Auf der Gemsjagd

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Guido Hammer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auf der Gemsjagd
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 257, 259–262
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Im Karwendel
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 8
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[257]

Die Gemse auf der Vorhut.

[259]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer. (S. Gartenl. Nr. 4.)
Nr. 8. Auf der Gemsjagd. – (Mit Abbildung.)

Neues Leben war mit der Frau Herzogin in das stille Thal der Hinterriß eingezogen. Ausgezeichnete Gäste, wie Prinz v. L., Graf E., der von seinen Streifereien im herzoglichen Jagdgebiete niedergestiegen war, um der edeln Dame zu huldigen, Mstr. B. u. A. hatten sich eingefunden. Auch der weltbekannte und allbeliebte Friedrich Gerstäcker befand sich im Gefolge der Herzogin, um an den bevorstehenden Gemsjagden Theil zu nehmen, nachdem er solchen eben erst bei einem der kaiserlichen Erzherzöge in Steiermark beigewohnt und sich als glücklichen und tüchtigen Jäger bewährt hatte.

Wohl zwölf Jahre mochten vergangen sein, seit ich ihn nicht gesehen, diesen geistvollen und liebenswürdigen Schriftsteller, mit dem ich zu jener Zeit manche frohe Stunde verlebt – durch ihn erlebt habe, indem er mit der ihm eigenthümlichen lebendig poetischen Sprache und seinem köstlichen Humor die Erlebnisse seines amerikanischen Waldlebens schilderte, aus dem er nur erst zurückgekehrt war. Mit wahrem Herzklopfen begab ich mich eines schönen Sonntag-Morgens nach dem Schlosse, um den wackern – im Herzen sagt’ ich Freund – wieder zu begrüßen. War er noch der frühere herzliche, frische, wahre Mensch, wie ihn die Urwälder gebildet hatten? Oder hatte auch ihn „die Cultur beleckt“? Die beste Antwort ließ nicht auf sich warten, und rasch laß ich sie wiederklingen; selten habe ich einen Menschen nach einem solchen Zeitraume geistig und körperlich so unverändert gefunden, als Gerstäcker.

An demselben Tage wurde ich durch den Haushofmeister zur herzoglichen Tafel geladen, wobei ich das Glück hatte, vom Herzoge einer der edelsten Frauen vorgestellt zu werden, der Herzogin. Gleich ihrem hohen Gemahle ist sie für Wissenschaft, Kunst und Natur lebendig beseelt, und namentlich die Botanik ihr Lieblingsstudium.

Diese Tage und Abende, die in dem hirschgeweihgeschmückten, alterthümlichen Saale mit zauberhafter Schnelle dahinflossen, waren für mich von außerordentlichem Reiz. Die Pürschgänge auf den Hirsch waren, wie ich schon im vorigen Artikel erwähnte, beendigt und die Gemsjagden begannen. Auch ich hatte das Vergnügen, mich betheiligen zu dürfen. War ich auch nicht so glücklich, auf den zwei Gemstreibjagden, denen ich beiwohnte, zu Schuß zu kommen, so fühlte ich mich doch nichtsdestoweniger glücklich dabei. Hatte ich doch eine Büchse in der Hand und die Anwartschaft, Gemsen zu schießen!

Wie herrlich war schon der Auszug zur Jagd! Der Jagdherr, in seinem der Oertlichkeit angepaßten und landesüblichen Costüme, zu Pferd, um bis zu einer gewissen Höhe zu reiten; die anderen Schützen mit den Jägern und Treibern in malerischen, durch die Hunde noch mehr belebten Gruppen den Gebieter umgebend, – es war ein herrliches Bild! Ein frischer, lebendiger, heiterer Geist beseelte Alle – von oben bis zum unverdrossenen Treiber herab. Unverdrossen muß man die Letzteren in der That nennen, denn nie habe ich Menschen dieser Gattung kennen gelernt, welche mit einer solchen Ausdauer und Freudigkeit die fabelhaftesten Anstrengungen ertrugen, wenn es galt, dem Herrn zu dienen, der aber auch mit der gewinnendsten Art diese von ehrfurchtsvoll dankbaren Empfindungen erfüllten Leute behandelte.

