Auf der „Norddeutschen Werft“ zu Gaarden

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Textdaten
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Autor: Paul Hirschfeld
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Titel: Auf der „Norddeutschen Werft“ zu Gaarden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 65
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Auf der „Norddeutschen Werft“ zu Gaarden.


Als der Eisenschiffbau vor einigen Jahrzehnten in England, seiner eigentlichen Heimstätte, bereits in höchster Blüthe stand und seine stolzen Gebilde schon alle Meere durchzogen, war auf den deutschen Werften noch nicht die leiseste Spur einer neuen Entwickelungsphase zu erkennen. Die gesammte deutsche Industrie hatte gar zu sehr gegen das Vorurtheil anzukämpfen, das im eigenen Vaterlande gegen sie obwaltete, und deshalb den Muth eingebüßt, ihre Kräfte frei zu entfalten und in den Wettkampf der internationalen Arbeit einzutreten. Wohl vollendete im Jahre 1856 die „Reiherstieg-Schiffswerft“ in Hamburg ihr erstes eisernes Fahrzeug und folgten diesem ersten gelungenen Versuche weitere Schöpfungen auf diesem Gebiete, aber dennoch kam der Eisenschiffbau in Deutschland weder in Aufschwung noch im In- und Auslande zur rechten Geltung.

Der Vorsteven des eisernen Kauffahrteischiffes „Cassius“ auf der Werft zu Gaarden.
Nach einer Photographie im Verlage von E. A. Schwartz in Berlin.

Erst mit der Wiedergeburt des deutschen Reiches begann in den deutschen Häfen sich ein neues, frisches Treiben zu entfalten, und auch die deutschen Werfte schickten sich an, sprechende Beweise ihrer Leistungsfähigkeit abzulegen; da kam die deutsche Handelsflagge

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Der Kieler Hafen und die „Norddeutsche Werft“ zu Gaarden.
Nach einer Photographie im Verlage von E. A. Schwartz in Berlin.

[70] und auch das in Deutschland erbaute Eisenschiff zu Ehren. Der deutschen Kriegsmarine gebührt das Verdienst, das Vorurtheil gegen die deutsche Schiffbaukunst gebrochen zu haben; sie gewann Vertrauen zur deutschen Arbeit und ließ nun ihre Schiffe auf heimischen Werkstätten erbauen.

Die „Märkisch-Schlesische Maschinenfabrik-Actiengesellschaft“ (vormals F. A. Egells) in Berlin, die bereits im Auslande hohe Anerkennung für ihre Kunstschöpfungen auf dem Gebiete der Schiffsmaschinen gefunden hatte, wurde zuerst mit der Anfertigung der Maschinen- und Kesselanlagen für die Kriegsflotte betraut; dann wandte sich die kaiserliche Marine auch an die deutschen Werften, bis sie sich schließlich von den ausländischen Werkstätten lossagen konnte.

Nunmehr trat in dem Eisenschiffbau Deutschlands ein vollkommener Umschwung ein. Sowohl die heimischen wie die ausländischen Rheder erkannten jetzt den Werth der deutschen Arbeit, folgten dem von der Kriegsmarine gegebenen Beispiel, und es entwickelte sich alsbald auf den deutschen Werften eine rege und erfolgreiche Thätigkeit. Zu einer hohen Bedeutung in der maritimen Baukunst gelangten namentlich die bereits oben erwähnte Reiherstieg-Schiffswerft“ in Hamburg, die Actiengesellschaft „Vulcan“ in Stettin, die bereits eine stattliche Zahl stolzer Kriegsschiffe geschaffen hat, und die „Norddeutsche Werft“ zu Gaarden, welche gleichfalls für die deutsche Kriegsflotte schon wacker gewirkt hat und noch wirkt; sie erwarb sich jüngst den besonderen Ruhm, das größte eiserne Kauffahrteidampfschiff, das jemals in Deutschland erbaut worden, fertig gestellt zu haben. Widmen wir den Werkstätten der gedachten Werfte und ihrer jüngsten Schöpfung eine kurze Betrachtung!

