Anna Luise Germaine Necker

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Autor: R. W.
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Titel: Anna Luise Germaine Necker
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 312–313
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Anna Luise Germaine Necker.

So war der Name eines bedeutenden Kindes, das später als Frau einen berühmten Namen gewonnen: es war die als Schriftstellerin hochgepriesene Frau von Staël-Holstein. Die Zeit ihres Rufes und ihres Glanzes fiel in die erste französische Revolution. Napoleon I., der die Welt zittern machte und bezwang, bis sie ihn überwand, fürchtete die gewandte Feder und die Geistesmacht der Staël-Holstein so sehr, daß er sie aus Frankreich verbannte. Die Zeit der Kindheit und Jugend von Germaine Necker war reich und glücklich, ihr Vater war ein berühmter Staatsmann und ihre Mutter, Tochter eines armen protestantischen Predigers zu Genf, eine hochgebildete Frau. Sie sah eine Menge bedeutender Persönlichkeiten, die alle dem geistig regen Kinde Aufmerksamkeit und Liebe schenkten. Wenn ihr Vater sich von den erdrückenden Staatsgeschäften erholen wollte, so zog er sich mit den Seinen nach seinem Gute Coppet zurück. Coppet liegt am Genfer-See und seine alte Geschichte – Coppet soll schon zur Römerzeit gestanden haben –, sein bewegliches Leben, seine Schifffahrt, sein Weinbau, seine Fischerei regten die Phantasie des Kindes an, so daß der Aufenthalt in Coppet eine Freudenzeit für Germaine Necker war. Aus dem viel bewegten Leben der Frau von Staël hat ein Biograph derselben eine Anekdote aus ihrer Kindheit aufbewahrt. Sie schrieb in ihrem elften Jahre an den berühmten Geschichtsschreiber Gibbon:

„Herr Gibbon!

„Eine wichtige Angelegenheit zwingt mich, Ihnen zu schreiben; nur Ihnen allein kann ich sie sagen; bitte, kommen Sie zu mir.

„Sie wissen, ich bin in Coppet, wo ich den ganzen Sommer wegen meiner Gesundheit bleiben soll.

„Ich bin, Herr Gibbon, in ausgezeichneter Verehrung

Ihre 
Anna Luise Germaine Necker.“

P. S. Ich bitte Sie um Alles, nicht zu glauben, daß es eine Kinderei sei. Ich bin kein Kind mehr; leider hören Sie nur zu oft, daß meine Mutter zu mir sagt: „Tenez-vous droite!“ aber ich bin kein Kind mehr, und es beleidigt mich zu sehr, wenn ich in Ihrer Gegenwart wie ein Kind behandelt werde.“

Einige Tage nach Abfassung dieses Briefes wanderten zwei Männer nach dem schön gelegenen Schlosse des Herrn Necker zu Coppet.

„Ich bin sehr begierig,“ sagte der Eine, „welche wichtige Begebenheit Germaine Ihnen mittheilen will.“

„Eins bemerke ich Ihnen, Necker, daß Ihre Tochter mir nur unter vier Augen ihre Mittheilung machen will.“

„Ich werde kein tyrannischer Vater sein, lieber Gibbon, ich lasse Sie mit meinem Kinde allein, und werde mich gleich von Ihnen trennen, denn ich habe in der Nähe des Schlosses ein Geschäft abzumachen. Haben Sie meiner Frau Germaine’s Brief gezeigt?“

„Gewiß nicht,“ sagte Gibbon, „sie würde vielleicht dem lieben Kinde gezürnt haben.“

„Germaine ist weniger Kind, als sie für ihr Alter sein könnte; sie entzückt mich oft durch ihren scharfen Verstand, durch ihren Witz, durch ihre Lebhaftigkeit. Aber mein Vaterauge sieht vielleicht zu viel –“

„Nein, Necker,“ antwortete Gibbon, „Ihr Kind wird einst eine außerordentliche Frau werden. Welcher Geist, welche Freiheit beseelt sie! nur Ihre Frau will es nicht sehen, sie behandelt sie als Kind.“

