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Auf den Flügeln des Stahls

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Autor: Max Wirth
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Titel: Auf den Flügeln des Stahls
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 825–831
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Anleitung zum Eislaufen
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[825]
Auf den Flügeln des Stahls.
Von Max Wirth.


Die meisten städtischen Gemeinden besinnen sich bei gewissen Gelegenheiten keinen Augenblick, Tausende für Festlichkeiten und Feuerwerke in die Luft zu verpuffen; allein es giebt nur sehr wenige, welche dafür sorgen, daß ihre Bevölkerung einen Spazierplatz für den Winter, d. h. eine Eisbahn, habe, wo sie ihre Gesundheit stählen und das erheiterndste gesellige Vergnügen genießen kann. Die Ursache mag darin zu suchen sein, daß die meisten Städte an Flüssen liegen oder daß sich Teiche in der Nähe befinden und so also die Natur von selbst sorgt.

Indessen gefrieren Flüsse nicht immer und selten glatt zu, es bleibt daher stets noch etwas zu thun übrig. Nur in wenigen Gegenden werden Wiesen überschwemmt, noch minder aber zu diesem Zweck, und doch dienen solche am besten, weil sie am ehesten gefrieren und keine Gefahr des Ertrinkens darbieten. Schon der vielen Unglücksfälle wegen, welche sich im Winter fast überall beim Einbrechen in’s Eis ereignen, sollten die „Väter der Städte“ darauf bedacht sein, daß geeignete Eisplätze mittels Ueberschwemmung im Winter hergestellt werden; denn wenn sie das Wohl und die Sicherheit der Einwohner im Auge haben wollen, so helfen doch Verbote des unzeitigen Besuches gefährlicher Plätze nicht viel. So weit aber werden sie auf der anderen Seite schwerlich nicht gehen wollen, wie der letzte Kurfürst von Trier, Clemens Wenzel, der in landesväterlicher Fürsorge das Schlittschuhfahren überhaupt verbot.

In Fällen, wo kein geeigneter Eisplatz von Natur vorhanden ist und die Magistrate nicht zu bewegen sind, etwas zu thun, bleibt immer der Weg der gesellschaftlichen Hülfe und der Privatspeculation übrig. In Bern und in Basel sind Eisplätze durch Ueberschwemmung von Wiesen auf Anregung der gemeinnützigen Gesellschaft, in letzterer Stadt durch die Mittel dieser Gesellschaft, in ersterer durch freiwillige Beiträge und Erlös von Zutrittskarten hergestellt worden. Die großartigsten Anstalten aber sind in dieser Hinsicht in einigen Städten Canadas und der nördlichen Staaten der amerikanischen Union, begünstigt durch die strenge Kälte jener Länder, getroffen worden. In Chicago wurde sogar ein Eisplatz überdacht, so daß auch bei starkem Schneefall an zehntausend Personen fahren können. [826] Daneben sind Ankleidezimmer und geheizte Buffets. Ein Orchester mit rauschender Musik spielt zum Eistanz auf.

Indeß sollte nicht blos mehr geschehen, um das Schlittschuhlaufen möglich zu machen und zu begünstigen, sondern es können Vereine auch wesentlich mitwirken, um die vorhanden Gelegenheiten besser auszunutzen; denn ich habe vielfach die Erfahrung gemacht, daß in den meisten Wintern wirklich vorhandene prachtvolle Eisbahnen aus Flüssen und Seen nicht benützt werden, weil man sie nicht kennt, weil es immer nur Einzelne sind, welche den nöthigen Eifer und Spürsinn haben und sich die Mühe geben, eine Gelegenheit auszuforschen. Ich will dafür nur zwei Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung vom Bodensee, von Main und Rhein mittheilen.

So oft ich in den Ferien meiner Universitätsjahre nach Constanz kam, in dessen Nähe meine Eltern damals wohnten, hörte ich klagen über mangelnde Eisbahn, weil der Rhein nie zugefriert und der Obersee, an den die Stadt unmittelbar stößt, seit dem Jahr 1829/30 außer kleinen Stellen am Ufer nicht mehr zugefroren war. Als ich nach vollendeten Studien den ersten Winter zu Hause zubrachte, machte ich gleich beim ersten Frost eine Entdeckungsreise nach dem eine halbe Stunde entfernten Untersee und fand die prachtvollste Eisbahn, die ich in meinem Leben gesehen, nur von den Bewohnern der in Mitte des See’s liegenden Insel Reichenau benützt. Der See wird durch die Insel so zu sagen in zwei Theile getheilt, in eine nördliche und eine südliche Hälfte. Durch die letztere zieht sich das Bett des Rheines und sie gefriert daher nur selten, die nördliche dagegen fast jedes Jahr. Auf der östlichen Seite der nördlichen Hälfte ist der See auf eine Uferlänge von einer halben Stunde und zehn Minuten Breite nur einen halben bis einen Fuß tief, so daß diese Strecke gleich beim ersten Frost (oft Anfangs December) fest zuzugefrieren pflegt, während die eigentliche Wassermasse des See’s erst noch abdampft und meist erst im Januar gefriert, aber dann in der Regel so rasch, daß zweinächtiges, oft sogar einnächtiges Eis schon betreten werden kann. Dieses schnelle Gefrieren bewirkt es, daß auf dem See in der Gefrierzeit sehr wenig Gefahr vorhanden ist und fast nie ein Unglück sich ereignet; desto mehr jedoch nach eingetretenem Thauwetter, nachdem die Jugend übermüthig, unvorsichtig und dreist geworden ist. Dazu kommt, daß der Föhn (Südwestwind) schuhdickes Eis in einer Nacht ungangbar machen kann, wogegen ich in Jahren, in denen der Föhn lange ausblieb, während die Straßen überall bereits kothig und das Eis nahe am Ufer aufgethaut war, so daß man nur mittels eines Brettes die Bahn erreichen konnte, noch am 2. März über den See fuhr, weil dieser von einer anderthalb Fuß dicken Eiskruste bedeckt war, die noch von unten auf Kälte bezog, denn der See erwärmt sich ebenso langsam, wie er sich abkühlt.

