Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I/Rapunzel

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Brüderchen und Schwesterchen Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I von Johannes Bolte, Jiří Polívka
12. Rapunzel
Die drei Männlein im Walde
Für verschiedene Auflagen des Märchens der Brüder Grimm siehe Rapunzel.

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12. Rapunzel. 1856 S. 22.

1812 nr. 12. Von Jacob Grimm erzählt.

Friedrich Schulz (1762–98) erzählt dies Märchen in seinen Kleinen Romanen 5, 269–288 (Leipzig 1790), nur zu weitläufig, wiewohl ohne Zweifel aus mündlicher Überlieferung. – Es wird auch folgenderweise eingeleitet: eine Hexe hat ein junges Mädchen bei sich und vertraut ihm alle Schlüssel, verbietet ihm aber eine Stube. Als es diese, von Neugierde getrieben, dennoch öffnet, sieht es die Hexe darin sitzen mit zwei großen Hörnern (vgl. oben nr. 3). Nun wird es von ihr zur Strafe in einen hohen Turm gesetzt, der keine Tür hat. Wenn sie ihm Essen bringt, muß es seine langen Haare aus dem Fenster herablassen, die zwanzig Ellen lang sind, woran die Hexe hinaufsteigt. – Im Märchen von der Padde bei Büsching 1812 S. 286 = v. d. Hagen, Erzählungen 1, 258 (1825) erscheint zu Anfang eine schöne Jungfrau Petersilie, die dies Kraut lieber als alle andre Speise ißt und gern am Fenster ihre langen Haare kämmt. Im holsteinischen von der Edelmannstochter im Turm (Wisser, Eutiner Kalender 1909 S. 48) holt der Mann einen Apfel für seine schwangere Frau aus dem Garten der Fee.

Dänisch nach Grimm: Pigen i Sølvtaarnet (Volksbuch, Kopenhagen 1850). – Französisch: Mlle de la Force († 1724), Persinette im Cabinet des fées 6, 36 = Bibliothèque universelle des romans 1776, Mars, S. 202 = Das Cabinet der Feen 8 (Nürnberg 1765) = Schöne und unterhaltende Feengeschichten 1, 80 (Linz um 1800). Revue des trad. pop. 6, 590 ‘Parsillette’. Pineau, C. du Poitou p. 91 ‘La belle blonde’. – Italienisch bei Basile 2, 1 ‘Petrosinella’. Hier holt die Frau selber Petersilie aus dem Garten der Hexe; und die gemeinsame Flucht der Liebenden gelingt, weil das Mädchen drei Galläpfel hinter sich wirft, aus denen ein Hund, ein Löwe und ein Wolf entstehen; der Wolf zerreißt die Hexe. Auch in dem Märchen von der vergessenen Braut bei Basile 2, 7 steigt der Prinz zur Tochter der Hexe an den Haaren empor und entrinnt mit ihr. Sicilisch bei Gonzenbach nr. 63 ‘Von der schönen Angiola’ = Crane p. 26 nr. 5. Pitrè 1, 183 nr. 20 ‘La vecchia di l’ ortu’ = Kaden S. 20 (nur der Anfang). Grisanti, Isnello 1, 206 ‘Lo zio Drago’ (Anfang). Busk p. 3 ‘Filagranata’. Archivio 1, 528 ‘Prezzemolina’ (vergessene Braut). Gargiolli nr. 2. Corazzini p. 426 nr. 10 ‘Petrusinella’. De Nino 3, [98] 60 nr. 11 ‘Petrosemolella’. Finamore, Archivio 3, 368 nr. 6 ‘Petrosina’ und Trad. pop. abruzz. 1, 55 nr. 12 ‘L’orche’. Nerucci nr. 18 ‘Prezzemolina’ (vergessene Braut). Monnier p. 122 ‘Persillette’ (vergessene Braut). Bernoni nr. 12 ‘Parzemolina’. Imbriani, Nov. fior.² nr. 16 ‘Prezzemolina’ (Anfang) und Conti pomiglianesi S. 121 nr. 4 ‘Petrusenella’, S. 130 ‘L’ uorco’, S. 136 ‘La Prezzemolina’, S. 188 ‘Petrosinella’, S. 191 ‘Petrosinella’. Schneller S. 183 zu nr. 20 ‘I pomi d’oro’ (ohne die Einleitung von der gestohlenen Petersilie). – Katalanisch: Maspons, Rondallayre 3, 73 nr. 10 ‘La noya dels cabells d’or’ = Sébillot, C. espagnols p. 41 (die Frau muß für das aufgelesene Holz ihre Tochter versprechen; das Mädchen schenkt von ihren goldenen Haaren, die der Riese täglich zählt, eins an den Prinzen; auf der Flucht wirft sie weiße und rote Rosen hinter sich, aus denen ein Strom und ein Feuer entsteht). – Portugiesisch: Consiglieri-Pedroso nr. 2 ‘The maid and the negress’ (falsche Braut). – Baskisch: Webster p. 59 ‘The fairy-queen godmother.’ – Maltesisch: Archivio 14, 385 ‘Nanna Aùla’. Ilg 1, 6 nr. 2 ‘Fenchelchen’ (Drei Knäuel ausgeworfen und Verwandlungen auf der Flucht. Vergessene Braut) und 1, 184 nr. 51 ‘Petersilchen’ (sehr ähnlich). – Serbisch: Wuk S. 139 nr. 19 ‘Das höllische Blendwerk und die göttliche Macht’ = serbische Ausg. 1897 S. 95 nr. 19 = Mijatovics p. 87 nr. 9 (es fehlt die Einleitung von der gestohlenen Petersilie, das Mädchen ist die Tochter der Hexe; nicht das Wasser und Feuer aus den ausgeworfenen Nüssen retten das fliehende Paar, sondern ein Blitz, der auf des Prinzen Gebet die Verfolgerin erschlägt). – Bulgarisch aus Macedonien bei Šapkarev, Sborník 8, 163 nr. 103. Tentélina ist vor der Geburt von ihrer Mutter einem Wolfe versprochen worden, der sie aus dem Sumpfe befreite; sie lebt bei ihm auf einer hohen Pappel; wenn er heimkehrt, ruft er: ‘Tentelina, Tentelina, laß die Haare hinunter, daß ich hinaufkomme!’ Ihr Bruder Kostaden befreit sie, indem er auf der Flucht Kamm, Erde und Seife auswirft.

