An einer alten Handelsstraße in den Alpen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: J.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: An einer alten Handelsstraße in den Alpen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 77, 88
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[77]

Auf einer alten Landesstraße in den Alpen.
Originalzeichnung von Wilh. Räuber.

[88] Auf einer alten Handelstraße in den Alpen. (Illustration S. 77) Die schneebedeckten Häupter der Alpenberge schauen auf so manches Werk menschlichen Fleißes herab, das in den Geschichtsbüchern der Civilisation mit ehrenden Lorbeerblättern geschmückt ist. Da schmiegt sich fest an die Füße der Bergriesen die jüngste unter diesen Schöpfungen des unternehmenden Geistes, die großartige Gotthardbahn – ein eisernes Friedensband zwischen den Völkern des Nordens und des Südens. Vielen kommenden Geschlechtern wird sie noch berichten von den stolzen Leistungen des Jahrhunderts, welches mit vollem Rechte sich den Beinamen des „eisernen“ beigelegt hat. Aber auch die älteren Geschwister dieser Wunderbahn, die alten Handelsstraßen, die hoch über den Alpenthälern, über Gebirgskämme und an steilen Abgründen vorüber sich in unabsehbaren Schlangenlinien dahinziehen, auch sie können Ungewöhnliches von ihrer Vergangenheit berichten. Schauen wir nur zurück in die Geschichte der Handelsstraße, die über den Simplon führt! Schon der Meißel römischer Arbeiter hatte hier im grauen Alterthume dem Verkehre die Wege geebnet, und die Regierungen des Mittelalters hatten diese Straße unter den Schutz zahlreicher Verträge und Gesetze gestellt. Freilich war sie damals nicht so breit und bequem, wie dies heute der Fall ist. Es fehlten noch die 22 großen Brücken; die 8 gesprengten und gemauerten Gallerien und die vielen Schutzhäuser, welchen sie den Ruf einer der besten Alpenstraßen verdankt. Diese schuf erst im Anfange unseres Jahrhunderts der Befehl des gewaltigen Napoleon, der eine Heeresstraße über die Alpen brauchte, und ungeduldig den über die Fortschritte der Arbeiten berichtenden Boten zu fragen pflegte: „Wann wird das Geschütz über die Alpen fahren können?“ 30,000 Menschen und 1750 Centner Pulver vollbrachten das Werk in fünf Jahren.

Weniger bequem, aber nicht weniger berühmt war die alte Gotthardstraße, die jetzt ihre Bedeutung völlig verloren hat. Sie war mit großen Granitsteinen gepflastert, aber für Wagen nicht zu benutzen. Der Kaufherr, der auf ihr von Deutschland nach Italien zog, mußte seine Waare auf den Rücken der Rosse laden, wobei er, altem Gebrauche folgend, jedes Pferd mit einem Saum, das heißt mit drei Centnern Gepäck belastete. Aber obwohl die Gotthardstraße nur ein Saumpfad war, so bildete sie dennoch einen der gebräuchlichsten Wege von Deutschland nach Italien, und war in früheren Zeiten mit Zollthoren u. dergl. versehen. Erst am 25. Juli 1775 wagte der englische Mineralog Greville in einer Kutsche die Gotthardstraße zu passiren, und seit jener Zeit rollte unzählige Male der schweizerische Postwagen über den Gotthard, bis ihn ein für allemal das Dampfroß ablöste, das zwischen Göschenen mit Airolo durch den großen Tunnel den Verkehr vermittelt. Jetzt brausen sicherer die langen Güterzüge mitten durch den Berg, und man kann kaum begreifen, daß es sich einst gelohnt hat, die Waarenballen dort hoch über den Berg zu schleppen.

Ja, es war im Mittelalter keine leichte Aufgabe, eine Handelsreise von Nürnberg nach Mailand glücklich auszuführen. Da drohten Gefahren mannigfachster Art dem strebsamen Kaufherrn. Unwetter und Lavinenstürze machten ihm nicht weniger Sorge als die streitlustigen Herren der am Wege liegenden Raubritterburgen. Zwar erhielt er von den Städten oder von der kaiserlichen Obrigkeit ein bewaffnetes Geleite, das ihn von Ort zu Ort sicher bringen sollte, oft aber half auch dieses wenig gegen die Uebermacht des plündernden Feindes. Und wenn ihm aus der Ferne die verwitterten Zinnen einer Burg entgegen winkten und nahe an dem Wege ein Kreuz sich erhob, da flogen wohl seine Gedanken von dem Sinnbilde des Friedens auf Erden zu jenem gefährlichen Wahrzeichen der Vergewaltigung, da sammelte er wohl seine getreue Schaar und suchte im einfachen Gottesdienst in der menschenleeren Gegend Ruhe und Trost. In solcher Lage führt uns das treffliche Bild W. Räuber’s den Kaufherrn des 15. Jahrhunderts vor. Durch den grauen Morgennebel schauen die kahlen Bergspitzen in das anmuthige Thal hinab, die Vögel stimmen im Gebüsch ihre Morgenlieder an, und bei dem Frieden der Natur schleicht sich in das Herz der weiter Ziehenden die mildere Hoffnung, daß es auch in der Nacht des Völkerlebens einst tagen und die Sonne des Rechts über die Schatten der Willkür siegen wird. J.