Das ist die Eisfläche, auf der auch der jetzige Kaiser Louis Napoleon häufig Schlittschuh fuhr, als er noch den gegenüber am schweizerischen Ufer liegenden Arenenberg bewohnte. Die Reichenauer, welche tüchtige Schlittschuhläufer sind und längst nach Art der Holländer und Friesen glatte Schlittschuhe führen, während die Bewohner der umliegenden Städte und Flecken noch gerinnte hatten, benutzen die Eisbahn im Winter, um aus dem auf dem nördlichen badischem Ufer liegenden Walde sich das Holz auf Schlitten zu holen. Sie stehen hinten auf den Kufen und stoßen sich mit Stangen ziemlich rasch auf dem Eise vorwärts. Jeder führt seinen Compaß bei sich, denn im Nebel kann man dort einen Tag in der Irre umherfahren, ohne von der Stelle zu kommen, da der See vier Stunden lang und eine halbe bis anderthalb Stunde breit ist. Dauert die Eisdecke lange, so wird auch gefischt durch in’s Eis geschlagene Löcher mittels Angelhaken und einer Strohwand zum Schutze des Fischers gegen den Wind. Am reizendsten ist der Fischfang auf kleine Hechte von einem Viertel- bis einem halben Pfund, welche sich in den seichten Stellen des Sees unter dem Eise aufhalten, bevor noch die große Wasserfläche gefroren ist. Diese Fische streichen so weit gegen das Land hin, daß der Wasserstand zwischen dem Grund und der Eisdecke nur wenig Spielraum bietet. Die Hechte stehen da, bis der Schlittschuhläufer über ihnen herfährt. Dann suchen sie nach dem tieferen Wasser zu entweichen. Zieht man nun solche Kreise, daß man ihnen scheinbar den Weg nach dem See versperrt, so wenden sie sich wieder nach der andern Seite. Ein Schlag mit der Axt auf das Eis genau über den Fisch betäubt ihn, so daß man Zeit hat das Eis aufzuhacken und ihn lebendig mit der Hand herauszuholen. Einst gelang es mir sogar, mit einem spitzigen Steine ein ganzes Taschentuch voll kleine Hechte zu fangen. Das Herrlichste, was sich denken läßt, ist aber, an einem schönen Abend über die glitzernde Eisfläche zu fliegen im Angesicht der in die Gluth der Sonne getauchten Berge des Höhgaus, deren historische Erinnerung Victor Scheffel in seinem „Ekkehard“ so anmuthig aufgefrischt hat, daß man bedauert, daß er nicht auch die Reize dieser Eisbahn erforscht.

Eines der prachtvollsten Schauspiele hatte ich, als ich eines Abends schon nach eingetretener Dunkelheit allein den ganzen See entlang von Radolfszell bis gegenüber nach Gottlieben bei Constanz fuhr. Wenn nach einem sonnenhellen Tage, wo das Eis durch die höhere Temperatur sich ausgedehnt hat, mit der Nacht strengere Kälte eintritt, so zieht das Eis sich so rasch zusammen, daß große Sprünge und Spalten, in dortiger Gegend „Wonen“ genannt, hineinreißen, die sich über den ganzen See hinziehen, oft fünf, sechs bis zehn und zwanzig Schuh weit klaffen und das dunkelgrüne Wasser des Sees offen legen. Im Moment, wo eine solche Spalte sich reißt, dröhnt ein Schlag, wie ein langhinhallender Donner, durch die Nacht.

Als ich auf der weiten Eisfläche dahinglitt, auf welcher das Licht der Sterne und ein Achtel des Mondes einen weißen Schimmer hinwarfen, so daß ich gerade meinen Weg zu sehen vermochte, dröhnte von Zeit zu Zeit der fernhinrollende Donner springender Wonen zu meiner Rechten herüber. Ich hielt mich so nahe als möglich am nördlichen Ufer und war in der größten erreichbaren Schnelligkeit (in welcher man eine Stunde in etwa zehn Minuten zurücklegt), da plötzlich schimmert ein Streifen Wasser vor mir. Es ist eine fünf bis sechs Schuh breite Spalte. Zu sehr im Schuß, konnte ich mit glatten Schlittschuhen nicht mehr zeitig genug anhalten. Da half nichts. Ich mußte in’s Wasser hinein – oder hinüber. Ein Satz – und fröhlich flog ich auf der andern Seite weiter. Ich hatte mich längst auf das Hoch- und Weitspringen auf dem Eise eingeübt, so daß ich noch jetzt auf acht Fuß Weite und drei Fuß Höhe wetten kann, während ich früher in der besten Uebung vier Fuß Höhe und zwölf Fuß Weite nahm. Bei Hoch- oder Weitsprung wird gleich gesprungen. Der Kunstgriff besteht darin, daß man einen so starken Anlauf nimmt wie möglich und dann mit gleichen Füßen so hoch springt wie man kann. Beim Weitsprung bewirkt die im Lauf vorher erhaltene Schnelligkeit den Nutzeffect, denn einen Abstoß zum Sprunge kann man nur in die Höhe nehmen.

