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Auf einem Kaiserthron

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Textdaten
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Autor: Schmidt-Weißenfels
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Titel: Auf einem Kaiserthron
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 804–808
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Auf einem Kaiserthron.

Das Haus Lothringen-Habsburg hat stets nach zwei Seiten hin die Pläne seiner Familienverbindungen und damit der möglichen Vergrößerung seines Länderbesitzes im Auge gehabt: nach Italien und nach Baiern. In früheren Zeiten richtete es seine Verheirathungspolitik gerade nach der entgegengesetzten Seite und stellte dieselbe hier erst ein, als Alles erworben war, was irgend nur auf solchem Wege zu erwerben ging. Die Kronen von Böhmen und Ungarn waren die Gewinnste solcher Heirathen, und sie erhoben das Erzherzogthum Oesterreich plötzlich zu einem so großen und mächtigen Staate, zu jenem Austria felix, dessen erheirathete Stücke sich zu ihrer Fortexistenz förmlich auf einander angewiesen sahen. Aber mit Böhmen und Ungarn und dessen fetten Zugehörigkeiten von Croatien und Siebenbürgen war im Osten der österreichischen Mark ziemlich Alles weg, was durch Heirathen zu erwerben ging.

So kam es, daß die italienischen Prinzessinnen und die süddeutschen, namentlich die bairischen, am Wiener Hofe die Blicke des Begehrens auf sich zogen, weil seit Maria Theresia’s Zeit die Heimath beider als zukünftige, höchst angenehme Adnexe der österreichischen Monarchie auserkoren waren. Italien zu besitzen und Deutschland zu beherrschen wurde Hauspolitik von Oesterreich. Maria Theresia selbst hatte durch ihren Gemahl Franz von Lothringen das Großherzogthum Toscana erworben; Joseph II. heirathete zuerst eine Prinzessin von Parma und nach deren frühem

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Elisabeth.

Tode mußte er, so widerstrebend es ihm auch war, eine baiersche Fürstin wählen. Es wurde damit für den längst vorbereiteten baierschen Erbfolgekrieg ein neuer Reichstitel geschaffen, und wenn trotzdem das Haus Zweibrücken mit seinen Erbansprüchen auf das schönste aller Kurfürstenthümer weiland des heiligen römischen Reichs deutscher Nation siegte und es noch heute als „Königreich“ Baiern beherrscht, so ist das bekanntlich einzig und allein dem alten Fritz zu danken, der lieber mit seiner Armee in Böhmen einfiel und mit Kaiser Joseph den berühmten Zwetschenrummel oder Kartoffelkrieg trieb, als daß er dem verhaßten Oesterreich das reiche Baiern erwerben ließ. Leopold II., von Toscana, war mit einer spanischen Prinzeß vermählt – ein Geschlecht, welches aus alter Tradition beim österreichischen Hause noch in Ansehen steht. Franz des Ersten vier Frauen waren aus würtembergischem, neapolitanischem, modenesischem und baierschem Stamm. Sein Sohn Ferdinand heirathete eine piemontesische Prinzeß. Seit hundert Jahren hat also, wie man ersieht, die habsburgische mit nur wenigen Ausnahmen immer in die italienischen Fürstenfamilien und in das Haus Baiern geheirathet. Die Vortheile davon haben denn auch vor Aller Augen gelegen. Jedermann wird sich entsinnen, [806] daß ganz Italien bis 1859, ausgenommen Piemont, ziemlich eine österreichische Provinz bedeutete; die Lombardei war sein eigen, ebenso wie Venedig; Toscana, Modena und Parma waren österreichische Souverainetäten; Neapel nicht viel mehr als ein Vasall: Oesterreich herrschte in Italien, wenn es auch nicht überall regierte. Das genügte auch vollständig der Wiener Politik, und mehr als ein gleiches Verhältniß erstrebte es auch nicht zu Deutschland; durch das benachbarte, engverwandte Baiern fand es eine starke Stütze für seine Politik nach dieser Seite hin.

