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Aus Heidelbergs Jubeltagen

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Autor: H. Waltz
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Titel: Aus Heidelbergs Jubeltagen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 621, 624–627
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bild: Ehrenpromotionen der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg in der Heiliggeistkirche, 1886, Quelle: Ruperto Carola: Illustrirte Fest-Chronik der V. Säcular-Feier der Universität Heidelberg
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[621]

 Pfalzgräfin Susanna.       Kurfürst Otto Heinrich.   Universitätswagen.   Bauwagen.
Gruppe aus dem Heidelberger Festzug:0 Pflege der Kunst und Wissenschaft durch Kurfürst Otto Heinrich 1556–1559.
Originalzeichnung von H. Kley.

[624]
Aus Heidelbergs Jubeltagen.
Mit Illustrationen von H. Kley.

Auffahrt des Großherzogs von Baden und des Kronprinzen des Deutschen Reiches vor der Festhalle.

Herrliche, unvergeßliche Tage waren es, die vom 2. bis 9. August in Heidelberg gefeiert wurden. Die Augen der civilisirten Welt waren auf die kleine Stadt am Neckarstrande gerichtet, wo eine Woche lang das Herz Deutschlands schlug. Ist ja doch Heidelberg Allen ins innerste Herz gewachsen, Allen, denen es vergönnt war, auf seinen Bergen und in seinen Straßen zu wandeln und die wunderbare Harmonie von Natur und Kunst, von Geist und Geselligkeit, die seinen Hauptvorzug bildet, auf sich wirken zu lassen. Aber auch solche, die Heidelberg nie betraten, haben doch so viel von ihm gehört, daß ihre sehnsüchtige Aufmerksamkeit fortan darauf gerichtet blieb und daß sie es uns Dank wissen werden, wenn wir eine Reihe von Jubiläumsbildern vor ihren Augen entrollen.

Eine Kette von Kleinodien, so könnte man die Tage der Festwoche betiteln, von Kleinodien, jedes besonders in seiner Art, aber keines gern dem andern die Palme des Glanzes und der Pracht zugestehend. Zehntausend Gäste aus allen Gauen Deutschlands und auch aus den benachbarten Ländern kamen nach Heidelberg, und durch die festlich geschmückten Straßen flutheten und drängten die Massen nach der Festhalle auf dem Lauerplatz, vor deren Eingang wir auf dem ersten unserer Bilder die höchsten der Gäste, den Kronprinzen des Deutschen Reiches in Begleitung des Großherzogs erblicken. Die rothen Livréen der Hofkutscher und Lakaien geben dem Empfang einen farbenbunten Anstrich, während die nach Hunderten zählende Volksmenge es nicht an begeisterten Hurrahs fehlen läßt. Von dem Entrée bis zur Front der Halle im Hintergrund zieht sich der mächtige, von Rasen umsäumte und mit Wimpeln, Wappen, Guirlanden, Lampions und stattlichen Studentenfiguren gezierte Vorplatz, und dann erscheint die Westfront, architektonisch einen ebenso imposanten wie harmonischen Eindruck hervorrufend. Die hochragenden Thürme mit ihren vergoldeten Dächern, ihren von Putten getragenen Wappen, ihrem Spruch „Fröhlich Pfalz, Gott [625] erhalt’s“ und ihren Medaillons des Großherzogs und der Großherzogin zeigen so viele dekorative und architektonische Details, daß die Feder erlahmen würde, wollte sie Alles aufzeichnen. Die den Thorbogen entsprechenden Thüren geleiten zum Innern, das uns staunen läßt über die Kunst des Baumeisters, der für 5000 Menschen ein zugleich das Gepräge der Großartigkeit und Gemüthlichkeit tragendes Riesengebäude geschaffen hat. Wappen, Guirlanden, Fahnen, Schilder, Figuren, Blumen, Grünzeug, Kränze in geschmackvollster Anordnnng erhöhen den festlichen Eindruck, und über das Ganze spannt sich eine hellblaue, sternenbesäete Decke aus Stoffzeug, die bei der Sonnenbeleuchtung des Tages wie bei der elektrischen der Nacht eine wunderbare Wirkung hervorruft.

