Ameisen als Leibwachen von Pflanzen

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Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Ameisen als Leibwachen von Pflanzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 387–390
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[387]

Ameisen als Leibwachen von Pflanzen.

Eine Betrachtung über Gegenseitigkeit in der Natur.
Von Carus Sterne.

Während die Blüthengewächse uns der Mehrzahl nach mit ihren theils durch Größe auffallenden, theils durch schöne Farben oder Düfte anziehenden Blumen- und Blüthenständen das stumme Geständniß machen, daß ihnen geflügelte Gäste, seien es nun Insecten oder Vögel, die ihre Honigquellen besuchen, sehr nützlich, oder nach der gewöhnlichen, bildlichen Redeweise „erwünscht“ sind, sehen wir sie alle möglichen Vorrichtungen entfalten, um ihre Blüthen vor den Besuchen ungeflügelter Gäste zu schützen. Die Einen wappnen sich mit Stacheln und steifen, nach abwärts gerichteten Borsten am Stengel, um den Raupen und Schnecken das Emporkriechen zu erschweren, Andere schützen sich durch klebrige Haare oder Leimringe unterhalb der Blüthe, wie die Pechnelke und viele ihrer Verwandten, um den Ameisen und kriechenden Mücken den Zugang zu verlegen, noch Andere umgeben ihre Blüthenstengel gar mit Wall und Graben, das heißt mit kleinen, von den Blättern gebildeten Wasserbecken, z. B. viele Bromeliaceen und unsere wilde Weberkarde; nur die ihre Blüthen aus dem Wasser hervorhebenden Pflanzen haben durchweg glatte, haar-, und schutzlose Stengel, weil sie, durch den natürlichen Standort geschützt, nur wenige Besuche von ungeflügelten Thieren zu befürchten haben. Die meisten der hier angedeuteten Einrichtungen und noch viele andere ähnliche, wie z. B. die giftigen und stark riechenden Bestandtheile der Blätter, sind schon im vorigen Jahrhundert durch den Großvater Darwin’s als Schutzmittel der Pflanzen gegen unerwünschte Gäste gedeutet worden, obwohl er noch nicht klar erkannt hatte, weshalb sie den einen Theil der Insecten anlocken und sich den andern vom Leibe halten. Dank den Untersuchungen späterer Forscher und namentlich denen seines großen Enkels, wissen wir nun, daß ihnen die geflügelten Gäste nützlich sind, weil sie meist von ihres Gleichen kommen, und den zur Erzielung kräftigen Samens erforderlichen Blumenstand derselben als Dank für die ihnen gewährte Gastfreundschaft mitbringen (vergl. „Gartenlaube“ 1878, S. 50), während die ungeflügelten, vom Erdboden emporkriechenden Insecten wahllos jeden ihnen zugänglichen Stengel erklettern und daher nicht im Stande sind, den Blumen einen gleichen Dienst zu leisten.

Da nun die erwähnten Vorrichtungen offenbar am meisten gegen die nach Blumenhonig besonders lüsternen Ameisen gerichtet sind, so mußten gerechte Bewunderung die Beobachtungen mehrerer englischer und deutscher Naturforscher erregen, denen zufolge zahlreiche Pflanzen, namentlich Bäume, umgekehrt durch die an ihren Blättern oder Blattstielen befindlichen Honigdrüsen zahlreiche Ameisen anlocken, ohne daß ihnen das geringste Hinderniß in den Weg gestellt würde. Zuerst war es der treffliche englische Naturforscher Thomas Belt, der im vorigen Jahrzehnt bei einem längern Aufenthalte in Nicaragua eine Anzahl solcher Fälle studirte und bald erkannte, daß gewisse von dem dargebotenen Honig angelockte Ameisen den betreffenden Gewächsen als wachsamste Schutz- und Leibgarde dienen, um sie vor den Plünderungen anderer, viel schädlicherer Ameisen unter Aufbietung aller Kräfte und mit einem Patriotismus zu schützen, der ihnen alle Ehre macht.

Es giebt nämlich in diesen warmen Ländern eine Anzahl großer, das Laub der Bäume und niederer Gewächse stark bedrohender Ameisenarten. Die schlimmsten von ihnen sind die sogenannten Sauba- oder Blattschneiderameisen (Oecodoma cephalotes), deren Arbeiter die Bäume ersteigen und mit ihren scharfen scheerenartigen Kiefern Blattstiele und ganze Blätter so tief einkerben, daß sie das Blatt mit Leichtigkeit abreißen, worauf sie dasselbe entweder [388] fallen lassen, oder mit demselben, wie mit einem Sonnenschirm, hinabspazieren, wonach sie auch Tragameisen genannt werden.