Es kommt häufig in den Märchen vor, daß der Vater, gewöhnlich aber die Mutter, um ein augenblickliches Gelüsten zu befriedigen, ihr zukünftiges Kind verspricht.[1] Manchmal wird es auch unter versteckten und dunklen Ausdrücken gefordert und bewilligt, [99] z. B. die Mutter soll geben, was sie unter dem Gürtel trägt. In der altnordischen Alfskongssage (c. 1) kommt schon ein ähnlicher Zug vor. Othin erfüllt den Wunsch der Signy, das beste Bier zu brauen, wogegen sie ihm das zusagt, was zwischen ihr und dem Bierfaß ist, nämlich das Kind, womit sie schwanger geht (P. E. Müller, Sagabibliothek 2, 449). In den dänischen Volksliedern, z. B. von dem Walraben (Grundtvig, DFv. nr. 60) ähnliche Versprechungen.

Auch das Emporsteigen an den Haaren, die eine Jungfrau aus dem Fenster herabläßt, ist ein verbreiteter Zug: Deulin, Contes du roi Cambrinus 1874 p. 83 ‘La dame des clairs’. Gonzenbach nr. 20 (Cala sti beddi trizzi e pigghia a mia). Pitrè 1, 110 und 167. Imbriani, Nov. fior.² S. 415 (Figlia mia, figlia cara, lassa giò la toa trezza e tira su la toa mamma cara). Archivio 1, 526 und 529 (Butta giù le tue bionde trecce, tira su la mamma tua). Ein italienisches Liebeslied bei Imbriani, Conti pomiglianesi S. 127f. Marini, Adone 14, 59. Passow, Carmina popularia Graeciae rec. p. 587 und 111. D. H. Müller, Mehri-Sprache 3, 108. In Firdusis Epos (Schack, Heldensagen von Firdusi 1865 S. 104) läßt Rudabe ihre schwarzen Haarflechten vom Dache ihres Palastes herab, und Sal steigt daran empor.

Über die Träne als Heilmittel s. Rittershaus S. 31.


  1. Vgl. zu nr. 31. 55. 92. 181. Cosquin nr. 64. 75. Crane p. 334. Desparmet 1, 343 ‘La femme qui se sauva de chez un ghoul’.
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