Montag Abends wurden hier die Festgäste durch den Oberbürgermeister begrüßt, aber die erste der Feierlichkeiten fand Dienstag Vormittag in der Universität selbst statt: der Empfang der Deputationen in der Aula, dem großen Sitzungssaale der Universität, der, von dem Architekten Durm in Karlsruhe aufs Schönste renovirt, mit den Inschriften berühmter Heidelberger Professoren aus alter und neuer Zeit geziert und mit dem farbenreichen Oelbilde Keller’s, den Einzug der Pallas Athene in Heidelberg darstellend, geschmückt ist. Hier sprach der Großherzog, hier hielt der Kronprinz des Deutschen Reickes seine zündende, die Presse aller Länder durcheilende, gemüths- und gedankentiefe Festrede, hier mahnte er zur Arbeit und zur Mäßigung mitten im glänzendsten Erfolg. Hier nahm der Prorektor Becker die Ansprachen der deutschen und auswärtigen Deputationen entgegen, jede in geistvoller Weise beantwortend, hier entfaltete sich ein Bild geistiger Größe und nationaler wie universeller Bedeutung, das allen Theilnehmern unvergeßlich bleiben und in Jahrhunderten vielleicht nicht wiederkehren wird.

Festrede des Professor Kuno Fischer in der Heiliggeistkirche.

Abends nahm das Schloß – neben der Heiliggeistkirche am innigsten und längsten mit der Alma mater Ruperta verwachsen – in strahlendem Festglanz die Gäste auf. Schloßgarten, Schloßbrücke, Schloßhof, Altan, Bandhaus, Stückgarten sind mit Fahnen, Wimpeln, Wappen, Guirlanden, elektrischen Lampen, Gaskandelabern, Tausenden von bunten Jlluminationsgläsern großartig geschmückt und taghell erleuchtet. Im Bandhaus, dessen Tropfsteindecke mit buntem Holzgetäfel überzogen und dessen Kalkwände mit reichen Gobelins, Rüstungen, Waffen, Wappen etc. geziert sind, hielten der Kronprinz, der Großherzog und die Großherzogin Kour ab. Keine kleine Aufgabe, die nach Hunderten zählende Menge hervorragender Männer Revue passiren zu lassen und von Jedem etwas Interessantes zu erfahren oder ihm etwas Verbindliches zu sagen.

Endlich um zehn Uhr betreten, nach beendigter Vorstellung, die Fürstlichkeiten, mit lauten Hochrufen empfangen, die tannenholzgezimmerte über anderthalb Meter breite Verbindungsbrücke zwischen Bandhaus und Stückgarten. Die Menge drängt nach und staunt über das solide Bauwerk, das aus dem thurmhohen Hirschgraben aufragt und mit Schonung der uralten Baumriesen aus Balkenwerk errichtet ist. Die Dunkelheit des längstverlassenen Grabens trotzt dem Angriffe der elektrischen Flammen, Fackeln und Lampions, und so wird es der Phantasie nicht schwer, ihn wieder mit all den Löwen, Bären, Hirschen und anderen Thieren zu bevölkern, die einst darin gehaust haben.

Doch nun wieder zu der specifisch akademischen Feier!