Die Mutter des jetzigen Kaisers Franz Joseph ist die baiersche Prinzessin Sophie, eine der geistvollsten und zugleich diplomatisch geschicktesten Frauen, welche für die österreichische Politik in Baiern wohl das Meiste gethan hat. Sie war die Seele der Politik Neu-Oesterreichs, wie es aus der Reaction des Jahres 1848 hervorging; sie hatte es durchgesetzt, daß Metternich abtrat und dem Volke 1848 alle Redouten freiwillig preisgegeben wurden, um sie später desto sicherer wiederzuerobern; sie war es, die zu diesem Zwecke den alten guten Kaiser Ferdinand zum Abdanken und ihren eigenen Gemahl, den dem Kaiser Ferdinand ähnlichen Erzherzog Franz Karl zur Thronentsagung bewog, damit ihr junger Sohn Franz Joseph Kaiser werde, was bekanntlich am 2. December 1848 geschah. Dieser war sonach bestimmt, der Baumeister des neuen Oesterreichs zu werden, und sicherlich hatte sich die Mutter mit ihrem feinen politischen Kopf dabei eine Hauptrolle im Hintergründe zuertheilt. Die kühne Politik des Fürsten Schwarzenberg war ihr aus der Seele genommen, und nach der in Folge der Schlacht von Novara als felsenfest gesicherten Herrschaft Oesterreichs in Italien galt es, dieselbe auch über Deutschland zu befestigen. Eine innige Verbindung mit Baiern war dazu eine sehr werthvolle Stütze, und deßhalb erwählte die Erzherzogin Sophie die fast noch im Kindesalter stehende Prinzessin Elisabeth, Tochter des Herzogs Max Joseph in Baiern, zur Gemahlin ihres kaiserlichen Sohnes. Vielleicht rechnete die kluge Frau auf den mütterlichen Einfluß, den sie auf die junge Kaiserin und durch diese wieder auf den Sohn gewinnen würde, vielleicht war sie auch durch den Zauber der jugendlichen Erscheinung bezwungen und wußte, daß an der Seite dieses Wesens der geliebte Sohn ganz glücklich werden würde.

In der Hauptsache aber war die Vermählung des vierundzwanzigjährigen Kaisers Franz Joseph mit der kaum siebzehnjährigen Prinzeß Elisabeth von Baiern am 24. April 1854 doch durch die berechnende Politik herbeigeführt worden. Man weiß, daß die fürstlichen Heirathen gewöhnlich aus solchen Motiven hervorgehen und Ehen, wie andere Menschen sie nach ihrem Herzenswunsch schließen und darin den großen sittlichen Halt finden, in jenen Regionen zu wahren Wundern gehören. Das Schicksal hat in seiner strengen Gerechtigkeit dafür gesorgt, daß Menschen im Vollbesitz aller Güter des Lebens, der Macht über Ihresgleichen, dem Menschlichen gleichwohl unterworfen bleiben und im Glück ihrer äußerlichen Stellung das höhere Glück eines befriedigten Herzens gemeinhin entbehren. Schein ist der Glanz der Throne, Schein sind meist die weicheren Empfindungen, welche dort als vorhanden bezeichnet werden. Selbst fürstliche Ehen, die die Welt als glückliche preist – wie oft ist dies Glück nur Schein und nagt hinter der glücklichen Maske des Einen oder des Anderen die herbe Sorge am Herzen! Wie könne es auch anders sein? Der Fürst, der sich vermählt, hat selten sein Herz, er hat vor Allem die kalte, herzlose, egoistische Politik zu fragen; die Prinzessin ist noch unglücklicher daran; ihr läßt man nicht einmal die Wahl, sondern sie wird verhandelt nach Belieben der Diplomaten. Selten daher, daß solche politische Ehen zu Herzensverbindungen werden und beide Theile es ihrer Geburt und ihrem Stande vergeben können, für den schönsten Zweck des menschlichen Lebens als wenig mehr denn als bloße Kaufmannswaare gedient zu haben!

