Auf den Schlachtfeldern von Weißenburg und Wörth

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Autor: Jakob Anton Leyser
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Titel: Auf den Schlachtfeldern von Weißenburg und Wörth
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 594–596
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Auf den Schlachtfeldern von Weißenburg und Wörth.
Von J. Leyser.

Es ist ein herrlich Stück Erde, durch welches die Landstraße von Landau über Bergzabern nach Weißenburg führt: Hügel und Thalgründe voll üppiger Fruchtbarkeit, zahllose wohlhabende Dörfer mit ihren weißblinkenden Kirchthürmen, von einem Menschenschlag bewohnt, der noch ein scharf ausgeprägtes Volksleben besitzt; im Hintergrund die Häupter des Vogesus, von Reben und Kastanienwäldern bekränzt; auf den Bergen die Burgen: dort die einst so prächtige Madenburg mit ihrer berühmten Rundsicht, weiterhin Landeck, das älteste Schloß im Lande, mit seinen Erinnerungen an den guten König Dagobert. Kein Wunder, daß der wälsche Nachbar seit Jahrhunderten lüstern herüberblickt, und doch, und wär’s nur um den Wein, das Land soll deutsch verbleiben! Länger schon fielen die Schatten zur Erde, als wir zu Schweigen, dem letzten pfälzischen Dorfe, anlangten, das wahrhaft idyllisch auf einem sanft abfallenden Hügel zwischen Reben sich erhebt.

Hier beschlossen wir zunächst unser Quartier aufzuschlagen, da wir vernahmen, Weißenburg selbst, das in geringer Entfernung, drunten im sogenannten „Weißenburger Loch“ vor uns lag, sei von Truppen überfüllt. Die ersten Spuren der Verwüstung traten uns entgegen, als wir das Fremdenzimmer des ländlichen Gasthofs betraten: eine Granate hatte die Wand durchschlagen und war an der Decke des Zimmers crepiert. Der Großvater des Hauses schilderte uns in treuherziger Weise, noch sichtbar erregt von den Erlebnissen der letzten Tage, den Schrecken der Dorfbewohner, als am Morgen des vierten August in den Weinbergen vor ihrem Dörfchen die dunkeln Häupter der gefürchteten Turcos allüberall emportauchten. Von hier aus, von den Höhen links vor Schweigen, leitete der Kronprinz das Gefecht, den Generallieutenant von Blumenthal und die Officiere des Hauptquartiers an seiner Seite, von hier aus flogen die Adjutanten nach der Front. Hier hatten anfangs die Jäger des zehnten baierischen Bataillons im Kampf gegen die Uebermacht einen schweren Stand. „Der baierische Oberst,“ erzählte jener gute Alte, „kam in’s Dorf geritten und sagte: ‚Wenn die Preußen nicht bald kommen, sind wir verloren.‘“ Und die Preußen kamen. „Es war wie eine Treibjagd,“ sagte mir ein preußischer Officier, „als die Turcos mit ihren weißem Gamaschen in wilder Flucht sich nach Weißenburg hinabwälzten und unsere Leute ihnen wacker auf den Pelz brannten.“

Wiewohl die müden Glieder nach Ruhe sich sehnten, so konnten wir uns doch den Wunsch nicht versagen, die Stadt Weißenburg im Dämmerlichte uns zu betrachten. An einer ununterbrochenen Wagenburg vorüber gelangten wir an den Festungsgürtel, der das Städtchen umschließt. Das deutsche Thor, durch welches man hier die Stadt betritt, zeigte in erschütterndem Bilde die verheerende Gewalt der deutschen Batterieen: der rechte Pfeiler desselben nebst einem Theile der Zugbrücke lag drunten im Stadtgraben, wie von einer riesigen Hand hinabgefegt. In den Straßen der Stadt, die noch vor Kurzem von Trümmern und Leichen, von Blut und Pulverdampf erfüllt waren, wimmelte es von Soldaten aller Waffengattungen und Volksstämme, Preußen, Baiern, Würtemberger. Verschiedene öffentliche Locale waren noch immer geschlossen; die Einwohner hielten sich meistens scheu in ihren Wohnungen zurückgezogen; Einzelne huschten hastigen Schrittes an den Häusern vorbei, oder ein paar Köpfe zeigten sich vorübergehend an den Fenstern, wenn eine Truppe deutscher Krieger unter wirbelndem Trommelschlag vorbeizog. Die Angesichter verriethen Angst und Niedergeschlagenheit, doch auch Verbissenheit und Trotz. Das sind die Nachkommen jener Väter, deren Notschrei einst so verzweifelnd über den Rhein tönte, als der wälsche Geier seine scharfe Fänge nach diesem gesegneten Lande ausstreckte. Im Gasthof zum „Engel“, wo wir in Gesellschaft einiger Officiere an köstlichem Rotwein uns labten, ward denn bereits die Revision der Landkarte allen Ernstes in Erwägung gezogen und die neuen Grenzen zu allgemeiner Zufriedenheit festgesetzt.

