Auch ein Sclave des Tabaks

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: J. A.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auch ein Sclave des Tabaks
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 455–456
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[455] Auch ein Sclave des Tabaks. Meine Erzählung datirt aus dem letzten Kriege gegen Frankreich. Für ihre volle Wahrheit verbürge ich mich und kann „noch lebende“, glaubwürdige Zeugen beibringen.

Ich stand als Officier bei der Feldartillerie des vierten Armeecorps. Bei meiner Batterie befand sich ein alter, bereits achtzehn Jahre dienender Trompeter. Sturm, so hieß er, war eine bekannte Persönlichkeit im ganzen Regimente; denn schon sein Aeußeres hatte etwas in die Augen Fallendes. Wenn ich sage, er sah etwa so aus wie ein in preußische Artillerieuniform gesteckter Turco, so glaube ich, ihn am besten gemalt zu haben. Sein Teint war stark gebräunt; seine Augen blitzten wie Steinkohlenperlen, und sein schwarz-brauner Schnurrbart hing ihm in zwei dicken Wulsten bis zum vierten Waffenrockknopfe auf die Brust herab.

Wenn die Batterie in den längeren oder kürzeren Ruhepausen, die ja in jedem Kriege eintreten, zuweilen bespannt exercirte und der „alte Sturm“, wie er allgemein im Regimente genannt wurde, auf seiner hellbraunen Stute Sahra, mit seinem langen im Winde flatternden Barte bei der Batterie hin und her jagte und seine Signale scharf und schneidig in die Luft schmetterte — dann achteten die müßig zuschauenden französischen Einwohner nicht auf die schmucken Officiere, nicht auf die galoppirenden Pferde und nicht auf die blanken über den harten Angerboden dahindröhnenden Feuerschlünde — Aller Blicke hingen nur an dem martialischen, wie ein finsterer Dämon dahinsprengenden alten Sturm.

Dieser originelle Mann war aber nicht nur ein firmer Trompeter und tüchtiger Reiter, er war auch ein allezeit lustiger und schneidiger Feldsoldat. Diese Eigenschaft wurde ihm bei der Batterie um so höher angerechnet, als man wohl wußte, daß er ein „zahlreicher“ Familienvater und nicht hervorragend glücklich verheiratheter Gatte war. Deshalb erfreute er sich auch der Achtung aller seiner Vorgesetzten und Cameraden, und die Officiere behandelten ihn mehr freundschaftlich als streng dienstlich.

Sturm war ein in jeder Beziehung nüchterner Mensch. Ich habe ihn während des ganzen langen Krieges nur ein einziges Mal betrunken gesehen — damals allerdings ordentlich! Es war am Geburtstage unseres Heldenkaisers. Da Sturm es zu Ehren seines obersten Kriegsherrn gethan hatte, so konnte ihm deswegen gewiß Niemand gram sein.

Eine Leidenschaft aber besaß Sturm, und diese war geradezu beispiellos. Er war ein Schnupfer — Schnupfer in der eminentesten Bedeutung dieses Wortes! Der liebe Gott hatte ihn auch, damit er sich diesem Genusse in ergiebigster Weise hingeben konnte, mit einer gewaltigen Adlernase ausgestattet, aus der zur Noth zwei, jedenfalls aber anderthalb gewöhnliche Nasen gemacht werden konnten. Er schnupfte täglich zwei Loth, das ist — für Nichtschnupfer bemerkt — ein ganz enormes Quantum.

Dementsprechende Dimensionen hatte denn auch seine Dose, vom Lieutenant G. „der Torfkasten“ getauft. Ich selbst schnupfte damals noch nicht und habe mir erst später das Schnupfen angewöhnt zu Ehren eines lieben Freundes, der mich mit einer kostbaren Dose beschenkte, aber ich nahm doch, um Sturm damit mein Wohlwollen auszudrücken, ab und zu [456] eine Prise bei ihm, was wohl des Tages mehrmals vorkam, da ich als Führer des ersten Zuges vorn beim Hauptmann ritt, in dessen unmittelbarer Nähe wieder Sturm als erster Trompeter sich aufzuhalten hatte.

Daß unser Held sich beim Ausrücken aus der Garnison mit einer ganz gehörigen Munition an Schnupftabak versehen hatte, braucht wohl nicht erwähnt zu werden.