Am 4. August folgt die Festrede des Professors der Philosophie, Geheimrath Dr. Kuno Fischer. Schon um acht Uhr fängt die Kirche an sich zu füllen; all die schöngeputzten Damen und Herren rechnen es sich zur Ehre an, eine Karte erhalten zu haben für diesen geistigen Weihe-Akt des ganzen Festes. Bis halb neun Uhr ist die Kirche in ihren nicht reservirten Theilen bereits bis zum letzten Stuhl gefüllt. Um dreiviertel neun Uhr setzt sich der akademische Festzug von der Aula aus unter Vorantritt eines Musikkorps in Bewegung. An der Spitze marschirt die Studentendeputation mit dem von den Heidelberger Professorendamen gestifteten Banner der Universität. Es folgen die Pedelle, der Prorektor und Senat. Diesem schließen sich die Deputirten der ausländischen und deutschen Universitäten und Akademien, der Polytechniken Deutschlands, die Heidelberger akademische Körperschaft, der Studentenausschuß an. Dabei hatte man bequemste Gelegenheit, goldene Ehrenketten, Ordensbänder und Sterne aller Form und Farben, prächtige Ornate, Roben und Barette in Hülle und Fülle kennen zu lernen und zu bewundern. Nach Aufstellung des Zuges in der Kirche erschienen die fürstlichen Herrschaften, von einem nicht endenwollenden Jubel der vor dem Gotteshause aufgepflanzten Volksmenge begrüßt. Sie nehmen Platz, akademischer Gesang ertönt, und der Festredner Kuno Fischer besteigt die mit Palmen und Lorbeer geschmückte Rednerbühne, wie unser Bild es darstellt. Man gewahrt die imponirende Figur des Redners, die hochragenden, mit Fahnen gezierten Säulen, im Hintergrunde Orchester und Sängerchor. Vor diesem Heidelbergs Professoren und Docenten. An der Säule gegenüber dem Redner prangt das Banner der Universität, von Studiosus Klaus gehalten. Unter der Kanzel erblickt man den Kronprinzen und den Großherzog mit Familie, hinter ihnen das Gefolge und im Vordergrunde die Deputirten fremder Universitäten und Akademien. Wahrlich, eine großartige Scenerie!

Athemlos lauscht die Menge der sonoren Stimme und den schwungvollen Ausführungen des berühmten Redners, der in so denkwürdiger Zeit und an so denkwürdiger Stelle die dankbare Aufgabe übernommen hat, die interessantesten Momente der 500jährigen Geschichte der Universität in ihren Beziehungen zu Stadt und Land zu schildern. Nahezu drei Stunden spricht Kuno Fischer, manchmal erhebt sich die Stimme zu Seraphklängen sanftester Begeisterung über die Schönheit Heidelbergs, dann wieder sinkt sie zu dumpfem Grabeston herab, wenn er die Nachtseiten Pfälzer Geschichte zu malen beginnt, ja man glaubt die Donner des jüngsten Gerichtes aus ihren Klängen hervorgrollen zu hören, wenn er die Gräuel verthierter Kriegerhorden und die Bilder der Zerstörung unserer Musenstadt vor den Zuhörern entrollt.

Nach Schluß der Festrede und Beendigung des Chorgesanges verweilten die Fürstlichkeiten noch ein Halbstündchen, dem und jenem Professor die Hand drückend, und unvergeßlich wird für Jeden der Augenblick sein, wo die heldenhafte Gestalt des Kronprinzen so viel Helden des Geistes wohlwollend gegenübertrat.

Wir übergehen das Festmahl im Museum, dessen Verlauf und Reden in der Tagespresse sattsam geschildert wurden, und wenden uns [626] zum Fackelzug, den die gesammte Studentenschaft dem Rector magnificentissimus darbrachte.

Abends neun Uhr fuhren Kronprinz, Großherzog und Familie zum festlich geschmückten Rathhaus, um den 3000 Fackeln zählenden, von vielen Musikkorps begleiteten Zug an sich vorüberziehen zu lassen. Großartig war der Lichteffekt. Der Großherzog brachte, als die Studentendeputationen vor ihm aufzogen, mit weithinschallender Stimme ein zündendes, von donnerndem Applaus begleitetes Hoch auf den Kronprinzen als den Vertreter des Kaisers. Ueber eine Stunde lang zogen immer neue farben- und nicht farbentragende Korporationen mit Hurrah und Vivat vorüber. Die ersten Fackelträger waren schon am Ort ihrer Bestimmung angelangt, als die letzten, den Neckar mit rothem Flammenschein beleuchtend, erst längs der Neuenheimer Seite von Handschuchsheim her der alten Brücke zu zogen. –

Am nächsten Tage, dem 5. August erfolgte Morgens um 9 Uhr die ernste Feier der Ehrenpromotion in der Heiliggeistkirche, bei der außer vielen verdienstvollen Männern der Wissenschaft der Großherzog den theologischen, der Erbgroßherzog den juristischen, Minister Turban den philosophischen und Exminister Jolly den medicinischen Ehrendoktor erhielten. Die Dekane der vier Fakultäten motivirten jede einzelne Ernennung in feierlichen Ansprachen. Der Großherzog wohnte der Feier bei, und der Prorektor Geheimrath Becker, in der vom Großherzog gestifteten Prorektorenkette von schwerem Gold erscheinend, redete der Jugend gewaltig ins Gewissen. „Wir Alten,“ meinte er, „leisten eben, was wir noch können, aber an Euch Jüngeren ist es, auf unseren Schultern weiter zu steigen.“