Gegenüber dem freundlichen Kiel, der aufblühenden Hauptstadt der Provinz Schleswig-Holstein, liegt der meist von Schiffern und werkthätigen Arbeitern bevölkerte Flecken Gaarden. An seinem Ufer, an der blauen, spiegelglatten Meeresbucht erstreckt sich in einer Länge von etwa einem Kilometer das imposante Besitzthum der Norddeutschen Werft mit seinen zahlreichen Werkstätten und rauchenden Schloten, mit seinen reichen Holz- und Eisenlagerplätzen, seinen von mächtigen Gerüsten umschlossenen Schiffsgebilden. Das Leben und Treiben, das sich auf diesen Arbeitsplätzen abspielt, die wettergebräunten Seemannsgesichter der Arbeiter, ihr monotoner, eigenartiger Singsang bei gemeinsamer Kraftentfaltung, die mit Theergeruch erfüllte Atmosphäre, das hier und dort lagernde Schiffsgeräth, das wirre Durcheinander von Planken, Ketten, Tauen, dazu die wechselnden Bilder auf dem Wasser – dies alles vereinigt sich in harmonischer Weise zu einem lebhaften Spiegelbilde des Hafenlebens und gemahnt an die Bestimmung der hier entstehenden Werke. Dem Weltverkehr sind sie gewidmet, und ein Stück Weltverkehr pulsirt schon an ihrer Wiege. Bald naht das Dampfroß auf dem nahen Schienenwege; bald legt am Gestade ein Schiff an, um die zum Schiffbau gehörigen Producte aus den verschiedensten Ländern der Erde zu überbringen. Da sehen wir Holzstämme aus den südamerikanischen Waldungen, Eisen aus England und der Rheinprovinz etc. ausladen und gar viele Hände thätig, um diese Producte zu verarbeiten. Und überall rasseln die eisernen Glieder der Dampfmaschine, um hier den Holzstamm zu formen, dort die Gebläse der Schmelzöfen anzufachen, oder mit Riesenhämmern die glühenden Metallmassen zu walzen; wie der menschliche Gedanke vermag hier die Maschine mit Hülfe der Präcisionsmechanik in einem Augenblick tausend Verbindungen herzustellen, mit einem Schlage gewaltige Eisenmassen zu durchbrechen oder wie Papier zu zerschneiden. Auf dem Boden jenes Raumes dort zeichnet der Ingenieur die Linien des neu zu erbauenden Schiffes; nach diesen Mustern werden in den Walzwerken die Eisenplatten geformt. Hier sieht man Arbeiter beschäftigt, die Platten an einander zu nieten; dort erhebt sich schon die majestätische Gestalt eines eben vollendeten Eisenmastbaumes.

Doch welch’ ein fesselndes Bild der gemeinsamen Arbeit und menschlicher Kraft bietet sich dem Auge bei Betretung der eigentlichen Bauplätze dar! Während hier als Grundlage eines imposanten Werkes die Kiellegung beginnt, sehen wir dort schon die Spuren des stählernen Gerippes eines deutschen Kriegsschiffs und weiter hinauf einen schon der Vollendung nahen Riesenschiffskörper sich erheben. Dort, jener Koloß mit den edlen Linien, der bereits für das nasse Element die Reife erlangt hat, ist der für den Hamburger Rheder Andersen bestimmte Kauffahrteidampfer „Cassius“. Er hat die gewaltige Länge von 312 Fuß, eine Breite von 38 Fuß, eine Höhe von 27 Fuß 41/2 Zoll nach englischem Maß und eine Tragfähigkeit von 3400 Tons oder 68,000 Centnern.