„Meine Frau sieht es wohl, aber sie will, daß sie lange in dem Garten der Kindheit bleiben soll; doch der Weg, den sie ihr dafür frei halten will, ist manchmal rauh, und ich suche ihn zu ebnen. Germaine zeigt mir ihr ganzes Herz, und mein Herz hängt an dem ihren. Ihr Geist überwiegt ihren zarten Körper, sie soll die Landluft genießen, darum soll sie den ganzen Sommer in Coppet, das sie so sehr liebt, sein, und ich finde auch, daß ihre Farben frischer geworden sind, seitdem sie hier ist.“

„Da sind wir,“ sagte Gibbon, „was mag sie wollen?“

„Was wird es sein? sie wird etwas aus der Geschichte von Ihnen wissen wollen. Sie kennen ihre Hauptfreude, Puppen von Papier zu machen, Tragödien zu schreiben und sie aufzuführen; ich höre ihr manchmal verstohlen zu und ich versichere Sie, daß jeder ihrer Helden im Geiste seiner Rolle bleibt. Gewiß hat sie einen historischen Grund für irgend ein Stück, und da Sie ein bedeutender Geschichtsforscher sind, so –“

„Nein, Necker,“ sagte Gibbon, „der Styl des Briefes ist zu ernst, die Sache muß wichtig sein.“

„Wenn sie so wichtig ist, wie Germaine’s Spiel in diesem Augenblick – sehen Sie!“

Gibbon sah Germaine einen Kinderwagen ziehen, in welchem ein kleiner Knabe saß. Die lebhafte Bewegung hatte ihre Wangen geröthet, das schöne Haar hing in langen Zöpfen im Nacken herunter, die schwarzen, klugen Augen glänzten voll Leben und Lust.

Herr Necker stand hinter Gibbon, um sich nicht sehen zu lassen, und sagte lächelnd und seufzend: „Gut, Germaine, daß Dich Deine Mutter nicht sieht, jetzt würde der Augenblick sein, um das Dich so demüthigende „Tenez-vous droite!“ zu hören.“

„Ich glaube fast, daß sie mich kommen ließ, um mich mit anzuspannen; ich werde gern mitspielen, ich werde meine fünfzig Jahre vergessen.“

Die Männer trennten sich. Gibbon ging in den Park. Als Germaine ihn kommen sah, blieb sie stehen, ihre Wangen wurden noch röther und sie rief aus:

„Herr Gibbon, wie schäme ich mich, daß Sie mich so finden! Was werden Sie von mir denken nach meinem Brief, in dem ich Sie aufforderte, zu mir zu kommen, weil ich Ernstes mit Ihnen zu besprechen habe?“

„Was ich von Ihnen denken soll? Nur Gutes, Mademoiselle,“ sagte Gibbon, indem er sich achtungsvoll verneigte, „eine solche Bewegung ist der Gesundheit sehr dienlich, und ich selbst würde –“

„Sie scherzen, wie mein Vater,“ sagte die Kleine mit empfindlicher Miene.

„Bitte, glauben Sie mir, ich finde –“

„Nicht doch, necken Sie nicht,“ unterbrach Germaine.

„Wohl, Mademoiselle, ich bin gekommen, um Ihre Befehle zu hören.“

[313] „Hier ist nicht der Ort,“ sagte Germaine, „bitte, folgen Sie mir in das Zimmer.“ Sie wandte sich zu dem kleinen Knaben, den sie gefahren, und sagte: „Ich komme wieder.“

Germaine führte ihren Begleiter in das Zimmer, und als sie sich überzeugt hatte, daß Niemand sie behorchen konnte, setzte sie sich auf ein Sopha und zeigte auf das ihr gegenüberstehende Tabouret, sagend: „Nehmen Sie dort Platz.“

Gibbon setzte sich und biß die Lippen auf einander, um nicht zu lachen. Germaine fuhr mit gesenktem Auge fort:

„Was ich Ihnen zu sagen habe, ist sehr ernst; versprechen Sie mir, nicht zu lachen.“

Gibbon antwortete nicht, aus Furcht, lachen zu müssen. Da Germaine die Augen niedergeschlagen hatte, so sah sie nicht die Kämpfe seiner Lachmuskeln. Sie fuhr fort:

„Sind Sie verheirathet?“

„Nein, noch nicht.“

„Aber, Herr Gibbon, es ist doch nicht Ihre Absicht, Junggeselle zu bleiben?“

„Ich versichere Sie,“ antwortete Gibbon, ganz erstaunt über die Wendung des Gespräches, „daß ich mich noch nicht bestimmt habe.“

„Gott sei Dank!“ rief Germaine, „denn ich habe Absichten auf Sie.“

„Auf mich?“

„Ja, mein Herr, ich habe eine Frau für Sie, oder vielmehr einen Schwiegervater, der Sie bewundert, er wird Sie mit Wonne seinen Sohn nennen und glücklich sein, wenn Sie ihn nie verlassen –“

„Aber man heirathet keinen Schwiegervater, man heirathet eine Frau, die nie den Mann verlassen soll.“

„Die Frau, die Frau!“ rief Germaine, „sie ist nicht die Hauptperson. Wir wollen uns nicht disputiren, das steht fest, es gibt keine Frau ohne einen Schwiegervater, Sie müssen den Einen wie den Andern nehmen. Hören Sie auf mich, aber zuerst versprechen Sie, daß Sie nicht Nein sagen wollen.“

„Ich verspreche –“

„Nein, nicht so schnell, ich bin kein Kind, das man mit einem leichten Versprechen beschwichtigt. Sie sagen mit dem raschen Ja: „Schnell, mein Kind, ich habe keine Zeit“, und dennoch ist meine Sache so ernst, so ernst,“ und das liebe Kind stützte den Kopf in die Hand und sah bedenklich vor sich hin.

„Ich habe Zeit, mein liebes Kind,“ sagte Gibbon. „Sagen Sie, was Sie wollen; ich bin überzeugt, daß Germaine Necker nur verlangt, was Gibbon thun kann.“

„Das versöhnt und ermuthigt mich,“ nahm Germaine das Wort. „So frage ich Sie denn: Herr Gibbon, wollen Sie mich heirathen?“

Gibbon sprang vor Erstaunen vom Sessel auf, er sah das liebliche ernste Kind, das gesenkten Kopfes da saß, an und sagte:

„Sie heirathen? Aber ich kann drei Mal Ihr Vater sein!“

„Was thut das Alter?“ erwiderte Germaine.

„Mich mit Ihnen verheirathen?“ fragte Gibbon von Neuem.

„So verschmähen Sie mich?“ unterbrach ihn Germaine, sich stolz erhebend.

„Nein, Mademoiselle,“ rief Gibbon, indem er sie nöthigte, sich zu setzen, „ich nehme das niedliche, kleine Händchen an, aber ich erlaube mir nur, zu fragen, welcher meiner vorzüglichen Eigenschaften ich diese Ehre verdanke?“

„Wie?“ fragte Germaine.

„Ja, Mademoiselle, sagen Sie mir, ich bitte, ob meine Schönheit Sie reizt?“

„Ich kenne keine häßlichere Person,“ entgegnete Germaine lachend.

„Beleuchten wir meine anderen Eigenschaften. Ist es der Reiz meiner Stimme?“

„Ach nein,“ rief Germaine, „nichts, als Nasenlaute.“

„Ist es die Anmuth meiner Unterhaltung?“ fragte Gibbon wieder.

„Mein Herr,“ sagte Germaine plötzlich ernst, „ich kann Ihren ganzen Reichthum nicht fassen, ich weiß nicht, was es ist, aber wenn Sie sich mit Papa und Mama unterhalten und ich dabei sitze, so –“

„Schlafen Sie ein,“ unterbrach Gibbon.

