Der Sittenagent

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Autor: unbekannt
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Titel: Der Sittenagent
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 831–832
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: „Brigade de Sûreté“, Paris
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[831] Der Sittenagent. Als ich einst in Paris um die Mittagsstunde über den Boulevard du Temple ging, bot sich mir ein eigenthümliches Schauspiel dar. Ich sah nämlich einen Polizeidiener mit einem jungen Mädchen im Kampfe. Das Mädchen hatte allerlei Kurzwaaren, Geldbörsen, Uhrketten, Federmesser etc. auf dem Trottoir feilgeboten und sich dadurch gegen das Gesetz vergangen. Der Polizeidiener wollte nun die junge Krämerin, eine feurige, schwarzäugige Marseillerin, verhaften, diese aber wehrte sich vor ihrer Waare, die auf einem Brette lag, mit allen Kräften gegen den Diener der öffentlichen Sicherheit. So oft er sie fassen wollte, versetzte sie ihm mehrere Puffe an den Kopf oder an die Brust, und der arme Teufel konnte nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, ohne sich den Unwillen der Menge zuzuziehen, die immer mehr anschwoll und dem Kampfe mit großer Spannung zusah. Der Polizeidiener blickte sich beständig nach einem Collegen um, zu seinem Unglück war aber just kein solcher in der Nähe. Plötzlich drängte sich ein Mann in einem braunen Oberrock durch die Volksmassen, holte aus der Brusttasche eine kleine Karte hervor, die er vor die Augen [832] des Polizeidieners hielt und schnell wieder einsteckte, und bemächtigte sich der Waare, welche die arme Dirne jetzt nicht mehr zu vertheidigen vermochte. Diese folgte, den ungleichen Kampf aufgebend, dem Polizeidiener und die Menge verlief sich etwas unwillig über den unpoetischen Schluß des kleinen Dramas.

Wer aber war der Mann, die wie ein Deux ex machina so unerwartet den Knoten löste? Ein Agent, der in Civilkleidern die öffentliche Sicherheit und die Sittlichkeit überwacht. Diese Agenten bilden in Paris eine kleine Schaar, die den Namen „Brigade de Sûreté“ führt. Sie stehen unter dem Befehl eines Brigadiers, zweier Sousbrigadiers, eines Generalinspectors und eines Officier de Paix, und diese Beamten stehen sämmtlich ihrerseits unter dem Befehl des Polizeipräfecten. Sie werden aus den Unterofficieren der Armee genommen, müssen sich eines guten Rufes, einer vortrefflichen Gesundheit erfreuen und dürfen das Alter von fünfunddreißig Jahren nicht überschritten haben. Auch wird von ihnen eine gewisse Schulbildung verlangt; sie werden zu diesem Zwecke einem Examen unterworfen. Nach seiner Ernennung erhält ein solcher Agent eine sogenannte Sicherheitskarte (carte de sûreté). Dieselbe hat eine ovale Form und ist auf der einen Seite roth, auf der andern gelb. Auf der rothen Seite befindet sich der kaiserliche Adler und die Inschrift: „Surveillance générale“, auf der gelben Seite stehen die Worte: „Le Nommé X – a le droit de requérir au besoin la force publique“. (Der X. hat das Recht, nöthigenfalls die öffentliche Gewalt in Anspruch zu nehmen.)

Er darf jeden Verbrecher verhaften, der auf frischer That ertappt wird. Sein ganz besonderes Amt ist es aber, die Prostitution zu überwachen und beständig auf der Fährte der Schaar von Unterhändlern, Kupplern und Verführern zu sein, die in der Weltstadt ihr Unwesen treiben. Daß dieses Amt nicht leicht und gefahrlos ist, kann man sich unschwer denken. Es erfordert sehr viel Muth und Unerschrockenheit, sehr viel Scharfsinn und Geistesgegenwart.

Der Agent hat seinem Vorgesetzten jeden Tag einen ausführlichen Bericht einzuhändigen über das, was er am vorhergehenden Tage beobachtet hat. Außer seinem Jahresgehalte, der von zwölfhundert bis zu dreitausend sechshundert Franken steigen kann, erhält er noch jährlich zweihundert Franken für Wohnung, zwölf Sous täglich für Omnibusfahrten und zwölf Franken monatlich als Prämie für bewirkte Verhaftungen. Er hat sich um halb acht Uhr Morgens in seinem Büreau einzufinden. Um fünf Uhr Nachmittags ist er frei – wenn es nichts zu thun giebt. Jeden fünften Tag muß er bis elf Uhr Abends auf der Wache sein. Er hat außerdem noch manche Nacht zu durchwachen; ist dies der Fall, so darf er am folgenden Tage ausruhen. Erst nach dreißigjährigem Dienste hat er Anspruch auf Pension.

Diese Agenten heißen auch „Agents de moeurs“. Sie sind auf allen öffentlichen Tanzplätzen, in zweideutigen Wirthshäusern und in allen Anstalten zu finden, wo die weibliche Verdorbenheit nach Beute sucht. Sie gehen selten einzeln, meistens zu Zweit auf ihre Streifzüge, auf denen sie sich häufig ernsten Gefahren aussetzen.

Die Agent de moeurs haben eine ganz eigenthümliche Industrie in’s Leben gerufen. Da sie nämlich im Geheimen wirken und keine Uniform tragen, geben sich viele Taugenichtse und Pflastertreter für solche Agenten aus, drohen mit Verhaftungen und lassen sich durch Geld zur Milde bewegen. Die falschen Agenten, auf welche die wahren beständig Jagd machen, finden sehr häufig ihre Opfer unter Denen, die noch nicht lange auf der Bahn des Lasters wandeln; die Erfahrenen jedoch, die mit der Polizei bereits ein Hühnchen zu pflücken hatten, fragen gleich, wenn sich ein Agent bei ihnen einfindet, nach seiner Karte. Der falsche Agent, der natürlich keine solche besitzt, setzt sich der Unannehmlichkeit aus, hinter nackten Kerkermauern seine Keckheit zu bereuen.