Sowohl dieses Schiff, wie auch die sechs anderen hier entstehenden Dampfer sind mit allen Neuerungen der maritimen Technik versehen. So hat der „Cassius“ in seiner ganzen Länge einen doppelten Boden erhalten, nach einer Methode, die wohl schon längst bei dem Bau von Kriegsschiffen in Brauch ist, jedoch erst in neuester Zeit auch bei den großen Kauffahrern in Anwendung gelangt, um das Schiff, falls es ein Leck erhalten sollte, vor dem Untergange zu schützen. Das eindringende Wasser sammelt sich nämlich dann in dem durch den Doppelboden gebildeten Raum und wird nun durch Centrifugalpumpen, welche durch Dampfkraft in Bewegung gesetzt werden, entfernt. Das Pumpwerk des „Cassius“ ist im Stande, in einer Minute 6000 Liter Wasser aus dem Schiffsraum zu pumpen. Seine Maschine besitzt eine Arbeitskraft von 1500 Pferden und setzt das Schiff in den Stand, mit einer Geschwindigkeit von elf Knoten oder zweidreiviertel geographischen Meilen in der Stunde die Meereswogen zu durchziehen. Sowohl der Riesenanker des Schiffes, wie das Steuerruder werden durch besondere Dampfmaschinen in Wirksamkeit gebracht. Sämmtliche Maschinen- und Kesselanlagen, welche die Werft zur Ausrüstung ihrer Schiffe bedarf, werden nicht in Gaarden gebaut, sondern sind das Werk der schon oben erwähnten „Märkisch-Schlesischen Maschinenfabrik-Actien-Gesellschaft“ in Berlin und Tegel, welche auch die Eigenthümerin der „Norddeutschen Werft“ zu Gaarden ist.

Unsere beiden Abbildungen zeigen uns in trefflichster Naturtreue und Anschaulichkeit den „Cassius“ noch auf dem Baugerüste, von den stützenden „Hellingen“ umgeben. Auf der einen Illustration sehen wir den „Vorsteven“, die vordere Kante des Schiffes, mit dem Riesenanker, auf der anderen einen Theil des Decks, auf welchem Arbeiter noch das letzte Werk verrichten. Von der Höhe des Decks haben wir einen prächtigen Blick auf die Meeresbucht und das gegenüberliegende freundliche Kiel mit seinen stattlichen Thürmen und schmucken Gebäuden, mit seinen aus- und eingehenden Schiffen. Die beiden Dampfer, welche in der Nähe des Gaardener Gestades dicht an einander liegen, sind die von der deutschen Regierung als Kriegscontrebande beschlagnahmten Schiffe „Sokrates“ und „Diogenes“. Die beiden griechischen Philosophen liegen heute noch angekettet vor Anker, während der stolze Römer „Cassius“ bereits die Anker gelichtet und den Meereswogen und Stürmen seine Kraft gezeigt hat.

Der Ablauf solch eines Schiffkolosses von seinem Bauplatze in das Wasser bietet ein überaus erhebendes Schauspiel dar. Bevor das große Werk beginnen kann, müssen erst die Stützen, welche das Schiff von den Seiten her aufrecht erhalten, und die Stapelklötze, auf denen es unten ruht, allmählich entfernt und unter dem Kiele ein auf geschmierten Balken gleitendes Gerüst, der sogenannte Schlitten, angebracht werden. Ist diese Arbeit bis auf die Entfernung einiger Stützen gethan, dann stellen sich an beiden Seiten und den noch stehenden Stützpfeilern die Arbeiter auf und warten mit erregten Gesichtern und schweigendem Munde auf das Ende des feierlichen Taufactes, auf das übliche Zerschellen einer Flasche Wein am Vorsteven; dann erschallt der Ruf „Los!“; mit einem Schlage fallen die letzten Stützen; gleichzeitig hämmern die Zimmerer auf die Keile der unteren Klötze, und plötzlich beginnt der Koloß seinen Lauf und gleitet leicht, wie ein auf glatter Bahn dahin sausender Schlitten, in die Fluth hinab.

Auf keinem Gebiete der menschlichen Arbeit müssen so verschiedenartige Kräfte wetteifern, um zu einem großen Ziele zu gelangen, wie auf dem großen Markte des Weltverkehrs. Der Schiffsbau, die Nautik, die Naturwissenschaften, der Handel, alle diese Factoren müssen sich in harmonischer Verbindung vereinigen, um an dem großen Werke der Cultur und der Vervollkommnung des Menschen weiter zu bauen.

Paul Hirschfeld.