Auf dem Ozean

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Textdaten
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Autor: M. Pulvermacher
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Titel: Auf dem Ozean
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 347–348
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[347] Auf dem Ocean. „Ich will Ihnen ein Meisterstückchen unseres Schiffes zum Besten geben,“ begann der Capitain des Hamburger Dampfers ‚Westfalia‘, als wir am 12. Februar 1873 auf der Rückfahrt nach Europa im Rauchzimmer desselben gemüthlich beisammen saßen.

„Wie bekannt, strandete im August 1869 die ‚Germania‘ von der Hamburger Linie auf Cap Race. Zu dieser Zeit war dort zum Schutz der vielen von Frankreich nach Neufundland herüberkommenden Fischerboote eine französische Fregatte, der ‚Latouche Trouville‘, stationirt, und der Capitain derselben nahm die Schiffbrüchigen der ‚Germania‘ mit besonderer Liebenswürdigkeit auf, so daß von der preußischen Regierung ihm der rothe Adler-Orden zweiter Classe verliehen wurde.

Im October darauf kam ich nach New-York. Im dortigen Hafen lag zu derselben Zeit der ‚Latouche Trouville‘, dessen Capitain durch seine aufopfernde Hingebung bei dem erwähnten Unglücksfall namentlich unsere Gesellschaft so sehr verpflichtet hatte. Um unserer Dankbarkeit besonderen Ausdruck zu geben, wurde von Seiten der deutschen Notabilitäten New-Yorks beschlossen, dem Capitain und den Officieren der Fregatte an Bord meines Schiffes ein solennes Diner anzubieten. Unsere Einladung wurde angenommen, und es ist wohl in dem Salon dieses Dampfers nie wieder eine so fröhliche Gesellschaft zusammen gewesen, als an diesem Abend. Es war natürlich nichts gespart worden: die feinsten Weine aller Länder kamen auf den Tisch, und der französische Capitain sagte beim Abschied mit herzgewinnender Liebenswürdigkeit: ‚Capitain, Berge kommen nie zusammen, aber Menschen. Ich werde den heutigen Abend auf der ‚Westfalia‘ nie vergessen.‘

Neun Monate später brach der Krieg aus; mich erreichte die Nachricht von dem Beginn der Feindseligkeiten wiederum im Hafen von New-York, wo die ‚Westfalia‘ gerade zum Auslaufen bereit lag. Wir mußten jeden Gedanken an unsere Heimreise aufgeben und lagen nun Wochen, Monate lang an die ferne Küste gebannt, zu der Zeit, als täglich die fabelhaften Siegesbotschaften über’s Meer kamen und die ungeheure deutsche Bevölkerung drüben in einen wahren Freudentaumel versetzten. Im October 1870 endlich lief von der Direction in Hamburg der telegraphische Befehl für mich ein: die Heimreise anzutreten, aber mich nicht fangen zu lassen, ein Befehl, unter diesen Umständen leichter gegeben, als ausgeführt. Draußen vor Sandy Hook kreuzten, wie uns bekannt war, zwei Franzosen schon seit längerer Zeit, die auch ihre Berichte aus dem Hafen bekamen und denen meine bevorstehende Ausfahrt nicht verborgen bleiben konnte. Es wurde von den Vertretern der deutschen Dampfer-Compagnien Kriegsrath gehalten und zunächst beschlossen, daß unter neutraler Flagge eine Recognoscirungs-Deputation in die See hinausgeschickt werden solle, um zu sehen, ob die Luft rein sei. Es geschah: auf einem kleinen Schleppdampfer gingen drei Herren am nächsten Tage hinaus und brachten die Nachricht zurück, es kreuze allerdings ein französisches Kriegsschiff dort, scheine aber seinen Cours nach Süden zu nehmen. Es wurde nochmals Sitzung gehalten, und da für mich von Hamburg aus die bestimmte Weisung vorlag, gab ich den Ausschlag durch die Erklärung, daß ich unter allen Umständen in den nächsten Tagen die Reise antreten wolle. Fünf Passagiere fanden sich, die, obgleich vorher auf die Gefahren der Reise aufmerksam gemacht, sich dem Schiffe anvertrauten, und so dampfte die ‚Westfalia‘ an einem Nachmittage im October 1870 unter allgemeiner Theilnahme aller Landsleute mit entfalteten deutschen Wimpeln zum Hafen [348] hinaus. Wohl klopfte mir das Herz, als mein Schiff die schützende Bay verließ und nach Seemannsbrauch die Flaggen eingezogen wurden; aber mein Entschluß stand fest. Nach allen Seiten hatte ich Beobachtungsposten ausgestellt, die jeden auftauchenden verdächtigen Punkt zu recognosciren hatten – da naht sich eines der vielen vor der Bay von New-York stets kreuzenden Lootsenfahrzeuge, giebt mir das Zeichen zum ‚Stoppen‘, und als es näher kommt, erkenne ich darin einen mir befreundeten Lotsen, der, an der Seite unseres Schiffes angelangt, mir zuruft:

‚Capitain, auf Nordost kreuzt ein Franzose dicht vor Euch. Ihr könnt ihn nicht passiren.‘

‚Wißt Ihr, wie er heißt?‘ antwortete ich.