Golden stieg die Sonne aus Nebel und Dunst, als wir am nächsten Morgen zum zweiten Male aus dem reizend gelegenen Schweigen hinausschritten. Wie so still und friedlich lag’s nun vor uns, dies Weißenburg, einst eine gute Reichsstadt und reich an historischer Erinnerung!

Wir lenkten unsere Schritte zunächst nach dem Bahnhofe, vor wenigen Tagen der Schauplatz eines furchtbaren Handgemenges, in welchem Leichenhügel sich thürmten. Nur die zerbrochenen Fensterscheiben erinnerten noch an den Kugelregen, unter dem die Preußen und Baiern hier unwiderstehlich vorwärts drangen. Die zerstörten Geleise waren wieder hergestellt, ein geordneter Dienst im Gange, auf dem Perron wogte es hin und her von Soldaten, meist Landwehr, welche die eroberten Orte besetzen sollte. In der Nähe des Bahnhofes war ein Theil der Trophäen aufgestellt, welche in den stolzen Ehrentagen von Wörth genommen worden waren: vier Mitrailleusen (le géneral Dogerau, le géneral Gassendi, le géneral Perrodon, le géneral Hanique), sowie in stattlicher Reihe einige zwanzig Geschütze nebst Munitionswagen. Der Landstraße entlang, die nach Altenstatt am Saume des Bienwaldes hinführt, erhebt sich ein großer und viele kleinere Grabhügel, zum unabweisbaren Zeugniß, wie theuer der Sieg erkauft worden. Das schnaubende Dampfroß eilt an denselben vorüber, bald werden [595] auch diese Hügel wieder einsinken; schon heute nennt uns kein Kreuz, kein Stein die Namen der stillen Schläfer in kühler Erde, bis auch an ihnen das Wort sich erfüllt:

„Der Pflüger pflügt darüber
Und fragt nicht nach dem Grab,
Der Wandrer zieht vorüber,
Schaut nicht auf Euch hinab.“

Der Nachmittag ward einem Gange nach dem Geisberge gewidmet, der im Süden der Stadt sich erhebt. Wir stehen hier auf einem Boden, den schon oft das Blut der Deutschen und Franzosen gefärbt hat. Mit einem kleinen Fort auf dem Geisberge begannen die berühmten Weißenburger Linien, die der Marschall Villars 1704 während des spanischen Erbfolgekrieges errichten ließ, und die mit ihren Wallaufwürfen und Verhauen bis zum Rhein sich erstrecken. Am 18. October 1798 wurden dieselben von den Kaiserlichen unter Feldmarschall Wurmser erstürmt, der greise General führte selbst die vereinigten Armeecorps zum Sturme gegen die Redouten des Geisberges.

Anfangs führt die Heerstraße durch üppige Pflanzungen hindurch, weiterhin war der weite Plan zertreten und zerstampft von Rosseshufen. Immer klarer ward’s uns, welche Todesverachtung, welch’ ausdauernder Muth allein im Stande waren, diese Höhen mit stürmender Hand zu nehmen, von welchen die französischen Batterieen aus die jeder Deckung entbehrenden Angreifer Vernichtung herabschleuderten. Wir verließen bald die Landstraße und nahmen ein Pappelwäldchen auf den Höhen zur Richtung, das man uns als den Lagerplatz der Turcos bezeichnet hatte. An einem Judenkirchhof mit düsteren Grabsteinen vorüber klommen wir einen öden Bergrücken empor, aus dessen Gestein nur da und dort die Reseda lutea in Prachtexemplaren sich erhob. In der Nähe der Pappeln begann ein weißer Streif von Patronenhülsen durch die grünen Kleeäcker sich zu winden, stumme Zeugen des Kampfes, der hier gewüthet, für uns ein Wegweiser, dessen Spuren uns nach dem Hofe Schafbusch führten. Zahlreiche Tornister, Helme, Patrontaschen, von welchen das Gehöfte umsäumt war, ließen auf die beispiellose Hartnäckigkeit schließen, mit der man sich hier geschlagen hatte. Im Garten, neben einem grünenden Hag, erhebt sich ein einsamer Grabhügel. Hier schläft in seinen Heldenehren, wie die Inschrift des schlichten Holzkreuzes kündet, „Major Freiherr Senfft-Pilsach vom ersten schlesischen Dragonerregiment.“ Tiefbewegt blickte ich auf den stillen Hügel des tapfern Kriegers, während aus Schenkendorf’s tiefgefühltem Liede mir’s am Ohre des Geistes vorüberrauschte:

