als der Architekt sich mir leise näherte und sagte: „Sie wundern sich gewiß über die eigenthümliche Bekanntschaft meines Bruders, aber schließen Sie daraus auf nichts Arges; es ist bei ihm nur reine Liebhaberei!“ Eine derartige Liebhaberei kam mir denn doch etwas sonderbar vor. Es ist nichts Neues, daß namentlich unter Frauenzimmern eine unerklärliche Vorliebe für militairische Personen herrscht, daß viele Fürsten eine ebenso räthselhafte Neigung verrathen, sich mit Priestern zu umgeben, daß Hypochonder viel mit allerlei Aerzten verkehren; aber eine solche Schwärmerei für eine Classe nothwendiger Beamten, denen jeder physisch und organisch normalmäßig construirte Mensch lieber aus dem Wege, als entgegen geht, war mir überraschend und unheimlich. Nur indem ich annahm, daß der Schuhfabrikant in Paris gegründete Veranlassung gehabt, sich ein solches Steckenpferd anzueignen, vermochte ich mich zu beruhigen. Im Verlaufe des Abends wurde die Nähe der Herren für einen unbescholtenen Privatmann immer unheimlicher. Für ein Talent, das sich mit Taschendiebstahl oder einer ähnlichen freien Kunst beschäftigt, liegt sicherlich etwas Aufregendes und Pikantes darin, der Aufmerksamkeit so vieler ausgezeichneten Beamten, die von dem Princip leben, jeden Menschen so lange für bescholten zu halten, als seine Unbescholtenheit nicht durch gerichtliche Untersuchung festgestellt ist, ausgesetzt zu sein; wer sich jedoch in jenen freien Künsten noch nicht versucht hat, geht in solcher Genossenschaft moralisch vollständig zu Grunde. Beim besten Willen war mit den Herren keine Unterhaltung anzuknüpfen. Sie sprachen vielmehr fast ausschließlich unter einander von Personen, welche nicht die geachtetste Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft zu behaupten schienen und die Aufmerksamkeit der Herren vielfach in Anspruch nahmen. That ich Unrecht, diese Personen für Spitzbuben und, insofern sie nicht männlichen Geschlechtes waren, für Wesen zu halten, denen kein Abbruch an ihrer Unschuld und Ehre mehr gethan werden konnte? Es mußte bei diesen Vermuthungen bleiben, da die Herren Beamten sich in ihren halblauten Besprechungen einer mysteriösen Redeweise bedienten, die dem Laien zum größten Theile unverständlich war.

In sehr gedrückter Stimmung suchte ich mich dem Brautpaare zu nähern, da ich mich durch die Nähe von Jugend und Natur aufzurichten hoffte. Wie fühlte ich mich getäuscht, als ich den Bräutigam und die Braut erblickte! Das arme Paar war augenscheinlich nur auf Befehl der beiden Väter zusammengekoppelt worden. Zwei weniger entwickelte junge Leute erinnere ich mich nicht, jemals gesehen zu haben. Aus dem kleinen Kohlwurst hätte durch gute Pflege wohl noch etwas werden können, da die Gliedmaßen bei seiner Jugend noch zurückgeblieben waren, hätte ihm nur nicht der unverkennbare Blödsinn auf dem Gesichte gelegen! Die Tochter des Schuhfabrikanten war aber ohne alle Einrede eine Homuncula. Sie gehörte zu der Species jener sogenannten chinesischen Zwerge, welche vor einem Jahre bei Kroll gezeigt wurden und offenbar künstlich verkümmerte Menschen waren. Wer sie für ein kleines, aus feinem Schafleder verfertigtes, mit Brillanten und Spitzen besetztes Frauenzimmer halten wollte, dürfte nur schwer zu widerlegen sein. Meine dargebrachten Glückwünsche verstand das Paar kaum und setzte, ohne mir zu danken, sein Geplauder mit anderen jungen Leutchen von ähnlichen Geisteskräften fort.