Ein Reisender, Namens Lund, erzählt uns, daß er eines Tages unter einem Baume gestanden und mit Erstaunen beobachtet habe, wie die vollkommen frischen und grünen Blätter desselben trotz des stillen Wetters, einem Regen gleich, herabfielen. Bei genauerem Zusehen erkannte er dann, daß auf jedem Blattstiel eine Ameise saß und das Blatt abschnitt. Eine andere Scene spielte sich am Fuße des Baumes ab; der Boden war daselbst mit Ameisen bedeckt, welche die herabgefallenen Blätter sogleich in Stücke schnitten, um sie bequemer nach ihrem Neste bringen zu können. In weniger als einer Stunde ward das große Werk vor den Augen Lund’s vollendet, und der Baum blieb völlig kahl zurück.

Fig. 1. Rumph’s Nest der schwarzen Ameise.
1/5 der natürlichen Größe.

Ueber den Gebrauch, welchen die Blattschneiderameisen von den Blättern machen, ist man noch nicht völlig im Klaren. Der Naturforscher Bates glaubte, daß sie dieselben beim Wölben ihrer unterirdischen Gänge verwenden, um dieselben regendicht zu machen, während Belt meinte, sie zerrissen dieselben zu einer flockigen Masse, um kleine Pilze für ihre Ernährung darauf zu cultiviren.

Natürlich sind diese Tragameisen, welche auch Besuchs- oder Visitenameisen genannt werden, weil sie durch ihre unerwünschten Besuche oft die Hoffnungen der Gartenbesitzer zu Schanden machen, von den Ansiedlern ebenso gefürchtet wie verfolgt, und man zerstört ihre Nester, wo man sie findet. Am meisten haben in der Regel ausländische Bäume von ihnen zu leiden, denn die einheimischen haben sich, wie gesagt, vielfach Leibwachen von anderen Ameisen angeschafft, welche den Tragameisen einen Besuch der betreffenden Pflanzen verleiden. Es sind dies namentlich verschiedene Arten einer kleinen schwarzen Ameisengattung (Crematogaster), welche so winzig sind, daß man kaum begreift, wie sich die großen, wohlgepanzerten Besuchsameisen vor ihnen fürchten können. Und doch ist dem so. Der ausgezeichnete deutsche Naturforscher Fritz Müller in Blumenau (Südbrasilien) sah eines Morgens in seinem Garten, ehe noch die kleinen schwarzen Ameisen ihr Tagewerk begonnen hatten, die Tragameisen damit beschäftigt, die Blumen eines Kürbisgewächses (einer Luffa-Art) zu zerstückeln, als bald darauf, von den Honigdrüsen der Deckblätter angezogen, einige Crematogaster erschienen, worauf sofort, ohne allen Kampf, die Tragameisen abzogen, um nicht wiederzukehren. Die Ursache liegt wahrscheinlich in einem sehr schmerzhaften Stiche, den die ersteren austheilen können, und auch Sir John Lubbock sah eine Schaar beim Honigsammeln beschäftigter grauer Ameisen schleunigst die Flucht ergreifen, als einige winzige Crematogaster ihnen blos mit der gefährlichen Waffe ihres Hinterleibes drohten.

Fig. 2. Imbauba-Stämmchen.
1/50 der natürlichen Größe.

Es begreift sich unter diesen Umständen, daß viele südamerikanische Bäume sich ein förmliches stehendes Heer aus diesen kleinen Ameisen zu ihrem Schutze halten und ihnen dafür Wohnung, Speise und Trank bieten. Thomas Belt beobachtete dies z. B. bei der Ochsenhorn-Akazie (Acacia cornigera) in Nicaragua, auf deren Zweigen beständig Myriaden einer kleinen Ameise hin- und herlaufen, welche ihre Wohnung in den starken hohlen Dornen dieses Baumes finden, die wie kleine Ochsenhörner gestaltet sind. Die Blätter tragen sowohl an ihrer Basis wie an der Spitze honigabsondernde Drüsen, um dieses stehende Heer zu verpflegen. Uebrigens schützen dieselben die betreffenden Bäume und kleinere Pflanzen wahrscheinlich nicht blos gegen die Tragameisen, sondern auch gegen die Angriffe anderer Thiere, z. B. von Säugethieren, welche das Laub fressen möchten; wenigstens sah sich Belt eines Tages, als er eine Blume der auch in unseren Gärten beliebten Volkamerie (Clerodendron fragans) abpflücken wollte, urplötzlich von einer Armee kleiner Ameisen angegriffen.

