Ankunft der Aebtissin Irmingard auf Frauenchiemsee im Jahre 894
[200] Die Ankunft der Aebtissin Irmingard auf Frauenchiemsee im Jahre 894. (Zu dem Bilde S. 184 u. 185.) Sollte man es denken, daß die Frau, die hier hochaufgerichtet in dem schwanken Kahne steht, eine Verbannte ist? Und doch ist dem so. Die Irmingard, die hier hinüberfährt nach dem Kloster Frauenchiemsee, war eine Tochter König Ludwigs des Deutschen und eine Enkelin Karls des Großen. Hildegard hatte sie geheißen, ehe sie im Jahre 894 wegen des Verdachtes, Mitwisserin zu sein bei einer Verschwörung gegen König Arnulf, von diesem nach dem fernen bayerischen Kloster verwiesen wurde. Es war eine Verbannung, aber eine Verbannung mit königlichen Ehren. Als gebietende Aebtissin zog sie ein, geleitet von reisigem Kriegsvolk, von Geistlichen, Mönchen und Nonnen, empfangen mit feierlichem Pompe, und die Aebtissinnen von Frauenchiemsee schrieben von ihr das Recht her, eine Krone zu tragen. Sechs Jahre lang bekleidete sie ihre Würde; dann starb sie, und es ward ihr erspart, die Zerstörung zu erleben, welche bald darauf die wilden Hunnenscharen über Frauenchiemsee brachten. Mehr als siebenhundert Jahre nach ihrem Tode (1631) wurde der Marmorsarkophag mit den irdischen Ueberresten Irmingards ausgegraben und in der den zwölf Aposteln geweihten Kapelle der Kirche von Frauenchiemsee beigesetzt, wo ihm noch heute hohe Verehrung zu teil wird; denn die Kirche hat später die verbannte Königstochter heilig gesprochen.
Das Bild vön Karl Raupp zeigt uns die Ueberfahrt des Zuges nach dem Kloster, das schön und stattlich emporragt über den von Frühlingsstürmen erregten Chiemsee. Irmingards Schiff, ein mächtiger Einbaum, ist mit Decken und Tüchern geschmückt; neben der neuen Aebtissin sitzt die seitherige Oberin des Klosters, in dem geharnischten Kriegsmann dürfen wir den Vertreter König Arnulfs und Befehlshaber der gewaffneten Begleitmannschaft erblicken. Der Geistliche, der diesem gegenüber sitzt, ist der Beichtvater des Klosters; seine Hand zeigt hinüber nach dem Eiland, nach dem festlichen Gepränge am Ufer, wo der Bischof von Herrenchiemsee mit seinen Chorherren die Nahende erwartet, und Irmingard hat sich gespannt von ihrem kunstreich geschnitzten Armstuhl erhoben, hinüberzuschauen nach dem kleinen Reiche, das sie künftig beherrschen soll. Ein Sonnenstrahl bricht durch das dunkle Gewölk und gießt blinkende Lichter über Dächer und Mauern des Klosters, als wollte er der Verbannten Einzug mit einem freundlichen Scheine verklären.