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Aus Anzengrubers Werde- und Wanderzeit

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Textdaten
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Autor: Anton Bettelheim
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Titel: Aus Anzengrubers Werde- und Wanderzeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 797–799, 801
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Anzengrubers Werde- und Wanderzeit.

Von Anton Bettelheim.


Auf dem geweihten Boden der Ehrengräber des Wiener Centralfrriedhofes, in nächster Nähe der letzten Ruhestätten von Beethoven und Schubert, erhebt sich seit Allerseelen das Grabdenkmal, das die Getreuen Anzengrubers dem genialen Volksdichter aufrichten ließen. Das Denkmal, die preisgekrönte Schöpfung des jungen Bildhauers Johann Scherpe, greift ans Herz wie die kernigen Gestalten des großen Dramatikers; wir sehen ein Bauernmädchen unterwegs jählings stillhalten und lautaufschluchzend den Pfahl eines „Marterls“ umklammern, dessen Votivbild porträttreu die Züge Ludwig Anzengrubers wiedergiebt; das Kind des Volkes kann sich nicht trösten darüber, daß ihm – und nicht nur ihm - ein unersetzlicher Helfer und Fürsprecher, ein „Seelsorger auch außer der Kirche“, vorzeitig entrissen wurde. Kein Zweifel, daß Anzengruber selbst an diesem Bildwerk Wohlgefallen gefunden hätte: es stellt die Sache des Volkes, für die er „bis zum letzten Athemzug sich selbst getreu“ gelitten und gestritten, in den Vordergrund. Der Geist des Dichters hat auf dem Bildhauer geruht, als dieser das Denkmal schuf: Anzengruber selbst hat unbewußt an seiner bildnerischen Verherrlichung mitgeholfen. Es war ihm aber auch beschieden, seiner Verklärung noch in anderer Weise die höchste Weihe zu geben: am Vorabend der Enthüllung seines Denkmals eroberte sich sein „Meineidbauer“ das ihm bisher verschlossene Burgtheater, und lebendiger als je zuvor erkannten die Landsleute den ganzen Werth des Mannes.

Ludwig Anzengruber.

Tief ergriffen ist der Herold der ersten Erfolge des Lebendigen bei diesem Anlaß auch als Herold der jüngsten reichen Ehren seines geschiedenen Lebensfreundes hervorgetreten: am Tage der Anzengruber-Feier überraschte uns P. K. Rosegger in der „Deutschen Zeitung“ mit einem Festgedicht, überschrieben

 „Dem Andenken Anzengrubers.“

„Ein Weihgesang, ein Frohgesang springt heut’ aus meiner Leier,
Am Grabe der Unsterblichen giebt’s keine Totenfeier.
Ihr seht mit Stolz und Dank des Meisters herrliches Vollbringen,
Ich wüßt’ von seinem Menschenthum ein rührend Lied zu singen.
Sein Haupt ist schön, auch wenn ich es des Lorbeerzweigs entblöße;
Wohl, Dichterkönnen preis’ ich hoch, noch höher Menschengröße.
Die Freunde denken herzbewegt an dieser Stell’ aufs neue
An seines Wesens schlichte Art, an seines Herzens Treue;
Die Wahrheit, die im Worte er gefeiert und gespiegelt:
Im Leben durch Wahrhaftigkeit hat er sie, traun, besiegelt.
Sein Leben war ein Heldenstreit. Sein plötzliches Erliegen
Hat erst uns aufgeweckt zu ihm. Sein Fallen war sein Siegen.“