Von einem ganz ungewöhnlichen Interesse ist aber das Schutz- und Trutzbündniß zwischen dem eigentlichen Charakterbaum des wärmeren Amerikas, der Imbauba (Cecropia) (Fig. 2) und einer kleinen Ameisenart, die in den hohlen Stammgliedern dieses zu den Nesselgewächsen gehörigen Baumes wohnt. Ueberall, wo in den Urwäldern des wärmeren Südamerika, durch Abholzen oder Waldbrand, ein freies Plätzchen entstanden ist, schießt dieser schnellwachsende schlanke Baum, alles niedere Gestrüpp überragend, bis zu einer Höhe von zwanzig Metern und darüber empor. Man nennt ihn auch den Armleuchterbaum, weil der drehrunde, weiße Stamm zuerst in einer Höhe von zehn Metern und dann in regelmäßigen Abständen Astquirle von abnehmender Länge aussendet, die ihm das Aussehen eines Candelabers verleihen (Fig. 2), wobei jede Astspitze einen Strauß großer, langgestielter, tiefgelappter Blätter entfaltet, die auf der Unterseite mit einem schneeweißen Filze bedeckt sind. Schon Alexander von Humboldt hatte bemerkt, daß die einzelnen Abtheilungen, in welche der Stamm, ähnlich wie ein Bambusrohr, getheilt ist, stets von Ameisen bewohnt sind, und letzteren, denen er schuld gab, das Mark des Baumes zu verzehren, schrieb er es zu, daß der schöne, palmenähnliche Baum immer nur wenige große Blätter am Ende seiner Zweige trägt.

Genauer hatte sich Thomas Belt die Sache angesehen; er fand ebenfalls die hohlen Stammstücke regelmäßig von kleinen Ameisen bewohnt, auf deren Angriff man sich stets gefaßt machen muß, wenn man einen solchen Baum fällt, aber er hielt sie nicht mehr für schädliche, sondern im Gegentheil für höchst nützliche Einwohner, von denen er glaubte, daß sie Vorzugsweise von Viehzucht lebten, da sie Heerden von Schildläusen züchteten. Uebrigens fand er drei verschiedene Arten viehzüchtender Ameisen in diesen Bäumen, derart jedoch, daß ebenso wie bei der Ochsenhorn-Akazie nie mehr als eine dieser Arten denselben Baum bewohnte. Noch genauere und höchst überraschende Aufklärungen über das hier obwaltende Bündniß von Baum und Thier hat sodann Fritz Müller vor zwei Jahren an den Schreiber dieser Zeilen gelangen lassen, und aus seinen in einem wissenschaftlichen Journale veröffentlichten Mittheilungen geben wir im Folgenden die merkwürdigsten Einzelnheiten wieder.

Wie Belt in Nicaragua, so fand Fritz Müller auch in Südbrasilien die von Natur hohlen und nicht etwa erst von den Thieren ausgehöhlten Stengelglieder der älteren Stämme stets von einer einzigen, Schildläuse züchtenden Art bewohnt, die als die Azteken-Ameise (Azteka instabilis) bestimmt wurde. Daß diese Ameisen dem Baume nützlich und nicht, wie Humboldt meinte, schädlich sind, ergab die Beobachtung junger, noch nicht von einem stehenden Aztekenheer beschützter Stämme, deren Triebe und Blätter häufig durch Tragameisen und Rüsselkäfer zerstört werden, während sich letztere Thiere niemals an von Azteken besetzte Stämme wagten. Belt’s Beobachtungen hatten im Dunkeln [389] gelassen, einmal, wie die Ameisen in die Hohlräume hinein gelangten, und zweitens, wie sie in jenen Kammern die Annäherung der Feinde vernehmen sollten, wenn sie von Viehzucht lebten und nicht ihrer Ernährung wegen die gefährdeten Blätter selbst aufsuchten Dr. Fritz Müller fand nun, daß die Imbauba am Grunde jedes Blattstieles ein aus dichtgedrängten Haaren bestehendes und sich später rehbraun färbendes Polster von sammetartiger Beschaffenheit entwickelt, aus welchem fortdauernd kleine ei- ober birnförmige, harte, milchweiße Kölbchen von Millimeter Länge wie die Spargelpfeifen hervorwachsen (Fig. 4, E) und von den Ameisen eingeerntet und in ihre Kammern getragen werden, um ihnen als Nahrung zu dienen. Ob man diese anscheinend sehr nahrhaften Kölbchen, deren jedes Polster sechszig bis hundert Stück erzeugt, als Drüsen- oder andere Gebilde auffassen muß, bleibt vor der Hand dunkel, sicher werden die Ameisen durch diese ihnen von dem Baume angebotenen Fruchtbeete zu derjenigen Stelle hingelockt, wo ihm ihr Schutz am nöthigsten ist, nämlich an die Basis der Blattstiele.