Endlich erschien der Freitag, von soviel Zehntausenden mit Sehnsucht erwartet, der Tag des Festzuges, der zwei Jahre lang den Gesprächsstoff innerhalb und außerhalb von Heidelberg gebildet, auf den hin einundeinhalb Jahr lang angestrengt war gearbeitet worden, für den viele Künstler, von Gelehrten unterstützt, Pläne entworfen, für den die Bahnlinien Süddeutschlands eine fieberhafte Thätigkeit entfalteten, die Stadt Heidelberg ihre Physiognomie durch Errichtnng unzähliger Tribünen auf freien Plätzen, in Gärten, Thorbogen, Thüren, Mauern etc. bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte.

Wagen der Ruperta Carola.

Ein herrliches Wetter hatte eine zahllose Menge von Zuschauern herbeigelockt, die gleichwohl wegen der Masse von Tribünen und der Besetzung der Häuser längs der ausgedehnten Zuglinie kein Gedränge auf den durch Seile abgesperrten Straßen verursachten.

Nach 9 Uhr verläßt der Großherzog mit seiner Familie in langer prächtiger Kavalkade, von den Adjutanten, Hofchargen, Ministern und Spitzen der hiesigen Behörden geleitet, das Palais und fährt zu der für ihn errichteten Fürstenloge, die reichgeschmückt, mit Fenstern und wohnlichem Gemach versehen, dem Landesherrn und seiner Umgebung bequemen Aufenthalt bietet und durch Aufstellung von Blattpflanzen verschiedenster Art wie eine Oase aus der Bretterwüste der Tribünen hervorleuchtet. Der Fürst wird mit donnerndem Hurrah begrüßt, tritt in die Loge und unterhält sich mit den von ihm geladenen Gästen.

Endlich geht ein Brausen durch die Menge, helle Fanfaren ertönen und der Festzug, in der von Hoff und Kley entworfenen Ordnung, geht dem Auge vorüber.

Unmöglich ist es, die gehobene Stimmung zu schildern, in die jeder Beschauer versetzt wird.

In diesem großartigen Aufzug ist nichts von dem Geflirr und Flitterwerk, von dem Firlefanz und falschen Gepränge einer Fastnachtsaufführung. Alles ist echt, gediegen, edel in Stoff, Farbe und Form. Die Täuschung ist eine vollkommene und – was das Merkwürdigste ist – eine Täuschung löst immer die andere ab. Von einer Geschichtsperiode gerathen wir in die andere, Alles mitdurchlebend, Alles mitfühlend. Kindlich fromm angehaucht sind wir mit dem Zeitalter Ruprecht’s, kriegerisch kühn mit dem Sieger von Seckenheim, tiefster Weisheit theilhaft mit Otto Heinrich, von Hoheit, Glanz und Pracht geblendet mit Friedrich V., niedergebeugt mit den Perioden des Dreißigjährigen und des Orleans’schen Krieges. Das tändelnde Hofleben des 18. Jahrhunderts erfaßt uns mit Karl Philipp, gewinnt sinnlich bestrickende Gewalt über uns mit Karl Theodor, im Kontrast dazu fühlen wir uns zu erneutem Aufschwung emporgehoben mit Karl Friedrich und mit den schönsten Hoffnungen für die Zukunft erfüllt bei dem farbenfrischen Aufzug der modernen Studentenschaft. Dazwischen hingestreut ist so manche herrliche Gestalt, so manche gebietende Persönlichkeit, so manche herzgewinnende weibliche Figur, so manche lusterweckende, echt pfälzische Erscheinung.