Hinaus ging’s in die Alpen, die der geneigte Leser bereits kennen gelernt. Manch’ wilder Weg wurde, nachdem der Herzog das Pferd zurückgeschickt hatte, beschritten, bis man ein sogenanntes Kar, das heißt, einen Einschnitt in die Gebirge, erreichte. Hier nun wurden die Schützen vom Wildmeister angestellt, der mir zu meinem Erstaunen die Versicherung gab, daß das Treiben unter drei bis vier Stunden nicht gut herankommen dürfte. Ich hatte also auf meinem Stande hinlänglich Muße zu Naturbetrachtungen. Nachdem ich mir einen Punkt, der mir möglichst viel Spielraum zum Schießen bot, ausgesucht hatte, machte ich mich so weit fertig, um nöthigenfalls jeden Augenblick schußbereit zu sein. Bei ununterbrochener Aufmerksamkeit auf möglicher Weise vorkommende Fälle, in welchen das Wild zeitiger rege werden könnte, gab ich mich demungeachtet dem vollen Genusse an der wunderbar schönen Umgebung hin. Durch meinen Beruf bin ich schon daran gewöhnt, meine Aufmerksamkeit zu theilen. Ich hatte mich hinter einen alten, verknorrten, mit Moos und Flechten üppig überwucherten Ahorn gestellt. Zur Seite starrten silberbärtig geschmückte, alte Tannen empor, unter mir dergleichen Wipfel. Vielleicht hundert Schritte vor mir deckte tiefer, stiller Wald das Gebirge, bis es oben kahl darüber in die Luft ragte. Ein Gießbach stürzte sich aus dem mir gegenüberliegenden Hange hinab und zwängte sich durch gewaltige Felsblöcke oder schäumte über Geröll unter meinem Stande dahin. Verspätetes Vergißmeinnicht, blaues und rosig angehauchtes, nickte in den sprudelnden Bach hinein. Zu meinen Füßen äugten auch noch munter Erdbeeren mit ihrem schalkhaften Roth und Genzianen mit ihrem wunderbaren Blau vom Boden auf; hier und da guckte wohl auch ein nachblühendes Alpenröslein schelmisch aus dem dunklen Knieholzgebüsch herab. Stille herrschte überall, nur der Gießbach rauschte in seinem felsigen Bette dahin, und seltsam angezogen lauschte ich diesen immer gleichen und doch so beredten Tönen, die die Phantasie in förmliche Sprache und verständliche Laute übersetzte. Wer hätte einsam an einem lebendigen Wasser gestanden und nicht Worte zu vernehmen geglaubt, – vielleicht gar sich rufen hören, und zwar bei hellem Sonnenschein, als gehörte dieser zur Geisterstunde des Waldes? Auch mir ging es hier so. Dazu brauste es zuweilen, wenn ein rascher Luftzug sich erhob, orgelartig durch die Wipfel der Bäume und verhallte in leisem, wehmüthigem Flüstern, das die knarrenden Seufzer der alten Stämme begleitete. Wieder wurde es still, daß man es vor Ruhe im eigenen Ohre singen hörte. Jetzt ließ mich ein leiser, prickelnder Ton hoch aufhorchen, und in der Spannung glaubte ich schon, eine Beute zu hören – doch es war nur ein gelöstes Blatt des alten Ahorns, das hin- und herkreuzend zuletzt in den Bach fiel und, von dessen Wellen erfaßt, schaukelnd wie ein steuerloser Kahn dahinschoß, bis es in reißender Schnelle dem Auge entschwand.