Fig. 3. Rumph’s „rothes Mierennest“.
Mit Blüthen und in 1/5 der natürlichen Größe.

Aber fast noch merkwürdiger ist eine andere Beobachtung F. Müller’s, daß nämlich der Baum von vornherein seinen werthen und unentbehrlichen Gästen eine bequeme Eintrittspforte in seine Gemächer bereit hält. Senkrecht über der Knospe des nächstunteren Blattes befindet sich nämlich auf jeder Stammabtheilung ein von außen deutlich sichtbares Grübchen, welches, wie der Querschnitt (Fig. 4. A) zeigt, eine beträchtlich verdünnte Stelle der Wandung bezeichnet. An dieser Stelle schlüpft das junge befruchtete Weibchen, welches die Königin der künftigen Colonie wird, durch ein kleines von ihr genagtes Loch, welches sich durch Wucherung des Zellgewebes alsbald wieder völlig schließt (Fig. 4, B und D), hinein und legt dort, sicher vor der Verfolgung anderer Thiere, ihre Eier ab, aus denen sich die künftige Colonie entwickelt. Aber damit sind die Vorkehrungen des Baumes für seine Gäste noch nicht beendet. Das wuchernde Gewebe, welches die Oeffnung wie ein Pfropf von innen schließt (Fig. 4. C G), giebt eine saftige Nahrung für die eingeschlossene Königin, welche sie während ihrer Gefangenschaft verzehrt, und dadurch ihren Nachkommen das Wiedereröffnen der geschlossenen Pforte (Fig. 4. F) erleichtert. Nur in solchen Fällen, wo die Königin, wie dies häufig geschieht, durch einen Schlupfwespenstich den Todeskeim mitbrachte und in der Kammer stirbt, findet man nachher die bald glatte, bald blumenkohlartig krause Wucherung unverzehrt vor. Wahrscheinlich bietet ihr übrigens die innere Wandung der Kammer in losen, weichen Zellenmassen noch weitere Nahrung.

Fig. 4. Längs- und Querschnitte von Imbauba-Zweigen.
(Natürliche Größe.)

A Querschnitt der Wandung mit dem Grübchen.
B Längsschnitt der von einer Königin bewohnten Kammer. p Grübchen e Ameiseneier.
D Bewohntes Stengelstück. p Verschlußstelle der Eintrittsöffnung. k Knospe. b Blattsttielnarbe.
C E F G Querschnitte durch die Kammer, um Grübchen, Wucherungen und Wiedereröffnung der Einbruchsstelle (p) zu zeigen. Fig. E zeigt außerdem das Haarpolster (h) am Grunde des Blattstiels (b) mit den zur Nahrung der Ameisen dienenden Kölbchen (f).