„Das ist rechtes Glühen,
Frisch und rosenroth;
Heldenwangen blühen
Schöner auf im Tod.“

Wir betraten das Haus, das von Mennoniten bewohnt wird. Während die junge blühende Hausfrau, die mit ihren blauen Augen und blonden Haarflechten sofort die deutsche Abkunft verrieth, mit köstlicher Milch uns erquickte, erzählte der Patriarch der Familie, ein ehrwürdiger Greis, wie der General Douay todt und blutbedeckt in dies Zimmer gebracht wurde. Drüben neben den drei Pappeln, von wo er die Schlacht leitete, sei er gefallen. Die Wände der Stube zeigten tiefe Kugelspuren, durch die halbgeöffnete Thür des Nebenzimmers fiel mir ein Bild harmlosen Friedens in’s Auge, ein schlummernder Säugling. Bekanntlich wurde dem General Douay von einer Kugel aus einer baierischen Batterie der Schenkel zerschmettert, worauf augenblicklich der Tod erfolgte. In Weißenburg ging die Sage, er habe sich selbst getödtet, als er sah, daß Alles verloren sei.

Endlich stehen wir vor dem Gehöfte des Geisbergs. Ein alter herrschaftlicher Sitz, das Hauptgebäude stattlich und imposant, doch im monströs-phantastischen Barockstyl des vorigen Jahrhunderts. Das ganze Hofgut, von einer hohen Mauer umgeben, gewährt einen festungsartigen Anblick und mancher Preuße mußte hier sein Blut verspritzen, bis die schwarzweiße Fahne auf die Zinne gepflanzt werden konnte. Ich habe nie ein ergreifenderes Bild der Zerstörung gesehen. Das hohe Dach zertrümmert und brandgeschwärzt, die zierlichen Fenstergesimse zerbröckelt, das schöne Treppengeländer wie weggefegt, im Innern das reiche Wandgetäfel von Kugeln zerfetzt, die alterthümlichen Kamine zusammen gebrochen, die Mosaikböden der Zimmer von Trümmerhaufen verschüttet! Neben dem Hofe, in einem Obstgarten, ruhen gegen hundert deutsche Krieger in Einem großen Grabe aus von ihrer Todeswunde, ungenannt und ungekannt, wie tapfer sie auch gekämpft, aber werth, daß auch ihre Namen mit goldenen Lettern geschrieben stünden in den Herzen des dankbaren Volkes. Aber auch ihnen blühen mit jedem neuen Lenz die Blumen, auch über ihnen spannt sich der blaue Himmel und leuchten die goldenen Sterne.

Auf der andern Seite des Hofes hatte der Tod unter dem fünfzigsten französischen Infanterieregimente eine reiche Ernte gehalten. Ich habe nicht versäumt, unter den zahlreich umherliegenden Briefen eine Anzahl aufzulesen. Es ist mir aufgefallen, daß in keinem derselben eine Stelle vorkommt, die über die politische und nationale Bedeutung dieses blutigen Völkerduells sich verbreitete. Nirgends eine Spur von jener Begeisterung, die das Leben an eine große Idee setzt: der Imperator, der Erbe Napoleonischen Glanzes und Ruhmes, hatte sie gerufen, und in stummem Gehorsam waren sie gefolgt. Rührend ist der Brief einer Officiersfrau an ihren „cher et tendre époux“ , der mit den Worten schließt: „Adieu, mon cher époux, je t’aime et je t’adore et je t’embrasse de tout mon coeur.“ Die Hoffnung, welcher die Aermste sich hingab, ist hier auf Erden nicht erfüllt worden: „il faut espérer qu’avant qu’il soit longtemps il (Dieu) nous réunira ensemble, où nous serons en joie comme nous somme maintenant en tristesse.“ Mag ihr die ewige Liebe Wort halten dort hinter den Sternen!