Vielleicht eine Stunde war verflossen, da dröhnte der Schuß eines über mir stehenden Schützen herab und setzte sich, vielfach wiederhallend, ist den Gebirgen fort. Dann kehrte die heilige Waldesstille zurück, die nur vom Rauschen der Wässer und vom melodisch-melancholischen Klingen der luftdurchhauchten alten Bäume unterbrochen ward. Mich aber hatte der donnernde Schall fieberhaft aufgeregt, denn ich konnte ja ebenfalls jeden Moment so glücklich sein, zu Schuß zu kommen. Die Augen bestrichen fortwährend ihren Sehkreis, doch kein lebendes Wesen wollte sich blicken lassen. So waren, ohne daß ich etwas gesehen und gehört, wohl zwei Stunden vergangen, als einer von den Treibern aus dem Walde über den Gießbach geklettert kam. Ich stieg nun am Flügel des Treibens mit empor bis zum oberstem Schützen, Freund Gerstäcker. Er war der einzige Glückliche, der überhaupt zu Schuß gekommen war und durch denselben seine Beute niedergestreckt hatte. Theils durch Schwierigkeiten im Terrain, theils durch andere Hindernisse war das Treiben nicht erfolgreicher gewesen; die meisten Gemsen waren flüchtig auf einer Ecke hinaus in die höheren Regionen gewechselt, gerade da, wie das häufig zu gehen pflegt, wo keine Schützen gestanden.

[260] Die Zeit war unterdessen so weit vorgeschritten, das an ein zweites Treiben nicht gedacht werden konnte, und der Jagdtroß, den Gebieter an der Spitze, stieg rüstig hinab in’s Thal. Der Weg, der auf Befehl des Herzogs gewählt wurde, war zwar näher als der, den wir emporgestiegen, aber von einer solchen Beschaffenheit, daß selbst eine Gemse den Kopf dazu geschüttelt haben würde. Dennoch ging’s lustig darauf fort, denn die Schauerlichkeit dieses Steges bestand nicht etwa in großer Gefährlichkeit, sondern in einem wahrhaft boshaft ungeregelten Naturzustand. Der baumlange „Jackel“, ein Treiber, hatte ihn dem Herzoge mit ziemlich verlockenden Farben geschildert, und seine Strafe war die, daß sich der Jagdherr in humoristischster Weise des Gebirgssohnes Ansichten über die Frage: „Weg oder nicht Weg“ zergliederte. So wurden die Drangsale unter Lachen überwunden, und als man unten angekommen war, ließ das die Jagdgesellschaft in dem schon früher näher bezeichneten Saale des Schlosses vereinigende Mahl, das durch heitere und geistvolle Gespräche mannichfaltig gewürzt und durch die Frau Herzogin anmuthsvoll belebt ward, jede ausgestandene Mühseligkeit bald vergessen.

Das Wetter hatte sich unterdessen geändert und durch die hohen Bogenfenster sah man dichte Schneeflocken lustig herabwirbeln, als wäre es im vollsten Winter. Manche Besorgniß für die kommenden Pürschgange auf das Gemswild knüpften sich an diesen Schnee, denn da er ganz respectabel fiel, so lag es nicht außerhalb der Möglichkeit, daß er zu lange liegen bleiben oder gar das Zeichen zum Einwintern sein werde, obgleich es erst Anfang October war. Obwohl die Gemsen sich während des Schneefalles mehr herabziehen, so steigen sie doch sofort wieder in die höchsten Regionen, wenn das Wetter hell und klar wird; die Sonne nämlich macht dann zuerst die am höchsten liegenden Grasfleckchen frei, indem der thauende Schnee wie von einem Dache massenweise herabrutscht, und so bieten solche schneefreie Matten dem Wilde Aeßung. In diesen Regionen und unter diesen Umständen aber pürschen zu gehen, würde fast unmöglich sein.