Doch was vermögen alle, auch die begeistertsten Worte gegen die lebendige Anschauung und Darstellung? Diese Nonnen, diese Krieger, diese Fürsten, diese Damen des Hofes, diese Pagen, diese Pferde mit ihren abwechselungsreichen Sätteln und bunten Schabracken, diese Wagen mit ihrem herrlichen Zierat, ihren lebendigen und allegorischen Figuren, ein Künstler muß sie Dir zeichnen, zeigen in ihrer harmonischen Anordnung, ihrer naturwahren Haltung, ihrem Zusammenwirken zu der Idee des Ganzen, und erst dann hast Du den vollen Genuß des Festzuges. – Und so führt Dir denn unser Künstler vors Auge zwei herrliche Gruppen: „Die Pflege der Kunst und Wissenschaft durch Kurfürst Otto Heinrich“ und den „Wagen der Ruperto Carola“. Die erste (vgl. S. 621), welche die Glanzzeit Heidelbergs unter dem ruhmvollen Förderer von Wissenschaft und Kunst darstellen soll, eröffnen berittene Bannerträger und Herolde, dann folgt der Kurfürst mit der Pfalzgräfin, von glänzendem Hofstaat umgeben; hinter diesem der einfache Wagen der Universität von Studenten umgeben, und zum Schluß Bürger Heidelbergs mit dem Bauwagen, auf welchem Werk- und Zimmerleute ein emsiges Treiben entwickeln. Vor der anderen Gruppe, dem Wagen der Ruperto Carola, zieht ein Ritter, zwei Pferdeführer folgen, rechts und links gewahrt man Scholaren. Die Pietas und die Sapientia sehen dem Beschauer entgegen, Justitia und Veritas sind ihm abgekehrt. Der Wagen ist mit einem Baldachin geschmückt und mit gothischen Zieraten aufs Reichste versehen. Hinter ihm gewahrt man Ritter, Studenten und den Schlußherold …

[627] Hatten am Morgen und gegen Mittag Phantasie und Sinne geschwelgt in Genüssen, wie sie nur die edle Kunst zu bieten vermag, hatte am Nachmittag die festlich geschmückte Stadt ein buntbelebtes Bild des Wogens und Treibens von Menschenmassen, wie vielleicht nie seit ihrer Entstehung, geboten, so folgte am Abend ein Geist und Gemüth erquickendes Fest: der allgemeine Studentenkommers. Denke man sich die Festhalle mit Ehrengästen, Professoren und Studenten bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt, in elektrischem Lichte strahlend Tausende von bunten Mützen und Zehntausende leuchtender Menschenaugen: da erscheint der Rector magnificentissimus, der Großherzog, von seinem Gefolge umgeben. Alles erhebt sich, donnerndes Hoch empfängt ihn; in echt studentischer Weise wird der Kommers durch einen Riesensalamander eröffnet, den der Vorsitzende Stud. Klaus kommandirt und der mit unerhörter Präcision – ein treffliches Omen für die akademische Einigkeit! – exercirt wird. Dann folgt das Scheffel-Lachner’sche Festlied, ein allgemeiner Cantus, und darauf der Trinkspruch des Großherzogs auf den deutschen Kaiser. Unbeschreiblich ist die Wirkung dieser sonoren, in die entferntesten Winkel des Saales und der Herzen dringenden Worte. Tiefernst und patriotisch warm stellen sie der studirenden Jugend das erhabene Beispiel des pflichterfüllten greisen Helden vor Augen.

Ein dreimaliges, markerschütterndes Hoch auf Wilhelm den Siegreichen durchdringt die Halle und mischt sich mit dem Vivat der draußen harrenden Volksmenge. Es folgen, immer abwechselnd, Lieder und Toaste auf den Großherzog, das Ministerium, die Stände, die Gäste, Fürst Bismarck, die Studentenschaft, Altheidelberg, die Professoren, die Armee, die Studenten in Waffen – aber keiner von allen ist mehr im Stande, eine so mächtige Wirkung zu erzielen, wie der des Rector magnificentissimus, der bis Mitternacht den Ehrensitz unter seinen lieben jungen und alten Studenten behauptet.