Die Gipfel der Vogesen glühten im letzten Strahl der Sonne, als wir in’s Lauterthal wieder hinabstiegen; vor den Thoren der Stadt flackerten lustig die Feuer, an welchen die Soldaten ihr frugales Mahl sich bereiteten. Eben als wir in unsern Gasthof eintreten wollten, drang gedämpfter Trommelklang an unser Ohr: die Leiche eines preußischen Hauptmanns ward zu Grabe getragen, der seinen Wunden erlegen war; Helm, Schwert und Lorbeerkranz schmückten den Sarg, den vier Unterofficiere trugen; bayerische Krieger geleiteten die sterblichen Reste des geschiedenen Waffenbruders und gaben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft.

Am nächsten Tage bot sich uns eine günstige Gelegenheit, mit einem Bahnzug, der schweres Belagerungsgeschütz vor die Mauern Straßburgs führte, nach Sulz zu gelangen. Von Sulz nach Wörth dehnen sich die letzten Ausläufer der Vogesen. Bei Weißenburg im tief sich öffnenden Thal der Lauter thut die Pforte nach dem Elsaß sich auf; bei dem Liebfrauenberg treten die Vogesen weiter zurück, und es erweitert sich hier die wellenförmige Ebene, auf der die Landstraße nach Wörth allmählich emporsteigt. In sämmtlichen Dörfern, durch die wir wanderten, zahlreiche Lazarethe. Da und dort auf den sanft abfallenden Hügeln verlassene Lagerplätze. Ein einsames Grab neben der Heerstraße, von einem alten Nußbaum überschattet, trägt auf seinem Kreuz die Inschrift: „Siebente Compagnie des achtundfünfzigsten Regiments. Unterofficier Hinkel.“ Bei dem Dorfe Dieffenbach erreicht der Weg seine höchste Steigung, wir stehen unwillkürlich still, denn vor uns liegt die blutgetränkte Wahlstatt, auf der unsere tapferen Legionen ausruhten nach fünfzehnstündigem heißen Ringen.

Langsam senkt der Weg sich hinab. Wir stehen vor Wörth. Die Sauer und die Sulz umschließen das Städtchen und bilden gleichsam eine Insel (Wörd); daher sein Name. Rechts am Ort der Kirchhof, von einer starken Mauer umgeben, steckenweise von Kugeln zertrümmert; vor demselben ein Wall von Tornistern und Helmen. Wir betreten den innern Raum. An der Mauer neben dem Eingang ein großes Grab, in welchem die Opfer ruhen, die in den Lazarethen ihren Wunden erlegen; daneben einzelne Hügel voll Officieren. Wir notirten die Namen der Lieutenants Hengo und Post vom sechsten Infanterieregiment. Auf einem andern Kreuze, das aus Brettchen zusammengenagelt war, auf denen noch der Gepäckschein klebte „von Coblenz nach Rastatt“, stand: „Hier ruht in Gott unser Mitbruder A. W. Werner. Vierte Compagnie des sechsundvierzigsten Infanterieregiments. Friede seiner Asche.“ Auf einem Blechschild: „G. Pfeffer, Lieutenant im siebenunddreißigsten Infanterieregiment. Rupprecht vom westpreußischen Grenadierregiment Nr. 6. Lieutenant Tabor. v. Bomsdorf. “ Links von dem Orte steigen jene Weinberge hinan, in welchen die Zuaven und Turcos sich festgesetzt hatten. Dreimal stürmten hier die Unsrigen ohne alle Deckung unter dem heftigsten Kugelregen, nachdem sie zuvor die angeschwollene Sauer durchwatet. Im Hofe des Schulhauses lagen die erbeuteten Waffen hoch angehäuft, [596] darunter ein Berg von Kürassen, Helmen und Pallaschen, an jene beiden Kürassierregimenter erinnernd, die bei Morsbrunn unter dem Kreuzfeuer der preußischen Infanterie in den Staub sanken.