Des anderen Morgens lag im Thale eine Achtel-Elle Schnee, Es war ein wunderbarer Anblick, auf dem Goldgrunde der noch in üppigster Fülle prangenden Laube der Buchen den ungewohnten Schmuck liegen zu sehen. Noch breitete sich über die ganze Natur eine Schneeatmosphäre aus, diese wurde jedoch bald von der siegreichen Sonne durchlichtet, die nun plötzlich die schneebedeckten Gipfel der Gebirge mit einem zauberischen Schimmer übergoß. Und als die Sonne nun höher und höher stieg, so daß das Licht tiefer und tiefer in das Thal herabdrang, von Felsen zu Klippe sprang und dann den ersten schneebedeckten Wipfel der alten himmelanstrebenden Tannen hellleuchtend überstrahlte und so weiter die winterlich bekleideten Buchen durchwob, daß die blendenden Strahlen im bunten Laube und Schnee wie Gold und Edelgestein erglänzten: da sehnte sich das Herz hinauf in die Alpen, solche Pracht in ihrem ganzen Umfange zu überschauen. Die Sehnsucht sollte nicht unbefriedigt bleiben; es war Jagd angesetzt. Nicht lange ließ der Herr auf sich warten und den Jagdzug nahm der stille Wald auf, durch den sich der Pfad nach oben wand. Da standen die riesigen Baumrecken und vereinigten ihr mächtiges Gezweig, um die herrliche Decke gemeinsam zu bilden und zu tragen, Ein magisches Dämmerlicht und unendliche Ruhe herrschten in diesem hohen Gottesdome. Lautlos glitt der Schritt über den flaumbedeckten Moosboden dahin und selbst die Unterhaltung hörte eine Zeit lang auf, weil Jeder sich unwillkürlich in seine Betrachtungen versenkte. Erst als man wieder durch die Lücken des Waldes die sonnenumgossenen Bergeshäupter erschaute, machte der feierlichen Stimmung, die sich Aller bemächtigt hatte, die frohe Lust die Herrschaft streitig, und freudigen Herzens verfolgte Jeder sein Ziel. So erreichten wir den Ort, wo das Treiben auf Gemsen stattfinden sollte. Ehe noch alle Schützen ihren Stand eingenommen hatten, entdeckte das scharfe und geübte Auge des Gebieters eine Gemse an einem Laatschendickicht, in das sie hineinzog, Auch hörte man deutlich das eigenthümliche Pfeifen, den Warnungsruf derer, die das Auge nicht finden konnte, die aber längst ihren Feind, den Menschen, gewahr geworden waren, An solche heranzupürschen würde natürlich vergebliche Mühe gewesen sein, da es aber ein Treiben galt, lag es nahe, daß sie auf den Wechseln, die hier sehr gezwungen waren, mit zu Schuß kommen mußten. Ich meinerseits bekam an einem Laatschengebüsch, vor mir Wände mit Schluchten, in denen die Gemsen gern wechseln sollten, meinen Stand. Rechts von mir stand Mstr. B,. links der Prinz von L., und von da ab in einem höher gelegenen Kar der Herzog mit Graf E., und ganz oben Freund Gerstäcker.

Den Gebirgssack unter die Füße nehmend, schützte ich diese vor Schnee und Kälte; im Uebrigen war es, da ich in der Sonne stand, so warm, daß ich mit größtem Wohlbehagen abwarten konnte, was da kommen werde, – aber nicht kam, wenigstens bei mir nicht – nämlich die Gemsen. Fast schneeblind von der weißen, sonnenbeschienenen Umgebung, stand ich so unbeweglich, daß ein Grenzpfahl mich Bruder genannt haben würde, wenn er mich so hätte sehen können, Von großem Vortheil waren mir hier die an demselben Morgen erst aufgetriebenen, für drei Gulden käuflich an mich gebrachten, funkelnagelneuen Sonntagsschuhe meiner Frau Wirthin, die sie mir mit wehmuthsvollem Blicke überantwortet hatte, ahnend, welch rücksichtsloser Behandlung sie bei mir anheimfallen würden. Da meine Füße diese hornartigen, eisenbeschlagenen Geschöpfe in Form kleiner Kähne nicht auszufüllen im Stande waren, so hatte ich die Lücken mit einigen Händen voll Heu ausgestopft, und gerade dieses erhöhte wesentlich die Behaglichkeit auf meinem Stande. Damit der Schnee nicht oben in die Schuhe hineinfallen konnte, hatte mir Gerstäcker freundlichst ein Paar von einer dort gebräuchlichen Art kurzer Ueberstrümpfe, die über den Rand der Schuhe zurückgeschlagen werden, geborgt und mit Hülfe dieser und meiner Beinkleider, die ich tricotartig in erstere hineingesteckt, hatte ich mich gleichsam zu einem Tyroler umgewandelt, der freilich nicht allen ästhetischen Anforderungen entsprach und eigentlich mehr der Kreuzung eines sächsisch-erzgebirgischen Buttermannes mit einem Jäger glich. Praktisch aber war die Aushülfe für die Verhältnisse, und das war das Beste.