Ebenso freudige, vielleicht noch anregendere, weil abenteuerlichere Fahrten habe ich mit meinem Bruder und mit Freunden auf dem Main und dem Rhein gemacht. Diese und andere Flüsse gefrieren, mit Ausnahme seltener ganz gelinder Winter, fast in jedem Jahre ganz oder theilweise zu. Dennoch wird die Eisbahn nur wenig benutzt, weil die Meisten sie im Ganzen für unbrauchbar halten. Als mein Bruder und ich uns in niederließen, ging zwar die Sage, es seien einst junge Männer bis nach Mainz Schlittschuh gelaufen, allein bezeichnen konnte sie Niemand. Man war allgemein der Ansicht, daß eine solche lange Eisbahn nur durch eine so außerordentliche Gunst des Wetters möglich gemacht werde, daß in einem Menschenalter kaum einmal die Rede davon sein könne. Durch unsere Erfahrung am Bodensee gewitzigt, ließen wir uns nicht mit dem allgemeinen Glauben beruhigen, sondern stellten Untersuchungen an, und es ergab sich, daß in allen Wintern, in welchen der Fluß zuging, gute Eisbahnen zum Schlittschuhlaufen auf mindestens Stunden weit, oft aber Tagereisen weit bis nach Mainz und mehrere Stunden rheinabwärts vorhanden waren, von denen Niemand etwas wußte. Einzelne Stellen vor jeder Stadt und jedem Dorfe wurden benutzt, doch nicht erforscht, ob eine zusammenhängende lange Bahn vorhanden sei. Auch nachdem wir einen Schlittschuhclub in Frankfurt gegründet und unsere Ausflüge zu Dutzenden oft aufwärts bis gegen Aschaffenburg und abwärts bis nach Mainz ausgedehnt hatten, fiel es in diesen Städten doch Niemandem ein, sich bis nach Frankfurt zu wagen.

Eine wesentliche Ursache dieser Erscheinung will ich hervorheben, weil sie wahrscheinlich auch bei den meisten andern Flüssen Nordeuropas vorkommt und weil ich durch meinen Wink den Genossen in manch anderer Gegend einen Gefallen erweisen kann.

Die Flüsse gefrieren in der Regel zuerst dadurch, daß das [827] sogenannte Grundeis sich an einer Brücke oder an einer starken Krümmung etc. stellt. Geschieht dies nun wie gewöhnlich ziemlich weit unten, weil erst viel Treibeis aus Nebenflüssen und Bächen zusammengeführt sein muß, bis die Masse so groß ist, um sich zu stellen (deshalb stellt sich auch der Rhein vor dem Main), so setzt sich das Treibeis, Stoß auf Stoß anrückend, aufwärts an und bildet für den oberflächlichen Blick eine rauhe schollige Fläche. Allein durch den Proceß des Sichstellens, welcher das Weiterfließen des nachfolgenden Grundeises verhindert, wird dieses unter die Eisdecke, zuweilen bis auf den Grund geschoben und es entsteht eine partielle, zeitweise Stauung des Wassers, welche bewirkt, daß die Eisdecke in der Mitte des Flusses gehoben wird und das sogenannte Schwellwasser an beiden Ufern mehr oder weniger über die rauhe Eisfläche tritt. Hält nun die Kälte an, so ist dieses Schwellwasser in einer, längstens zwei Nächten fest gefroren und bietet eine je nach den Umständen breite oder schmale, spiegelglatte Eisbahn längs den Ufern dar.

Ganz besonders günstig tritt diese Erscheinung zu Tage, wo zum Zwecke von Flußcorrectionen sogenannte Buhnen oder Querdämme in den Fluß gebaut sind, weil diese die Bildung größerer glatter Flächen erleichtern. Manchmal hört allerdings auf dem einen Ufer die glatte Bahn auf, und man muß mit einiger Mühe das andere Ufer gewinnen, oder auch einmal die Schlittschuhe abschnallen, oft ist aber durch eine kleine Nachhülfe durch Schruppen und Begießen, was ein Verein ja leicht bewerkstelligen kann, die Verbindung herzustellen. Wir haben dies öfters in Frankfurt a. M. machen lassen, um eine ununterbrochene Bahn von mehreren Stunden zu gewinnen. In vielen Wintern ist schon von Natur eine ununterbrochene Spiegelbahn auf Meilen weit, einmal breiter, einmal schmäler, vorhanden. Die Ursache aber, warum dieser Umstand so wenig bekannt war und ist, rührt daher, daß meist, von Weitem betrachtet, nur die Hauptmasse des Flußbettes in die Augen fällt und man da nur Scholleneis sieht; daß die glatten Stellen nicht immer gerade in Nähe der Stadt und die in die Augen fallendsten sind; daß man in der Regel nur in dieser Nähe untersucht, und endlich, weil die meisten Schlittschuhläufer ein genügsames geselliges Völkchen sind, die sich mit einem schmalen Winkelchen zufrieden geben, wenn sie nur Gesellschaft haben. Deshalb bringt die Gründung von Eisclubs, wie in London, Glasgow, Frankfurt, New-York, Bern, stets reges Leben und Unternehmungslust hervor.

Es giebt wenig reinere und erheiterndere Vergnügungen, als Eisexpeditionen auf Flüssen, welche die Zurücklegung ganzer Tagereisen gestatten. Schon die Untersuchung der Haltbarkeit des Eises und der Gangbarkeit der Bahn, welche nothwendig ist bei einer jungfräulichen Decke, nimmt große Aufmerksamkeit und reges Interesse in Anspruch, so daß uns ein Gefühl beschleicht, fast wie bei einer Entdeckungsreise. Gutes Geschirr ist da die Hauptsache. Nachdem der Schlittschuh Jahrhunderte lang seine Form nicht geändert hatte und eigentlich nur zwei Sorten, der glatte friesische oder holländische mit langem Schnabel und der gewöhnliche geriefte, bekannt waren, haben die Nordamerikaner in neuerer Zeit eine Menge Erfindungen gemacht, aus denen sich nunmehr ein wirklicher Normalschlittschuh, der jetzt gewöhnlich ohne Schnabel fabricirt wird[1], herausentwickelt hat und aus dem besten Stahl von Parker und Thompson in Sheffield, sonst aber auch ganz gut und billiger von Remscheider Fabriken hergestellt wird.

