Auf dem Bodensee 11ten August 1849
Wende einmal noch den Blick
Von des raschen Dampfers Bord
Nach dem Heimatstrand zurück,
Mählig schon verblauend dort!
An das teure Ufer schwellen,
Einer Abschiedsträne Naß
Darf dir wohl im Auge quellen.
Oft schon zog ich fremdenwärts,
Jetzo, ahnt dies bange Herz,
Wiederkehrst du nimmermehr.
Sei’s: im Leide wie in Lust
U. verstoßen u. verbannt
Heil sei dir, mein Vaterland!
Ob du meine Lieb’ mit Haß
U. mit Spott u. Hohn vergolten,
Ob du ohne Unterlaß
Meines Wollens Lauterkeit
Weggeleugnet u. verkannt,
Dennoch, jetzt u. allezeit,
Heil sei dir, mein Vaterland!
Die, geliebtes, dich verdunkeln,
Mögen bald in heller Pracht
Freiheitsblitze zündend funkeln.
U. darauf wie Donnerhall
Brause unsres Liedes Schall –
Bebt auf euren goldnen Sitzen.
Bebe, Brut der Tyrannei,
Bebt, Meineidige u. Verräter!
Welchen Mütter, Schwester, Väter
Ueberall auf deutscher Erde
Auf den blassen Lippen tragen,
Er muß künden euch, es werde
Schlagen wird die Stunde, ihr
Herrn von Blei’s u. Pulvers Gnaden,
Wo das Volk euch für u. für
Wird zum Strafgerichte laden.
Still der Fremde harte Treppen,
Folgen unserem Panier
Stolz durch des Exiles Steppen.
Der Verbannten Busen ist
Ihrer Sehnsucht Aug’ bemißt
Scharf der Prüfung Wüstenpfade.
Sieht die Pharaonen winken
Grimm herbei ihr zahllos Heer,
In der Rache rotem Meer.
Seht ihr grünen in der Ferne
Deutscher Zukunft Kanaan?
Traut, Gefährten, traut dem Sterne,
Der einst der Begeistrung Gluten
Fracht in unsern Söhnen an,
Wenn wir unterwegs verbluten,
Treten frisch sie auf den Plan.
Und das Schiff stößt an den Strand.
Sei gegrüßt, o Alpenwelt,
Sei gegrüßt, o freies Land!
Gönn’ dem kranken Flüchtigen,
Um sich zu ertüchtigen
Bald zu neuem Kampfesspiel!
Sieh, die Abendsonne malt
Rings die Höh’n mit Zukunftsfarbe,
Eine Purpurflammengarbe!
Welch ein glücklich Vorbedeuten!
Zuversicht u. Mut im Blick
Will die Fremde ich beschreiten
Anmerkungen (Wikisource)
Der freiheitsgesinnte Autor Scherr konnte im August 1849 aus Württemberg über den Bodensee in die freie Schweiz fliehen (siehe auch Ein „unentwegter“ Kämpfer und Mählys Nekrolog in: Letzte Gänge). In Abwesenheit wurde er zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt (so Mähly). Zur Aufnahme in der Schweiz: Alfred Stern 1919 (mit Wiedergabe des Steckbriefs).