Nicht um ihm meine Huldigungen darzubringen, sondern nur um mein Skizzenbuch durch eine neue Studie und Charaktermaske zu bereichern, näherte ich mich jetzt Kohlwurst, dem Vater und Hauszüchter. Auch für diese Vermessenheit sollte ich gebührend bestraft werden. Als ich mich dem großen Manne vorstellte, erhob er sich und sagte: „Es ist mir lieb, daß ich Sie kennen lerne. Ich habe gern mit der Presse zu thun, und schon so Manches als „civis“ in die Vossische und Spenersche Zeitung einrücken lassen. Sie werden etwas über dies Haus in Ihrer Zeitung sagen – Sie thäten mir den Gefallen, wenn Sie auch über mein neuestes Haus etwas schreiben wollten. Vermiethet sich leichter an die Ladenbesitzer. Ja, ja, keine Frage, sehen Sie mich nicht so an; die Leute sind nun einmal argwöhnisch und glauben nicht eher an Etwas, als bis es ihnen von den Zeitungen vorgekäut wird. Kenne selbst politische Redacteure, habe das oft genug mit ihnen durchgesprochen. Gleichviel ob es sich um Verfassungen, Braunschweiger Wurst, Bücher, Schnaps oder Häuser handelt; nur besprochen muß Alles ordentlich werden. Wäre es möglich, einigten sich heute die Zeitungen, sie könnten einen berühmten Kaiser mausetodt schweigen. Aber um wieder zur Sache, auf besagten Hammel zu kommen: ich habe in der Friedrichsstraße Nr. 411 ein prächtiges Haus gebaut, unten Bazars, erster Stock wirkliche Geheimrathswohnungen oder Quartiere für Generäle, zweiter Stock für nette Leute, oben für ansehnliche Ouvriers, Hofschneider ohne chambre garnie, gothischer Styl, vier Zinkpuppen auf den Dachecken, auf dem Schornsteine eine Figur, ein kupferner Jäger, der sich nach dem Winde dreht. Besuchen Sie mich bald! Sollte Ihnen der Weg zu weit sein, so bezahle ich gern die Droschke! Daß ich für die Insertionskosten aufkomme, versteht sich natürlich von selbst.“ – Ich war noch ungewiß, was ich auf diese unverschämte und zum Ueberfluß frech vorgetragene Zumuthung: für den argen Geldbroz eine Reclame zu schreiben, antworten sollte, als die Theaterklingel erschallte und die Versammlung durcheinander lief und ihre Sitze einzunehmen suchte.

Die dramatischen Leistungen waren nicht die starke Seite dieses Polterabendes; das leuchtete mir nach Verlauf einer Viertelstunde ein. Mit Ausnahme einer Scene, welche von einem begabten Polterabendsliteraten verfertigt schien, wurde fortwährend nach den Nummern jener poetischen Werke declamirt, die eigens dazu bestimmt sind, den literarischen Verlegenheiten dieses liebenswürdigen Festes abzuhelfen. Nur in zwei Punkten beschäftigten mich die Vorgänge lebhaft. Erstens erschien mein Schachfeind, der Architekt, als Herold in einer Art Waffenrock, auf dem allerlei Embleme der Baukunst als Wappen prangten, und führte jede einzelne Person redend ein, was streng genommen ganz unnütz war, da das, was die Ueberbringer von Gratulationen und Geschenken zu sagen hatten, mit dem, was er selber hinzufügte, nicht den mindesten Zusammenhang besaß, auch mehr guten Willen für das Haus seines Herrn Bruders, als Anlage zur Poesie verrieth. Mit der Würde seinen dichterischen Amtes war jedoch so viele Selbstzufriedenheit vereint, daß man ihm seine vergängliche Herrlichkeit gern gönnte. Zweitens wurde der Leidenschaft des Hochzeitsvaters für den geselligen Umgang mit Polizeimännern durch eine eigenthümliche Schlußscene eine artige Huldigung gebracht. Nachdem bereits eine beträchtliche Menge von Geschenke überbringenden Personen das Brautpaar und die beiden verbundenen Häuser, deren publicistische Verherrlichung man mir im Stillen zugedacht hatte, gefeiert, nachdem Jean und mehrere gemiethete Lakaien, in Folge des von ihnen eben so fleißig, als von den Gästen genossenen Sectes, uns mit den Erfrischungsapparaten und Theebretern vor lauter Diensteifer fast die Rippen eingestoßen hatten, und der deutsche Sect nachgerade selbst bei den ältesten Polizeimannen seine Wirkung zu äußern begann: erscheint plötzlich auf der Schaubühne Freund Architekt mit einem wirklichen Constabler im lebhaftesten Wortwechsel.