Ich kann mich einiger Erfahrung in dieser Beziehung rühmen, da ich mir selbst schon über ein Dutzend Schlittschuhe nach selbst angegebener Form habe fertigen lassen, um alle möglichen Experimente zu machen, die zuweilen oft komisch ausgefallen sind, wenn ich über die mathematischen Linien zu wenig nachgedacht hatte. Auch die Anschnallmethode ist jetzt, nach allmählichem Abschaffen der dicken Ringe der Klappen, welche die Knöchel unsäglich zu martern pflegten und nicht wenig dazu beitrugen, das Schlittschuhfahren zur Qual und unpopulär zu machen, eine befriedigende geworden, so daß auch die Damen in allen größeren cisalpinischen Städten anfangen, am Eislaufe Theil zu nehmen und dazu beitragen, die köstliche Uebung zu einem wahren Volksfeste zu gestalten.

Für Damen, welche das Schlittschuhlaufen lernen wollen, hat man in New-York Gestelle auf Schlitten, ähnlich den auf kleinen Rädern befindlichen Gestellen, an denen bei uns die Kinder laufen lernen. In diesen Gestellen stehend, können sie sich auf beiden Seiten mit den Händen stützen und so das Fahren ohne weitere Beihülfe lernen. Einen ähnlichen Erleichterungsapparat für Lehrlinge der edlen Kunst hat unlängst ein englischer Freund und Prakticus des Eislaufs, ein Mr. Berney in der Grafschaft Norfolk, erfunden. Es ist dies das Gestelle, welches die eine der umstehenden Abbildungen darstellt und das sich vor den erwähnten amerikanischen Schlittschuhlaufgestellen durch die außerordentliche Sicherheit auszeichnet; das breite Querbret verhindert jedes Ausgleiten nach vorn und damit das sonst so häufige Fallen nach rückwärts, während die langen schräg nach außen gerichteten Seitenlattenstücke, die nicht etwa auf dem Eise schleifen, sondern etwa in Zollhöhe frei darüber schweben, das Ganze im nothwendigen Gleichgewichte halten.

Das zweite Erforderniß, außer guten Schlittschuhen, ist bei ununtersuchtem Eis ein Stock mit einfacher Zwinge ohne Stachel, so schwer, daß man sich darauf stützen kann. Um die Festigkeit des Eises zu erproben, stößt man den Stock mit aller Kraft auf das Eis. Hält dieses den Stoß aus, ohne daß es ein Loch giebt, so trägt es auch den Mann, denn dem schmalen Durchmesser des Stockes kann die Eisrinde weniger Widerstand leisten. Bricht der Stab durch, so soll man das Eis nicht betreten. Diese Methode ist probat. Ehe ich sie anwendete, brach ich in jedem Winter mehrmals, oft sehr lebensgefährlich, ein, mit dem Stock nie mehr. Alle Eltern und Lehrer sollten deshalb den Kindern einschärfen, für den Eisgang starke Stöcke zum Erproben der Dicke der Eisdecke mitzunehmen; es würde dadurch manches Menschenleben geschont. Hat man bei einer größeren Expedition das Eis einmal an verschiedenen Stellen in dieser Weise erprobt, dann kann man in der Regel sich auch auf das Auge verlassen, weil dieses bei einiger Uebung leicht unterscheiden kann, ob das übrige Eis von gleichem Alter ist. Einnächtiges Eis betrete man nie, weil es, sollte es auch mehrere Personen und Kinder tragen, für eine größere Menge nicht hält. Je größer die zu erwartende Menschenmasse und je geringer die Kälte, desto länger muß man natürlich warten, bis man die Eisdecke betritt.

Mir wird für mein ganzes Leben eine Fahrt auf dem Main bei Frankfurt in Erinnerung bleiben, so erfrischend, wie die hehren Eindrücke der gelungensten Hochalpenbesteigung. Es war im günstigen Winter von 1863 zu 64. Wir hatten Tags vorher recognoscirt und Wetter und Eis waren angethan zu einer großen Expedition. Das Stelldichein war im Hafen gegeben, von wo aus zuerst ein schmaler Saumpfad dem rechten Ufer entlang mainabwärts leitete, allmählich aber immer breiter werdend bald unübersehbare, spiegelglatt gefrorene Bahnen vor unserem Blicke eröffnete. Der Himmel war günstig, die Sonne lächelte. Wind im Rücken, kümmerten wir uns wenig um die Rückkehr, hatten wir ja dazu die Wahl zwischen zwei Eisenbahnen auf beiden Ufern des Flusses. Zuerst wurde noch da und dort das Eis mit dem Stocke sondirt, allein bald überzeugten wir uns, daß die Decke über den ganzen Fluß capitalfest [828] und daß das Schnellwasser an den Ufern, welches uns die glatte Bahn verschaffte, vollkommen gefroren war. Da ging es nun darauf los, wie im Wettrennen, mit der Schnelligkeit von vier, fünf, sechs Stunden in einer. Ein Horn diente als Signal, die Mannschaft zusammenzuhalten, denn die Kräfte sind auch unter Rennern ungleich. Die Sonne wirft eine Strahlensäule vor uns auf die glitzernde Bahn, auf welcher wir mit Jubelschrei dahinsausen, die Luft scheint in destillirten, reineren Atomen uns zuzuströmen, es ist, als würde man von einem begeisternden Aethertrank, nach Art der Olympier, berauscht. Am Ufer springt ein Hase auf, nach und nach zwei, drei, zwanzig, fünfzig im Laufe des Tages. Sie rennen eine Zeit lang mit, dann querfeldein, mühsam im tiefen Schnee, der sie an’s Ufer getrieben, um den Hunger an den Weidenrinden zu stillen.

Schlittschuh-Laufgestelle für Damen.