Uebrigens kannte man seit lange auch aus der alten Welt einige Beispiele solcher vollendeten Anpassungen zwischen Ameisen und Pflanzen, die mit einer derartigen Umgestaltung der letzteren durch die ersteren verbunden waren, daß sie der Volksmund einfach als „lebende Ameisennester“ bezeichnete. Der treffliche Naturbeobachter G. E. Rumph aus Hanau, der gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts in holländischen Diensten Gouverneur von Amboina war, giebt in seinem siebenbändigen Werke über die Pflanzen jener ostindischen Insel Abbildung und Beschreibung zweier Pflanzen, die als Schmarotzer aus den Aesten dortiger Wald,- und Gartenbäume mit rissiger Rinde wachsen, und von den Malayen Ruma sumot, das heißt „lebendes Ameisennest“, genannt werden. Rumph unterschied bereits zwei verschiedene Arten dieser Pflanzen, die er, da in der einen rothe und in der andern schwarze Ameisen wohnen, als das „swarte und roode Mierennest“ bezeichnete. Es sind, wie man aus unseren Figuren 1 und 3 ersieht, knollige Gebilde, die das Aussehen großer fleckiger Kartoffeln oder grüner runzliger Citronen haben, aus denen oben ein Schopf grüner Blattzweige und Blüthen herauswächst, während unten eine Anzahl von Oeffnungen in das ganz von labyrinthischen Gängen und Zellen durchhöhlte und von den Ameisen bewohnte Innere der Knolle fuhrt. Spätere Untersuchungen zeigten, daß diese Ameisenpflanzen zu den Cinchonaceen gehören, weiße trichterförmige, vierlappige Blüthen mit vier Staubgefäßen, im Bau den Blüthen unseres Waldmeisters ähnlich, entwickeln und Beeren tragen, die zwei oder vier harte Samen enthalten. Man hat sie Myrmecodia und Hydnophytum getauft.

Die sonderbare Erscheinung eines Blüthen und Früchte tragenden Ameisennestes regte natürlich die Phantasie mächtig an, und es ist ergötzlich zu lesen, wie sich Rumphius das Gebilde als ein wirkliches Knospen treibendes Ameisennest vorstellte, als einen Zoophyten, der, wie er sagt, nicht aus Samen entstehe und weder Vater noch Mutter besitze. In neuerer Zeit sind diese seltsamen Pflanzen von dem Naturforscher der Challenger-Expedition Moseley von Neuem untersucht und beschrieben worden: auch dieser fand keine älteren Exemplare vor, die nicht von Ameisen bewohnt gewesen wären, sodaß es wirklich den Anschein gewinnt, als ob diese Pflanzen ohne Ameisen gar nicht leben könnten. Sobald die jungen Schmarotzerpflanzen aus den Aesten der Bäume aufkeimen, veranlassen die Ameisen durch ihre Bisse am Stengelgrunde eine knollenähnliche Wucherung, durch welche der von Natur schlanke Stengel zu einer kugeligen Masse aufschwillt, die manchmal größer als ein Menschenkopf wird. Wahrscheinlich bewirken die fortgesetzten Reizungen der im Innern dieser Anschwellung Gänge und Zellen aushöhlenden Ameisen ein fortdauerndes Wachsthum derselben, und das Merkwürdigste bleibt, daß das Gewächs durch diese nach allen Richtungen in seinem Stumme vor sich gehende Minirarbeit nichts an Lebenskraft einbüßt, vielmehr oben lustig blüht und Früchte reift. Wahrscheinlich ist dies dem Umstande zu danken, daß die Ameisen, abgesehen von ihren dicht über den Wurzeln angebrachten Eingängen, die Rindenschichten, welche hauptsächlich den Saft leiten, sorgsam schonen, sodaß das Gewächs etwa einer üppig grünenden hohlen Weide zu vergleichen ist, in deren Höhlung sich allerhand Thiere eingenistet haben. Doch bleiben hier die Zwischenwandungen des Nestes saftig und lebendig.

Ohne Zweifel schützen die Ameisen ihre grünenden Nester gegen alle weiteren Angriffe von Thieren, sodaß dieselben gar nicht mehr ohne diese ständige Leibwache bestehen können und sich vollkommen daran gewöhnt haben, ihr Wohnung zu bieten. Ihre Nahrung mögen [390] die Ameisen auf den Bäumen finden, welche diese Pflanzen in den Astgabeln tragen. Merkwürdig ist, daß eine Art der letzteren (Myrmecodia armata) trotz dieser Leibwache noch nöthig gehabt hat, ihre Knolle mit stachelartigen Auswüchsen zu schützen. Die andern Arten sind indessen unbewaffnet.