Franz Joseph und Elisabeth waren zu jenen Glücklichen zu rechnen, deren Ehe mehr als ein bloßer Bund der Politik bedeutete. Die Jugend Beider war der Talisman, welcher ihre Herzen zusammenführte, und ihre äußeren Eigenschaften waren der Art, daß sie eine Steigerung der Herzensgefühle, die sie vereinigten, bewirken konnten. Alle Welt war einig, daß dies fürstliche Paar glücklich sein müsse, daß Eines zum Andern in seltener Weise passe. Franz Joseph war eine gewinnende Erscheinung; seine Jugendlichkeit, seine Soldatenliebhaberei, die heut als Ersatz des alten ritterlichen Charakters gilt, verbunden mit der glänzenden Stellung, die er in der Welt einnahm – dies Alles war übergenug, jedes weibliche Herz sogleich zu erobern. Prinzeß Elisabeth war nicht minder geeignet, der Huldigung eines Mannesherzens sicher zu sein. Sie war eine Knospe zartester Schönheit, ein Kindesgesicht voller Unschuld und Fröhlichkeit, graziös in allen ihren Bewegungen, von jener natürlichen Liebenswürdigkeit, welche einen so mächtigen Zauber um die Damen zu legen weiß. Die hingebende Innigkeit, das fröhliche, unschuldsvolle Gemüth, ihr sanfter, reiner, tiefgründiger Blick, der eine warm fühlende, liebende Seele abspiegelte, sie zeigten nur zu deutlich das Glück dieser Fürstin an, als sie an der Seite ihres kaiserlichen Gemahls in die alte Hofburg zu Wien einzog, erfüllt von den Träumen eines glänzenden Lebens, einer herrlichen Zukunft. Das Volk, selbst die politischen Gegner des Kaisers, jubelten ihr zu – damals, als sie zum ersten Mal in keuscher Jugendschönheit die schöne Kaiserstadt betrat, als sie wie ein Symbol des guten Genius durch das noch schwer an seinen Wunden liegende Oesterreich zog; es war der Jubel des Volkes, den es so gern seiner Fürstin entgegenträgt, wenn es sie in dem ihr doppelt kostbaren Besitz rein menschlichen Glückes sieht. Das Volk in seiner unverwüstlichen Einfachheit der Empfindungen betrachtet eine solche Fürstin wie ein ihm vom Schicksal gegebenes Gut, welches es in Ritterlichkeit zu schützen habe. Es zaubert sich daraus sein Ideal; es sieht darin die milde, versöhnende Macht für seine kommenden Sorgen; es hält die Fürstin immer für sein Eigen und glaubt, daß ihr Herzensglück auch dem Allgemeinen zu Gute komme. Zwischen ihm und ihr besteht die Sympathie sanfter und reiner Gefühle.

In der That, die Kaiserin Elisabeth, strahlend in jugendlicher Schönheit auf einem stolzen Throne, der nach den Zeiten der Revolution durch die Versöhnung, die von ihm auf das besiegte Volk ausging, durch die kühne Politik, mit der er sich umgab, einen neuen Glanz erhalten hatte, genoß eines beneidenswerthen Glückes und sie selbst war weit entfernt, es zu verbergen. Der Triumphzug nach Triest überwältigte dies zarte Herz vor Entzücken. Was konnte Elisabeth auch noch wünschen, damit sie das höchste Maß irdischen Glückes besäße? Nichts, in Wahrheit Nichts. Sie blicke mit Stolz auf einen geliebten Gemahl; sie hatte das Bewußtsein, durch die Liebe des Volkes zu ihr der Dynastie selbst wieder neue Sympathien zugewendet zu haben; sie sah Oesterreich groß und stolz dastehen in der Welt und im Innern in tiefer Ruhe – daß es die Ruhe eines Kirchhofs war und die Größe Oesterreichs nur eine scheinbare, welche beim ersten Sturm der Weltgeschichte zum Erstaunen Aller jäh zusammenbrechen sollte, wie hätte sie es ahnen können, da die Herren des Staates selbst nicht eine Idee davon hatten?

Und mehr als Alles dies noch, was sie glücklich machte, war das beseligende Bewußtsein, Mutter zu sein. Was jeglichem Weibe den Stolz verleiht, die Hoffnungen der Liebe, gewissermaßen die ihm auferlegte Mission erfüllt zu haben, indem es Mutter wurde, übt bei der Gemahlin eines regierenden Fürsten eine viel intensivere Macht aus. Mehr als eine andere Frau hat sie die Pflicht, Mutter zu werden; denn so verlangt es das Interesse der Dynastie und des Staates. Alles andere Glück kann leicht zerschellen, wenn ihr das Schicksal eine Unfruchtbarkeit auferlegt hat. Napoleon ließ sich von Josephine scheiden, weil er um jeden Preis einen Erben brauchte. Je größer daher die Sorge um ein Kind, welche eine junge Fürstin erfüllen muß, desto gewaltiger die Freude, wenn es da ist. Mit dem beseligenden Muttergefühl mischt sich dann ein politischer Stolz, den Platz sich förmlich erkauft, des Fürsten und des Landes Erwartungen entsprochen zu haben. Kaum ein Jahr nach ihrer Vermählung gebar die Kaiserin Elisabeth die Erzherzogin Marie Anna. Dies Kind, galt es auch dem politischen Interesse wenig, war ihr deshalb um so theurer; es war ihr erstes, und wer wüßte nicht, wie eine Mutter ein solches liebt! Es war in Wahrheit ihr Kind, auf welches nicht, wie bei einem Sohne, der Staat seine maßgebenden Ansprüche erhob. Die Kaiserin besaß zudem eine zu weiche, leidenschaftliche Natur, als daß sie all diese Empfindungen nicht in verstärktem Maße besessen hätte. Zu viel Schmerz, zu viel Sorgen hatte der zarten Dame dies Kind gemacht, als daß sie es nicht in Leidenschaftlichkeit an ihr Herz gepreßt, nachdem Schmerz und Sorge vorüber waren.