Einer läuft länger mit, als wolle er uns auf die Probe stellen; da sieht er, im Laufe um sich blickend, uns näher rücken. Hui, wie greift er da aus, keine Möglichkeit mehr, ihm nachzukommen! Wir biegen um eine Ecke, ein Jauchzer: Siehe da das Städtchen Höchst mit seinen mittelalterlichen Thürmen, seinem alten und seinem neuen Schloß! Vorbei! Vorbei Schwanheim mit seinen tausendjährigen Eichen und Griesheim mit seinem dampfenden Riesenschlot, Sindlingen mit seinem Landhaus und Garten im Rococostil. Vorbei! Links ragt die Windmühle von Kelsterbach; vorbei! Dort die Insel, das Eldorado der Entenjäger, der Schlupfwinkel unseres prächtigen, alten Pfaff; vorbei! Heute giebt es eine andere Jagd, er sieht sich kaum nach seinem geliebten Wild um. Die Mühle rechts, um die der Bach von Hofheim einmündet, sie ist unser Wegstein, sie zeigt uns, daß wir bereits zwei Meilen zurückgelegt, schon halbwegs Mainz angelangt sind. Da ist Kriftel! Halt, laßt uns die Nachzügler erwarten. Das Wirthshaus winkt am Strande. Das Horn ruft den Bergherrn, eine Flasche wird geleert, ohne auszuschnallen, auf dem Eise. Die Bauernkinder umgaffen uns, auch die Alten staunen ob der seltenen Gäste. Sie konnten sich nicht erinnern, je solche fahrende Schüler aus der alten Kaiserstadt gesehen zu haben, obwohl zwischen da und Flörsheim die Dorfjugend auch schon des Stahlschuhes sich bedient. „Auf, nach Valencia!“ Weiter fliegt die wilde Schaar. Flörsheim rechts, Rüsselsheim links! Vorbei! Dort aber braust der Eisenbahnzug, uns einholend; eine Zeit lang suchten wir Stand zu halten, die Schaar stäubt auseinander, Einer hinter dem Andern zurückbleibend, je nach den Kräften. Da kommen die Buhnen, welche zwingen, Zickzack zu fahren. Vorbei braust der Zug! Ein wenig gedemüthigt[WS 1], eilen wir an Hochheim vorbei, seines goldenen Weines im Fluge gedenkend. Jetzt, um eine Ecke biegend, was erblicken wir? – die Thürme des „goldenen Mainz“ über das grünsilberne Eis herschimmernd. Ein Jubelschrei aus allen Kehlen: „Das goldige Mainz!“ Die Bahn wurde immer breiter, glätter, glänzender, immer freudiger die Schaar. Bald wurde eine Rune in’s Eis geschnitten, bald ein Satz über eine Buhne gemacht, bald vorgebeugten Leibes die Stahlsohle geliebäugelt, wie sie in rasender Eile unter sich das grüne Eis verschlang. Kostheim ist erreicht, die Rheinbrücke mit ihren hohen eisernen Fischbauchbogen kommt in Sicht. Die Dorfbewohner sind zahlreich auf dem Eis und machen einen Ringelreihen.

„Trägt die Eisdecke bis Mainz?“ fragte ich.

„Wir wissen es nicht. Noch Keiner hat es erprobt.“

„Wollen es selber thun. Vorsichtig, mir nach! Ich bin der Schwerste, mein Stock der stärkste. Wenn es uns Beide hält, dann seid Ihr geborgen!“

Im Gänsemarsch geht’s vorsichtig weiter. Wir nähern uns der Mündung des Mains in den Rhein.

Da wo der Main dem Rhein sich eint, stoßen wir an eine offene Stelle. Langsam und vorsichtig wird vorwärts geglitten, von Meter zu Meter mit dem Stock sondirt. Links erscheint jetzt die Brücke, vor uns der Dom von Mainz und das ganze reizende thürmereiche linke Rheinufer. Rechts aber – was sehen wir rechts?

[829]

Ein Abenteuer auf dem Eise.

Der ganze Rhein fest mit einer Decke Spiegeleises bedeckt und mit einem Gewimmel von Tausenden von Menschen. Der Rhein hatte sich zwischen Castel und Mainz am frühesten gestellt, es war also da die dickste Eisdecke. Alt und Jung, Mann und Weib vergnügte sich hier mit Schleifen, mit Schlittschuhlaufen, im Schlitten und im Caroussell. Buden mit Speisen und Getränken waren da eingerichtet. Der Jubelruf der Tausende schwamm wie in dem seligen Ton einer Riesenorgel zusammen und drüben lächelte die Sonne und spiegelte sich in dem erstarrten Silber des Rheines.

Wir waren mit dem Stolze von Eroberern herangefahren; da hörten wir, es sei schon Jemand von Oppenheim herabgekommen und den Rhein weiter hinuntergefahren.

[830] „Also es geht noch weiter?“

„Ja, bis Walluf.“

„Hurrah!“

Bald ist auch Mainz hinter uns. In Biebrich wird ausgeschnallt und ein Imbiß genommen. Die Bahn war eine Viertelstunde weit durch Scholleneis unterbrochen. Dann schnallten wir wieder an. Was aber jetzt kam, dagegen trat alles Bisherige in den Hintergrund. Kaum hatten wir uns an den Anblick des breiten zu Eiswellen erstarrten Stromes gewöhnt, als wir auf dem bald schmaleren, bald breiteren Pfad, welchen das Schwellwasser geebnet, uns Schriesheim näherten und hier nach Recognoscirung des Hafens entdeckten, daß zwischen da und Walluf ein ganzer See grasgrünen, spiegelblanken, fußdicken Eises sich ausdehnte, auf welchem eine fröhliche Jugend sich tummelte. Härte und Glätte des Eises waren so groß, daß wir anfangs mit den Stahlschuhen ausglitten. Dann schwebten wir beim Abschiedsleuchten der Sonne, die auf der Bahn sich goldig grün spiegelte, unter künstlichem Curvenschneiden langsam, wonnig, beglückt dahin, um den Tag bei einen Becher duftenden Rheinweines zu schließen, der am ganzen Strom in keinem Wirthshaus besser zu finden ist, als in der Schenke zu Walluf. – Um zehn Uhr Nachts langten wir mit der Eisenbahn wieder in Frankfurt an, nachdem wir einen der herrlichsten Tage verlebt. Und ebenso ging es einen zweiten und einen dritten Tag! Die Geschäfte wurden an den Nagel gehängt; das Wetter richtete sich ja nicht nach den Geschäften[WS 2]. Am vierten Tag beabsichtigten wir unsere Expedition bis Worms auszudehnen, weil wir gehört hatten, daß die Bahn bis dahin frei sei, allein das Wetter schlug um. Es kam Schnee und dann Regen, welcher bald die Eisdecke des Maines brach. Auch die des Oberrheins ging fort.