So gab ich mich bei aller Aufmerksamkeit auch hier meinen Naturbeobachtungen hin.

Die warme Sonne schien hell aus südlich tiefblauem Himmel auf die winterlich geschmückte Erde herab und löste den auf den alten Tannen lastenden Schnee in Tausende von schimmernden Tropfen auf, die zitternd an den grünen Zweigen hingen und, von neu sich bildenden herabgedrängt, wie ein immerwährender Edelsteinregen niederfielen, Das war, da die Sonne hinter den Bäumen stand, ein farbig glänzendes Spiel von reizender Schönheit. Durch die Brechungen der Strahlen in diesen Wasserkrystallen erschienen die Bäume wie von Heiligenscheinen umleuchtet. Dazu klang dumpf dröhnend, wenn Schneemassen von Fels oder Baum herabglitten, die dann oft in beträchtliche Tiefe fielen und deshalb, obgleich sie nur klein waren, ein so bedeutendes Geräusch verursachte. Man wurde nicht müde, so Wundervolles zu genießen. Zwei Stunden mochten dahin sein, da war es wiederum ein scheinbar ganz ferner Schuß, der alle meine Aufmerksamkeit auf das Treiben lenkte, Das Echo, das donnerähnlich rollend, dann knatternd und scharf und zuletzt wieder dumpf in den Bergen verhallend, dem kaum hörbaren Schuß folgte, gab mir Gewißheit, daß bereits Gemsen die Schützenlinie passirt waren, Mehrere Schüsse fielen nun hintereinander, denen jedesmal die Echo’s in den verschiedensten Brechungen antworteten. Mit Spannung beobachtete ich mein vor mir liegendes Terrain, in der Hoffnung, doch auch vielleicht einmal Anlauf zu haben, was sich leider bis auf die Erscheinung eines im Kleide der Unschuld hinhüpfenden Hasen, nämlich eines weißen, nicht verwirklichte. Diese Hülle der Reinheit möchte bei uns zu Hause im Herbst auf grauem Sturzacker sehr praktisch für den Jäger leuchten, hier aber auf dem Schnee war sie für Lampe ein Vortheil, denn – nun, ich will nur es gestehen, daß ich auf Hasemann zwar schoß, aber – fehlte.

Nicht lange darauf kamen die Treiber an den Wänden heruntergeklettert, so daß ich sie, wenn Gemsen Jupen trügen, für dergleichen gehalten haben würde, an so scheinbar völlig ungangbaren Orten krochen sie herum. Davon könnten unsere Treiber etwas lernen, die, wenn sie nur ein halbwegs unangenehm werdendes Dickicht zu durchkriechen haben, jeden irgend vielleicht günstig durchlaufenden Graben oder sonstige Lücken benutzen, um Gänsemarsch zu gehen, und erst kurz vor der Schützenlinie wieder Front machen, um geregelt herauszukommen.