Es verfloß ein Jahr und abermals wurde sie Mutter. Im [807] Juli 1856 wurde die Erzherzogin Gisela geboren. Wohl liebte sie auch dies Kind mit derselben Innigkeit, wie das erste; aber unwillkürlich mischte sich in die Rührung, mit welcher die schwache, junge Mutier es im Wochenbett küßte, das beklemmende Bedauern, daß es kein Sohn sei. Nur einmal ist der Fürstin vergönnt, ganz Mutter und Weib zu sein: ihr erstes Kind läßt man ihr, wenn es eine Tochter ist, weil man hofft, daß das zweite dem Staate gehören wird. Aber wird diese Hoffnung getäuscht – wie fangen dann die Staatsmänner an mit den Köpfen zu schütteln, und der Fürst selbst ist wohl verdrießlich, daß seine Familie sich nur mit Töchtern mehrt und mit keinem Erben. Dann kommt es oft, daß sein Interesse an der Gemahlin erkaltet, daß sie nicht mehr den früheren Reiz auf ihn ausübt und das unschuldige Weib, welches mit ungeschwächter Liebe an ihm hängt, still eine Zähre vergießt, weil es keinem Sohne das Leben gegeben. Es nagt an der Mutter Herzen der Gram, sich gegen sonst vernachlässigt zu sehen, und die Qual peinigt sie, daß ihr Gatte wohl nicht mehr ihr allein gehöre. Gewiß, die zweite Tochter einer Fürstin als zweites Kind ist eine brennende Sorge!

Die Kaiserin von Oesterreich mag hier zum ersten Mal den Kummer des menschlichen Lebens kennen gelernt haben; aber der Himmel endete ihn bald. Zwei Jahre nach der Geburt der Prinzessin Gisela war wieder ihre Entbindung nahe. Welche Aufregung muß sie während der Zeit empfunden haben, in der sie das Kind unterm Herzen trug, bis zu dem Augenblick, da sie mitten in den marternden Schmerzen, umringt von gespannten Hofdamen und Diplomaten, erfuhr, ob es wieder eine Tochter oder ob es endlich ein Sohn sei, dem sie das Leben gab! Die Angst zehrte gewiß nur zu oft an ihrem Gemüth, daß die dritte, fast die letzte Hoffnung sie täuschen kennte und sie durch die abermalige Geburt einer Tochter bei ihrem Gemahl, bei der Dynastie und im Lande an politischer Bedeutung verlieren mochte. Endlich, am 21. August 1858 kam die Entscheidung: 101 Kanonenschüsse donnerten von den Wällen der Stadt Wien, denn die Kaiserin halte den Kronprinzen Rudolph geboren. Ein Hochgefühl der Freude beseelte das Volk – und die Kaiserin? O man wird es glauben, welche Seligkeit sich auf ihr schönes, blasses Antlitz malte, als sie die Nachricht von diesem Ereignis; aus des Arztes Munde vernahm! Nun war Alles überstanden, all Kummer und Angst dahin; die Schmerzenszüge verschwanden, die leidenden Mienen wandelten sich in die des stillen Entzückens – jetzt stand sie auf dem Gipfel ihres Glücks; jetzt fehlte nichts mehr daran, nicht einmal der Sohn.