Nur am Binger Loch hatte sich merkwürdiger Weise bis auf den Grund eine solche Eismasse gethürmt und gestopft, daß dieselbe bis zum März nicht durchbrochen wurde und man Wassersnoth fürchtete; jedoch lief Alles noch glücklich ab. Uns aber gelang es noch am 3. März, indem wir eines Nachmittags von Frankfurt aus mit Eisenbahn bis in die Nähe des Johannisbergs eilten, den Rhein von da bis Bingen mit Schlittschuhen zu überschreiten, ein paar Stunden bis Abend auf dem Binger Loch herum zu fahren und nach Einkehr bei einem unserer gastfreien Rüdesheimer Freunde mit dem letzten Zug zurückzukehren. Das Thauwetter hatte nämlich die Oberfläche des Rheins zwischen Rüdesheim und Bingen nivellirt, und da die Decke viele Schuh dick war und von unten herauf gefrieren half, so hatte ein gelinder Märzfrost genügt, um eine brauchbare Bahn herzustellen.

Ich stand schon auf mancher Hochalpenspitze; einmal lag fast die ganze Schweiz wie eine Landkarte vor meinen Augen, das Wetter war so klar, daß ich in alle vier Nachbarländer sah, nach Italien und Deutschland, nach Oesterreich und Frankreich, von der Rauhen Alb und dem Schwarzwald bis zum Monte Generoso, vom Montblanc bis zur Ortelsspitze – ein Anblick unermeßlicher Erhabenheit! Dennoch war das dabei genossene Glück nicht schöner und reiner, als bei jener Eisfahrt. Solche Fahrten müssen aber im Norden Deutschlands – in den Niederlanden geschehen sie bereits – viel häufiger zu machen sein, als man weiß. Die Spree und Havel, die Elbe, die Oder, die norddeutschen Seen und Canäle, die Haffs der Ostsee und endlich in strengen Wintern das baltische Meer selbst, an dessen Ufern der Schlittschuh vor Zeiten erfunden wurde, müßten Gelegenheit zu wunderbaren Ausflügen geben, welche vielleicht dereinst Touristen ebenso anlocken, wie die Gletscher der Alpen. Nur müssen sich Gesellschaften mit Zweigvereinen und Sectionen bilden, ähnlich dem englischen und dem schweizerischen Alpenclub, welche die Gelegenheit auskundschaften und Mittel haben, um bei Schneefall große Strecken reinigen zu lassen.

Nicht immer aber kann oder will man weite Expeditionen machen; meist ist der Raum enge zugemessen, auch zeigt sich nirgends mehr, daß der Mensch ein Gesellschaftsgeschöpf ist. Dafür giebt es mannigfache andere Belustigungen; die berühmten jährlichen Wettläufe auf dem Eis in Friesland könnten überall eingeführt werden. Haben wir doch am Rhein und Main nächtliche Fackeltänze, Quadrillen mit Musikbegleitung, für welche manche schöne, edle Dame schwärmt, aufgeführt, und ist nicht der Baarlauf oder das Kriegsspiel auf dem Eise viel reizender als auf dem Lande? Ist nicht in Frankfurt a. M., wenn der Main zwischen den beiden Brücken glatte Bahn bietet, der berühmte Eiscorso, wenn neben Hunderten von Schlittschuhläuferinnen und Tausenden von Schlittschuhläufern viele hübsche und feine Damen auf zahllosen Stuhlschlitten gefahren werden?

Das interessanteste und mannigfaltigste Vergnügen aber ist das Kunstfahren, als dessen Grundlage das sogenannte Bogenfahren zu betrachten ist. Es ist dies Bogenfahren jedoch nicht blos zur Augenweide und zum wonnigen Schweben der Glieder gut, denen Flügel zu wachsen scheinen, so frei fühlen sie sich von den Fesseln der plumpen, trägen Erde – sondern oft hat gar Mancher schon sich vor der bösen Ran gerettet, die aus einem Wasserloch oder aus berstendem Eise lauerte. Am interessantesten indessen ist es doch wohl jenem Nordamerikaner gegangen, der sich durch geschicktes Bogenfahren vom sicheren Tode rettete. Ein Ansiedler im fernen Nordwesten, wo Seen, Canäle und Flüsse, im Winter von Eis starrend, ein weites Feld zum Abenteuern darbieten, war zu Schlittschuh auf die Jagd gegangen. Dieselbe war erfolglos gewesen und die Munition ihm ausgegangen. Das gerieth er in Gefahr, selbst Jagdbeute zu werden. Er fuhr in langsamen langen Zügen heimwärts einen breiten Fluß hinab. Die Sonne war schon untergegangen und der aufgehende Mond streute ein elfisches Licht über das Eis und die schneebedeckten Bäume des Ufers. Der Ansiedler war in Träumen versunken an die väterliche Heimath im Osten. Da auf einmal hörte er ein Schnauben hinter sich. Er blickt herum, und man male sich sein Entsetzen: er sieht drei Wölfe, die ihn gewittert, in seiner Verfolgung begriffen. Der Mann zog aus, was die Kräfte ihm erlauben, allein die Wölfe wurden im Laufe durch die Glätte des Eises doch nicht so sehr aufgehalten, daß sie sich nicht nach und nach näherten. Von Zeit zu Zeit rückwärts geworfene Blicke ließen dem Mann keinen Zweifel mehr, daß die Raubthiere ihn erreichen mußten. Noch einmal zog er aus, was die Leibeskräfte zu leisten vermochten, er merkte indeß endlich, daß ihm der Athem ausging. In dieser äußersten Noth versuchte er es, sich durch Geistesgegenwart und Geschicklichkeit zu retten. Er konnte gut Bogen fahren und übertreten, während den Wölfen wegen ihres steifen Rückgrates das Wenden sehr schwer wird und auf dem Eise noch mehr erschwert wurde. Er mäßigte seinen Lauf, ließ die Wölfe herankommen, und wie er schon ihren glühenden Athem zu spüren wähnte und die gierigen Augen ihn zu verzehren schienen, machte er halb Kehrt und ließ die Wölfe an sich vorbeischießen. Der Athem ging dem Ansiedler leichter, sobald er die Wirkung seiner List sah. Die Raubthiere, obgleich sofort gewillt ihm nachzufolgen, obgleich versuchend, sich in’s Eis einzukrallen, wurden doch durch den eigenen Stoß und die Glätte des Eises noch eine gute Strecke fortgerissen. Bis sie sich inne gehalten, umgedreht und wieder in vollen Lauf gesetzt hatten, um auf den Verfolgten loszustürzen, hatte dieser sich erholt und in Bereitschaft gesetzt, in einem Bogen um die Wölfe herum seinen Weg fortzusetzen. Diese mußten auf’s Neue Kehrt machen und der Mann erhielt einen großen Vorsprung. Während er dieses Manöver öfter wiederholte, näherte er sich immer mehr der Ansiedelung, so daß endlich ein Ruf seinerseits ein Echo fand und die Wölfe, die Nähe menschlicher Wohnungen merkend, die Verfolgung einstellten.