Das Treiben war zu Ende, und beim Zusammenkommen der Schützen ergab sich’s, daß Graf E. zwei Gemsen und Gerstäcker eine geschossen hatte, daß aber die eine des Grafen angeschossen weiter gegangen war und von einem der Jäger verfolgt wurde. Rasch ging’s nun zu einer der Sennhütten, wo die hohe Frau mit Gefolge den Jagdherrn erwartete. Bald folgten Jäger und Treiber nach und brachten in ihren Gebirgssäcken die erlegten Gemsen [261] mit herunter. Die wettergebräunten Gestalten der Jäger und Treiber in ihren so malerischen Costümen mit Hunden und erlegtem Wilde, um ihren Herrn gruppirt, wiederholten in noch lebendigerer Weise das Bild des Auszugs. Nach genossener Rast und willkommener Erquickung, die die Dienerschaft umherreichte, begab man sich hinab in’s Thal, und hierbei bekundeten die Damen nicht minder den frischen, regen Geist, der eine Jagdgesellschaft stets so vortheilhaft auszeichnet.

Wieder versammelte das Mahl die Gesellschaft im Schlosse und gab, wie immer, Gelegenheit zur Besprechung früher erlebter Jagdabenteuer, von denen der Jagdherr nicht wenige der interessantesten, so wie der ergötzlichsten Art erzählte. Spät kehrte ein Jäger, Namens Michel, von der Nachsuche des angeschossenen Gemsbockes mit demselben zurück. Auf des Herzogs Befehl erschien er im Saale, um die näheren Umstände zu berichten, und es war ein wahrhafter Genuß, diesen so bescheiden und doch so ungezwungen natürlich auftretenden Gebirgsjäger seinem Herrn mittheilen zu hören, wie er dem Bock in die zerklüfteten Wände gefolgt sei, noch zweimal auf ihn geschossen habe, ihm endlich beigekommen und bereits im Finstern mit seiner Beute im Gebirgssacke die unwegsamsten Gebirge herabgeklettert sei. Man fühlte deutlich heraus, ohne daß der kühne und doch so sinnig schauende Jäger nur daran dachte darauf Werth zu legen, daß er, um seinen Zweck zu erreichen, sein Leben in die Schanze geschlagen. Zur näheren Charakteristik dieses prächtigen Menschen lasse ich das unvergleichliche Portrait desselben folgen, welches Gerstäcker in seiner Gemsjagd in Tyrol gegeben.

Nach einer Schilderung mehrerer Gestalten fährt er fort: „Ein anderer ist Michel, unstreitig der hübscheste von allen, ein junger Bursche von sechsundzwanzig Jahren, mit einem gar so offenen, ehrlichen und guten Gesicht, und so treuen, blauen Augen, denen das freundliche Lächeln prächtig steht. Ein guter Jäger und kecker Steiger wie Alle, hat er eine besondere Vorliebe, einen besondern Blick für Blumen, und vom Edelweiß, das oben in den schroffen Nordwänden der steinigen Gebirge steht, bis zum blau und rothen Vergißmeinnicht, das an den Bächen der hochgelegenen und geschützten Thäler keimt, sucht und findet er die einzelnen Blüthen, die der einbrechende Herbst bis dahin noch verschont. War sein Weg den Tag über noch so rauh und wild, prangt sein Hut gewiß, kehrt er Abends zurück, von einem Blumenflor.“

Ich kann mir hierbei nicht versagen, Diejenigen, die Gerstäcker’s „Gemsjagd in Tyrol“ noch nicht kennen sollten, auf das ganze höchst anziehende Buch, worin er mit einer Wahrheitsfrische, Poesie und Tiefe die Alpen, ihre Menschen und ihr Wild schildert, und seine Erzählung mit so köstlichem Humor durchwebt, besonders aufmerksam zu machen, wobei ich ungleich der herrlichen Holzschnitte gedenke, welche, nach Originalzeichnungen von Trost, das Buch würdig erläutern und schmücken.

Durch die weiten Bogenfenster des Saales sah man über der großartigen in nächtlichem Dunkel liegenden Landschaft den strahlenden Kometen seinen nebelhaften gespenstigen Schweif über die schneeigen Gebirge ausbreiten. Dazu tönte das Abendläuten des Klosterglöckleins friedlich durch die Stille des Thales und rief die frommen Mönche in ihr dämmrig erleuchtetes Kirchlein zur Andacht. Angeregt durch solche Momente, beschrieb der Herzog begeistert das Mondleuchten der Alpen, das demnach von wunderbarer Schönheit sein muß. Azurbläulichumflossen strahlen die Alpen im sanften Lichte, und dabei sei die Atmosphäre so hell und rein, daß man das Wild vom Thale aus auf den höchsten Gipfeln der Berge in deutlichen Umrissen stehen sehen könne. Wahrhaft zauberisch, märchenartig wirke dieser seltene Anblick auf den Beschauer.