„Sein Fallen war sein Siegen“: so wahr die Worte sind, so traurig stimmen sie jeden, der Anzengrubers Lebenslauf, ein langes, mutig und schweigend getragenes Martyrium, kennt. Im äußeren Umriß sind die Schicksale des tapferen Dulders den Lesern der „Gartenlaube“ wohl vertraut; sie wissen, daß der Vater unseres Dichters, ein kleiner Beamter, der in seinen Mußestunden Tragödie auf Tragödie schrieb, im Jahre 1844 starb, als der Kleine kaum vier Jahre alt war, und daß fortan einzig und allein die Mutter mit einer Jahrespension von 160, schreibe einhundertundsechzig Gulden sich und ihr Söhnlein durchschlagen mußte. „Was diese Mutter ist,“ so schrieb Anzengruber bei ihren Lebzeiten in Aufzeichnungen, die ich im Nachlaß gefunden habe, „das steht in den Blättern meines Herzens mit großen Buchstaben eingeschrieben und ich brauche nicht dieselben aufzuschlagen, denn, die das Glück haben, eine Mutter zu besitzen, würden den alten breiten Druck recht gut kennen, sich lächelnd zu mir wenden und die gleichen Blätter aufblättern, und die’s nicht verständen – (für die wär’ jede Müh’) umsonst.“ Nach ihrem Tode aber, der 1875 erfolgte, klagte er, der sonst so Verschlossene, dem getreuen Rosegger, er sei auf dem besten Wege, gemüthskrank zu werden: „Ich habe nicht nur das Weib, das mich geboren, die Mutter, die für mich Unmündigen gesorgt, ich habe meine beste Freundin verloren, ein Stück meines Herzens, meiner Seele.“ Ihr las der Aufstrebende wie der anerkannte Dichter jeden seiner Entwürfe vor; ihren Familiennamen, Herbich, legte er seiner mächtigsten Frauengestalt, der Großmutter im „Vierten Gebot“, diesem Urbild aller Bürgertugend und Herzensgüte, bei; ihr Andenken ist von dem des Sohnes so wenig zu trennen wie das der Frau Rath von dem Namen Goethes.

Anzengrubers Mutter.

Die wackere Frau, die im Elternhause bessere Zeiten gesehen hatte, trug in Liebe und Ergebung alle Noth mit ihrem einzigen Kinde. So lange die Mittel reichten, ließ sie den Jungen die Realschule besuchen, und als es galt, für den Lebensunterhalt Ludwigs aufzukommen, der als unbesoldeter Lehrling eines Buchhändlers nicht viel mehr lernte, als Pakete machen, stellte sie sich ohne weiteres hinter den Ladentisch einer „Pfaidlerei“ (Zeugladen) auf der Wieden. Ebenso selbstverständlich war es, daß sie, die eingewurzelte Wienerin, dem Sohne als Hausmütterchen in die Fremde folgte, als dieser, von unbezwinglichem Drange getrieben, sein Heil als Schauspieler versuchte. Dramatische Neigungen steckten ihrem Ludwig vom Vater her im Blut; von klein auf dramatisierte er, der „früher dichten als schreiben“ konnte, aus dem Stegreif jede erreichbare Geschichte, besonders gern die Blaubartsage, die er sofort mit der – Köchin des Hauses tragierte; höchst ergötzlich berichtet er, wie er bei solchem Anlaß einmal dermaßen schrie, daß der erschrockene Hausmeister herbeieilte im Glauben, es sei ein Unglück geschehen. Und so stark war diese Theaterleidenschaft, daß sich, so karg die Wirthschaft der Witwe Anzengruber auch sonst bestellt war, doch Mittel und Wege für den Jungen fanden, auf die letzte Galerie des Burgtheaters oder in das „Paradies“ der Vorstadtbühnen sich zu schleichen. Der erste Theaterbesuch des Fünfjährigen galt der Jenny Lind, die er, als echter Wiener, nur „die schöni Lind“ nannte. Den gewaltigsten Eindruck auf den Halbwüchsigen machte dann Heinrich Anschütz als alter Miller in „Kabale und Liebe“; oft hat er mir Rede und Gebärde des verzweifelnden Vaters wiederholt, der die Brotlade aufzieht mit dem Wehruf: „Hier ist ein Messer, durchstich Dein Herz und – (laut aufweinend) – das Vaterherz!“ Ebenso nachhaltig ergriff ihn hernach Dessous „Narziß“, eine Bekanntschaft, die nicht ohne Einfluß auf seinen Wurzelsepp geblieben ist. Und wie auf den Gipfeln der Schauspielkunst, so trieb er sich auch in den Niederungen des Volksstückes alten Schlages umher; sein erster dramatischer Versuch war eine „Nestroyiade“. Unwiderstehlich zog seine Sinnesart den Jüngling endlich selbst auf [798] die Bretter; sein erstes Auftreten geschah an einer sagenumsponnenen Stätte, in dem Meidlinger Musenstall des vielbelachten, im deutschen Bühnenklatsch unsterblich fortlebenden Direktors Groll. Auf dieser Ulkbühne debutierte ab und zu ein Anfänger, der späterhin wie Ferdinand Raimund ein Ruhm der Volksbühne oder wie der Heldenspieler Joseph Wagner eine Größe des Burgtheaters wurde; zumeist aber fanden sich hier Spaßvögel und Verkannte, übermüthige Hausherrnsöhne und unternehmende Selcherstöchter zusammen. Ein Jugendfreund des Dichters, der späterhin sein Schwager werden sollte, der Wiener Magistratsbeamte Franz Lipka, bewahrt noch ein von Anzengruber eigenhändig geschriebenes und gezeichnetes Büchlein aus jener Zeit auf, in dem der Dichter in der Manier der englischen Humoristen – in dem folgenden Fragment eines komischen Romans „Unter dem Mond“ – seiner Begegnungen und Abenteuer mit Groll gedenkt.