Wenn ich mich schließlich zu den eigentlichen Adepten unserer Kunst wende, so geschieht es deshalb, weil ich in mehr als dreißigjähriger Uebung einige Combinationen gelernt habe, die, ich will nicht sagen, unbekannt sind, welche ich aber bei meinen vielfachen Reisen nirgends ausgeführt gesehen habe, aber doch gern in weiteren Kreisen verbreiten möchte.

Das gewöhnliche Schlittschuhlaufen im Schneckenlaufe und mit Ausziehen, beides vorwärts und rückwärts, das Uebertreten vorwärts und rückwärts und den Bogenlauf vorwärts und rückwärts, auswärts und einwärts, mit und ohne Ueberschlagen, das Rückwärts- und Vorwärtsspringen im schnellsten Lauf, den Tanzmeister- oder Schneiderzug, d. h. das Geradeausfahren in einem Strich mit quergestellten Füßen, so daß die Absätze sich berühren, den Weit- und Hochsprung, die Schlangenlinie mit einem Fuß, sowie das sechs bis acht Mal auf dem Absatz sich Drehen, was nur mit Schlittschuhen der alten Façon geht, deren Eisen vor dem Absatz aufhören, – dies Alles setze ich als bekannt voraus.

Hier muß ich zuvörderst den allgemeinen Glauben an das „Namenschreiben“ unter die Mythen verweisen, fast wie Vater Raff’s Gemsjäger, der, verstiegen, sich die Fersen aufschneidet, um [831] sich an die Felswand mit seinem eigenem Blute fest zu kleben. Man kann wohl einzelne Buchstaben in lateinischen Current-Initialen, C, , S mit Bogen in’s Eis schreiben, und also auch Namen, die aus diesen Buchstaben bestehen, allein schlechtweg Namen schreiben kann man nicht, wenn man zugleich dabei eine dem Auge gefällige Leibeswendung beobachten will. Denn ich verlange hierbei, daß ein jeder einzelne Buchstabe je nur von einem Fuß in einer Bewegung ausgeführt werde. Es besteht überhaupt die Kunst und Schönheit des Bogenfahrens darin, daß schwierige Bogencombinationen je mit einem Fuß gemacht werden. Wenn nun in einer neueren Schrift über das Schlittschuhlaufen von J. Zähler, um dem Namenschreiben in’s Dasein zu verhelfen, das ganze Alphabet in Bogenstrichen umschrieben und vorgeschlagen wird, jeden Buchstaben mittels vier, fünf, sechs, ja sieben und acht verschiedenen Bogen, die abwechselnd mit dem einen und mit dem anderen Fuß in’s Eis geschnitten werden, herzustellen, so halte ich dies für eine Zangengeburt, welche ganz gegen den Geist des Schlittschuhlaufs verstößt. Weiß ja Herr Zähler nicht einmal, daß man das S und die 8 mit einem Fuß fahren kann!

Schöne Bewegungen, welche die Schlittschuhbücher noch enthalten und die namentlich zum Fackelzug oder Fackeltanz bei Nacht sich prächtig ansehen, sind folgende: 1. Bogen rechts vorwärts auswärts mit dem einen Fuß und rückwärts auswärts mit dem andern Fuß und so fort, so daß man sich fortwährend um sich selbst herum und in einem Kreise herumdreht. Diese Bewegung ist hübsch anzuschauen und zugleich sehr gesund für das Hüftgelenke. 2. Doppelbogen oder mit dem einen Fuß, indem man zuerst Bogen vorwärts auswärts zieht und einen Bogen rückwärts einwärts abschließt; dann denselben Doppelbogen mit dem anderen Fuß macht und so fort. Dadurch, daß man die Bogen mehr oder weniger dem Halbkreis und dem Kreis nähert, und dadurch, daß das ledige Bein beim Einwärts-Rückwärts-Bogenschneiden eine anmuthige Rückwärtsschwenkung machen muß, kommt eine außerordentliche harmonische Verschlingung der Bewegungen zu Stande, die, wenn der Eistänzer bei Nacht eine Fackel in der Hand trägt, wahre Funkenguirlanden in die Luft zieht, so daß man sich wohl erklären kann, wie der Laie bei diesem Anblick glaubt, der Held schneide in Runen den Namen der Geliebten auf’s Eis. Die Anleitung bei dieser Bewegung ist bei Zähler recht gut gegeben. Auch hat er noch das Doppel , wogegen ihm das im Schlittschuhbuch des Glasgower Schlittschuhclubs befindliche S und S fehlte. Auch die Spirale oder Schnecke, selbst bis zum vierfachen Kreis, ist fast überall bekannt.