Meine Zeit war gemessen, es war der letzte glückliche Abend, den ich in der Hinterriß verbrachte, – für den andern Morgen war meine Abreise bestimmt. Als nach dem Thee die hohe Dame des Hauses das Zeichen zum Aufbruch gab, sagte ich mit dankbarer Ergebenheit dem edlen Fürsten und seiner Gemahlin, die mich so huldvoll ihrer Aufmerksamkeit gewürdigt, Lebewohl, sowie allen edlen Jagdgenossen und besonders Freund Gerstäcker, da ich frühzeitig aufbrechen wollte.

Mit Wehmuth verließ ich am Morgen den wundervollen Aufenthalt, und nicht wenig bebte mir das Herz, als ich den vielgeliebten Ton der Büchse im Gebirge hallen hörte; der unermüdliche fürstliche Waidmann befand sich mit Genossen bereits wieder auf der Jagd. Langsam schritt ich in dem Thale hin, mit Absicht zögernd, um nicht allzuschnell von dem liebgewordenen Terrain zu scheiden. Noch hatte ich das Jagdgebiet des Herzogs nicht im Rücken, als dreißig Schritt von mir aus dem Gebüsch ein altes Thier heraustrat. Augenblicklich blieb ich ruhig, athemlos stehen. Auch das Stück Wild machte Halt und äugte nach mir, ohne jedoch, da ich guten Wind hatte, davon beunruhigt zu werden. Still zog es weiter, quer über den Weg durch die Riß, und nun folgten nach und nach zu meiner Freude erst noch ein Stück Wild mit Kälbchen, dann wieder eines, abermals mit Kälbchen und einem Schmalthiere, und dann zuletzt ein Hirsch von zehn Enden. Alle blieben, so wie sie aus dem Gebüsch traten, minutenlang auf dem Wege stehen und gingen dann ruhig dem Truppthiere durch die Riß nach auf das jenseitige Ufer, wo sie in einem Laatschendickichte den Waldhang emporstiegen, so daß ich sie noch lange mit den Augen verfolgen konnte. Aber noch immer stand ich, als schon längst das Wild in den Bergen dem Blicke entschwunden war. So ruhig und still und so nah waren sie an mir vorübergezogen, daß es mir wenige Minuten darauf wie ein wacher Traum der aufgeregten Phantasie erschien. Es war das würdige Schlußthierbild, welches sich dicht an der herzoglichen Jagdgrenze meinen Augen geboten.

