Andernach (Meyer’s Universum)
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
Die Ansichten der Rheinufer, auf der pittoreskesten Strecke des Stromlaufs von Bingen bis Bonn, gehören zu den schönsten der Erde. Sie sind durchaus nicht das, was man sich gewöhnlich unter den Uferansichten großer Flüsse denkt; sie haben in Wahrheit nichts mit ihnen gemein, als das rollende Brausen und die schaukelnde Strömung der Gewässer. Der Gedanke, daß man auf einer Flußfahrt begriffen sei, schwindet bei dem Rheinreisenden fast; – er glaubt eine Kette von Seen zu durchschiffen. Jeder scheint ihm von undurchdringlichen Bergwänden eingeschlossen, jeder zeigt eine neue Ansicht, ein eigenthümliches Bild. Aber doch wird er, bei aller Mannichfaltigkeit und dem wunderbarsten, oft plötzlichsten Wechsel der Gemälde bald inne, daß einzelne Züge Allen gemein sind, welche ihre Verwandtschaft verrathen, gleichsam wie sich in einer Gallerie von Familienbildern dem Beschauer gewisse Züge deutlich machen, die er, alle Generationen hindurch, in jedem Gesichte wieder begegnet. – Auch die Eindrücke auf das Gemüth haben auf der ganzen Reise, trotz dem Wechsel der Gegenstände, nur einen Typus. Jede Neuansicht stimmt, wie die verschwundene, mehr zur ernsten Betrachtung und zur Schwermuth als zum leichten Frohsinn. Die auf den Zinnen der Felsen und auf den Berghöhen immer und immer wieder dem Auge begegnenden Ruinen von Raubadel-Burgen und Kapellen rufen ernste Erinnerungen wach, düster und grau sehen die uralten Städte und Klöster von dem Ufer in die Fluthen, der tiefe Schatten der Berge und schwarzen Felswände färbt die Wellen dunkler, die Stille und die Einsamkeit der Ufer, nur durch das Geschrei und die Peitsche der Treiber schiffziehender Pferde, oder durch gleiche Arbeit verrichtende Gespanne armer Uferbewohner unterbrochen, alles das stimmt mehr zum Ernst, als zum Frohsinn. Kaum hat man das blühende Eden des Rheingaus (von Mainz bis Bingen) verlassen, so drängen sich die Bergufer enge zusammen, dann weichen sie plötzlich zurück und dieser Wechsel, in unaufhörlicher Wiederholung, bildet eben die Seenkette, in welche der Strom verwandelt scheint. Immer erfüllt er nun das ganze Thal, und läßt zwischen sich und den Felsen auf seinem linken Ufer eben nur Raum genug für den Fahrweg. Die Städte und Dörfer liegen in dichten Häuserreihen knapp an den Felswänden, eingekeilt zwischen diesen und den Fluthen; nur zuweilen drängt der Mangel an Raum die Häuser die steilen Abhänge hinan, und erhöht dadurch das Pittoreske der Ansicht. Bei
[18] jeder Krümmung des Stroms, fast mit jedem Ruderschlage, öffnet sich eine neue Gegend. Es ist dem Reisenden, als durchblättere er eine Mappe der herrlichsten Landschaften. Aber hastig und sonder Rast ist er – namentlich der Dampfbootreisende – genöthigt fortzublättern und das Ende von Dem, dessen Anfang überschwenglicher Genuß war, ist für ihn nur zu oft Ermüdung. Die Meisten, die das Rheinthal auf dem Dampfboot durchfliegen, fühlen bei ihrer Ankunft in Cöln Uebersättigung und klagen über Täuschung. Haben sie Recht? Soll man in Augenblicken genießen wollen, was nur in Tagen genossen zu werden bestimmt ist? „Ein ganzer Sommer gehört zur Rheinreise,“ bemerkt ein geistreicher Britte; „wer soviel Zeit nicht dazu verwenden kann, der darf nicht sagen, daß er die Wunder dieses Paradieses und seine Freuden ganz erschaut und ganz genossen hat.“ –
Wir werden die herrlichsten Ansichten jener gefeierten Gegenden unsern Freunden, nicht in ermüdender Aufeinanderfolge, sondern im Wechsel mit andern vor Augen führen. Wir beginnen mit der neben uns liegenden Ansicht, eine der schönsten, welche dem eben im Allgemeinen charakterisirten pittoreskeren Theil des Rheinthals, nach dessen kurzer Erweiterung in die lachende, entzückende Gegend von Koblenz, angehört. Es ist die der uralten Stadt Andernach, vom Flusse aus aufgenommen, gegenüber ihrem hohen, riesigem Thurm, ein Werk der Römer.
Das Städtchen selbst (4 Stunden von Coblenz am linken Stromufer) bietet wenig Merkwürdiges dar. Es ist winklich gebaut, und hat in seinen 460 Häusern etwa 3500 Einwohner, die sich theils von dem hier befindlichen Gymnasium, hauptsächlich aber von den nahen Eisengruben und Lavabrüchen und sehr beträchtlichen Gerbebereien nähren. In der Nähe befinden sich die Trümmer des alten Palastes der fränkischen Könige. Der Rheinlauf muß sich seit dessem Erbauung in dieser Gegend sehr verändert haben, denn die Trümmer liegen eine gute Strecke vom jetzigen Stromufer, obschon die alten Chronisten erzählen, der Palast habe so dicht am Strome gestanden, daß man aus dessen Fenstern im Rhein habe angeln können. Der zunächst merkwürdige Punkt ist die Ruine der Burg Hammerstein, auf einem hohen Felsen dicht am Ufer sich aufthürmend, deren langer schwarzer Schatten vor der untergehenden Sonne, wie ein Geist, die Wogen, bis aufs jenseitige Ufer hinüber langend, beschreitet. Ein anmuthiger, an den schönsten Aussichten reicher Pfad führt zur Burg Schweppenburg, – ein ziemlich erhaltenes Bergschloß am Ausfluß der tobenden Brohl. In der Nähe sind eine Menge Höhlen; und zerrissene Felsen, und ungeheure Lavabetten, jetzt als Steinbrüche ausgebeutet, zeugen von der Thätigkeit eines vor Jahrtausenden erloschenen Vulkans, dessen eingestürzter Kegel sich 2 Stunden tiefer im Lande aus einer Hügelkette 700 Fuß über den Rheinspiegel emporhebt. Sein Krater, ein Kessel an 1300 Morgen groß, ist jetzt ein tiefer See. Auf dem Rande desselben entspringen mehr als 100 Quellen und eine Höhle in der Nähe haucht immer noch erstickende Dämpfe manchmal in solcher Menge aus, daß die sie betretenden Thiere davon sterben. Der See, obschon auf einem Berggipfel, friert niemals zu. Rund um sind die Gruben von verhärteter vulkanischer Asche (Traß), mit der Holland seit Jahrhunderten seine Schleußen baut. Lavablocke werden hier zu den vortrefflichsten Mühlsteinen verarbeitet und weithin versendet. – Die Ansicht von Coblenz und Ehrenbreitstein, eine trefflich ausgeführte Platte, wird das nächste Heft zieren.