„Erstes Kapitel. Der Leser lernt mehrere Personen kennen, mit denen er wohl noch ferner zu thun haben wird. Es war am 4. Juni 1860 vormittags, als in drückender Hitze ein junger Mann nach Meidling, das nahe bei Wien liegt, schritt. Sommerliches Gewand, weicher runder Filzhut kleidete den bald hoch aufgerichtet, bald wieder nachlässig dahinschreitenden Lanz,[1] so hieß nämlich der junge Mann. So über Kothlachen und Gräben hinwegsetzend, gelangte er an den ersehnten Ort, marschierte nach dem daselbst befindlichen ‚Theresienbad‘, fragte dort nach Direktor Groll und eilte in dessen ebenerdige Wohnung. Schon drückte er an die Schnalle der Glasthür, über welcher ein Schild mit dem goldnen ‚Theaterdirektion‘ prangte, als eine Stimme aus einem nahen Fenster rief: ,Was wollen Sie denn?‘ Unser Mann wandte sich um, schritt dem Fenster zu und rief zu dem Stimmabgeber, einem Mann mit Schlafrock und Schlafmütze: ‚Ich möchte gern den Herrn Direktor Groll sprechen.‘ ‚Der bin ich, was wünschen Sie?‘ ‚Ich wollte fragen, ob Sie niemanden branchen können,‘ sagte den Hut rückend Lanz. ‚Engagement?‘ ‚Ja.‘ ‚Alles schon besetzt,‘ bemerkte mit nachdrücklicher Pantomime der Direktor. ‚Das heißt,‘ fuhr der Untenstehende fort, ‚Engagement ohne Gage.‘ ‚Ja, waren Sie schon auf Theater?‘ ‚Nein, aber ich habe längere Zeit bei – dem berühmten Komiker – C. Treumann gelernt; dann mich selbst vorbereitet für meine theatralische Laufbahn.‘ Jetzt wurde der Direktor etwas freundlicher. ‚Haben Sie noch Eltern? Sind Sie noch minorenn?‘ Da der junge Mann erst 20 Jahre zählte, verlangte Groll einen von der Mutter unterfertigten ‚Sustentationsrevers‘ und auf die mit sehr sarkastischem Ausdruck gegebene Zusage des Jünglings erklärte der Direktor: ‚Nachmittag 8 Uhr ist Probe von den ‚Modethorheiten‘, die nächsten Sonntag zur Aufführung kommen; es ist noch ein Fiaker da: eine kleine Rolle.‘ ‚Ganz gut, ich werde vor 8 Uhr eintreffen. Ich empfehle mich.‘ ‚Mein Kompliment,‘ sagte der Direktor und rückte seine Mütze. ‚Wünsche wohl zu speisen.‘ ‚Danke, gleichfalls,‘ sagte nachlässig lächelnd Lanz, ging rasch voran und hüpfte übermüthig den Ausgang zum Theater hinab.“ Diesen „Fiaker“ und allerhand andere ähnliche Röllchen, Reitknecht Sam in der „Waise von Lowood“, Pereles in „Einer von unsere Leut’“ etc., durfte Anzengruber aber nur spielen, nachdem seine Mutter schriftlich ihre Einwilligung zur Berufswahl ihres Sohnes gegeben hatte; zugleich mußte sie feierlich versichern, für die „Subsistenzmittel ihres Sohnes zu sorgen, bis derselbe ein festes Engagement anzutreten imstande sein wird“.