„O nein, dazu habe ich zu viel savoir-vivre, aber ich langweile mich, ich langweile mich zum Umkommen. Sie sind mir doch nicht böse?“

„Nein, mein liebes Kind, ich freue mich Ihrer Aufrichtigkeit. Aber warum wollen Sie mich heirathen? Ich bin alt, habe eine unmelodische Stimme und bin langweilig.“

„Weil mein Vater Sie liebt, weil Ihre Unterhaltung ihn befriedigt, weil er Sie bewundert, weil er neulich sagte, daß es sein Wunsch wäre, immer in Ihrer Nähe zu sein, und ich denke, daß, wenn ich Ihre Frau würde, es Ihre Pflicht sei, Alles zu thun, was meinem Vater angenehm wäre.“

„Liebliches, Kind,“ sagte Gibbon, ihre Hand küssend, „Sie lieben Ihren Vater so sehr?“

„Ueber Alles,“ rief Germaine, „mehr, als mein Leben. Wie können Sie fragen, ob ich ihn liebe? warum fragen Sie nicht, ob ich athme?“

„Sie sind ein Engel, Germaine,“ und als Herr Necker in das Zimmer trat, sagte er zu ihm: „Sie sind ein beneidenswerther Vater, Sie sind das Idol Ihres Kindes.“

„Höre nicht auf ihn, Vater, er spricht so, weil ich ihn heirathen will.“

„Heirathen?“ rief Herr Necker. „Gibbon, was ist das?“

Und der alte Historiker erzählte mit thränenden Augen wörtlich die eben geschilderte Scene.

„Mein geliebtes Kind,“ sagte Necker, „Du wirst der Stolz meines Alters sein. Aber warum verbargst Du mir Deine Absicht?“

„Weil Du ein solches Opfer nicht von mir angenommen hättest, mein theurer Vater.“

„Also ein Opfer ist es, mich zu heirathen?“ rief Gibbon.

„Ja, mein Herr, es war nur deshalb mein Wille, weil ich meinen Vater so innig liebe.“

„Aber, Germaine, ohne Erlaubniß Deiner Eltern?“

„Germaine ist zehn Jahre alt, wenn sie das Alter erreicht haben wird, in dem sich die Mädchen verheirathen, wird sie den alten Gibbon nicht mehr wollen – ich entsage –“

„Nein, nein,“ sprach Germaine, „ich habe Ihr Wort, Sie heirathen mich und Sie haben dann die Pflicht, immer bei meinem Vater zu sein, ihn immer zu unterhalten, vergessen Sie nicht, daß mein Vater gesagt hat: Wenn doch Gibbon immer bei mir wäre!“

„Hören Sie, Germaine, ich verspreche Ihnen, so oft Ihr Vater will, bei ihm zu sein; will er mich des Nachts, ich komme; will er mich am Morgen, ich bin da; Mittags, ich speise bei ihm; Abends, ich ziehe seine Unterhaltung Allem vor; wenn er will, ich wohne bei ihm; wenn Sie wollen, ich bin sein Schatten mit Fleisch und Bein, und wenn sich damit Alles erfüllt, was Sie wünschen, wollen Sie mich dann auch noch heirathen?“

„Wenn Sie mir dafür Ihr Ehrenwort geben,“ sagte Germaine, „so ist es so besser und ich bin frei.“

„Ich gebe es,“ sagte Gibbon, ihr die Hand reichend.

„Geliebtes Kind,“ rief Necker, „Deine Liebe wollte mir Deine Freiheit opfern –“

„Meine Freiheit! Mein Leben! Ich habe Alles für Dich, mein heißgeliebter Vater, ich habe kein Wort für meine Liebe zu Dir.“

Necker schloß mit Bewegung das heißgeliebte Kind in seine Arme. Gibbon hielt Wort und widmete dem Freunde so oft als möglich seine Stunden. Germaine heirathete 1789 den schwedischen Gesandten Staël-Holstein. Zwei ihrer Romane haben einen bedeutenden Ruf erworben: Corinne und Delphine. Ihre politischen Schriften waren von großem Einflusse auf ihre Zeit. Sie hatte zwei Kinder, von denen die Tochter sich an den Herzog von Broglie verheirathete. Ihr Sohn, Baron August von Staël, begleitete seine Mutter auf allen Reisen. Man rühmt von ihm die Liebe zu seiner Mutter, sein sanftes und frommes Gemüth, das sich bei vielen gemeinnützigen Unternehmungen betheiligt hat. Beide Kinder der Frau von Staël waren mit dem reichen Geiste, dem warmen Gefühle ihrer Mutter ausgestattet.

Germaine de Staël-Holstein starb den 14. Juli 1817.

R. W.