Doch ein jeder Sterbliche erfährt es, daß das vollkommene Glück nur zu schnell entschwindet und daß es nirgends des Menschen Wille und Macht festzuhalten vermag, selbst nicht auf einem Kaiserthrone. Die Kaiserin Eisabeth war kaum ihrem Wochenbett entstiegen, schöner denn je mit dem leidenden Ausdruck ihres Gesichts, durch den hindurch die Seligkeit des Glücks schimmerte, als über die zarte Natur der Sturm des Unglücks kam. Ihr erstgeborenes Töchterchen erkrankte und starb am 28. December 1858.

Es war das Kind, welches sie mit reiner, inbrünstiger Mutterliebe zuerst an ihr glückliches Herz geschlossen, dessen Lächeln sie unschuldsvoll und in ungetrübter Freude erwidert, dessen Lallen in ihr noch keinen Mißton geweckt halte. Nun war es todt; im Sarge lag der theuere Gegenstand der ersten heiligen Empfindung. Es war ein schwerer Schlag für das Herz Elisabeths, und die Thränen, welche ihren Augen reichlich entströmten, sie wuschen das letzte Roth der Gesundheit und der jugendlichen Fröhlichkeit von ihren Wangen.

Noch war der heftigste Schmerz der armen Mutter durch die Bestattung ihres todten Kindes nicht zu Ende, als die Fürstin in ihr einen neuen herben Schlag erhielt. Inmitten der ersten Trauer am Hofe zu Wien flog die Nachricht von dem Neujahrsgruß Napoleon’s an den österreichischen Gesandten. Der Schrei der Entrüstung, der darauf aus Wien antwortete, er entstieg dem tiefverletzten Stolz des kaiserlichen Hofes über die Verwegenheit des Decemberhelden. Zu den Waffen! hieß es, und plötzlich tönte Kriegsruf durch das tief im Frieden ruhende Land, und die Welt wußte, daß zwischen den Riesen Oesterreich und Frankreich ein furchtbarer Kampf auf den blühenden Schlachtfeldern der Lombardei geschlagen werden würde.

Die Tage, die seit jenem Neujahrsfest kamen, waren erschütternd für die Kaiserin Elisabeth. Ihr Stolz als Fürstin, den sie in hohem Maße besaß, war rebellirt, und sie stand zudem in dem Strudel der heftigen Strömungen und Intriguen, welche damals in der Hofburg vorhanden waren. Die Aufregung steigerte sich natürlich, als nun im Frühjahr 1859 der Krieg wirklich ausbrach. Mit Siegeszuversicht zog Oesterreich über den Tessino, und am Hofe schwelgten Alle in der Erwartung stolzer und großer Triumphe à la Novara. Auch die Kaiserin lebte ganz in diesen Hoffnungen, und man kann sich denken, wie schwer sie litt, als die Nachricht von der verlorenen Schlacht bei Magenta eintraf. Die bittersten Gefühle brachen bei ihr durch; denn längst lebte eine Ahnung in ihr, daß der Mann, welcher durch seinen Einfluß auf den Kaiser die Seele der Kriegführung geworden war, des Landes und ihr persönliches Unglück bedeute. Dieser unheilvolle Mann mußte fort – es kostete manchen Kampf des gekränkten Weibes, ehe es gelang. Der Kaiser war zudem selbst in den Krieg gezogen, und seiner Gemahlin bangte um sein Leben und um das Geschick der letzten Schlacht; denn Franz Joseph war heißblütig, feurig; es war nur zu möglich, daß er sich mitten in’s Kampfgewühl stürze. Nach dieser Angst, vermehrt mit dem Drucke eines andern stillen Kummers, folgte das schmerzliche Empfinden der Demüthigung durch die Schlacht von Solferino und den Frieden von Villafranca. Für eine zarte Frau, in welcher still und unbemerkt schon das Gift der Schwindsucht arbeitete, war dieser jähe Wechsel heftigster und erschütterndster Gefühle ohne Nachtheile für ihre Gesundheit nicht zu ertragen. Seit dem Frieden von Villafranca war die Kaiserin von Oesterreich eine gebrochene Blume der Jugend, und schnell arbeitete die Krankheit an der Zerstörung ihrer Brust.

Bei der zarten Natur Elisabeth’s war sie offenbar zu jung vermählt worden; die schnelle Folge der Entbindungen, die seit dem Tode des ersten Kindes so gewaltig auf sie einstürmenden und marternden Empfindungen; dann auch die scharfe Zugluft in Wien, die so viel Procent der Todesfälle daselbst an Schwindsucht und Lungenkrankheiten bewirkt – dies Alles halte die Gesundheit der Kaiserin schnell zerstört – bald war das liebliche, schöne Weib ein leidendes Wesen, dem der Tod schon auf den Fersen folgte; die Wangen waren verblüht, die Augen leuchteten mild, aber tief traurig; das Glück rief kein Lächeln mehr um den schönen Mund – die Kaiserin war tiefen Mitgefühls werth!