‚Es ist die Fregatte ‚Latouche Trouville‘!‘

Wunderbares Verhängniß! Da vor mir lag der Capitain, wahrscheinlich brennend vor Begierde, dem geschlagenen und gekaperten Feinde die empfangene Gastfreundschaft durch großmüthige Behandlung zu vergelten. Das Blut kochte mir, wenn ich daran dache, und in mir befestigte sich der Entschluß: du fällst nicht lebend in seine Hände.

Mein Befehl hatte gelautet: die Reise antreten, aber mich nicht fangen lassen. Diesem Befehle wollte ich wörtlich nachkommen. Ob ich auch die Reise glücklich vollenden würde, das stand in höherer Macht. Langsam in regelmäßigem Tempo geht der Dampfer seine Bahn – da ertönt vom Vordermast das erwartete Signal, alle Gläser richten sich auf den bezeichneten Punkt, und nach einigen Minuten ist er mit den Ferngläsern zu erkennen – es ist der Feind. Während wir den Cours nach Nordost halten, liegt er weiter nördlich, hat uns aber jetzt offenbar erkannt und versucht, unsern Cours zu gewinnen.

Jetzt ist der entscheidende Augenblick gekommen – die Vorbereitungen für diesen Fall sind längst getroffen –, ich gebe dem Ingenieur meine Befehle: in die Oefen fliegen die bereitgehaltenen Theer- und Petroleumfässer, und nach kurzer Zeit rasselt die Maschine mit verdoppelter Schnelligkeit, mit lautem ächzenden Geräusch, und wie von Geisterhand getrieben jagt meine alte ‚Westfalia‘ über die Wellen. Nie habe ich mehr gefühlt, wie sehr mein Herz an dem Schiffe hing, das ich seit so langen Jahren geführt hatte: da draußen der Feind, um uns bei erster Gelegenheit in den Grund zu bohren, da drinnen die tosende Maschine – ‚Herr Gott! nur eine halbe Stunde gieb dem Kessel verdreifachte Festigkeit!‘ betete ich. Wohl standen unsere Passagiere bleich zwischen der doppelten Gefahr, aber keiner verrieth ein Zeichen von Schwäche. Die See ging hoch, und das war unsere Rettung. Auch drüben wurde alles Erdenkliche daran gesetzt, uns zu gewinnen, aber das schwere Schiff wurde von den erregten Wellen von einer Seite auf die andere geworfen und kam nicht rasch genug vorwärts. Nach zehn Minuten banger, peinlicher Erwartung sahen wir, daß er uns nicht mehr erreichen konnte. Da dröhnt ein Schuß über die See, der letzte Ausbruch ohnmächtiger Verzweiflung – ein donnerndes Hurrah von unserem Bord antwortet darauf und triumphirend steigt an unserem Maste die deutsche Tricolore empor. Noch eine Viertelstunde, und das feindliche Schiff ist unserem Gesichtskreise völlig entschwunden. Zehn Tage später liefen wir im Hamburger Hafen ein.“

Der Capitain lachte mit herzlicher Behaglichkeit in der Erinnerung an seinen Sieg. Wir waren Alle lebhaft angeregt.

„Haben Sie seitdem nie wieder von dem ‚Latouche Trouville‘ und von dem Capitain gehört?“ fragte endlich einer unserer Gesellschaft.

„Als ich wiederum später nach New-York kam,“ erwiderte der Capitain, „sprach ich den Lootsen, der sich damals an Bord des spanischen Dampfers befunden hatte, und dieser erzählte mir, daß der Capitain bei der Jagd auf uns die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht habe und, als er die Unmöglichkeit, uns zu erreichen, eingesehen, wie wahnsinnig auf dem Deck herumgesprungen sei. Uebrigens hat er seine Schuldigkeit gethan, wie ich die meine; er war ein braver und liebenswürdiger Officier, und wenn ich ihn heut irgendwo träfe, würde ich ihm ebenso herzlich die Hand drücken wie früher und ebenso unbefangen mit ihm über unsere Begegnungen in so verschiedenen Situationen sprechen. Der ‚Latouche Trouville‘ selbst soll im letzten Jahre im Hafen von Havanna verbrannt sein. Von dem Capitain habe ich nichts wieder gehört. Das war aber“ – und dabei sah uns der Capitain mit glänzenden Augen an, – „ein Meisterstück meiner Maschine da draußen.“
M. Pulvermacher.