Katharina Schratt,
die Darstellerin der Vroni in Anzengrubers
„Meineidbauer“ am Burgtheater zu Wien.
Nach einer Aufnahme des k. u. k. Hofateliers Adèle zu Wien.

Ach! es sollte nicht allzu lange währen, bis der Rekrut des Herrn Groll ein festes Engagement erhielt. Anfangs der sechziger Jahre trat Anzengruber seine Kunstreisen an „unter Verhältnissen, wo das Reisen eine Kunst war“; seine ersten Winterquartiere blieben die besten, seine ersten Monatsgehalte von 25–35 Gulden (bei deren Erwähnung ihm nach Jahrzehnten „ein fieberrüttelndes Erinnern aufstieg“) die höchsten. Jahre lang schlug er sich von einer Bettelschmiere zur anderen durch, bei denen er sich bestenfalls zum Hungervirtuosen ausbilden konnte. Alle Winkelzüge und Kniffe der Fahrenden, wie sie von Holteis „Vagabunden“ bis auf den Direktor Striese im „Raub der Sabinerinnen“ so lustig zu hören, in der Wirklichkeit dagegen desto trauriger zu erleben sind, sollte unser Dichter an sich selbst erfahren. 1862 lachte er noch, als er, mit einer Wandertruppe nach Apatin, einer Haltestelle des Donaudampfers in Ungarn, verschlagen, Bäuerles alte „Aline oder Wien in einem andern Welttheil“ unter dem Titel „Aline oder Apatin in einem andern Welttheil“ angekündigt sah; die weltbekannte Strophe: „’s giebt nur a Kaiserstadt, ’s giebt nur a Wien, ah, da muß prächti sein, da möcht’ i hin!“ lautete natürlich: „’s giebt nur in Ungarn a Apatin d’rin“, eine Abänderung, die in der nächsten Station Palanka zu der Neuerung führte: „’s giebt nur in Ungarn a Palanka d’rin“. So gern und so lang Anzengruber „als unverbesserlicher Träumer“ aber auch bereit war, „wie ein Hypnotisierter rohe Kartoffeln für Birnen zu essen“, allgemach fehlten selbst die Kartoffeln für ihn und seine Mutter. In Steiermark, Slawonien und Kroatien trieb er sich herum, mehr als einmal im Stich gelassen von den Direktoren, sobald die mageren Einnahmen getheilt werden sollten. Und tiefer noch traf ihn die Erkenntniß, daß in solcher Umgebung weder für den Menschendarsteller, noch für den Dramatiker Gewinn zu holen sei. Einem Molière gereichten seine Lehr- und Wanderjahre, in denen er zu Beginn seiner Laufbahn auf Kreuz- und Querzügen Frankreich durchstreifte, zum Segen; seine starke schauspielerische, dazumal wie heute besonders dankbar aufgenommene komische Begabung, seine Fähigkeiten als Regisseur und Geschäftsmann machten ihn zum Führer seiner Kameraden. Anlagen dieser Art waren Anzengruber versagt. Er taugte nicht zum Darsteller; im Verkehr schloß er sich selten an oder auf; er hauste zurückgezogen mit seiner Mutter, saß jeden Abend an dem Tisch ihrer einen gemeinsamen Stube und horchte auf, bis sie mit dem Nachttrunk heimkam. „Hatte sie dann die Thür hinter sich geschlossen, so saßen wir noch lange plaudernd, denn wir hatten uns immer gar viel zu sagen.“ Menschliches und Dichterisches beredete das edle Paar. Immer neue ernste und heitere Vorwürfe zu Bühnenwerken jeder Form entwickelte der namenlose Komödiant vor der Einzigen, die ihm gläubig vertraute. Jahraus, jahrein brachte er neue Stücke fertig. „Der Kramer und sei Tochter“, „Ein Deserteur der großen Armee“, „Der Onkel is angekommen“ und allerhand andere Titel sind das einzige, was von diesen Werken auf uns gelangt ist. Denn nicht einmal bei den Direktoren seiner Gesellschaft, geschweige in Wien, fanden diese Erstlinge Beachtung. Die Wiener Theaterkanzleien sandten ein Manuskript nach dem anderen zurück – ungelesen; keine einzige bestand die Probe des ängstlich harrenden Antors, der einzelne Bogen versiegelt oder zusammengeklebt, wie er sie abgeschickt, auch wiederum unberührt zurückerhielt.