Es war der Helm, die Uniform und die mit Buchstaben und Ziffern signirten Achselklappen dieser gefürchteten Mannschaft, und selbst die zahlreichen Herren Beamten lächelten verlegen und spitzten die Ohren.

„Meine Pflicht zwingt mich,“ sagte der erwähnte Constabler, „diese Versammlung, so leid es mir thut, aufzulösen. Der Herr Wirth hat unterlassen, dem Polizeipräsidium die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige zu machen.“

Diese Worte wirkten im ersten Momente auf die gedankenlose Versammlung so verwirrend, daß ein verlegenes Murmeln entstand, und einige kleine Knaben, die bisher nur mit Mühe abgehalten [140] worden waren, sich am allgemeinen Sectgenuß zu betheiligen, in großen Aengsten unter die Stühle krochen. Der Hochzeitsvater und der große Kohlwurst schwelgten in Entzücken, man las in ihrem listigen Lächeln, daß sie den feinen, höchst zeitgemäßen Spaß ersonnen hatten.

„Ich bitte Sie, zu bedenken, mein Herr,“ warf der Architekt ein, „daß wir hier keine politische Versammlung abhalten.“

„Sie mögen sich allerdings zu keinem politischen Zwecke vereinigt haben, aber politische Anspielungen genug sind heute hier vorgekommen. Wir sind durch einen der im Saale anwesenden Herren Beamten davon genau unterrichtet worden.“

So sprach der Constabler mit ernstem Gesicht und schien mit den Augen den Verräther an der Gesellschaft unter den anwesenden Uniformen zu suchen.

„Sie werden sich erweichen lassen!“ meinte der Architekt, „zunächst kann ich Sie aber nicht trocken stehen sehen. Befehlen Sie Bowle, oder ein Glas Sect?“

Der würdige Beamte entschied sich auffallender Weise für Bowle. Sofort langte der Herold nach einem in der Nähe stehenden großen Glase und reichte es gefüllt dem Constabler. Da dieser es mit vieler Geschicklichkeit und Eile leerte und dasselbe Experiment noch zweimal hintereinander ebenso geläufig wiederholte, athmete die bedrängte Gesellschaft auf. Der Architekt faßte daher wieder Muth, dem durstigen Beamten mitzutheilen, daß man nichts als einen Polterabend feiere und sich von allen illoyalen Kundgebungen durchaus fern halte. Hatte die kräftige Feuchtigkeit der Bowle oder diese unschuldige Mittheilung den strengen Mann erweicht, genug, er sagte, daß es ihm leid thue, den Frohsinn der Gesellschaft gestört zu haben, noch mehr aber, nicht mit einem Geschenke für das Brautpaar versehen zu sein. Um aber doch seinen guten Willen zu bezeigen, griff der kühne Mann mit echt polizeilicher Dreistigkeit in die Bowle, belegte den schweren silbernen Löffel – der dazu natürlich längst bereit gehalten war – mit Beschlag und überreichte ihn, sich vor den jungen Leuten verneigend, als Hochzeitsgeschenk.

Diese dichterische Pointe bildete den Culminationspunkt des Abends, alle Anwesenden erhoben sich, die kleinen Knaben krochen beruhigt unter den Stühlen hervor, und der große Kohlwurst führte den von zwei Polizeiräthen geleiteten nachgemachten Constabler in einen Nebensaal, um ihn dort nach den gehabten Anstrengungen mit – Sect, dem Localfluidum, zu erquicken. Da indessen schon eine etwas bacchantische Begeisterung zu bemerken war, mehrere Executivbeamte auch schon heiße Thränen vergossen, und durch den Hauszüchter Kohlwurst nur mit Mühe beruhigt werden konnten: beschloß ich, mich mittelst des bekannten polnischen Abschiedes sachte zu entfernen. Ich entkam glücklich, und der Festabend galt mir für eine so goldene gesellige Lehre, daß ich nie mehr weder ein neues Haus besehen, noch mit dem Architekten Schach gespielt habe.