Im Städtchen selbst schien Alles wieder in die Geleise des alltäglichen Verkehrs treten zu wollen; die entflohenen Einwohner waren nach ihren Wohnungen zurückgekehrt, die Verwundeten, die noch vor wenigen Tagen alle Häuser, selbst die Straßen, erfüllt hatten, waren größtentheils hinweggebracht, doch flatterte vor zahlreichen Lazarethen das rothe Kreuz. Vorerst galt’s, für die Nacht einen Schlupfwinkel zu finden. Wir hatten uns bereits mit dem Gedanken eines offenen Bivouacs vertraut gemacht, als der Apotheker des Städtchens, ein Herr Trautmann, die irrenden Wanderer aufnahm. Dann suchten wir den Etappencommandanten auf, Lieutenant Pietsch aus Polkwitz, und es gereichte uns zur besten Empfehlung, daß ein Berichterstatter der Gartenlaube unter der kleinen Karawane sich befand. Herr Pietsch erbot sich in freundlichster Weise, uns hinauszubegleiten auf’s Schlachtfeld. Als wir am letzten Hause von Wörth standen, zog ein penetranter Leichengeruch an uns vorüber; ein Blick auf das Gitterthor eines Grundstücks zeigte uns ein Blatt mit der Aufschrift: „Es sollen hier keine Todten mehr beerdigt werden.“ Zweihundertundfünfzig Mann sind hier bestattet. Der Weg nach Fröschweiler steigt langsam hinan, eine halbe Stunde weit, zuerst Weinberge, weiterhin freies Feld, links und rechts in Thäler abfallend, ein coupirtes Terrain, das dem Vertheidiger die furchtbarste Position bot. So weit das Auge reichte, zeugten die in bunten grausigen Gruppen hingestreuten Tornister, Patrontaschen, Helme, zerbrochene Waffen von dieser mörderischen Schlacht, gegen die Königsgrätz nach der Aussage der Soldaten ein Kinderspiel gewesen. Ueberall ragen hier die unheimlichen Hügel empor, manche mit Kreuzen bezeichnet, während anderwärts der Griff eines Infanteriesäbels hervorragt, des Kreuzes Stelle vertretend. Inschriften lauten: „5 Officiere der preußischen Armee, gefallen am 6. August 1870.“ „37. Regim. 1 Prem.-Lieut., 2 Sec.-Lieut., 2 Unteroffic., 31 Mann. 47. Regim. 7 Mann. 50. Reg. 3 M. 6. Reg. 9 M. 9. Reg. 2 Mann.“ Wir kamen an eine Schlucht, über die der Feind geflohen war; unten waren die Flüchtigen in entsetzlichem Knäuel über einander gestürzt, während verheerend die deutschen Geschosse einschlugen; der tiefe Graben war mit Armaturstücken angefüllt, zwischen denen das hinabrinnende Bächlein mühsam seinen Weg suchte, während sich die dichten Weiden im Abendwind leise darüber hin und her bewegten.

Der hereinbrechende Abend lud zur Rückkehr. Nochmals ließ ich meine Blicke über das weite Todesfeld schweifen.

„Ein Kirchhof liegt gebreitet,
Kein’ Mauer faßt ihn ein.“

Ein tiefes Weh durchzuckte mich, da ich gedachte, wie viel Bande hier zerrissen wurden, wie viel Frag’ und Jammer um diese Gefallenen in der Ferne erschallen wird. Wie ein Garten Gottes lag die weite Thalmulde vor mir, in’s Abendroth getaucht: rechts Morsbrunn und Elsaßhausen, wo jene stolzen Kürassiere, meist riesige Söhne der Normandie, aus ihren Verhauen zum Gefecht sprengten; weiterhin Gunstatt, von wo die Artillerie der Würtemberger so vortrefflich geschossen und wo die Badenser das Gepäck des Marschalls Mac Mahon erbeutet; drüben das Blachfeld bei Gersweiler, wo der Kronprinz die Schlacht geleitet; im Hintergrunde dunkelgrüne Wälder.

Ich frug auf dem Heimwege unsern Führer, was es mit den vielerzählten und vielbestrittenen Grausamkeiten auf sich habe, deren man die Turcos, „Hyän’ und Schakal zugleich“, beschuldige. Einen Fall konnte uns Herr Pietsch verbürgen. Als ein preußisches Bataillon zurückgehen mußte, blieb ein Mann verwundet in Wörth liegen; als es wieder vordrang, waren dem Armen von Soldaten jener afrikanischen Horde die Augen ausgestochen. Mein Gewährsmann hat den so grausam Verstümmelten in seinem gräßlichen Todeskampfe gesehen. Drunten im Orte gingen zwei schwarz gekleidete Damen an uns vorüber, Mutter und Tochter; sie geleiteten die Leiche des seinen Wunden erlegenen, durch Meuchelschuß gefallenen Sohnes in die Heimath. Als die Schlacht längst gewonnen war, ritt ein Zug Dragoner in Wörth herein, aus einem Hause fiel ein Schuß und verwundete den Führer (einen Herrn v. Waldau) tödtlich; der Thäter ist nicht ermittelt worden.