Vergebens hatte man sie gebeten, nach einem milderen, wohlthätigeren Klima zu gehen, um die verheerende Krankheit aufzuhalten, und vielleicht noch zu ertödten. Sie wollte Wien nicht verlassen um des Kaisers willen. Endlich, als die Gefahr zu groß wurde, rang man ihr die Einwilligung ab, nach Madeira zu gehen. Im Frühling 1861 führte sie eine österreichische Fregatte nach der herrlichen südlichen Insel, und wehmüthige Gedanken des Volkes begleiteten sie dahin. Jedermann wußte, daß es die lebende Leiche der Kaiserin war, die über’s Meer getragen wurde, und Niemand glaubte, daß sie den Boden Madeiras betreten werde. Von Tag zu Tag fürchtete man die Nachricht von dem Erlöschen dieses jungen Lebens; von Tag zu Tag jedoch hob sich die niedergedrückte Hoffnung mehr empor, denn man vernahm, daß die verloren Gegebene lebe und in wunderbarer Weise ihre Kräfte zurückgewinne. Madeiras weiche, warme Luft gab diesem vom Tod schon ergriffenen Körper die Lebensbedingung, den Athem, zurück. In Venedig gewöhnte man die Kaiserin dann wieder an die europäische Atmosphäre; in Ischl und Kissingen wurden ihr durch die heilbringenden Wasser Blut und Kräfte zurückgezaubert. So war es möglich, daß sie im Hochsommer 1862 wieder in die verwaiste Hofburg zu Wien einzog, ein Wunder der Natur, eine neue Braut mir einem neuen Leben, die das Volk im herzlichen Jubel als eine dem Tode abgerungene Beute begrüßte.

Ja, mit einem neuen Leben stieg Elisabeth wieder auf den Kaiserthron, dessen verschwundener Pomp und Glanz damit zurückkehrte. Aber welch eine Masse von Erfahrungen, von Angst, Herzenssorge, Schmerz und Leidenschaft lag zwischen damals, als sie unschuldvoll wie ein Kind aus ihres Vaters Schloß in die Hofburg zog, und jetzt, als sie aus dem rettenden Exil zurückkehrte! Die Glückseligkeit des Herzens, die hingebende Fröhlichkeit der Jugend – diese Schätze erwirbt kein Sterblicher zurück, Hai er sie einmal verloren, und alle Macht der Fürsten erweist sich hierin als ohnmächtig. Das Schicksal ist demokratisch genug, alle Menschen gleich zu machen; gönnt es dem Armen still das Glück seines Herzens, [808] so trachtet es begierig danach, auf den Thronen solches Glück zu zerstören. Die mit Glanz aller Art umgebene Kaiserin sah an ihrer eigenen Schwester, wie wahr dieser Ausspruch ist. Nicht die Königin von Neapel, nein, das deutsche Weib trauert in den Mauern des Ursuliner-Klosters zu Augsburg um ihre Jugend, die an das Schicksal eines ruhmlos und unbedauert untergegangenen Gatten gekettet war. Wie oft hat doch eine Fürstin den traurigen Vorzug, das echte Weib verleugnen zu müssen! Sei es nun durch Erziehung oder durch die Intriguen, durch die ausmergelnde Luft der Höfe oder durch die Erfahrungen des Lebens – es wird schon dafür gesorgt, daß die weibliche Natur sich in das enge Corset der Fürstin füge und zuletzt auf die Glückseligkeiten reiner Frauenempfindungen freiwillig Verzicht leiste, um Ruhe zu haben und um ihrer Bestimmung gemäß das glänzende, prunkende Glück auf dem Throne zu genießen. Wohl sieht dies stolz und schön aus; aber wahrlich! ein braves, frohes, freies Weib aus dem Volke mit einem Mann von Redlichkeit und Fleiß, mit rosigen Kindern, die lustig den Tag begrüßen, mit einem frischen Herzen voll Liebe und Zufriedenheit, wird es nimmer zu beneiden haben!

Schmidt-Weißenfels.