Wir waren etwa in der Gegend von Soissons angekommen, als Sturm plötzlich einsilbig wurde. Sein langer dunkler Bart hing noch schlechter als gewöhnlich in den Mundwinkeln herab; Sturm sah aus, als ob er bittere Erlebnisse gehabt hätte; er saß nicht, wie sonst, straff im Sattel; er hing auf seiner Sahra wie ein erschossener Mann.

„Was ist Ihnen, Sturm,“ rief ich ihm zu, als wir Morgens anspannten, „sind Sie krank?“

„Herr Lieutenant, der Schnupftabak ist alle geworden,“ antwortete er mit einer wahren Grabesstimme.

„Nun, die Sache wird wohl nicht so schlimm werden,“ meinte ich „vielleicht können wir irgendwo welchen kaufen oder uns schenken lassen.“

Nur ein trübes, ungläubiges Lächeln war seine Erwiderung. Er mochte das ihm bevorstehende Schwere wohl schon ahnen — in der That war trotz aller Bemühungen keine Prise aufzutreiben. Wir näherten uns jetzt Paris; die Einwohner der Ortschaften, durch welche wir zogen, waren größtenteils geflüchtet; die Kaufläden durch Requisition bereits gänzlich geleert oder durch Gesindel aller Art und Marodeurs, die vor unserem Eintreffen die Gegend vor Paris besonders belebten, ausgeplündert. Von da ab wurde Sturm nachlässig, träumerisch, energielos, unzuverlässig — kurz, der alte schneidige Soldat war aus ihm verschwnuden; ja, mehr als einmal mußte er von dem sonst allezeit gegen ihn gütigen Batteriechef hart angefahren werden, was bei Sturm etwas Unerhörtes war. Das plötzliche Versiegen der Quelle langjährigen Genusses hatte den alten Trompeter, wie der Hauptmann sich ausdrückte, „demoralisirt“!

So lagen wir nun schon mehrere Wochen vor Paris, und noch immer war keine Aussicht auf Beendigung des Feldzuges. Sturm hatte sich nicht wieder ermannen können; er blieb, was er seit Pensionirung seines „Torfkastens“ war, „demoralisirt“.

Da wurde eines Tages bekannt gemacht, daß die Feldpost auch Briefe schwereren Gewichtes und kleine Paketsendungen an die im Felde stehenden Truppen befördern dürfe. Frau Sturm, die sonst nicht übertrieben zärtliche und aufmerksame Gattin des alten Haudegens, hatte aber gewußt, womit sie ihren theuren Ehegemahl am meisten erfreuen konnte. Sie schickte umgehend ein einpfündiges Paket seiner Leibprise Bolongaro — „Balloncaro“ — wie Sturm ihn nannte!

Am Abend des Eintreffens jener bedeutungsvollen Sendung — es mochte wohl schon einhalb elf Uhr gewesen sein — lag ich in meiner comfortablen Villa in Montmorency bereits im Bett, als plötzlich hastige, schwere Tritte die Treppe heraufklirrten, in wilder Hast die Thür aufgerissen wurde und eine lange dunkle Gestalt in das Zimmer stürmte.

Bei dem hellen Mondlichte erkannte ich sofort den alten Sturm.

„Was ist los, Sturm, Alarm?“

„Nein, nein, Herr Lieutenant, meine Alte hat eine frische Prise geschickt. Ich wollte nur eine kleine Probe davon bringen.“

In seiner namenlosen Freude hatte der alte vortrefflich erzogene Soldat alle Subordinationsrücksichten vergessen, hatte sich nicht melden lassen, war, ohne zu klopfen, in der Nacht bei mir eingedrungen und stand nun in höchster, freudiger Erregung mit einem Tassenköpfchen voll „Balloncaro“ vor meinem Bette.

Am folgenden Morgen erzählt mir der Futtermeister, dem Sturm wohl seine Aufmerksamkeit gegen mich mitgetheilt hatte:

„Wollen der Herr Lieutenant es wohl glauben? Sturm hat sich gestern Abend gar nicht zu Bett gelegt, sondern sich auf die Treppe gesetzt und bis heute Morgen zum Futterschütten ‚geprist‘!“

Von nun an war Sturm wieder der beste Trompeter und Soldat, den sich die Batterie nur wünschen konnte.
J[WS 1]. A.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Großbuchstaben J und I sind nicht zu unterscheiden.