Dennoch trieb es den Dichter in die Vaterstadt zurück, wo seiner noch ganz andere Hungerjahre harrten als in der Provinz. 1867 war er im Harmonietheater engagiert. „Eine hübsche Anstalt“, schrieb er dazumal mit grimmigem Humor einem Freunde; „ich übe mich in den schwierigsten Episoden, insofern schwierig, als man wirklich oft nicht leicht die Schlagwörter behalten kann, auf welche man nichts zu reden hat; ich thu’ das für die kleine Erkenntlichkeit von 50 Kreuzer pro Abend und beziehe die horrende Gage von 20 Gulden pro Monat, das alles, um in Wien an der Quelle zu sitzen und mit der Feder arbeiten zu können; bei einer solchen Stellung, wie ich sie jetzt inne habe, wo man von heut’ auf morgen nicht weiß, ‚wirst Du oder wirst Du nicht umschmeißen?‘ mangelt jener Erfolg, den man braucht, um sich einen wenigstens kleinen Namen zu machen, eine Firma, zu der auch andere Vertrauen fassen, damit nicht die Zukunft an die dieses sehr kurzathmigen Institutes gebunden sei. Meine Erlebnisse, die mich auf diese Roßauer Sandbank absetzten, als einen schiffbruch-durchweichten, meergeschaukelten Robinson, dem zwar kein treuer Neger Freitag, wohl aber viele schwarze Freitage i. e. Fasttage bevorstanden, diese [799] Erlebnisse einmal, wenn wir uns wieder sehen! Pech ist mein Lebenselement, ich bin daher im Zweifel, zu welcher Gattung von Wesen ich mich rechnen soll; das Wasser, die Luft, die Erde sind bevölkert; daß aber auch das Pech bevölkert ist, davon weiß die Naturgeschichte nichts und Pechvogel ist ein sonderbarer Ausdruck – mit verklebten Schwingen stiegt man nicht.“

Anzengruber hat diese Behauptung durch die That widerlegt: er hat späterhin doch „mit verklebten Schwingen“ seinen Hochflug gewagt, obwohl oder weil er als „Aushilfsschauspieler“ des Harmonietheaters den Tiefpunkt seines Daseins noch lange nicht erreicht hatte. Als mit dem Zusammenbruch dieser Zufallsbühne sogar jene bescheidene Einnahmequelle versiegte, verdang sich Anzengruber als „externer Mitarbeiter“ dem „Kikeriki“, einem vielgelesenen Witzblatt, das seine Mitarbeiter mit kärglichstem Zeilenlohn bedachte; Gelegenheitscouplets für Volkssänger, Novellen zu 15 bis 20 Gulden für die Unterhaltungsbeilagen der „Morgenpost“ und des „Wanderers“ hätten Mutter und Sohn auf die Dauer schwerlich vor dem buchstäblichen Verhungern geschützt, hätte sich nicht endlich ein Verwandter Anzengrubers, Adjunkt (heute Gerichts-Präsident) Dr. Ritter von Holzinger, mit Eifer und Erfolg bemüht, dem Siebenundzwanzigjährigen eine Tagschreiberstelle bei der Polizeidirektioll zu verschaffen. In diesem Amt schrieb er, berathen und befeuert „von meiner Muse? nein! von meiner Mutter“, nochmals ein Stück, wiederum nur, wie er von vornherein mit Entsagung meint, für seine Schreiblade. „Was dabei herauskam, weiß jeder, der den ‚Pfarrer von Kirchfeld‘ kennt.“