Am Sonnabend folgten verschiedene Ausflüge der einzelnen Korporationen nach allen Richtungen der Windrose. Neckarsteinach, der Kümmelbacherhof, Kohlhof, Ziegelhausen, Wolfsbrunnen werden per Bahn, zu Wagen und zu Fuß aufgesucht. Besonders aber die „Tante Felix“ in Handschuchsheim, eine in weitesten Kreisen bekannte, unverheirathete Studentenmutter, zu der Füchse, bemooste Häupter und „alte Herren“ gleichgern wallfahrten, und der die Väter und Großväter der jetzigen Musensöhne schon die Hand geschüttelt haben. Aber trotzdem ist die Menschenmasse in den Straßen Heidelbergs noch so groß, daß an kein Durchkommen zu denken ist. Flüchten wir in ein Café, eine Wein- oder Bierstube, so müssen wir lange antichambriren, bis wir zum Altar des Bacchus oder Gambrinus, oder bis die Priester und Priesterinnen dieser Gottheiten zu uns gelangen. Ueberall wird noch pokulirt und kommersirt, immer noch treffen wir alte Bekannte und erfahren mit Erstaunen, daß sie uns besucht, aber nicht angetroffen haben. Wir machen uns indeß auf zum Kostümfest auf dem Schlosse.

Alles zieht hinauf zu der ehemaligen Residenz der Kurfürsten, die ihre feenhaften Räume noch einmal öffnet, um das stimmungsvollste aller Stimmungsbilder ins Leben zu rufen. Wir finden hier wieder die einzelnen Gruppen des Festzuges im Schloßhof, dem Otto Heinrichsbau, dem Ruprechtsbau, um die Fontaine, die Cisterne, im Bandhaus etc. gelagert, der Großherzog erscheint mit seiner Familie, eine Ehreneskorte von Farbenstudenten in Koller und Kanonen geleitet die hohen Gäste. Weihevoll und freudig bewegt wird die Stimmung.

Nicht eine Feder, Hunderte müßten uns zu Gebote stehen, wollten wir die Herrlichkeit dieses Schlußaktes der ganzen Jubiläumsfeier genugsam preisen, die malerischen Gelage auf dem Altan, die harmonische Gruppirung im Bandhaus, den grotesken Zug über die Brücke des Hirschgrabens, die großartigen Bilder in den Zimmern und den Sälen der Schloßruine, die Erscheinung des Fürsten Otto Heinrich auf dem Treppenaufgangsplateau des nach ihm genannten Baues, umgeben von seinem gesammten märchenhaft prangenden Hofstaat, herunterwinkend in die buntkostümirte Menge, welche ihn mit vielstimmigem Hurrah begrüßt. Dann wieder die schlichten Herren im Professorenrock der Neuzeit, auf der Burgtreppe gelagert, ein Gläslein Weines trinkend und ein Schinkenbrot essend, von dem die Runde machenden Fürstenpaar angeredet, wobei sie kauend ihre Reverenz stammeln. Wollten wir gar niedersteigen zum großen Faß und in den darangrenzenden ungeheuren Faßsaal mit seinen Hunderten zechender, rauchender und singender junger und alter Herren (mit dazwischen gestreuten Damen) in Civil, Uniform und Kostüm aller Jahrhunderte, wahrlich, wir müßten mit den Worten so umgehen können, wie Meister Hoff mit den Farben, Stoffen und Menschengestalten, um der Wirklichkeit auch nur annähernd gerecht zu werden. Hellebardiere und Gamaschenknöpfe der Neuzeit sitzen Arm in Arm. Drei Nonnen bewegen sich in der Gesellschaft eines biderben Landsknechtes; Ruprecht der ältere zündet sich eine Cigarette an, und Marsilius ab Inghen, der erste Rektor der Universität Heidelberg, zieht die Uhr, um nachzuschauen, ob es noch zu einem Viertelchen langt.

So fand die Jubelfeier an dieser denkwürdigen Stätte ihren glänzenden Abschluß; hier erlosch der letzte Festtag und verlor sich der letzte Jubelruf. Aber in tausend alten Herzen klingt noch die Freude nach, Tausende junger Köpfe hebt der Stolz in die Höhe, denn das ist die goldene Frucht solcher Jnbeltage, daß sich an ihnen das Volk gelobt, an dem Errungenen festzuhalten und neue Siege des Geistes zu erkämpfen. H. Waltz.