Ich komme nun zu einigen weiteren Kreiscombinationen, die ich während einer langjährigen Praxis aus Trieb zu Neuem so weit als denkbar auszudehnen suchte und welche, wenn ich nicht irre, anmuthige und kühne Körperstellungen und Bewegungen darstellen, auch nur mit einem Fuß gemacht werden.

Sehr kühn erscheint das vierfache , d. h. vorwärts-auswärts und rückwärts-einwärts auf einem Fuß vier Mal nacheinander, ohne sich des andern Fußes zu bedienen, namentlich bei sehr glattem Eis, man die Bogen weit genug ziehen kann; denn der Läufer wird wie ein Kreisel über die Fläche gedrillt. Es läßt sich diese Bewegung, je nachdem man die Bogen flacher oder enger schneidet, in einem weiten Bogen oder im Kreise machen, wie die erste und zweite Figur zeigen.

Die zweite Figur macht so mit Einem Fuße, was H. Zähler unter dem Namen der Rose mit zwei Füßen darstellen will.

Sehr schwierig, aber ebenso interessant sind die Bogencombinationen mit S und mit einem und demselben Fuß, indem man entweder mit dem ersteren oder letzteren anfängt und diese gelegentlich verdoppelt.

Eine äußerst kühne und schwungvolle Bewegung stellt sich dar, wenn man Fig. IV. mit dem einen und dann sogleich darauf Fig. III. mit dem anderen Fuße macht. Das Eis muß aber glatt und wenig verfahren sein, wenn man die Kraft dazu erlangen will. Es ließen sich noch weitere Combinationen denken, wenn man das S in gleicher Weise nach rückwärts wie nach vorwärts schneiden lernte. Ich gestehe indeß, daß mir das noch nicht gelungen ist.

Eine der schönsten Bewegungen, welche ich erst vor zwei Jahren nach vieler Mühe lernte, in Folge der Frage eines Freundes, ob man die Spirale auch wieder aufwickeln könne, ist die auf einem und demselben Fuße gezogene Doppelspirale. Sie ist eigentlich ein an beiden Seiten spiralisch verlängertes S und wird auf dieselbe Weise gemacht, nur erfordert sie mehr Kraftaufwand. Beim S wirft man, sobald man einen Bogen auswärts, ich will annehmen vorwärts, gezogen hat, den lediglich schwebenden Fuß zuerst so weit wie möglich vorwärts. Auf diese Weise kommt die Kraft der Abschwenkung in den innern Bogen heraus, um das S zu vollenden. Bei der Doppelspirale schneidet man zuerst auswärts, dann einwärts eine Schnecke und in die Mitte trifft die S-Schwenkung. Natürlich kann man keinen vierfachen Kreis in jeder der beiden Spirale ohne Unterbrechung zuwege bringen. Doch läßt sich eine Doppelspirale mit zwei Kreisen auswärts und drei einwärts mit Sicherheit ausführen, und ich hatte die Bewegung nach der Uebung eines Winters vollständig in der Gewalt. – Auf eine Reihe anderer und noch künstlicherer Figuren denke ich später zurückzukommen.




  1. Ich zähle mich in dem philosophischen Streite unserer trefflichen Schlittschuhmäcene Goethe und Klopstock, ob „Schlittschuh“ oder „Schrittschuh“ richtiger sei, unter die Gegner Klopstock’s; denn der Eisschuh ist einmal dem Schlitten nachgemacht, und wer geübt ist, schreitet nicht, sondern hebt den Fuß nur unmerklich und fährt oder gleitet. Ein eigentlicher Schrittschuh sind nur Schusters Rappen. Das wesentliche Erforderniß eines guten Schlittschuhes ist: an der Fläche so wenig wie möglich Reibung zu machen und auch nicht einzuschneiden. Er darf also nicht zu breit und muß unten glatt sein, unbeschadet der Schärfe der Kanten, wie bei einem Lineal, niemals convex, weil man sonst den Halt im Stehen verliert. Um aber bei möglichster Schmalheit nicht einzuschneiden, darf die Schweifung oder der Bogen der Stahlsohle der Länge nach nicht zu stark, beziehentlich zu gekrümmt sein, doch wieder nicht ganz gerade, weil man sonst keine Bogen fahren kann. Will man aber nicht Bogen fahren und wünscht einen Schlittschuh, der die möglichste Schnelligkeit erlaubt, dann lasse man ihn unten glatt, schmal und ganz gerade machen. So sind die der Reichenauer, welche größere Schnelligkeit erlauben, als die holländischen und friesischen. Wer schwache Gelenke hat, nehme sich niedrige Eisen, weil man so leichter steht, obwohl die Schnelligkeit etwas vermindert wird. Man wähle lange Eisen, welches der Vorzug vieler neuerer Schlittschuhe ist, die eben durch die neue Befestigung des Eisens gestatten, daß die Stahlsohle bis hinter den Absatz geht, während sie bei den ältern Schlittschuhen vor dem Absatz aufhörte und dadurch bedeutend an Schnelligkeit verlor, weil das Eisen mehr einschnitt. Also die Normalform ist die richtige Mitte. Diese ist von dem neuen Fabrikate von Parker und Thompson, so wie von den denselben nachgemachten Remscheider Schlittschuhen vollkommen getroffen. In Bezug auf die Art der Befestigung halte ich die Schrauben sehr zweckmäßig, doch genügen auch sehr lange Stacheln oder metallene Kappen, in denen der Absatz steht. Zum Anschnallen führen die Schlittschuhe am besten vier Löcher in den Hölzern, in welchen vorn und hinten lange Riemen kreuzweise geschnallt werden, der eine vorn über den Fuß, der andere über den Reihen (die Spanne). Indeß sind neben einer Schraube auch zwei Löcher mit nur kurzen Riemen hinreichend.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gedehmüthigt
  2. Vorlage: Geschäfen