Im gastlichen Trautmann’schen Hause fanden wir uns bei einer Tasse Thee noch eine Stunde zusammen, die Geschicke unseres Volkes und seiner Hoffnungen für die Zukunft erwägend. Die dienstthuende Tochter des Elsaß sprach ein so correctes Deutsch, daß mein werther Freund W. sich nicht entbrechen konnte, sie in seinem unerschöpflichen Humor zu apostrophiren: „Lenchen, Du herrliches Lenchen, Du sprichst ja ein Deutsch, wie ich’s bei Dienstmädchen meiner Heimath nie gehört habe – ja, deutsch müßt Ihr Alle wieder werden, deutsch um jeden Preis!“

Am nächsten Morgen stiegen wir nach einem Besuch der Lazarethe nochmals gen Fröschweiler hinan. Dieses Dorf hat unstreitig die Gräuel der Verwüstung am meisten erfahren. Ein verheerender Kugelregen der Mitrailleusen, Granaten und Chassepots war von hier auf unsere Truppen herniedergesaust, bis es den deutschen Batterien gelang, das feindliche Feuer zum Schweigen zu bringen. Zahllose französische Armaturstücke lagen um das Dorf, dessen vordere Häuser durchlöchert wurden wie ein Sieb; andere Gebäude waren völlig niedergebrannt; von der Kirche und dem Thurme standen nur noch geschwärzte Mauern, das brennende Dachwerk war in sich zusammengestürzt, die Emporen und Säulen der innern Kirche in ihrem Sturze mit sich fortreißend. In einer Oeffnung des Thurmes hatte ein Rothkehlchen sich angesiedelt und war nebst seinen Jungen, denen es fröhlich Nahrung zutrug, wunderbarer Weise verschont geblieben. Neben der Kirche steht ein schloßähnliches Gebäude mit schönen Anlagen. Hier hatte Mac Mahon sein Hauptquartier. Der Eigenthümer der Besitzung, ein Herr v. Türkheim, schilderte uns den „unüberwindlichen“ Marschall als äußerst sanft und freundlich, Damen gegenüber selbst schüchtern. Hinter Fröschweiler breitet sich eine Hochebene aus; hier nahmen die tapferen Baiern Aufstellung, als sie den schon erschütterten französischen Heerhaufen in die Flanke fielen und wesentlich zur Entscheidung des Tages beitrugen.

Wir wanderten noch eine Stunde weiter, gen Reichshofen zu; überall gewahrten wir in weggeworfenen Monturstücken die Spuren der wilden Flucht. Im nahen Walde kamen wir an die Stelle, wo Füsiliere des zweiundachtzigsten und achtundachtzigsten Regiments fünf Mitrailleusen genommen hatten; geleerte Patronenhülsen lagen in Menge umher. Die Wirkung dieser „Höllenmaschine“ ist nicht zu unterschätzen und auch muthige Soldaten empfanden ein gewisses Grauen, wenn sie dem unheimlichen Knattern und Rauschen dieser Geschosse gegenüberstanden, das ein Officier mit dem Hinabfallen einer schweren Ankerkette verglich. Endlich gelangten wir an den Saum des Waldes, dort, wo die Landstraße sich nach Reichshofen hinabzieht. Hier setzten wir unserer Wanderung ein Ziel. Vor uns breitete sich das frische, romantische Wald- und Bergland des alten Vogesus aus mit seinen starken Felsen und gefallenen Burgen. Wir gedachten unserer tapferen Streiter, die in zwei siegreichen Schlachten bewiesen hatten, daß das deutsche Schwert noch nichts an seiner Schärfe verloren hat. Durch diese grünen Thalgründe waren sie vor wenigen Tagen hinabgezogen unsere besten Segenswünsche sandten wir ihnen nach. Hinter sich ließen sie rauchende Trümmer und weite Leichenfelder; mit sich nahmen sie unsterbliche Lorbeeren.