An Liebchen
[39] An Liebchen.
Mein Liebchen, als beym ersten Kuß
An meinem Mund dein Mündchen klebte,
Als meine Seele, ganz Genuß,
Mit deiner Seele sich verwebte;
Nach eitler Größe nie zu streben,
Und still mit ein paar Freunden nur
Zu schlendern durch das kurze Leben.
Geliebteste, nur noch ein Jahr,
So wird am heiligen Altar
Dein Herzchen mir entgegen hüpfen:
Dann laß uns, klein und unbekannt,
Nichts, ausser uns, zum Glück bedürfen,
Den Wonnekelch der Liebe schlürfen.
Wenn vor dem Wagen eines Grossen
Verbrämter Läufer Fackel stralt,
Und wenn der Huf von Londnerrossen
[40] Da muß ich, Engel! dich am Arm,
Den übergrossen Mann beklagen;
Denn, siehst du nicht? ein Sorgenschwarm
Sitzt neben ihm im goldnen Wagen.
Ihn kan sein glänzend Schlafgemach
Nicht von den bleichen Gästen retten,
Sie drängen seiner Ferse nach;
Sie schaffen in damastnen Küssen
Es fleugt vor ihren Natterbissen
Der oft gerufne Schlaf davon.
Doch keine finstre Sorge spücket
In unserm stillen Kämmerlein;
Weiht sichs zu ihrem Tempel ein,
Gießt, nach dem süßten ihrer Siege,
Auf uns den Balsam sanfter Ruh,
Vermischet unsre Odemzüge,