Ich schritt jetzt eiliger weiter und kam bald in der Vorderriß an. Hier verweilte ich jedoch nur kurze Zeit; dann nahm ich von der freundlichen Försterfamilie Abschied und steuerte über die Joche dem Walchensee zu. Es war ein unbeschreiblicher Eindruck, als ich von der Höhe diesen düstern, schauerlich-melancholischen See unter mir erblickte. Ja, so mächtig, unheimlich und dämonisch wirkte er auf mich, daß mir eine bis dahin überwundene Eigenheit meiner Knabenjahre wiederkam; auf keinen größeren ruhigen Wasserspiegel, z. B. auch nur auf einen Teich, ohne die größte Beängstigung sehen zu können. Unwillkürlich mußte ich mich, wie früher, abwenden. Erst am Anblick der nahen Waldesumgebung konnte ich mich sammeln und meines unerklärlichen Gefühles Meister werden. Dann betrachtete ich mit obwohl noch scheuem Blicke und gezwungenem Willen die Erhabenheit dieses wunderbar tiefernsten See’s mit seiner starren Umgebung. Da lag er, schwarzviolet, die Ufer grünwellig anspülend und von zackigen Gebirgen ringsherum eingeschlossen, die von meinem Standpunkte aus unmittelbar aus dem Wasser zu steigen schienen. Von unten herauf schwarz bewaldet, ragten sie mit den zerklüfteten Häuptern kahl und dunkel, wie der See, in die Luft hinein; denn eben war am wolkenlosen Himmel die Sonne hinter ihnen verschwunden, so daß Alles in tiefe Schatten gehüllt war. Kein Zeichen des Lebens gab sich kund, kein Kahn glitt dahin, kein Vogel strich über die finstere Fläche – wie ausgestorben schien die Natur um diesen nächtlichen See. Noch nie habe ich mich von einer Erscheinung gleichzeitig so unheimlich berührt und doch wieder mit wahrhaft dämonischen Banden hingezogen gefühlt. – Es war wie der Zauber, den man der Klapperschlange nachsagt, die mit ihrem Blick das geängstigte, fluchtbereite Opfer fesseln soll. Ja, dieses Gefühl steigerte sich noch, als ich, unten angekommen, in einem schmalen Kahne, den ein schweigsamer, düsterer Bursche mit kräftigem Arme ruderte, mich dem grundlosen Wasser anvertraute, um hinüber an das jenseitige Ufer nach Walchau zu fahren. Lautlos fuhr mich mein Fährmann, nur leise plätscherten die Ruder, in die ruhige, spiegelglatte Oberfläche tauchend, Als glänzende Perlen fielen die Tropfen vom Ruder herab in den langen leuchtenden Streifen, den der dahingleitende Kahn in das schwarze Wasser furchte und in dem sich das helle Mondlicht silbernglitzernd spiegelte. Unwillkürlich schöpfte ich mit der Hand Wasser, um mich von der Dunkelheit desselben zu überzeugen, – und es war klar, wie Krystall.

An wundervollen Stellen des Ufers kam ich vorüber. Kirchlein standen unter Buchen und Linden dort und das Abendläuten tönte friedlich aus ihnen herüber, so daß es die feierliche Stimmung dieser ernsten Umgebung erhöhte und gleichzeitig wohlthuend milderte. Bei alle dem wurde ich ein banges Gefühl nicht los, und obwohl ich, an meinem Bestimmungsorte angekommen, noch Stunden lang nachher am Fenster meines Stübchens mich dem magischen Zauber des mondbeschienenen See’s hingab, wollte der Bann nicht weichen, den er beim ersten Anblick auf mich ausgeübt. Wie anders wirkte der liebliche, anmuthige laubwald- und villenumkränzte Starnberger See, an dem ich, von Walchau über das wundervoll gelegene, malerische Partenkirchen mit seiner edeln, großartigen, wenn auch weniger wilden und urmächtigen Umgebung gehend, vom Hochgebirge Abschied nahm. Im golddurchwobenen Glanze der Abendsonne ruhte er leuchtend, im Hintergrunde die fernen schneebedeckten Gebirge, die so duftig, wie aufsteigendes, weißgesäumtes Gewölk, [262] die Ferne begrenzten. Massen von anmuthigen Kähnchen durchkreuzten die luftspiegelnde Blänke des Seen und Alles athmete Lust und Freude. Nur daß ich so Schönes verlassen mußte, das war die einzige verstimmte Saite meines Herzens. Der gelle Pfiff des dampfgeschwollenen Drachen, der Locomotive, riß mich aus meinem wehmuthsvollen Schauen und entzog mir in wenigen Minuten den letzten Blick auf die Alpen.

Nach einer Stunde befand ich mich mitten unter Häusern, mitten im Getümmel der großen Stadt, in München, nicht, um hier zu verweilen. Mit Sehnsucht in der Brust rückwärts nach dem Verlassenen blickend, doch stärker mit Sehnsucht nach des Heimath, nach den Meinen verlangend, beschleunigte ich meine Rückreise zum häuslichen Heerd, an welchem liebe Erinnerungen doch am trautesten zu uns sprechen, weil wir sie den Geliebtesten mittheilen können.