Mit einem Schlage war nun Anzengruber, nach seinem eigenen Worte, „oben“. .Sein Name war gekannt in allen deutschen Landen; neue Meisterschöpfungen der Tragik und Komik, „Der Meineidbauer“, „Die Kreuzelschreiber“, „Der G’wissenswurm“, „Das vierte Gebot“ folgten; der Erzähler stellte sich mit seinem „Gottüberlegenen Jakob“, dem „Sündkind“, „Schandfleck“ und „Sternsteinhof“ in die erste Reihe der deutschen Novellisten und Romanschreiber. Aber reine Lebensfreude sollte ihm in seiner Meisterzeit noch weniger beschieden sein als in seiner Werde- und Wanderzeit. In den Jahren seiner künstlerischen Vollreife fand er in Wien keine Truppe und keine Bühne für dieselben Stücke, die nun nach seinem Tode gleichzeitig am Burgtheater, im Deutschen Volkstheater und im Raimundtheater zu Ehren kommen. Seine Mutter starb ihm und bereitete ihm damit den ersten, niemals verwundenen Schmerz. Und was ihm sonst noch in Kunst und Leben an Prüfungen und Bitternissen zugemessen wurde, gefährdete mitunter selbst seinen „gußeisernen Humor“. Unbeirrt durch alles persönliche Mißgeschick, hat er aber bis zu seinem Lebensende in ruheloser Arbeit als Denker und Dichter für die Sache des Volkes, als Anwalt aller Mühseligen und Beladenen sich eingesetzt mit dem heiligen Ernst eines Mannes, der alle Noth und jedes Leid, das er an sich selbst erfahren, den Mit- und Nachlebenden ersparen will. Der Größe dieser Gesinnung sind seit Anzengrubers Heimgang nicht allein die Landsleute mehr und mehr inne geworden. Nun suchen sie an dem Toten zu sühnen, was an dem Lebendigen versäumt wurde. Wehmüthige Betrachtungen der Art erfüllten uns, als bei der jüngsten Festvorstellung des „Meineidbauers“ im Burgtheater Tobias die Worte sprach: „Amol im Leben hat a jeder sein Kreuzweghof g’habt, wo’s ihm grimmig schlecht ’gangen is; mit Gott’s Hilf find’t aber auch jeder amol sein Altranning, wo er Großknecht werden kann.“ Die volle Freude dieser Genugthuung ist dem Dichter nicht geworden: er hat es nicht mehr mit eigenen Augen geschaut, daß sein „Meineidbauer“ eine Heimath auf dem Burgtheater sich errungen hat. Unser Trost muß sein, daß nach Roseggers Weihegruß

„– auf dem Grab ein Blümlein steht, statt Allerseelenkerzen,
Das lacht uns zu: Er ist nicht hier, er lebt in Euren Herzen.“


[801]

Der Meineidbauer schießt auf seinen Sohn.
Szene aus der ersten Aufführung von Anzengrubers „Meineidbauer“ am Burgtheater zu Wien (28. Oktober 1893).
Nach einer Originalzeichnung von W. Gause.

  1. Unter diesem aus den Anfangsbuchstaben L. Anz. gebildeten Leihnamen erschien unser Dichter auch wirklich zuerst auf dem Zettel des Meidlinger Theaters.