Es kann uns nicht Wunder nehmen, daß man in wärmeren Ländern den Schutz, welchen gewisse Ameisenarten bestimmten Pflanzen gewähren, allgemeiner erkannt hat, als bei uns, sodaß die Gärtner dieselben, statt sie, wie bei uns, zu verfolgen, vielmehr in ihren Baumgärten einzubürgern suchen. Im vorigen Jahre theilte Dr. C. J. McGowan mit, daß die Chinesen seit uralten Zeiten die Gewohnheit haben, ihre Orangerien mit gewissen Ameisen zu bevölkern, die sie aus den Berggegenden holen, weil diese Ameisen alles andere Ungeziefer von den Orangen fern halten. Die einzelnen Bäume werden zu diesem Zwecke im obern Astwerk durch Bambusstäbe mit einander verbunden, die den Ameisen als bequeme Brücken von dem einen zum andern Stamm dienen, und dieser Gebrauch ließ sich in der gärtnerischen Literatur Chinas bis zum Jahre 1640 zurück verfolgen, ist aber wahrscheinlich viel älter, da unsere Citronen, Pomeranzen und Apfelsinen aus Indien und China stammen und daselbst seit uralten Zeiten culzivirt wurden.

Auch in Indien und auf Ceylon kennt man diese gärtnerische Benutzung gewisser Ameisenarten sehr wohl, und als vor längeren Jahren die Kaffeeplantagen von Ceylon durch die Kaffeeschildlaus verwüstet wurden, suchte man diesem Uebel durch die Einführung einer rothen Ameise ein Ziel zu setzen, mußte jedoch, wie Tennent[WS 1] in seiner „Naturgeschichte von Ceylon“ berichtet, davon wieder Abstand nehmen, weil die Ameisen auch den in den Plantagen arbeitenden malabarischen Kulis den Eintritt nicht verstatten wollten und sie mit ihren bösartigen Angriffen verfolgten. Es sind für diesen Zweck allzu eifrige Wächter.

Auch unsere europäischen Gewächse zeigen vielfach honigabsondernde Drüsen an Blättern und Blattstielen, so z. B. verschiedene Pappelarten, viele Angehörige des Prunus-Geschlechtes, zu dem unsere Kirschen, Pflaumen, Aprikosen etc. gehören, und Andere. Hierbei fällt nun auf, daß bei vielen dieser Pflanzen, z. B. bei den Pappeln, nur die ersten Blätter Honigdrüsen entwickeln, die dann eifrig von den Ameisen besucht werden, und daß die Honigdrüsen alsbald versiegen, wenn das Blatt soweit herangewachsen ist, daß es keine verlockende Nahrung mehr darbietet. So entwickelt auch der in unseren Wäldern und auf unfruchtbaren Triften wuchernde Adlerfarn nur an der Basis seiner jungen Wedel Honigdrüsen, die eifrig von den einheimischen Ameisen ausgebeutet werden.

Alles das deutet darauf hin, daß auch diese Drüsen dazu dienen könnten, gewisse honigliebende Ameisen zum Schutze des jungen Laubes heranzulocken, obwohl bei uns, abgesehen von den Raupen, keine ernstlichen Bedrohungen vorkommen. Allein man darf nicht vergessen, daß die Pflanzen zum Theil aus fernen Ländern stammen, und daß auch in unseren Breiten ehemals nahe Verwandte der oben geschilderten Blattschneiderameisen gelebt haben, wie ihre fossilen Neste in den Schichten der jüngsten Tertiärzeit beweisen. Die Honigdrüsen der jungen Blätter verschiedener unserer Straßen- und Gartenbäume sind daher wahrscheinlich Erbschaften aus Zeiten und aus Gegenden, in denen auch diese Bäume solcher Ameisenleibwachen zu ihrem Schutze bedurften.

In der That konnte Fritz Müller feststellen, daß der auch in Brasilien vorkommende Adlerfarn dort sehr stark den Angriffen der Blattschneiderameisen ausgesetzt ist, daß letztere aber gewöhnlich durch die oben erwähnten kleinen schwarzen Ameisen verjagt werden, welche den honigabsondernden Drüsen nachgehen. Man ersieht daraus, daß dort zum wenigsten der Adlerfarn nicht wohl ohne solche Drüsen den Angriffen widerstehen könnte. Alle diese Thatsachen sind nur im Lichte der Entwickelungslehre verständlich, von der einzelne naive Leute, die mit dem Geiste der heutigen Naturforschung keine Fühlung haben, vermeinen, sie habe sich bereits überlebt, während die arbeitenden Naturforscher unserer Tage fast ohne Ausnahme überzeugte Anhänger derselben sind.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. James Emerson Tennent, Vorlage; Tennen